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Europäische Integration

Dr. Schimmelfennig

Dr. Schimmelfennig


Kartei Details

Karten 38
Sprache Deutsch
Kategorie Politik
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 17.10.2017 / 20.12.2021
Lizenzierung Keine Angabe    (Unterlagen Vorlesung)
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Block I

1. Was sind die Probleme einer geographischen Definition der europäischen Region?

Weltregionen werden durch geografische Einteilung wie auch eine historisch-soziale Konstrukti-on erschaffen. Europa als Landzunge lässt sich nur schwer von der eurasischen Landmasse ab-trennen, so dass es zum Problem unbestimmter Geographie und Grenzziehung kommt. Vor al-lem im Osten Europas fehlen Gebirge, Ozeane oder Seen um eine klare Grenzziehung zu ermögli-chen, so dass eine einheitliche Definition nahezu unmöglich ist.

Block I

2. Was definiert Europa? Diskutieren und bewerten sie die Unterschiede zwischen zivilisatorischen und institutionellen Definition der Region Europa.

Definition: Europa lässt heute zivilisatorisch oder institutionell definieren. Erstere basiert auf einem kulturell-historischen Hintergrund, in welchem Europa als konstruierte Region und als sich über die Zeit veränderte Zivilisation dargestellt wird. Das heutige Europa ist geprägt von der grie-chisch-römischen Zivilisation und dem lateinischen Abendland, welche sich deutlich abheben von der Kultur und der Geschichte des Orients / des Ostens. Demgegenüber etablierte sich vor allem im 20. Jahrhundert das Europa der Institutionen. Neu geschaffene Institutionen als Markenzei-chen der regionalen Integration definieren dabei Europa. Nach dieser Definition hat sich Europa seit dem zweiten WK als Region des Friedens, des Rechts und der Institutionen neu erfunden.


Diskussion: Die institutionelle Definition ist in der Anwendung schwammig, da es unzählige neue Institutionen gibt und man sich fragen muss, welche für die Definition nun die Geeignetste ist (z.B. OSZE Europa vs. EU-Europa). Auch zeigen sich Tendenzen, dass europäische Länder sich in jüngster Zeit von jenen Institutionen distanzieren (z.B. Russland). Demgegenüber zeigt die zivili-satorische Definition eine klare Trennlinie zw. Europa und den «Anderen», wobei sich diese Un-terschiede im östlichen Europa zunehmend verwässern.

Block I

3. Wie unterscheiden sich die institutionellen und die politischen Dimensionen der Integration? Diskutieren Sie, in welchem Verhältnis die beiden Dimensionen zueinander stehen: Bestimmt die institutionelle Dimension die politische oder eher umgekehrt?

Integration ist der Zusammenhalt von Einheiten in einem System und Abgrenzung gegenüber anderen Einheiten oder Systemen. Die institutionelle Dimension der Integration geht von der Zentralisierung der politischen Entscheidungskompetenzen aus, dessen Ausgangspunkt ein System souveräner Staaten mit autonomer Entscheidungskompetenz ist. Sie behandelt dabei Verbreiterung, Vertiefung und Erweiterung von Institution. Demgegenüber bezieht sich die politi-sche Dimension auf die Entgrenzung von politischer Gemeinschaft, Öffentlichkeit und Organisa-tion hin zu Transnationalisierung. Sie setzt sich aus den Bereichen Gemeinschaft, Öffentlichkeit und Organisation zusammen. Ausganspunkt für letztere ist dabei ein System von Nationalstaaten mit einheitlicher politischer Gemeinschaft, welche sich klar nach aussen abgrenzen. Die instituti-onelle Integration ist deutlich stärker ausgeprägt als die politische, weil letztere sich nicht einfach durch Verträge bilden lässt.


Verhältnis: Die institutionelle und die politische Integration beeinflussen sich, zumindest oft, gegenseitig. Nach Ansicht des Neofunktionalismus führt institutionelle zu politischer und jene wiederum zu institutioneller Integration (= «Engelskreis»). Es ist daher davon auszugehen, dass die eine ohne die andere nicht zu einem langfristig stabilen Integrationsprozess führen würde. Beispielsweise wurde die europäische Integration seit den 1960er Jahren u.a. zunehmend vertieft, weil durch den EuGH gemeinschaftliches, supranational bindendes Recht geschaffen wurde. Die-ses Beispiel veranschaulicht die Verschmelzung der institutionellen (Zentralisierung des Rechts) und der politischen Dimension (Entgrenzung / Transnationalisierung des Rechts).

Block I

4. Beschreiben Sie fünf (es existieren 7) wichtige Trends und Muster der europäischen Integration.

1. Allgemeines Integrationswachstum (Stagnation möglich, aber keine Desintegration -> seit Brexit nicht mehr zutreffend)

2. Inkrementelles Wachstum (Schrittweise zunehmendes Wachstum -> Integration wächst stetig. Ob in grossen, kleinen oder kleinsten Schritten ist dabei unerheblich.)

3. Differenziertes Wachstum (Nicht alle Staaten sind vollständig integriert aufgrund spezifischer nationaler Bedürfnisse -> Existenz von Spezialklauseln in Verträgen, Nicht-akzeptanz einzelner Paragraphen oder ganzer Verträge durch einzelne Nationalstaaten der EU).

4. Zwei grobe Phasen: Gemeinschaft (Vers. Gemeinschaften wie EGKS oder EWG seit 1950er Jah-ren. Ab Maastricht 1992 Umwandelung in EG und Auflösung 2009 in Lissabon) und Union (seit Lissabon 2009).

 5. Parallele Entwicklung von Breite, Tiefe und Weite -> kein Vertiefungs-Erweiterungs-Dilemma, dafür aber ein Wachstumsdifferenzierungsdilemma (= Je mehr Wachstum, desto mehr Differen-zierung) -> Trend Nummer #6

6. Integrationswachstum führt zu horizontaler Differenzierung

7. Staatliche Kernkompetenzen: geringere Integration, interne Differenzierung (Institutionelle Integration erstreckt sich nicht gleichermassen auf alle Mitgliedstaaten) vs. Binnenmarkt: höhere Integration, externe Differenzierung (Nicht-Mitglieder beteiligen sich selektiv an Integration)

  • Intergouvernementalismus -> Unterschied High oder Low Politics entscheidet über die Stärke der Integration.

Block I

5. Welche Rückschlüsse lassen die Muster und Trends der institutionellen Integration Europas auf die Plausibilität der Integrationstheorien zu? Greifen Sie jeweils eine Beobachtung heraus, die für und gegen die Hypothesen der drei Integrationstheorien spricht.

Intergouvernementalismus: Keine Eigendynamik, kein Spill Over

  • These: Die institutionelle Integration ist umso grösser bzw. wächst dann, je höher das Ausmass der Interdependenz, je höher die Vereinbarkeit der staatlichen Präferenzen und je stärker die Intensität der Durchsetzungsprobleme.
  • Für These: 1. Hohe / Tiefe Vereinbarkeit -> Sicherheit als staatliche Kernkompeten-zen (High Politics) kaum Integration; beim Binnenmarkt (Low Politics) hohe Integration; 2. Integrationsfortschritte durch Vertragsrevisionen
  • Gegen These: EuGH transformiert eigendynamisch das EU-Recht vollkommen um.

Neofunktionalismus: Eigendynamik -> positives Feedback

  • These: Institutionelle Integration umso grösser, je grösser Reichweite und Intensität des transnationale Austausch und je höher die Autonomie und Kapazität supranatio-naler Organe.
  • Für These: Konstitutionalisierung und Stärkung des EP aufgrund notwendiger Kompensation des Legitimitätsdrucks der zunehmenden Integration
  • Gegen These: Brexit zeigt einen deutlichen Gegentrend auf. Integration ist zu stark geworden und GB will wieder vermehrt nationalistisch regieren.

Postfunktionalismus: Eigendynamik ->, negatives Feedback

  • These: Je stärker die institutionelle Integration, desto höher sind die Selbstbestim-mungsverluste (und damit die nationale Identität), die Politisierung und die parteipolitische Mobilisierung.
  • Für These: Integrationswachstum zeigt beim Brexit, beim Opt-out von Dänemark oder in der Migrationskrise erstmals die Grenzen der Integration auf.
  • Gegen These: Auch nach dem Brexit gibt es weiterhin Verhandlungen über Beitrittsgesuche anderer europäischer Staaten.

Plausibilität: Alle drei Theorien sind in der Lage die europäische Integration zu erklären – zumindest teilweise. In der Phase des EG dominierte klar der IG, weil Integration primär durch Vertragsänderungen der Regierungen stattfand, während die heutige Form der EU vom Neofunktionalismus am besten erklärt werden kann, weil das Wachstum der Integration in der Unionsphase stark zunahm. Jede der drei Theorien hat aber auch ihre Grenzen und mit realen Beispielen kön-nen diese aufgezeigt werden. Überschaut man den gesamten Prozess seit den 1950er Jahren, so ist festzuhalten, dass trotz des Brexit der Neofunktionalismus die plausibelste Theorie ist.

Block I

6. Was ist differenzierte Integration? Erläutern Sie den Begriff und beschreiben Sie Muster der Differenzierung in der europäischen Integration

Differenzierte Integration ist das Gegenteil von uniformer Integration, d.h. die Integration variiert nicht nur zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten (Horizontale Differenzierung) sondern auch zwischen einzelnen Politikfeldern (Vertikale Differenzierung).

Muster: Abhängig von den Präferenzen (Bewertung High- / Low Politics), der Geschichte, Kultur und Identität eines Nationalstaates, kommt es zu Differenzierung. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Integration (Aufgabe der Kompetenz und Übergabe an supranationale Entität) durch die Mitglieder dann angestrebt wird, wenn der Nutzen die Kosten der Integration übersteigen. Mit zunehmender Integration nimmt die Heterogenität der nationalen Präferenzen zu, so dass mit dem geschaffenen Mittel der differenzierten Integration eine Stagnation verhindert wurde.

Beispiele: Nicht alle EU Staaten nutzen den Euro, sondern weiterhin ihre Landeswährung. Schweiz als Nicht EU-Land ist Teil des Schengen Abkommens, nimmt aber an vielen anderen Verträgen und Abkommen nicht teil. Unterschied zw. Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik aufgrund High- / Low Politics.

Block I

7. Gab es einen Zielkonflikt zwischen Breite, Tiefe und Weite der Integration? Diskutieren Sie, wie sich Erweiterung und Vertiefung wechselseitig beeinflussen

Nein, ein solcher Konflikt besteht nicht, stattdessen ist eine parallele Entwicklung aller drei Pro-zesse zu beobachten (siehe Muster und Trend der Integration) dank der differenzierten Integration.


Gegenseitige Beeinflussung: Darüber hinaus erzeugt Integration Spill Over Effekte, welche über ein spezifisches Politikfeld hinausreichen und dann ebenso zu Integration in jenem Bereich führen. Die Schaffung einer Freihandelszone und die stetige Vertiefung in diesem Bereich führt bspw. dazu, dass nicht daran teilnehmende Länder zunehmend wirtschaftlich unter Druck gera-ten und ebenfalls Teil dieser Freihandelszone werden wollen (Erweiterung). Dieser Spill Over entsteht, weil die Freihandelszone ein der Art hohes Machtpotenzial erzeugt, dass nationalstaatliche Ökonomien ernsthaft bedroht werden und sich integrieren lassen um wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben. Eine zu starke Vertiefung, schreckt aber auch nicht teilnehmende Staaten davon ab sich zu integrieren, weil nationale Identität und Standards stark gefährdet werden könnten.

 

Block I

8. Wie unterscheiden sich die Aussagen der Theorien der europäischen Integration über die Eigendynamik der Integration?

Intergouvernementalismus: Eigendynamik nicht existent. Grund: Europäische Integration ist im Interesse und unter der Kontrolle von Nationalstaaten. Zunehmende Integration in Breite, Tiefe und Weite gibt es nur, wenn dies von allg. nationalem Interesse ist.

Neofunktionalismus: Eigendynamik im positiven Sinne vorhanden -> Anfängliche Integration bewirkt durch Spill Over Effekte ein positives Feedback und führt deshalb zu mehr Integration. [Sichtweise der Integrationsgewinner]

Postfunktionalismus: Eigendynamik im positiven Sinne vorhanden -> Anfängliche Integration bewirkt durch Spill Over Effekte ein negatives Feedback und führt deshalb zu weniger Integration. [Sichtweise der Integrationsverlierer]