Strafrecht erste Prüfung (1. bis 6. Teil)

Strafrecht erste Prüfung (1. bis 6. Teil)

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Langue Deutsch
Catégorie Droit
Niveau Université
Crée / Actualisé 28.02.2021 / 14.03.2021
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Kriminalistik

Kriminalistik ist die Lehre von den Mitteln und Methoden der Bekämpfung einzelner Straftaten und des Verbrechertums (der Kriminalität) durch vorbeugende (präventive) und strafverfolgende (repressive) Maßnahmen.

Polizeiarbeit
Aufklärung von Straftaten
Kriminaltaktik
Kriminalstrategie
Kriminaltechnik, u.a.:
̶Ballistik
̶Daktyloskopie
̶Forensische Linguistik
̶Forensische Phonetik
̶IT-Forensik
Rechtsmedizin, u.a.:
̶Toxikologie
̶Serologie (Blut-, Spermaspuren-, DNA-Nachweise)
̶Entomologie (Insektenkunde)

Kriminologie

Definition = Lehre vom Verbrechen
Wissenschaft, die Ursachen und Erscheinungsformen des Verbrechens untersucht und sich mit der Bekämpfung des Verbrechens befasst
Lehre von der Kriminalität
Empirische Wissenschaft
Ursachen/Erscheinungsformen von Kriminalität (Phänomenologie)

Bezugswissenschaften Kriminologie: Psychologie Soziologie Medizin Intersubjektivität Strafrecht Kriminalpolitik Kriminalistik
Sinnvolle Reaktionen auf Delinquenz
Kriminalanthropologie
Kriminalstatistik
Kriminalsoziologie
Viktimologie

Kriminologie –grundlegende Gedanken

Ohne Gesetz keine Kriminalität!
Kriminalität ist normal
Wo Normen, da Rechtsverletzungen
Kriminalität stärkt Geltungskraft der Normen
Kriminalität stärkt unser Selbstwertgefühl
Kriminalität ist unvermeidbar
Kriminalität ist der Motor sozialen Wandels

Kriminologie –Theorien des 20 Jahrhunderts

Indeterminismus
Menschen = kompetent, zielgerichtet, eigenverantwortlich
(Wegbereiter: Klassische Schule)
Zweckrationales Handeln gemäss individueller Kosten-Nutzen-Maximierung
Konsequenzen: unnötige und kontraproduktive Normen abschaffen und Dosierung des Strafübels als Kostenfaktor
Theorien:
Ökonomische Kriminalitätstheorie
Kontrolltheorien (kriminalitätsbegünstigende Kontrolldefizite): Bindungstheorien, Re-integrative Beschämung, Kontrollbalance
Symbolischer Interaktionismus (sinnhaftes Verstehen des Handelns, qualitativ)
LabelingApproach

Determinismus
Menschen = von empirisch benennbaren Faktoren abhängig
Wahrscheinlichkeitsbeziehung
Erfahrungswissenschaft
Ätiologisches Erklärungsmodell (Ursachenforschung)
Allgemeine Kriminalitätstheorie
individuenbezogen
Biolog. Determinismus
Psycholog. Determinismus
(Wegbereiter: positive Schule)
Theorien:
Biokriminalität
Psychologische und psychiatrische Persönlichkeitskonzepte
auf soziale Einheiten bezogen
Sozialer Determinismus
(Wegbereiter: Anomietheorie)
Theorien:
Sozialstrukturelle Konzepte
Sozialisation im Nahbereich

Der Determinismus (von lateinisch determinare ‚festlegen‘, ‚Grenzen setzen‘, ‚begrenzen‘) ist die Auffassung, dass alle – insbesondere auch zukünftige – Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind.[1] Die Gegenthese (Indeterminismus) vertritt, dass es bestimmte Ereignisse gibt, die nicht eindeutig durch Vorbedingungen determiniert, sondern indeterminiert (= unbestimmt) sind.

Kriminologie –ab 1980

Veränderte Verhältnisse
Vor 1980: modernes Industriezeitalter
Stabile Strukturen, Arbeitsleistung, staatl. Regelung zur allgemeinem Wohlfahrt
Lebensverhältnisse traditionsgestützt und stabil
Ab 1980: Spätmoderne
Auflösung stabiler Strukturen (Automatisierung, Billiglohnländer, Geschlechterrollen, Teilzeit/KiTa, 1-Personen-Haushalte)
Verbindungsloses Nebeneinander von Drahtseiltänzern
Verlust an Halt gebender Geborgenheit, Geltungsverlust von Moralvorstellungen, Entsolidarisierung, Ausrichtung an materiellem Lustgewinn
Neoliberalismus: freiwilliger Rechtsgehorsam, persönliche Verantwortlichkeit, schlanker und ökonomischer Staat

Kriminologie –Folgen der Spätmoderne

Neoliberales Verständnis der Kriminologie:
Kriminelles Verhalten = freie Wahl
Kriminelles Verhalten wird als lohnend empfunden
Weil sich der Täter selbst entscheiden kann, ist keine staatliche Unterstützung notwendig.
Folge: Abschreckung durch Erhöhung der Strafe und Verfolgungswahrscheinlichkeit
Eine Wende zeichnet sich ab:
Kriminalität als Risiko (man muss damit rechnen und kann es managen), statt Ausdruck von Defiziten: „Mensteal‘causetheysteal, not ‘causethey‘repoor!“
Situative Prävention: Kontrolle richtet sich gegen alle.
Selbstverantwortung: Täter und Opfer sind beide selber schuld. Täter: freetodeviate. Opfer schützt sich nicht genügend.
Örtl. und zeitl. begrenzte Intervention statt Wurzelbehandlung
Eigenverantwortung statt Grundrecht auf Sicherheit (private Sicherheitsfirmen, Alarmanlagen etc.)

Einfluss der Medien auf die Kriminalitätswahrnehmung:
Obwohl schwere Gewaltdelikte wie Tötung oder Vergewaltigung nur einen Promillebereich der abgeurteilten Straftaten ausmachen, handeln Presse und Fernsehen fast nur von ihnen (politisch-publizistischer Verstärkerkreislauf)

Kriminologie –Kriminalstatistik

Hellfeld
(registriert)
Polizeistatistik
Strafverfolgungsstatistik
Strafurteilsstatistik
Vollzugsstatistik

Dunkelfeld
(nicht registriert)
Befragung durch Bevölkerung, Opfer, Täter
Zuschreibungsebene wird erfasst, nicht Handlungsebene

Doppeltes Dunkelfeld
(Spekulation) Weder registriert, noch wahrgenommen, noch mitgeteilt,
Schwarzes Loch!

"Gesetz der konstanten Verhältnisse?"

Opferbefragungen

Befragte Person
Ereignis
Subj. Wahrnehmung
Kriminell?
Memorisierung
Bewältigung
Mitteilung?

Forschende Person
Befragungsmethode / Themen
Auswahl der BefragerIn
Erreicht? (z.B. telefonisch)
Interpretation
Protokoll
Datenerfassung & -bearbeitung
Als Viktimisierungdokumentiert

Kritik an Kriminalitätsstatistiken
Kontrollstatistik (nicht Kriminalität wird registriert, sondern das Registrierungsverhalten)
Input von Anzeigeverhalten und Registrierungsbereitschaft abhängig
Tätigkeitsausweis der registerführenden Instanzen
Statistiken sind immer subjektiv (strukturiert, perspektivisch)
Verzerrungen (Kriminalitätsuhr, Veränderung der Bevölkerung, des Anzeigeverhaltens, des Gesetzes, der kriminalpolitischen Schwerpunkte, der finanziellen, technischen und personellen Ressourcen der Strafverfolgungsorgane etc.)

Rechtsphilosophie

Zentrale Fragen:
Was ist Recht?
Was ist Gerechtigkeit?
Richtiges Strafrecht?

Bekannte Rechtsphilosophen:
Immanuel Kant
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Gustav Radbruch

Straf-und Massnahmenvollzugsrecht –Überblick

Vollzugder freiheitsentziehenden Strafsanktionen, die als Reaktion auf eine Straftat von einem Strafgericht angeordnet worden sind.
Nicht erfasst:
Ausschaffungshaft, Vorbereitungshaft, Durchsetzungshaft (AuG)
Fürsorgerische Unterbringung (ZGB)
Untersuchungshaft, Sicherheitshaft (StPO)
Polizeigewahrsam (PolG, StPO)
Ebenfalls nicht erfasst, da nicht freiheitsentziehend:
Geldstrafe, Busse, ambulante Massnahmen
Aber: Die Anordnungs-und Aufhebungsvoraussetzungen sowie die Bemessungsfaktoren betreffend Umfang bzw. Dauer der Strafsanktion gehören zum materiellen Strafrecht und finden sich in den Art. 34 bis 73 StGB.

Formelles Strafrecht

Gerichtsorganisation

Strafprozessrecht

Formelles Strafrecht –Gerichtsorganisation

Kantonal geregelt
Gesetz über die Gerichts-und Behördenorganisation im Zivil-und Strafprozess (GOG) vom 10. Mai 2010
Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, StBOG) vom 19. März 2010

Formelles Strafrecht –Strafprozessordnung

Strafprozessrecht:
Das Strafverfahrensrecht bestimmt die Regeln,
nach denen die Strafbarkeit eines konkreten
Verhaltens ermittelt wird (insbes. kontradikto-
rischesVerfahren).
01.01.2011: Eidgenössische Strafprozessordnung
Das materielle Strafrechtgibt hingegen die Regeln
vor, nach denen entschieden wird, ob und ggf. wie
zu bestrafen ist.
Diverse Prinzipien im Strafprozessrecht, insbes.:
Unschuldsvermutung
Anklagegrundsatz
Unmittelbarkeitsprinzip
Öffentlichkeitsprinzip
Legalitätsprinzip

kontradiktorisch

widersprechend, etw., sich gegenseitig aufhebend

Beispiele:

kontradiktorische Aussagen

Jura: ein kontradiktorisches (= streitiges) Urteil

Eidgenössische Strafprozessordnung vom 01.01.2011 (StPO)
1. Titel: Grundsätze
2. Titel: Strafbehörden
3. Titel: Parteien
4. Titel: Beweismittel
5. Titel: Zwangsmassnahmen
6. Titel: Vorverfahren
7. Titel: Erstinstanzliches Hauptverfahren
8. Titel: Besondere Verfahren
9. Titel: Rechtsmittel
10. Titel: Verfahrenskosten
11. Titel: Rechtskraft/Vollstreckung
12. Titel: Schlussbestimmungen

Inhalt des StGB

Materielles Strafrecht: Allgemeiner Teil, Besonderer Teil

1. Buch: Allgemeine Bestimmungen
1. Teil –Verbrechen und Vergehen
Geltungsbereich
Strafbarkeit
Strafen und Massnahmen
Vollzug von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Massnahmen
Bewährungshilfe, Weisungen und freiwillige soziale Betreuung
Verjährung
Verantwortlichkeit des Unternehmens
2. Teil –Übertretungen (Art. 103-109 StGB)
3. Teil –Begriffe (Art. 110 StGB)
2. Buch: Besondere Bestimmungen
Enthält Straftatbestände, die jeweils für ein durch besondere Merkmale bestimmtes Verhalten Sanktionen androhen.
3. Buch: Einführung und Anwendung des Gesetzes

Materielles Strafrecht =

Recht der mit Strafe bedrohten1Verhaltensweisen und
Gesamtheit jener Regelungen, welche die Voraussetzungen der Strafbarkeit2festlegen und für bestimmte Verhaltensweisen strafrechtliche Sanktionen3vorsehen,
um Rechtsgüter zu schützenund das friedliche menschliche Zusammenleben4zu sichern.

1) mit Strafe bedrohte Verhaltensweisen
Verhalten mit besonderer Sozialschädlichkeit:
̶Vertragsbruch?
̶Diebstahl?
̶Konkurs?
̶Betäubungsmittel?
̶Schwarzfahren?
andere Mittel der Sozialkontrolle zur wirksamen Bekämpfung nicht ausreichend (ultima ratio)
̶Verhältnismässigkeitsprinzip
̶innerhalb der Rechtsordnung: Zivilrecht, Verwaltungsrecht,...
̶innerhalb des Strafrechts: abgestuftes Sanktionensystem (Übertretungen / Vergehen / Verbrechen)

2) Voraussetzungen der Strafbarkeit

Voraussetzungen der Strafbarkeit, Rechtsfolge / Sanktion

3) strafrechtliche Sanktionen
Freiheitsstrafe
Geldstrafe
(gemeinnützige Arbeit -> seit 2018 keine eigenständige Strafe mehr; nur noch Vollzugsform)
Busse (für Übertretungen)
Busse gegen Unternehmen
Massnahmen

4) Rechtsgüterschutz und friedliches menschliches Zusammenleben
Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des Rechtsfriedens/ Prävention
Rechtsgüter = individuelle oder allgemeine Werte bzw. Interessen, die für das friedliche menschliche Zusammenleben bedeutsam sind.
Vgl. den "Rechtsgüterkatalog" des StGB (Delikte), z.B.:
̶Leib und Leben
̶Vermögen, Eigentum
̶Ehre
̶Freiheit
̶Umwelt
̶Rechtspflege
̶…

Legitimation des Strafrechts

Prävention?
Repression?
Restoration (Wiederherstellung der Gerechtigkeit; Wiedergutmachung gegenüber dem Opfer)?

Ausgangspunkt jeder Strafe ist eine schuldhafte Verletzung der strafrechtlichen Ordnung (sog. Schuldprinzip).
Legitimation des Strafrechts bzw. der Strafe durch Straftheorien
Absolute Straftheorie
̶Vergeltung
̶Gerechter Schuldausgleich
Relative Straftheorie
̶Prävention
̶Schutz der Gesellschaft

(beides: Vereinigungstheorie)

Absolute Straftheorien

«Auge um Auge, Zahn um Zahn»
Gerechtigkeitstheorien
̶Kant (1724-1804)
̶Hegel (1770-1831)
Vergeltung
gerechter Schuldausgleich
vergangenheitsorientiert
Keine Zwecküberlegungen
Eine Straftheorie in dieser absoluten Form wird heute von Lehre und Rechtsprechung abgelehnt –jedoch ist ein gewisser Schuldausgleich notwendig, um das Vergeltungsbedürfnis der Öffentlichkeit zu befriedigen und Selbstjustiz zu verhindern.

Relative Straftheorien

Zwecktheorien
̶Franz von Liszt (1851-1919)
̶Carl Stooss(1849-1934; Bern –Graz)
Rückfallverhütung (Spezialprävention)
Normstabilisierung (Generalprävention)
zukunftsorientiert
Verhinderung künftiger Straftaten

Spezialprävention/ Generalprävention

Spezialprävention
(täterbezogene Prävention)

Abschreckung des bereits straffällig gewordenen Täters, nochmal straffällig zu werden

Re-Sozialisierung des bereits Straffällig gewordenen Täters

Vereinigungstheorie:

BGE 129 IV 161 E. 4.2
"Die Strafzwecke sind gegeneinander abzuwägen und in eine Rangfolge zu bringen, wobei dem Anliegen der Spezialprävention grundsätzlich ein Vorrang zukommt. Zum einen dient das Strafrecht in erster Linie nicht der "Vergeltung", sondern der Verbrechensverhütung… Zum andern ist zu berücksichtigen, dass im Konfliktsfallein "Vorrang" der Generalprävention spezialpräventive Ziele zu vereiteln droht, die Bevorzugung der Spezialprävention hingegen die generalpräventiven Wirkungen einer Sanktion nicht zum Vornherein ausschliesst, sondern höchstens in einer schwer messbaren Weise abschwächt… Andererseits können spezialpräventive Bedürfnisse nur in dem Masse im Vordergrund stehen, als sie generalpräventive Mindesterfordernisse wahren und das Prinzip der Gleichbehandlung nicht aushöhlen."
Fazit:
Strafzwecke sind gegeneinander abzuwägen.
Die Strafe dient in erster Linie der Verbrechensverhütung und nicht der Vergeltung.
Daher grundsätzlich Vorrang der Spezialprävention, es sei denn, das Prinzip der Gleichbehandlung werde ausgehöhlt.

Generalprävention
(auf die Allgemeinheit bezogene Prävention)

Abschreckung der Gesellschaft von der Begehung einer Straftat

Förderung von Normgehorsam und -bewusstsein sowie Vertrauen in die Rechtsordnung

Prinzipien des materiellen Strafrecht Übersicht

Auf welcher Grundlage darf eine Strafe verhängt werden?
Die strafrechtlichen Prinzipien zeigen auf, unter welchen Bedingungen Eingriffe in die Freiheiten möglich sind. Sie dienen dem Schutz des Täters, des Opfers einer Straftat und der Gesellschaft.
Ausgangspunkt: Prinzip der sog. Freiheitlichkeit, d.h. grundsätzlich sind alle Handlungen erlaubt.
Aber: Der Gesetzgeber kann Einschränkungen vorsehen, indem er Handlungen für widerrechtlich erklärt und ggf. unter Strafe stellt.
Voraussetzung zur Einschränkung: Art. 36 Bundesverfassung (BV)

Prinzipien des materiellen Strafrecht Aufzählung

1) Keine Strafe ohne Gesetz

Nulla poenesine lege(Art. 1 StGB):
"Sanktion" umfasst Strafen & Massnahmen
enthält Gesetzmässigkeits-bzw. Legalitätsprinzip
̶Schutz vor staatlichem Machtmissbrauch
̶Sanktion muss im Gesetz vorgesehen sein
zielt auf den Vertrauensschutz ab (sog. Garantiefunktion des Strafrechts): Jede Person muss wissen können, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht (voraussehbare Sanktionen)

2) Verbot strafverschärfenden Gewohnheitsrechts
«Nullapoenasine lege scripta»
̶Gewohnheitsregeln zugunsten des Täters stellen keine Verletzung des Legalitätsprinzips dar (bspw. Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen)
̶Gesetz im formellen Sinn erforderlich, sofern eine Freiheits-oder Geldstrafe droht (BGE 118 Ia305 E. 7a)
3) Bestimmtheitsgebot:
«Nullapoenasine lexcerta»
Strafrechtliche Normen müssen hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraussetzungen als auch in Bezug auf ihre Rechtsfolgen ein Mindestmass an Bestimmtheit aufweisen bzw. vom Gesetz so präzise wie möglich umschrieben werden.

4) Analogieverbot:

Der Rechtsanwender (bspw. das Gericht) muss prüfen, ob ein konkreter Sachverhalt die in einer Norm beschriebenen Voraussetzungen erfüllt (sog. Subsumtion). Dabei ist er grundsätzlich an den Wortlaut des Gesetzes gebunden.
Heutige Praxis: teleologische Auslegung (Sinn des Gesetzes massgebend)
BGE 128 IV 272 E. 2
"Strafbar ist nur, wer eine Tat begeht, die das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht (Art. 1 StGB). Der Gesetzestext ist Ausgangspunkt der Gesetzesanwendung. Selbst ein klarer Wortlaut bedarf aber der Auslegung, wenn er vernünftigerweise nicht der wirkliche Sinn des Gesetzes sein kann. Massgebend ist nicht der Buchstabe des Gesetzes, sondern dessen Sinn, der sich namentlich aus den dem Gesetz zu Grunde liegenden Wertungen ergibt, im Wortlaut jedoch unvollkommen ausgedrückt sein kann. Sinngemässe Auslegung kann auch zu Lasten des Beschuldigten vom Wortlaut abweichen. Im Rahmen solcher Gesetzesauslegung ist auch der Analogieschluss erlaubt. Dieser dient dann lediglich als Mittel sinngemässer Auslegung."

 

Zeitlicher Geltungsbereich

Art. 2 StGB Zeitlicher Geltungsbereich
1 Nach diesem Gesetze wird beurteilt, wer nach dessen Inkrafttreten ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2 Hat der Täter ein Verbrechen oder Vergehen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn es für ihn das mildere ist.

Grundsätzliches Rückwirkungsverbot (Art. 2 Abs. 1 StGB)
Rückwirkungsgebot, wenn im Zeitraum zwischen der Tat und dem Urteil eine Gesetzesänderung erfolgt ist und das ältere Gesetz milder ist, sog. "lexmitior»(Art.2 Abs. 2 StGB)
Gilt für alle strafrechtlichen Sanktionen, also auch für Massnahmen

Weitere Prinzipien des Strafrechts

Territorialitätsprinzip Flaggenprinzip Anrechnungsprinzip Schlechterstellungsverbot Nichtmehrverfolgungsprinzip Ubiquitätsprinzip (Art. 3 bis 8 Stgb)

Räumlicher Geltungsbereich – Territorialität

Art. 3 Abs. 1 StGB Räumlicher Geltungsbereich
1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen
begeht.

Territorialitätsprinzip als wichtigster Grundsatz hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs:
Beachte:
Art 104 StGB: gilt auch für Übertretungen (Art. 104 StGB)
Flaggenprinzip!

(Art. 104  Die Bestimmungen des Ersten Teils gelten mit den nachfolgenden Änderungen auch für die Übertretungen)

Räumlicher Geltungsbereich –Ubiquität

Art. 8StGB Räumlicher Geltungsbereich
1Ein Verbrechen oder Vergehen gilt als da begangen, wo der Täter es ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist.
2Der Versuch gilt als da begangen, wo der Täter ihn ausführt, und da, wo nach seiner Vorstellung der Erfolg hätte eintreten sollen.

Ubiquitätsprinzip("Überallprinzip")
Nationalität des Täters (sowie des Opfers) irrelevant
Spezialfragen:
-Handlungsortoder Erfolgsort?
-spezielle Fragen: Unterlassung, Versuch, Teilnahme

Räumlicher Geltungsbereich –weitere Prinzipien

Art. 4 StGB
-Staatsschutzprinzip
-Verbrechen oder Vergehen im Ausland gegen den Staat
-Katalog möglicher Taten in Art. 4 enthalten
-Keine beidseitige Strafbarkeit gefordert
Art. 5 StGB
-autonomes Weltrechtsprinzip
-Straftaten gegen Minderjährige im Ausland
-keine beidseitige Strafbarkeit gefordert
Art. 6 StGB
-relatives Weltrechtsprinzip
-Täter befindet sich in der Schweiz
-staatsvertragliche Verpflichtungen —beidseitige Strafbarkeit
Art. 7 StGB
-aktives/passives Personalitätsprinzip
-Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege —Subsidiaritätsklausel
-beidseitige Strafbarkeit

Persönlicher Geltungsbereich

Art. 9StGB Persönlicher Geltungsbereich
1Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Personen, soweit deren Taten nach dem Militärstrafrecht zu beurteilen sind.
2Für Personen, welche zum Zeitpunkt der Tat das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben, bleiben die Vorschriften des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 2003 (JStG) vorbehalten. Sind gleichzeitig eine vor und eine nach der Vollendung des 18. Altersjahres begangene Tat zu beurteilen, so ist Artikel 3 Absatz 2 JStG anwendbar.

Ausnahme Immunität:̶bspw. fremde Staatsoberhäupter sowie Diplomaten und Konsularpersonen̶Äusserungen von Parlamentariern und von bestimmten Mitgliedern der Exekutive können strafrechtlich nicht verfolgt werden, wenn diese Teil der Verhandlungen der gesetzgebenden Instanzen sind (Art. 162 BV sowie Art. 16 f. ParlG)̶Normen des StGB haben weiterhin Geltung, aber Verfolgbarkeit der Straftat wird aufgehoben.

Militärstrafrecht: Art. 3-7 MStGJugendstrafrecht:̶Zum Tatzeitpunkt 18 Jahre oder älter: StGB anwendbar̶Zum Tatzeitpunkt 10-18 Jahre: Tatbestände des StGB, Sanktionen des JStG ̶Zum Tatzeitpunkt jünger als 10 Jahre: sog. strafunmündig̶Taten vor und nach dem 18 Geburtstag: Strafen nach StGB (Art. 3 Abs. 2 JStG), Massnahmen je nachdem was erfolgsversprechender JStG oder StGB

Deliktskategorien

Übertretungen
(Art. 103 StGB) Höchststrafe:Busse

Vergehen
(Art. 10 Abs. 3 StGB) Höchststrafe: Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe

Verbrechen
(Art. 10 Abs. 2 StGB) Höchststrafe: Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren

Massgebend ist die abstrakt drohende Höchststrafe und nicht die tatsächlich ausgesprochene Sanktion.
Änderungen des Strafrahmens durch den Besonderen Teil des StGB sind bei der Höchststrafe zu berücksichtigen:privilegierte Straftatbeständequalifizierte StraftatbeständeBspw. Grundtatbestand der Sachbeschädigung gem. Art. 144 Abs. 1 StGB stellt ein Vergehen dar. Die Qualifikation aufgrund eines grossen Schadens gem. Art. 144 Abs. 3 StGB führt hingegen zu einem Verbrechen.
Strafmilderungsgründe oder Strafschärfungsgründe des Allgemeinen Teils des StGB werden hingegen nicht berücksichtigt.

Deliktskategorien –Verbrechen und Vergehen

Früher hatten Verbrechen Zuchthausstrafe zur Folge, Vergehen Gefängnisstrafe. Heute hat die Einteilung in Verbrechen oder Vergehen in der Rechtstheorie nur noch marginale Bedeutung.
Für betroffene Strafverfolgte, Angeklagte oder Verurteilte hat die Einteilung jedoch erhebliche praktische Auswirkungen, bspw.:
Strafverfolgung für Verbrechen verjährt in 30 oder 15 Jahren; bei Vergehen in den meisten Fällen 7 Jahre (Art. 97 Abs. 1 StGB)
versuchte Anstiftung nur zu einem Verbrechen möglich (Art. 24 Abs. 2 StGB)
Geldwäscherei nach Art 305bis StGB ist nur bezüglich Vermögenswerten möglich, die aus einem Verbrechen herrühren.

Deliktskategorien –Übertretungen

Übertretungen sind sog. Bagatelldelikte
Die Art. 105-109 StGB statuieren für Übertretungen abweichende Regeln
Gemäss Art. 333 Abs. 3 StGB sind auch Taten des Nebenstrafrechts mit Busse und folglich als Übertretungen zu ahnden, wenn "Haft oder Busse" angedroht wird.
Seit Inkrafttreten der Revisionsbestimmungen am 01.01.2007 wird grds. nur noch Busse angedroht. Einzelne Erlasse des Nebenstrafrechts können noch«Haft» vorsehen.

Relevanz der Einordnung als Übertretung:
Kein bedingter Vollzug (Art. 105 Abs. 1 StGB)
Unternehmen
Versuch/Gehilfenschaft
Freiheitsentziehende Massnahmen
Strafregister
Keine Untersuchungshaft
Im Vergleich zu Verbrechen und Vergehen kürzere Verjährung
Vorbehalten bleibt Art. 8 VStR.
Art. 104 StGB sieht vor, dass die Bestimmungen des Ersten Teils des StGB (Verbrechen & Vergehen) auch für Übertretungen gelten, sofern die Art. 105 f. StGB keine expliziten Ausnahmen vorsehen.

Antrags-und Offizialdelikte –Definition

Offizialmaxime: Behörden verfolgen eine Straftat von Amtes wegen
Ausnahme Antragsdelikte: Verfolgung der Straftat nur auf Antrag der berechtigten Person, vgl. Art. 30-33 StGB
̶Absolute Antragsdelikte
̶Relative Antragsdelikte (bei besonderer Täter-Opfer-Beziehung), bspw. Veruntreuung z.N. eines Angehörigen (Art. 138 Ziff. 1 Abs. 4 StGB)

Der Strafantrag wird in Art. 30-33 StGB sowie in verschiedenen Bestimmungen der StPO geregelt
Unbedingte Willenserklärung
Abgrenzung zur Strafanzeige
Prozessualrechtlich:
̶Prozessvoraussetzung
̶Rückzug möglich aber unwiderruflich, das Verfahren ist in der Folge einzustellen
̶Grundsatz der Unteilbarkeit
̶Drei Monate ab Kenntnisnahme der Tat durch den Betroffenen
̶Verzicht unwiderruflich, muss daher eindeutig & vorbehaltlos erfolgen
̶Gegen bekannte oder unbekannte Person
̶Strafanträge können bei der Polizei (mündlich od. schriftlich) oder bei der Staatsanwaltschaft (schriftlich) erstattet werden
̶Antragsteller wird Partei im Strafverfahren (Privatkläger)

Grds.

1) grundsätzlich. Anwendungsbeispiele: 1) Offenes Feuer ist grds. gefährlich.

Antrags-und Offizialdelikte –Antragsberechtigung

Strafantragsberechtigt ist gem. Art. 30 Abs. 1 StGB die verletzte Person
Grds. nur der Träger des unmittelbar angegriffenen Rechtsguts
bei mehreren durch Straftat verletze Personen ist jeder einzeln antragsberechtigt
Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre zusätzlich antragsberechtigt, wer ein gleichartiges rechtlich geschütztes Interesse an der Erhaltung des Rechtsguts hat.
bspw. bei unrechtmässiger Aneignung nach Art. 137 Ziff. 2 StGB der Eigentümer und jeder, dessen Gebrauch der Sache unmittelbar beeinträchtigt wurde
Bei einer handlungsunfähigen Person, deren Rechtsgut beeinträchtigt wurde, ist der gesetzliche Vertreter gem. Art. 30 Abs. 2 StGB antragsberechtigt
̶Inhaber der elterlichen Sorge, Vormund, umfassender Beistand
̶Wie ist vorzugehen, wenn der gesetzliche Vertreter selbst einer Straftat gegenüber der handlungsunfähigen Person verdächtigt wird?

Überblick zu den Deliktsarten

Unterschiedliche Zuordnung aufgrund:
Wirkung Erfolgsdelikt / Tätigkeitsdelikt
Intensität Verletzungsdelikt / Gefährdungsdelikt
Zeitraum Zustandsdelikt / Dauerdelikt
Täterkreis Gemeine Delikte / Sonderdelikte
Täterverhalten Begehungsdelikte / Unterlassungsdelikte
Täterwille Vorsatzdelikt / Fahrlässigkeitsdelikt

Tätigkeitsdelikte

Tätigkeitsdelikte
Für die Erfüllung des Tatbestands ist kein über die Tathandlung hinausgehender Erfolg vorausgesetzt.
Die Vornahme der Handlung genügt somit für die Begründung der Strafbarkeit.
Handlung und Erfolg fallen zusammen.
Beispiele:
Vergewaltigung (Art. 190 StGB)
Exhibitionismus (Art. 194 StGB)
Inzest (Art. 213 StGB)
Beschimpfung (Art. 177 StGB)
Falsche Zeugenaussage (Art. 307 StGB)

Erfolgsdelikte

Erfolgsdelikte
Für die Erfüllung des Tatbestands ist nebst der Tathandlung auch ein darüber hinausgehender, gedanklich oder zeitlich abgrenzbarer Erfolg erforderlich.
Die Vornahme der Handlung alleine genügt somit für die Begründung der Strafbarkeit nicht.
Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Handlung und dem Erfolg bestehen (sog. adäquater Kausalzusammenhang) + objektive Zurechnung
Beispiele:
Tod bei der (vorsätzlichen) Tötung (Art. 111 StGB)
Beschädigung bei der Sachbeschädigung (Art. 144 StGB)
Vermögensschaden beim Betrug (Art. 146 StGB)
Vermögensdisposition bei der Erpressung (Art. 156 StGB)

Tätigkeits-und Erfolgsdelikte

Relevanz der Unterscheidung in Tätigkeits-und Erfolgsdelikte:
Bei Erfolgsdelikt: Kausalzusammenhang notwendig
Bei Erfolgsdelikt: räumliche Geltung des StGB (Schuss über die Grenze)
Versuchsstrafbarkeit (Art. 22 StGB):
Entfällt der Erfolg beim Erfolgsdelikt, so liegt nur ein Versuch vor. Beim Tätigkeitsdelikt fällt die Handlung jedoch mit dem Erfolg zusammen.
Rücktritt (Art. 23 StGB):
Der Täter kann vom Versuch zurücktreten, solange der Erfolg noch nicht eingetreten ist.

Verletzungsdelikte

Verletzungsdelikte
Delikte, bei denen die Vollendung der strafbaren Handlung eine Verletzung des geschützten Rechtsguts voraussetzt.
Beispiele:
Vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) –Leben
Einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) –körperl. Integrität
Diebstahl (Art. 139 StGB) –Eigentum
Betrug (Art. 146 StGB) –Vermögen

Gefährdungsdelikte

Gefährdungsdelikte
Unterscheidung in konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte
Konkrete Gefährdungsdelikte:
Verhaltensweisen, bei denen das geschützte Rechtsgut nicht tatsächlich beeinträchtigt wird, aber doch konkret gefährdet wird.

Art. 127 STGB Aussetzung
Wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für den er zu sorgen hat, einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft

Gefährdungsdelikte sind i.d.R. Erfolgsdelikte: Der Erfolg liegt in der Schaffung der konkreten Gefahr.

Abstrakte Gefährdungsdelikte:
Straftatbestände, die generell gefährliche Handlungen erfassen, ohne dass es einer konkreten Gefahr oder Schädigung bedarf.
Beispiele:
Inverkehrbringen von gesundheitsschädlichem Futter
Überfahren einer Sicherheitslinie
Fahren im angetrunkenen Zustand (FiaZ)
Falscher Alarm
Abstrakte Gefährdungsdelikte sind i.d.R. Tätigkeitsdelikte: Mit der Vornahme der Handlung ist das Delikt vollendet

Zustandsdelikte

Normalfall
Mit der Herbeiführung der Rechtsgutsverletzung ist das Delikt vollendet
(bspw. Tötung, Körperverletzung, Diebstahl)

Dauerdelikte

Dauerdelikte
Zeitliche Fortdauer des rechtswidrigen Zustands oder Verhaltens ist tatbestandsmässiges
Unrecht
Die Vollendung tritt ein, wenn der Tatbestand verwirklicht ist, die Beendigung erst mit
Aufhebung des rechtswidrigen Zustands oder Abbruch des verbotenen Verhaltens
Gem. Rechtsprechung bisher Freiheitsberaubung gem. Art. 183 Abs. 1 StGB oder
Qualifizierte Entführung gem. Art 183 Ziff. 2 StGB i.V.m. Art. 184 Abs. 4 StGB