FUH SS15
Fichier Détails
Cartes-fiches | 91 |
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Langue | Deutsch |
Catégorie | Psychologie |
Niveau | Université |
Crée / Actualisé | 23.07.2015 / 26.11.2018 |
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Expertenwissen
Legitimation bekommt eine Rationalitätsfiktion erst dadurch, dass sie von anerkannten und Vertrauensvor-
schuss genießenden Beratern als Expertenwissen repräsentiert und so ver-
bürgt wird, oder dadurch, dass Experten auf eine solide, wenn möglich wis-
senschaftlich abgesicherte Empirie verweisen und theoretische Begründungen
dafür darzulegen vermögen, warum das von der Rationalitätsfiktion empfohle-
ne Entscheidungshandeln Erfolg versprechend und anderen Alternativen über-
legen ist. Es ist also alles andere als Zufall, dass die moderne Gesellschaft
auch die Sozialfigur des beratenden Experten in prinzipiell allen Lebensberei-
chen hervorgebracht hat, das Beratungsgeschäft floriert, und eine Ratgeberli-
teratur für alle Lebenslagen aus dem Boden geschossen ist, wie jeder Besuch
einer Bahnhofsbuchhandlung beweist.
ideologische Verbrämung
Überall dort, wo tatsächlich nicht rational gehandelt wird, sondern lediglich
Rationalitätsfiktionen bestehen, trägt eine soziologische Handlungserklärung
mit Hilfe des Homo Oeconomicus zur Bestärkung dieser Fiktionen bei, ist also
nicht analytische Durchdringung, sondern ideologische Verbrämung sozialer
Wirklichkeit.
mangelnde Theoretisierung der Nutzenkomponente
Der fünfte und letzte hier behandelte Einwand gegen den Homo Oeconomicus
richtet sich nicht, wie die bisherigen, auf die eine oder andere Weise gegen die
Rationalitätsunterstellung dieses Akteurmodells. Wenn man davon ausgeht,
dass Akteure rational nutzenorientiert handeln, stellt sich vielmehr auch die im
Modell des Homo Oeconomicus zunächst nicht vorgesehene Frage: Wie ge-
langen die Akteure zu ihren Nutzenvorstellungen?
mangelnde Theoretisierung der Nutzenkomponente
Der HO im konkreten Fall
So lange über Akteure „im allge-
meinen“ gesprochen wird, kann man ihnen höchstens - mehr oder weniger
beliebig - eine inhaltsleere Handlungsstrategie wie Maximierung des absoluten
oder des relativen eigenen Nutzens, Minimierung der absoluten oder relativen
eigenen Verluste oder auch Maximierung gemeinsamen Nutzens bzw. Mini-
mierung gemeinsamer Verluste einer Kollektivität zuschreiben (Mac Crim-
mon/Messick 1976; Scharpf 1997: 84-89). Diese abstrakten Formeln können
zur Erklärung konkreten sozialen Handelns so noch gar nichts beitragen, weil
immer erst substantiell spezifiziert werden muss, worin denn in einer bestimm-
ten gesellschaftlichen Situation Nutzen und Verluste eines Akteurs bestehen.
Der HO im konkreten Fall
Erklärungsversuche
Diese Spezifizierung erfolgt in vielen Rational-Choice-Analysen auf eine von
zwei gleichermaßen unbefriedigenden Weisen. Zum einen werden die abstrak-
ten Nutzenkalküle oftmals durch alltagsweltliche Plausibilitäten substantiali-
siert. Dann wird letztlich als selbstevident unterstellt, dass beispielsweise Un-
ternehmen nach Gewinn, politische Parteien nach Wählerstimmen oder Wis-
senschaftler nach Reputation in ihrer jeweiligen Disziplin streben. Zum ande-
ren hält man sich häufig an die expliziten Nutzenartikulationen der untersuch-
ten Akteure - findet also beispielsweise durch Dokumentenanalysen oder Be-
fragungen heraus, was ein bestimmter Akteur in einer bestimmten Situation
gewollt hat.
Ob nun die Substantialisierung von Nutzenorientierungen als Zuschrei-
bung durch den Theoretiker auf der Basis scheinbar selbstverständlicher, un-
hinterfragt übernommener Deutungsmuster des Alltagswissens oder aus der
Beobachtung der konkreten Empirie des jeweiligen Untersuchungsgegenstan-
des erwächst: Beide Vorgehensweisen erklären nicht, warum spezifische ge-
sellschaftliche Akteure gerade die Nutzenvorstellungen haben, die sie haben.
generalisierte Nutzenleitlinien und kulturelle Rahmungen
In welche Richtung könnten Schritte zu einer Theoretisierung der Nutzen-
komponente des Handelns gehen? Richard Münch (1983: 51/52) weist in sei-
ner Kritik von Rational-Choice-Erklärungen auf den entscheidenden Punkt hin,
dass die Konstitution substantieller Nutzenorientierungen von Akteuren situati-
onsübergreifende, generalisierte Nutzenleitlinien voraussetzt. Weber hob dies
bereits mit seiner Unterscheidung von Ideen und Interessen hervor. Gegen
bloß auf Interessen, also Nutzenvorstellungen abstellende Handlungserklä-
rungen wandte er ein, dass übergreifende kulturelle Ideen die „Weichensteller“
der Ausbildung von Interessen seien (Weber 1920: 240). Weit davon entfernt,
ein bloßer ideologischer „Überbau“ letztlich materieller Interessen zu sein, wie
manche marxistischen Gesellschaftsbetrachtungen immer noch behaupten,
sind Ideen vielmehr kulturelle Rahmungen, innerhalb derer sich Interessen
überhaupt erst entfalten können und bewegen müssen.
teilsystemische Handlungslogiken
Besonders Luhmanns systemtheoretische Perspektive hat dies systemati-
scher ausgearbeitet. Für ihn ist die moderne Gesellschaft ein Ensemble von
einem guten Dutzend Teilsystemen wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Er-
ziehung, Kunst, Massenmedien, Sport und einigen weiteren; und in jedem von
ihnen beherrscht ein je eigener binärer Code als „distinction directrice“ (Luh-
mann 1986) die Aufmerksamkeit - etwa der Code von Siegen/Verlieren im
Sport. Siege zu erringen und Niederlagen zu vermeiden: Darum dreht sich in
diesem Teilsystem alles (Bette/Schimank 1995: 25-42). Binäre Codes vermit-
teln somit - akteurtheoretisch gewendet- als teilsystemische Handlungslogiken
dem Akteur das, was für ihn jeweils erstrebenswert ist. Damit vermag ein so-
ziologischer Beobachter, sofern er die teilsystemische Zugehörigkeit eines
Akteurs zu einem gegebenen Zeitpunkt kennt, noch nicht auf dessen ganz
konkrete Nutzenvorstellungen, wohl aber auf deren generelle Ausrichtung zu
schließen - und so immerhin bereits die ganzen anderen Nutzenausrichtungen
mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
lagespezifische Lebensstile
Neben den teilsystemspezifischen Codes bilden lagespezifische Lebensstile
eine zweite wichtige Spezifizierung der Nutzenkomponente des Homo Oeco-
nomicus - sofern es sich um individuelle Akteure handelt. Die soziale Lage
eines Akteurs prägt ebenfalls seine Vorstellungen darüber, was für ihn nützlich
ist. Schon Weber (1922: 177-180) hatte betont, dass die „Klassenlage“ und
der „soziale Stand“ einer Person nicht nur deren Handlungsmöglichkeiten
bestimmen, sondern auch, welche der objektiv gegebenen Möglichkeiten
überhaupt als subjektiv erstrebenswert erscheinen. Den Bürger interessieren
andere Dinge als den Arbeiter, und den Facharbeiter andere Dinge als den
ungelernten Arbeiter. Empirisch breit ausgearbeitet wurde dies dann vor allem
durch Pierre Bourdieus (1979) Analyse der „feinen Unterschiede“. Diese Un-
terschiede lassen sich, was Bourdieu hauptsächlich getan hat, an zahllosen
Facetten der Freizeitaktivitäten und des Konsumverhaltens festmachen
Drei Lagemerkmale haben die Theorien sozialer Ungleichheit seit langem betrachtet:
Bildung, Einkommen und Berufszugehörigkeit.
Daneben werden neuerdings weitere Lagemerkmale einbezogen, weil auch sie den Lebensstil,
also die Möglichkeiten und Zielvorstellungen der Lebensführung einer Person,
mehr oder weniger stark prägen können. Zu diesen Merkmalen gehören Ge-
schlecht, Alter, Generation, Familienstand, ethnische Zugehörigkeit und
Wohnort (Hradil 1987). Es ist einsichtig, dass die Vorstellungen darüber, was
einem in bestimmten Fragen der Lebensführung nutzt, dadurch geprägt wer-
den, ob jemand eine Frau oder ein Mann ist, jung oder alt, „Trümmerfrau“ oder
Mitglied der „Erbengeneration“, Single oder Familienvater, Deutscher oder
Türke, Stadt- oder Landbewohner. Damit lassen sich auch die entsprechenden
Befunde der Theorien sozialer Ungleichheit heranziehen, um die Nutzenkom-
ponente des Homo Oeconomicus substantiell anzureichern.
reflexive Interessen
Ein dritter Schritt in Richtung einer Theoretisierung der Nutzenkomponente
des Homo Oeconomicus kann dadurch getan werden, dass man die reflexiven
Interessen der Akteure in Rechnung stellt (Schimank 1992b: 261-268; 2005a:
143-183). Diese rahmen die zahllosen, unermesslich vielfältigen und oft nicht
sehr dauerhaften substantiellen Interessen jedes Akteurs. Reflexiv sind solche
Interessen, die sich auf die generellen Bedingungen der Möglichkeit der Reali-
sierung spezifischer substantieller Interessen beziehen. Diese generellen Be-
dingungen lassen sich in mehreren Richtungen ausmachen
reflexive Interessen
Beispiele
• Rational nutzenorientierte Akteure streben oftmals danach, die Reichweite
der eigenen Interessenrealisierung auszudehnen, also ein breitgefächertes
Spektrum an substantiellen Interessen zu realisieren. Solche Akteure haben
dann zum einen ein Interesse am Wachstum dafür relevanter Ressourcen - insbesondere finanzieller und personeller Art - und zum anderen ein Inte-
resse an einer entsprechenden Diversifizierung der eigenen Befugnisse.
• Weiterhin streben solche Akteure oftmals nach Dominanz in einer gege-
benen substantiellen Interessensphäre. Solche Akteure haben zum einen
wiederum ein Interesse am Wachstum dafür relevanter Ressourcen, zum
anderen ein Interesse an einer größtmöglichen Monopolisierung von Be-
fugnissen in der entsprechenden Interessensphäre.
• Rational nutzenorientierte Akteure streben ebenfalls oftmals danach, die
Kontrolle über die eigene Interessenrealisierung zu erweitern. Solche Ak-
teure haben vor allem ein Interesse daran, die eigene Entscheidungsauto-
nomie zu vergrößern.
das Interesse an Erwartungssicherheit beim HO
Der Homo Oeconomicus kann ebenfalls keine
Erwartungsunsicherheit gebrauchen, weil sie ihm seine rationalen Handlungs-
kalkulationen erschwert oder gar verunmöglicht.
Alle reflexiven Interessen wirken, wie die teilsystemischen Handlungslogiken, als
Alle reflexiven Interessen wirken, wie die teilsystemischen Handlungslogi-
ken, als Fiktionen der gesellschaftlichen Akteure über die jeweils anderen und,
daraus zwangsläufig erwachsend, auch über sich selbst. Gegenüber anderen
Akteuren wird zwar nicht immer, so doch sehr häufig davon ausgegangen,
dass sie diese reflexiven Interessen verfolgen und darauf ansprechbar sind.
Das erfahrungsgesättigte Alltagswissen darüber, dass ein Akteur in der Tat oft
gut daran tut, sich um die genannten reflexiven Interessen zu kümmern, ge-
winnt durch Fiktionalisierung Handlungsinstruktivität: Jeder Akteur wird so be-
handelt, als ob er diese Interessen verfolgt. Diese Fiktion überzieht sowohl die
„empirische“ Evidenz der konkreten Situation als auch den prognostischen
Gehalt des Erfahrungssatzes. Doch die Fiktion wirkt in hohem Maße als self-
fulfilling prophecy. So verfestigt sich eine Sichtweise, der sich nicht nur die
Fremd-, sondern auch die Selbstbeobachtung von Akteuren nur noch schwer
entziehen kann. Zusammengenommen ergeben teilsystemspezifische Hand-
lungslogiken, lagespezifische Lebensstile und reflexive Interessen bereits ein
recht gut verwendbares theoretisches Instrumentarium, um die Nutzenkompo-
nente des Homo Oeconomicus zu analysieren.
Modellanreicherung und Erklärungsökonomie
Resümiert man die fünf Einwände, die hier behandelt wurden, so können sie
alle dazu verwendet werden, das von ihnen angegriffene theoretische Modell
des Homo Oeconomicus zu stärken. Dadurch wird es zweifellos aufwendiger
in der Handhabung. Vorstellungen über begrenzte Rationalität und Routinisie-
rung sowie über eine Mehrzahl reflexiver Interessen ebenso wie die Verknüp-
fung mit differenzierungs- und ungleichheitstheoretischen Einsichten machen
den Homo Oeconomicus komplizierter; und die Unterscheidung von Niedrig-
und Hochkostensituationen sowie der Tatbestand der Rationalitätsfiktionen
begrenzen den Einsatzbereich bzw. schränken die Geltung dieses Akteurmo-
dells als Handlungserklärung ein. Aber an all dem führt kein Weg vorbei, will
man mit dem Modell nicht gänzlich realitätsblinde Erklärungen fabrizieren.
Freilich sollte man im Sinne der bereits angesprochenen Erklärungsökonomie
um so mehr darauf achten, keinen unnötigen Aufwand, gemessen am jeweili-
gen Erklärungsproblem, zu betreiben. Für gar nicht so wenige Probleme reicht
ein sehr simpler Homo Oeconomicus als Erklärungsmodell völlig aus.
Nutzenorientiertes Handeln
Der Homo Oeconomicus ist ein aus den Wirtschaftswissenschaften übernom-
menes und für die Soziologie fruchtbar gemachtes Akteurmodell. Es beruht
auf der Annahme, dass Akteure bei ihrem Handeln willentlich eigene Ziele ver-
folgen und dabei nach ihrem persönlichen Nutzen streben. Dieses Modell er-
fasst das Handeln der Akteure als Handlungswahlen, die sich auf solche sozi-
alstrukturellen Handlungsbedingungen zurückführen lassen, die den Nutzen
und die Aufwendigkeit bestimmter Handlungen bestimmen. Der Homo Oeco-
nomicus orientiert sich in der Weise in Situationen, dass er - um den jeweils
höchsten Nutzen mit geringstmöglichem Aufwand in der Situation zu erreichen
- rational kalkulierend vorgeht, d.h. die in der Situation gegebenen Handlungs-
alternativen abwägt.
vier Dimensionen der Rationalität
Nach Weber vollzieht
sich die Zunahme der Rationalität des Handelns in vier Dimensionen:
- derZweckrationalität,
- der theoretischen Rationalität,
- der formalen Rationalität und
- der Wertrationalität.
zweckrationale Abwägung
Handeln kann erstens rational im Sinne einer zweckrationalen Abwägung
der gewählten Mittel sein. Wer zweckrational handelt, überlegt sich, mit
welchen Mitteln er sein gegebenes Ziel unter den situativen Umständen am
besten erreichen kann. Solchem zweckrationalen Handeln stehen vor allem
emotionales, traditionales und routineförmiges Handeln gegenüber. Wer
sich von Gefühlen und Stimmungen treiben lässt oder Sitten und Gebräu-
chen folgt, handelt im Sinne dieser Rationalitätsdimension nicht rational.
theoretische Rationalität
Die Rationalität des Handelns kann zweitens in dessen theoretischer Ratio-
nalität begründet sein. Hierbei geht es darum, dass man im Hinblick auf die
Handlungswirkungen nach möglichst verallgemeinerbaren Kausalzusam-
menhängen sucht. Dies geschieht über eine entsprechend abstrahierende,
nach logischen Prinzipien vorgehende Reflexion der Handlungszusammen-
hänge, die möglichst nicht unter dem Druck unmittelbarer Handlungsnot-
wendigkeiten stattfindet, sondern im Vorfeld. Theoretische Rationalität des
Handelns setzt sich zum einen von einem dumpfen Registrieren der Hand-
lungswirkungen ab, das allenfalls zu mehr oder weniger genauen, gleich-
sam alltagsstatistischen Korrelationsschlüssen gelangt. Zum anderen
überwindet theoretische Rationalität aber auch magische Erklärungen, die
überweltliche Mächte für die Handlungswirkungen verantwortlich machen.
Handlungsrationalität
Handlungsrationalität kann drittens als formale Rationalität im Sinne einer
Bezugnahme auf universal angewandte Regeln vorliegen. Solche Regeln
können zum einen Rezepte, beispielsweise die Methoden mathematischer
Kalkulation, zum anderen Vorschriften, zum Beispiel Gesetze, sein. Beide
Arten von Regeln begrenzen in dem Maße, wie sie handlungswirksam wer-
den, das Belieben und die Willkür des Handelnden, reinigen dessen Han-
deln also von persönlichen Idiosynkrasien und situativer Erratik.
Wertrationalität
Die Rationalität des Handelns kann sich schließlich viertens auf dessen
Wertrationalität beziehen. Wertrational ist ein Handeln in dem Maße, in dem
es sich rigoros an einem bestimmten Maßstab des Wollens ausrichtet.
Wenn ein Handelnder beispielsweise im Bereich der Politik die Erhaltung
und Vermehrung der eigenen Macht als letztentscheidende Wertorientie-
rung seines Handelns zugrunde legt, handelt er in dem Maße wertrational,
wie er diesem Machtstreben möglicherweise entgegenstehende religiöse,
moralische, wirtschaftliche oder erotische Beweggründe außer Acht lässt.
Wertrationalität steht also gegen ein Handeln, das sich von einer diffusen
Gemengelage von Wertgesichtspunkten bestimmen lässt und dadurch ei-
nen unentschiedenen, vieles zugleich und dadurch nichts konsequent an-
strebenden Charakter erhält.
okzidentaler Rationalismus
Die von Weber konstatierte Ausbreitung des okzidentalen Rationalismus
zeichnet sich dadurch aus, dass das soziale Handeln eine parallele Rationali-
sierung in allen vier genannten Dimensionen erfahren hat. Im Mittelpunkt stand
dabei die Herauslösung der Zweckrationalität des Handelns aus traditionalen,
aber auch emotionalen Einbindungen. Der von Weber (1922: 12) in seiner
Typologie des Handelns herausgestellte Typus des „zweckrationalen Han-
delns“ entspricht weitgehend dem Akteurmodell des Homo Oeconomicus.
Doch der für die Zielvorstellungen des Homo Oeconomicus entscheidende Vorgang war die eigentümliche Kultivierung der Wertrationalität.
Warum?
Denn man kann unter
seinen Handlungsalternativen zur Verwirklichung eines angestrebten Ziels nur
in dem Maße eine rationale Abwägung treffen, wie das Ziel präzisiert ist. Oder
anders: Der Homo Oeconomicus kann erst dann rational kalkulierend seinen
persönlichen Nutzen maximieren, wenn er eine klare Vorstellung davon hat,
was ein entsprechend nutzbringendes und deshalb erstrebenswertes Ziel in
einer bestimmten sozialen Situation ist. Erst wenn die von Weber betonte Ra-
tionalität der Mittelwahl mit der Zielverfolgung zusammengesehen wird, erhält
man ein umfassendes Bild des Homo Oeconomicus.
Eigengesetzlichkeit
Weber behauptete, dass sich die Vielfalt dessen, was Akteure in
modernen Gesellschaften in bestimmten Situationen jeweils erreichen wollen
und entsprechend an Zielen verfolgen, an einer begrenzten Pluralität von
Wertmaßstäben ausrichtet (Schwinn 2001: 154-207). Es handelt sich um
Wertmaßstäbe, die alle eine je besondere „Eigengesetzlichkeit“ besitzen und
sich in verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft immer mehr vereinseiti-
gen und verabsolutieren: So richten sich Ziele von Akteuren im Teilbereich
Politik am Streben nach Macht aus, in der Wirtschaft am Streben nach Ge-
winn, in der Wissenschaft am Streben nach Wahrheit, in der Jurisprudenz am
Streben nach Recht, in der Kunst am Streben nach Schönheit und in der Ero-
tik am Streben nach Lusterfüllung.
anthropologische Fundierung
Doch der Homo Oeconomicus kann nicht nur durch ein gesellschaftstheoreti-
sches, sondern auch durch ein anthropologisches Argument fundiert werden.
Dabei wird von derselben Prämisse ausgegangen wie bei der oben dargeleg-
ten anthropologischen Begründung des Homo Sociologicus (Kap. 3.3), näm-
lich von der Instinktreduziertheit und „Weltoffenheit“ des Menschen. Diese
Besonderheit der „conditio humana“ wird von den Vertretern des Homo Oeco-
nomicus jedoch nicht als Mangel, sondern als Grundlage für die Fähigkeit des
Menschen zur Unabhängigkeit von der Umwelt und zur selbstbestimmten Be-
arbeitung der Vorgaben der Umwelt angesehen.
Rational Choice: Soziologisierter Homo Oeconomicus
Der Homo Oeconomicus steht damit als primär wollensgeleitetes Akteurmodell
dem sollensgeleiteten Homo Sociologicus diametral gegenüber.
Rationale Zielverfolgung
Die grundlegenden Merkmale des Homo Oeconomicus spezifizieren die Art
und Weise, wie er seine Ziele verfolgt
Nutzenorientierung
Diejenige Handlungssituation, mittels derer Ökonomen das Handeln des
Homo Oeconomicus gemeinhin verdeutlichen, ist die eines Konsumenten, der
sich entscheiden muss, welche Güter er kauft (Frank 1991: 59-87). Im ein-
fachsten Fall hat er zu einem gegebenen Zeitpunkt nur ein einziges Ziel. Er
möchte zum Beispiel ein bestimmtes Buch lesen und sich zu diesem Zweck
kaufen, das 10 Euro kostet. Sofern er mindestens diesen Geldbetrag in der
Tasche hat, vermag er es zu kaufen - andernfalls nicht. Oder der Konsument
hat Durst und möchte ihn mit Bier stillen. Er hat 10 Euro in der Tasche, und die
Flasche Bier kostet 2.50 Euro. Dann kann er eine Flasche oder mehrere Fla-
schen erstehen - aber höchstens vier. Schon diese simple Kaufsituation illust-
riert zwei grundlegende Merkmale des Homo Oeconomicus. Das erste von
ihnen besteht darin, dass er seine Handlungswahl nutzenorientiert trifft.
knappe Ressourcen
Es könnte natürlich sein, dass er auch nach vier Flaschen noch Durst hat.
Aber dann ist sein Geldbeutel leer, und er kann sich kein weiteres Bier kaufen.
Hieran zeigt sich das zweite der beiden angesprochenen Merkmale des Homo
Oeconomicus: seine begrenzten Ressourcen zur Zielerreichung. Hätte der
Buchinteressent weniger als 10 Euro in der Tasche, wäre es ihm ähnlich er-
gangen wie dem immer noch durstigen Bierkäufer. Beide Merkmale zusam-
menziehend lässt sich der Homo Oeconomicus als ein im Rahmen seiner ver-
fügbaren Ressourcen nutzenmaximierender Akteur charakterisieren.
Der Homo Oeconomicus lebt also in einer Welt der Knappheit. Sein Wollen
übersteigt meistens sein Können. Er will mehr haben, als er kaufen kann.
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