03420 2 Beobachtung
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Kartei Details
Karten | 40 |
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Sprache | Deutsch |
Kategorie | Psychologie |
Stufe | Universität |
Erstellt / Aktualisiert | 07.02.2017 / 09.09.2023 |
Weblink |
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Wissenschaftliche Beobachtung
- … ist methodisch kontrolliert und systematisiert
- … muss bestimmten Gütekriterien genügen
- …ist zumeist mit einer weiterführenden quantitativ-statistischen Analyse verbunden
- …ist selektiv ausgerichtet auf die jeweilige Zielsetzung und damit zielgerichtet und absichtlich
- … ist aufwändig
Begriff des Verhaltensstroms
…geht auf Kurt Lewin zurück …impliziert, dass Verhalten keine Pausen macht und plötzlich anhält
Unsystematische vs systematische Beobachtung
Unsystematisch: explorativ, Vorstufe zu
Systematisch: hypothesengeleitet, kontrolliert durch Beobachtungssystem
Labor vs Feldbeobachtung
Labor: bessere Kontrolle situativer Bedingungen; Frage nach der Übertragbarkeit auf natürliche Situationen
Feld: Frage der Übertragbarkeit auf andere natürliche Situationen
Teilnehmend vs nicht teilnehmender Beobachtung
Aktiv-teilnehmend: direkte Teilnahme an der Beobachtungssituation wie z.B. Gruppendiskussion
Passiv-teilnehmend: Beobachter ist sichtbar, interagiert aber nicht Nicht-teilnehmend: Beobachter ist nicht sichtbar (z.B. Video)
offen / verdeckte Beobachtung
Nicht-teilnehmende Beobachtungen sind verdeckt (forschungsethisch problematisch)
Vermittelt vs unvermittelte Beobachtung
Unvermittelt: direkte Beobachtung, zeitgleich zur Verhaltensausführung (in vivo)
Vermittelt: Videoaufzeichnung; höhere Präzision insbesondere bei der Aufdeckung von Mikroaspekten – cave: Videoaufzeichnungen „beobachten“ immer unter einer bestimmten technischen Perspektive
Selbst vs Fremdbeobachtung
Selbstbeobachtung: Introspektion (problematisch) sowie Selbst-Protokollierung (technisch unterstützte Aufzeichnung eigenen verhaltes)
methodische Zugänge der wissenschaftlichen Beobachtung:
- isomorphe Deskription: ist der Versuch, wahrnehmbares Verhalten möglichst vollständig und genau zu beschreiben entscheidend ist nicht die eigentliche Aufzeichnung, sondern die theoretische und empirische Weiterverarbeitung
- reduktive Deskription: Verhaltensbeschreibung auf bestimmten Beobachtungseinheiten (Verhaltensklassen), die konkrete Mikroaspekte zusammenfassend charakterisieren
- reduktive Verhaltenseinschätzungen: Verhaltensbeurteilungen , die subjektive Wertungen und Interpretationen (vor allem von abstrakteren und komplexeren Merkmalen) enthalten
Zeichen- vs Kategoriesystem
Zeichensystem (Indexsystem): nur bestimmte Beobachtungseinheiten innerhalb eines Beobachtungsabschnitts werden zusammengefasst. Definierte Verhaltensweisen können gleichzeitig auftreten
Kategoriesystem: jede Verhaltensweise innerhalb einer Verhaltensstichprobe wird genau einer Kategorie zugeordnet. Es kann immer nur eine Kategorie gleichzeitig auftreten
Auftretensformen der Verhaltensaspekte:
Häufigkeit Dauer Intensität
diese Auftretensformen werden meist reduktiv eingeschätzt (Ratingskala). Selbst einer genauen Kategoriendefinition ist die Verhaltensbeobachtung niemals vollkommen objektiv (Kontinuum zwischen Verhaltensbeobachtung und –beurteilung)
Studie von Borkenau und Liebler:
- VPN bekommen eine 90 Sekunden lange Videosequenz einer (unbekannten) Person präsentiert
- Anschließend erfolgte die Fremdeinschätzung der Person durch die VPN auf der Skala Extraversion
- Es konnte ein überzufälliger Zusammenhang zwischen selbst- und fremdgeschätzter Extraversion gezeigt werden
- Vermutet wird die Nutzung von Hinweisreizen (Cues) für die Eigenschaftseinschätzung
- Andere Persönlichkeitsfaktoren wie Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen konnten nicht zutreffend beobachtet werden
Fremdeinschätzung
sind in Abgrenzung zur Verhaltensbeurteilung schlussfolgernde Einschätzungen eines Persönlichkeitsmerkmals, wobei es nicht um konkretes Verhalten geht.
Verhaltensspuren
sind Nachwirkungen oder Produkte menschlichen Verhaltens (siehe Experiment von Gosling et al – Übereinstimmung von Einschätzungen bei der Beobachtung von Arbeitsbereichen/Schreibtischen)
inhaltliche Möglichkeiten zur Segmentierung des Verhaltensstroms
- Morphologisch: Definition von Einheiten nach den am Verhalten beteiligten Körperabschnitten oder Muskelguppen; Beispiel FACS
- Semantisch: Abgrenzung von Beobachtungseinheiten nach der gleichen zugeschriebenen sozialen Bedeutung; Beispiel Kategoriensystem von Bales
- Verhaltenspsychologisch: Abgrenzung von Beobachtungseinheiten anhand von funktionalen Bedingungsmodellen (situative Bedingung-daran anschließendes Verhaltendaraus folgende Konsequenz
- Differenziell-psychologisch: Abgrenzung von Verhaltensweisen, die Persönlichkeitsmerkmale inidizieren
Zeitliche Möglichkeiten zur Segmentierung des Verhaltensstroms
Ereignisstichprobenplan: Event Sampling; innerhalb eines Beobachtungszeitraums wird ein Verhalten immer dann protokolliert, wenn es auftritt. Vor allem geeignet für eher selten und kurz auftretendes Verhalten. Beispiel: Ambulatorisches Assessment
Zeitstichprobenplan: Time Sampling; Beobachtung erfolgt zu bestimmten Zeitpunkten (Protokollterminen) oder Beobachtungsfenstern. Geeignet zur Erhebung möglichst repräsentativer Verhaltensstichproben.
Regeln zur Konstruktion von Beobachtungssystemen
- Beobachtungseinheiten sollen möglichst konkret, eindeutig und verhaltensnah expliziert sein. Je kleinteiliger die Mikroaspekte, desto mehr Beobachtungseinheiten resultieren. Abstraktere, zusammengefasste Kategorien erfordern ein gutes Training der Beobachter und die Verfügbarkeit von Ankerbeispielen.
- Beobachtungseinheiten sollen disjunkt sein (wechselseitige Exklusivität)
- Beobachtungssysteme sollten vollständig sein, d.h. alle Verhaltensweisen innerhalb eines Beobachtungszeitraums kategorisieren. Eine Restkategorie sollte nicht mehr als 5% aller Beobachtungen umfassen – fallen zu viele Beobachtungen darunter, ist das Klassifikationssystem falsifiziert
- Beobachtungseinheiten sollten geordnet bzw. hierarchisiert sein
- Es sollten nicht mehr als 10 Beobachtungseinheiten vorgegeben sein (unvermittelte Beobachtung)
- Quantifizierungsmethode: Häufigkeit und Dauer (objektiv); Intensität (teilw. Subjektiv)
- Beobachtung und Bewertung sind strikt zu trennen !
- Beobachtungssysteme müssen praktisch erprobt werden !
Interaktions-Prozess-Analyse IPA (BALES)
- Die IPA ist der Klassiker nicht-teilnehmender, strukturierter Beobachtung
- Die IPA soll zur Klärung des generellen Funktionierens sozialer Gruppen beitragen
- Hauptsächlicher Untersuchungsgegenstand sind Konferenzgruppen, wobei in den Laborsettings einander unbekannte Personen mit nicht vorher bekannten Aufgaben konfrontiert werden
- Bales geht davon aus, dass sich Interaktionen in Gruppen in zwei große Bereiche einteilen lassen:
- o Interaktionen mit dem Ziel der Bewältigung
- o Sozial-emotionale Interaktionen
- Entsprechend können über die Verteilung der Interaktionen Gruppenmitglieder als aufgabenorientiert oder sozial-emotional orientiert klassifiziert werden
- Die IPA besteht aus 12 Unterkategorien, die gleichzeitig die Beobachtungseinheiten bilden. Da diese Einheiten recht klein sind, können pro Minute 10-20 Beobachtungsvermerke erforderlich sei
ProCon Videoaufzeichnungen
Vorteile von Videoaufzeichnungen:
- Technisch vermittelte Beobachtung: Vollständiges registrieren aller Verhaltensaspekte (inkl. Mikroaspekte)
- Beliebig häufige Wiedergabe ermöglicht detaillierte Analysen
- Keine Probleme durch Aufmerksamkeitsschwankungen oder Ermüdungserscheinungen bei direkter Beobachtung
Nachteile und Gefahren:
- Unvermittelte, direkte Beobachtung kann z.B. bei Gruppenbeobachtungen und / oder schnell wechselnden Positionen der Probanden besser geeignet sein
- Eine Videoaufzeichnung vermittelt aufgrund der Kameraeinstellungen stets ein selektives, konstruiertes Bild der Wirklichkeit und interpretiert diese (z.B. erscheinen bestimmte Verhaltensaspekte bedeutsamer als bei direkter Beobachtung
Videofeedback
- VF ist eine Form der Selbstkonfrontation
- Es handelt sich immer um eine Form der Selbstbewertung die, im Falle einer Diskrepanz zwischen realem Videobild und erwartetem Idealbild starke negative Emotionen auslösen kann (Sichtbarkeit bislang für nicht sichtbar gehaltener Aspekte der eigenen Persönlichkeit)
- Bedrohliche Videokonfrontationen können dazu führen, dass Klienten auf ihre gewohnten, aber ineffektiven Bewältigungsmechanismen zurückgreifen
- Besonders günstig ist die Rückmeldung erwünschter, wenn auf selten auftretender Verhaltensweisen – effektivste Form der Selbstkonfrontation (Self Modeling)
Konsistenz- oder Halo-Effekt:
Überstrahlen“ einer einzigen Eigenschaft (z.B. Redeflüssigkeit) auf andere Aspekte globales Pauschalurteil bzw. Gesamteindruck
Observer drift
allmähliche Veränderung der Standards eines Beobachters. Gegenmaßnahme: Ankerbeispiele, Nachtraining
Tendenz zur Mitte
Vermeidung extremer Einschätzungen. Abhilfe: Veranschaulichung der Skalenendpunkte durch Beispiele
Milde- oder Härtefehler (Leniency-Severity-Fehler):
systematisch positives oder negatives Einschätzen, verursacht durch Ähnlichkeit/Unähnlichkeit, Sympathie oder Antipathie
Primary- und Recency-Effekte
Urteilsverzerrungen auf Basis der sequentiellen Position des Verhaltensaspektes; Gegenmaßnahme: beim mehrmaligen Ansehen des Videoausschnitts auf den Mittelteil folkussieren
Konformitätsdruck
Urteile anderer Beobachter verzerren die eigene Einschätzung
Weitere Fehlerquellen
- Beobachtungsgegenstand: nicht ausreichende/unklare Kategorieexplikation
- Physikalische Bedingungen: Beleuchtung, sonstige störende Randbedingungen
- Reaktivität: Verhaltensanpassung aufgrund der Beobachtungssituation
- Begrenzte Informationskapazität, Ermüdungserscheinungen
Objektivität Beobachtung
bezeichnet das Ausmaß, in dem mindestens 2 Beobachter dasselbe Verhalten auf dieselbe Weise klassifizieren (Nominalskala) oder einschätzen (Ratingskala)
Beobachterübereinstimmung bei nominalskalierten Daten: Bestimmung des Cohens Kappa:
Κ = (p – pe) / (1 – pe)
wobei p der gemessene Übereinstimmungswert und pe die zufällig erwartete Übereinstimmung darstellt.
Wertebereich 0…1; 1= komplette Übereinstimmung, >.70 gut bis sehr gut, >.4 gerade noch annehmbar
Berechnung von Kappa unter SPSS: Analysieren -> Deskriptive Statistiken -> Kreuztabellen
Beobachterübereinstimmung bei intervallskalierten Daten: Intraklassenkorrelation
Reliabilität Objektivität
(Messgenauigkeit) bei Beobachtungsverfahren
Die Interrater-Übereinstimmung kann als eine Form der Reliabilität gedeutet werden (Inter-Observer-Reliabilität)
Retest-Reliabilitäten können mittels videographierter Verhaltensstichproben ermittelt werden
Validität Objektivität
- Inhaltsvalidität: Ist gegeben, wenn die Kategorien des Beobachtungssystems alle Verhaltensweisen abbilden, die für den interessierenden Verhaltensbereich relevant sind. Die Relevanz wird durch Expertenurteile bestimmt.
- Kriteriumsvalidität: korrelativer Zusammenhang zwischen dem Ergebnis einer Verhaltensbeobachtung und einem Außenkriterium
- Konstruktvalidität: Rückführung der Ergebnisse einer Verhaltensbeobachtung a. auf theoretische Annahmen oder b. auf andere Messungen / Testergebnisse
- Zwei Validitätsaspekte sind bei Verhaltensbeobachtungen in der Persönlichkeitsforschung kritisch:
- Zuordnung eines Verhaltens ist nicht unbedingt eindeutig (unterschiedliche Bedeutungszuschreibung in unterschiedlichen Situationen)
- Bedeutungen von Verhaltensmustern variieren außerdem von Person zu Person
ICC als varianzanalytischer Ansatz
- Alle Personen werden von allen Ratern beurteilt
- Es gibt keine Interaktionseffekte Person-Rater
- Analyse entspricht der Varianzanalyse mit Messwiederholung
- Die ICC entspricht dem Anteil der systemischen Varianz (Varianz zwischen beurteilten Personen minus Varianz innerhalb von Personen =Fehlervarianz) an der Gesamtvarianz
ICC Varianten – zentrale Fragestellungen:
1. Sind Unterschiede in den Mittelwerten der Rater relevant? 2. Geht es um die Reliabilität eines Raters oder der gemittelten Einschätzung mehrerer Rater ?
Iterrater-Agreement
Beurteilerübereinstimmung, Ausmaß, in dem die Rater genau dieselben absoluten Einschätzungen von Personen vornehmen Berechnung der unjustierten ICCunjust
Interrater-Reliabilität:
Beurteilerreliabilität, das Ausmaß, in dem mehrere Rater relative Übereinstimmung erzielen (unterschiedliche Mittelwerte aber gleiche Rangreihe) Berechnung der adjustierten ICCjust
Auswahl abhängig von der Fragestellung !
die Reliabilität der mittleren Einschätzungen mehrerer Rater ist immer höher als die eines einzelnen Raters.
bei geringer Varianz unterschätzt die ICC die Reliabilität
Beurteilungssysteme
FACS
BASYS
KKR
NEO-PI-R
FACS (Ekman&Friesen):
Klassifikation kleinster mimischer Veränderungen bzw. Bewegungseinheiten = Action Units AU (ohne Bewertung)
In einem zweiten Schritt: Zuordnung zu bestimmten Emotionen (Annahme universeller/kulturübergreifender Gültigkeit, die für bestimmte Primäremotionen bestätigt wurde)
BASYS: Beobachtungssystem zur Analyse aggressiven Verhaltens in schulischen Settings:
- Beobachtungsinstrument zur systematischen Aggressionsbeobachtung von Schülern zwischen 9 und 16 Jahren
- Erfolgt durch geschulte Lehrer (BASYS L) oder Fremdbeobachter (BASYS F)
- Verwendung bei der Planung von Interventionen
- Unterscheidet 8 Aggressionskategorien
- Erfordert 2-wöchige Beobachtungszeit 2h/Tag
Kasseler Kompetenz Raster KKR (Kauffeld et al)
- Dient zur Erfassung beruflicher Handlungskompetenzen bei der Zusammenarbeit in Gruppen
- Simuliert wird die Problemlösung in einer Arbeitsgruppe
- Unterscheidet 4 Facetten der Handlungskompetenz: Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz
Neo-PI-R Form F
standardisierter Fragebogen zur Fremdeinschätzung von Eigenschaften