Zivilprozessrecht 13 - Schiedsgerichtsbarkeit

Lienhard, Übungsbuch Zivilprozessrecht, Orell Füssli Verlag AG, Zürich 2012 Einleitung, Organisation des Schiedsgerichts, Schiedsverfahren, Schiedsspruch, Rechtsmittel

Lienhard, Übungsbuch Zivilprozessrecht, Orell Füssli Verlag AG, Zürich 2012 Einleitung, Organisation des Schiedsgerichts, Schiedsverfahren, Schiedsspruch, Rechtsmittel


Kartei Details

Karten 29
Sprache Deutsch
Kategorie Recht
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 14.10.2015 / 04.01.2025
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1. Was ist ein Schiedsgericht?

Schiedsgerichte sind private Gerichte, die innerhalb der ihnen vom Staat verliehenen Kompetenzen auf der Grundlage privater Willenserklärungen der Parteien über Zivilstreitigkeiten entscheiden.

2. Was ist ein Schiedsgutachter?

Schiedsgutachter stellen Tatsachen verbindlich fest.

Im Gegensatz zu den Schiedsgerichten entscheiden sie nicht über Rechte und Rechtsverhältnisse.

3. Was sind die wesentlichen Vor- und Nachteile der Schiedsgerichtsbarkeit?

  • Vorteile
    • Fachrichtern
    • Beschleunigung des Verfahrens
    • erhöhte Geheimhaltung
    • neutraler Boden in internationalen Streitigkeiten
    • mehr Einfluss auf Verfahrensablauf
  • Nachteile
    • erhöhte Kosten

4. In welchen wichtigen staatlichen Erlassen ist die Schiedsgerichtsbarkeit geregelt?

  • Binnenschiedsgerichtsbarkeit:
    • ZPO 353 ff.
  • internationale Schiedsgerichtsbarkeit:
    • IPRG 176 ff.
    • Staatsverträge (z.B. NY Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedsprüche)

5. Was ist eine Schiedsordnung?

  • Ordnungen institutioneller Schiedsgerichte.
  • Sie regeln insb. Ernennung v. Mitgliedern, Schiedsverfahren und Kosten
  • Sie werden verbindlich, wenn die Parteien auf diese verwiesen haben.

6. Wodurch unterscheiden sich Schiedsklauseln von Schiedsverträgen?

Mit einem Schiedsvertrag übertragen die Parteien eine bestehende Streitigkeit einem Schiedsgericht zur Beurteilung.

Mit einer Schiedsklausel wird eine mögliche zukünftige Streitigkeit einem Schiedsgericht unterstellt.

Die ZPO spricht undifferenziert von Schiedsvereinbarungen.

7. Was sind die Voraussetzungen einer gültigen Schiedsvereinbarung?

  • Konsens der Parteien (Vertrag zw. den Parteien; essentialia negotii: Streitigkeit & Entscheidung durch Schiedsgericht)
  • Schriftlich oder in einer Form die den achweis durch Text ermöglicht (ZPO 358 und IPRG 178 I; auch Fax und eMail)
  • Schiedsfähigkeit der Streitsache (freie Verfügbarkeit über den Streitgegenstand, ZPO 354; int.: vermögensrechtliche Angelegenheit IPRG 177 I)
  • kein Verstoss gegen zwingendes Recht (geringe Bedeutung, da auch zwingende Gerichtsstände wegbedungen werden können; Ausnahme: keine Wegbedingung derSchlichtungsbehörde in Miet-/Pachtsachen; ZPO 361 IV)
  • Bestimmtes Rechtsverhältnis (ansonsten ZGB 27 II verletzt)

8. Was sind die wichtigsten Wirkungen von Schiedsvereinbarungen?

Die Vereinbarung begründet zudem die Zuständigkeit des Schiedsgerichts (Prorogation) und entzieht die Streitsache den staatlichen Gerichte (Derogation), wenn die beklagte die Einrede der Schiedsvereinbarung erhebt.

 

9. Wo befindet sich der Sitz eines Schiedsgerichts?

Die Parteien können den Sitz des Gerichts frei vereinbaren, tun sie das nicht, kann sas Schiedsgericht seinen Sitz selbst festlegen (ZPO 355).

10. Welche Bedeutung hat der Sitz eines Schiedsgerichts?

  • Anknüpfungspunkt für ZPO 353 ff. respektive IPRG 176 ff.
  • bestimmt zuständige staatliche Gerichte, die das Schiedsgericht ev. unterstüzen müssen ZPO 356 II)
  • bestimmt Zuständigkeit zur Anfechtung des Schiedsgerichtsentscheids (ZPO 356 I)
  • Der Sitz ist nicht zwingend der Ort der Verhandlung/Tätigkeit des Schiedsgerichts. Ausser die Parteien haben dies vereinbart (ZPO 355 IV).

11. Wie wird ein Schiedsgericht bestellt?

  • Grundsatz:
    • Parteien können die Anzahl Schiedsrichter und das Verfahren der Ernennung frei vereinbaren (ZPO 360 I & 361 I) ansonsten dispositive Gesetzesbestimmungen.
  • Ausnahme/zwingend: 
    • In Miet-/Pachtsachen von Wohnräumen kann nur die entsprechende staatliche Schlichtungsbehörde eingesetzt werden (ZPO 361 IV).
    • Schiedsrichter müssen von den Parteien unabhängig und unparteiisch sein (ZPO 363, 367 ff. und 393 lit. a)

12. In welchem Verhältnis stehen die Schiedsrichter zu den Parteien?

Es besteht ein Schiedsrichtervertrag.

Er ist auftragsrechtlicher Natur und untersteht teilweise dem Prozessrecht, teilweise dem materiellen Privatrecht.

13. Welche Möglichkeiten haben die Parteien, um Mitglieder des Schiedsgerichts ausszuschliessen?

  • Die Parteien können das Abberufungsverfahren frei vereinbaren, ansonsten dispositive Gesetzesbestimmungen gelten (ZPO 369 I).
  • Die Parteien können (gemeinsam) jedes Mitglied des Schiedsgerichts durch schriftliche Vereinbarung abberufen (ZPO 370 I)
  • Eine Partei kann einen Schiedsrichter oder das gesamte Schiedsgericht ablehnen (ZPO 367 ff.)
  • Eine Partei kann die Absetzung eines Schiedsgerichtsmitglieds gestützt auf ZPO 370 II verlangen (ausserstande, Aufgabe innert nützlicher Frist oder mit gehöriger Sorgfalt zu erfüllen)

14. Wie ist der grundsätzliche Ablauf eines Schiedsverfahren?

  • Die Parteien können das Verfahren frei vereinbaren (ZPO 373 I),
  • das Verfahren einer Schiedsgerichtsordnung,
  • oder einem Verfahrensrecht ihrer Wahl unterstellen.

Regeln die Parteien das Verfahren nicht, so bestimmt das Schiedsgericht das Verfahren (ZPO 373 II).

Eiinzelne Verfahrensfragen kann auch der (ermächtigte) Präsident des Schiedsgerichts entscheiden (ZPO 373 III).

15. Von welchen Verfahrensregeln kann nicht abgewichen werden?

  • Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien (ZPO 373 IV)
  • rechtliches Gehör muss gewährt werden (ZPO 373 IV)
  • kontradiktorisches Verfahren (ZPO 373 IV)
  • kein Verbot der Vertretung (ZPO 373 V)

16. Wann ist ein Schiedsverfahren rechtshängig?

ZPO 372:

  • Mit der Anrufung des bezeichneten Schiedsgerichts
  • oder mit Einleitung des Verfahrens zur Bezeichnung des Schiedsgerichts (wenn kein Schiedsgericht bestimmt).

17. Welche Wirkung hat die Rechtshängigkeit eines Schiedsverfahrens?

  • Verfahrenssistierung durch später angerufenes staatliches Gericht (ZPO 372 II)
  • Unterbrechung der Verjährung (OR 135 II)
  • Fristwahrung (ZPO 64 II)

Nicht: Fortführungslast und Fixationswirkung (richtet sich nach gewählten Verfahrensregeln).

18. Wer ist in einem Schiedsverfahren zum Erlass vorsorglicher Massnahmen befugt?

ZPO 374 I: Nach Wahl der Parteien

  • Schiedsgericht 
  • staatliches Gericht

Aber: Schiedsgericht kann selbst keine Zwangsmassnahmen erlassen (Gegenpartei muss freiwillig erfüllen). Schiedsgericht kann aber die Anordnung beim staatlichen Gericht beantragen (ZPO 374 II).

19. Inwiefern ist das Schiedsgericht zur Abnahme von Beweisen befugt?

  • Grundsatz: Schiedsgericht zur Beweisabnahme befugt (ZPO 375 I)
  • Ausnahme: Zwangsmassnahme zur Beweisabnahme obliegt staatlichem Gericht (Rechtshilfegesuch an staatliches Gericht durch Schiedsgericht; ZPO 356 II). 

20. Unter welchen Voraussetzungen ist in einem Schiedsverfahren zulässig

a) die Streitgenossenschaft,

b) objektive Klagehäufung,

c) die Beteiligung Dritter (Intervention)

d) die Widerklage

e) die Verrechnung ?

a) zulässig, wenn involvierte Parteien/Ansprüche von Schiedsvereinbarung erfasst (ZPO 376 I)

b) zulässig, wenn involvierte Parteien/Ansprüche von Schiedsvereinbarung erfasst (ZPO 376 II)

c) zulässig, wenn involvierte Parteien/Ansprüche von Schiedsvereinbarung erfasst (ZPO 376 III)

d) zulässig, wenn involvierte Parteien/Ansprüche von Schiedsvereinbarung erfasst (ZPO 377 I)

e) zulässig, auch bei anderer Gerichtsstandsvereinbarung/Zuständigkeit (ZPO 377 I)

21. Welches materielle Recht wendet das Schiedsgericht an?

  • frei wählbar (ZPO 381 I a)
  • Ermächtigung des Schiedsgerichts zu Entscheid nach Billigkeit (ZPO 381 I b)
  • nicht: Ausschluss der zwingenden Verfahrensregeln (formelles Recht; ZPO 373 IV & V)

pro memoria:

Die Wahl/Ermächtigung ermöglicht den Ausschluss des anwendbaren Rechts (auch dessen zwingender Normen)

22. Welche Arten von Entscheide kann das Schiedsgericht fällen?

ZPO 383, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben:

  • Endentscheide
  • Zwischenentscheide
  • Teilentscheide

23. Was ist der notwendige Inhalt eines Schiedsentscheides?

ZPO 384, zwingend:

  • Zusammensetzung des Schiedsgerichts
  • Angabe des Sitzes des Schiedsgerichts
  • Partei-/Vertreterbezeichnung
  • Rechtsbegehren/Umschreibung der Streitfrage
  • Dispositiv (Entscheid)
  • Verfahrenskosten & Parteientschädigungen (Höhe & Verteilung)
  • Datum des Schiedsspruches

dispositiv: Begründung (Sachverhalt, Entscheidungsgründe, Billigkeitserwägungen, ZPO 384 I e)

 

24. Mit welchem Rechtsmittel können die Parteien Entscheide eines Schiedsgerichts anfechten?

  • Grundsatz: Beschwerde in Zivilsachen an BGer (ZPO 389 I)
  • nach Vereinbarung: Beschwerde an zuständiges kantonales Gericht (ZPO 390)
    • Zuständigkeit je nach Sitz (ZPO 356 I; ZH: OG, GOG 48)
    • Verfahren nach ZPO 319 ff. (ZPO 390 I)

pro memoria:

Die Wahl der kantonalen Beschwerdeinstanz schliesst die BiZ aus.

25. Können die Parteien auf eine Anfechtung von Schiedsgerichtsentscheiden verzichten?

  • keine Regelung in ZPO.
  • h.L. & BGer: Verzicht im Voraus unzulässig, nachträglich möglich

26. Welche Entscheide stellen gültige Anfechtungsobjekte einer Einheitsbeschwerde an das BGer dar?

  • nur Entscheide des letztinstanzlichen Schiedsgericht (ZPO 391)
    • End- und Teilentscheide (ZPO 392 lit. a)
    • Zwischenentscheide (ZPO 392 lit. b)
      • nur sofort (ZPO 389 II i.V.m. BGG 92 II)
      • nur bestimmte Zw.-entscheide (ZPO 393 lit. a & b [Zusammensetzung, Zuständigkeit])

27. Was für Beschwerdegründe können Parteien vor Bundesgericht gegen Schiedsgerichtentscheide geltend machen?

abschliessende Regelung in ZPO 393 (für Zwischenentscheide nur lit. a & b)

  • Zusammensetzung (lit. a)
  • Zuständigkeit (lit. b)
  • Über-/Unterschreitung der Entscheidbefugnis (lit. c)
  • Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (lit. d)
  • Willkür des Entscheids (lit. e, offensichtlich aktenwidrig, offensichtliche Rechtsverletzung, offensichtlich unbillig)
  • Übersetzte Entschädigung und Auslagen (lit. f)

Achtung: es gilt das Rügeprinzip (ZPO 389 II i.V.m. BGG 77 III)

28. Wie läuft das Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht gegen Schiedgerichtentscheide im Wesentlichen ab?

Grundsatz: wie BiZ (ZPO 389 II)

Ausnahmen: BGG 77 II, anderslautende Bestimmungen ZPO 389 ff.

29. Welche Entscheide kann die Rechtsmittelinstanz fällen?

  • geringfügige Mängel:
    • Rückweisung zur Berichtigung, Ergänzung oder Erläuterung (ZPO 394)
  • grobe Mängel:
    • Grundsatz: nur kassatorischer Entscheid
    • Ausnahme: offensichtlich überhöhte Entschädigungen und Auslagen (reformatorischer Entscheid durch BGer)