Psychopathologie II

Allgemeine Grundlagen der Psychopathologie und psychiatrischen Krankheitslehre (Schwerpunkt Erscheinungsbild) => Lernziele bei Störungsbildern

Allgemeine Grundlagen der Psychopathologie und psychiatrischen Krankheitslehre (Schwerpunkt Erscheinungsbild) => Lernziele bei Störungsbildern


Kartei Details

Karten 72
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Grundschule
Erstellt / Aktualisiert 19.11.2013 / 13.10.2017
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Nennen Sie drei Beispiele möglicher Belastungen und umschreiben Sie auf dieser Basis, welcher Art die Belastung sein muss, die der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorausgeht.

Extreme Belastungen in lebensbedrohlichen Situationen, Folter, Terror, Geiselnahme, Gefangenschaft mit dauernder Todesgefahr und Katastrophen

Ähnlich wie bei den Belastungsstörungen sind diese existentieller Art, oft auch lang anhaltend oder wiederholt.

Nennen Sie fünf Symptome, in denen sich bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach einer Extrembelastung das fehlangepasste Verhalten zeigt.

  1. eine (vor der Extrembelastung nicht vorhandene) andauernde feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Welt.
  2. sozialer Rückzug (außer gegenüber wenigen Verwandten, mit denen die Betroffenen zusammenleben).
  3. vorher nicht vorhandenes, andauerndes Gefühl von Leere und/oder Hoffnungslosigkeit, evtl. verbunden mit: gesteigerter Abhängigkeit von anderen,Unfähigkeit, negative oder aggressive Gefühle zu äussern undanhaltender depressiver Stimmung.
  4. andauerndes Gefühl von Nervosität oder von Bedrohtsein ohne äussere Ursache (zeigt sich in einer vorher nicht vorhandenen gesteigerten Wachsamkeit und Reizbarkeit). Die chronische innere Anspannung und das Gefühl von Bedrohtsein können mit der Neigung zu exzessivem Trinken oder dem Konsum psychotroper Substanzen verbunden sein.
  5. andauerndes Gefühl, verändert oder anders als die anderen zu sein (Entfremdung). Dieses Gefühl kann mit dem Eindruck einer emotionalen Betäubung verbunden sein.

Nennen Sie die zeitlichen Bedingungen für die Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, wenn zuvor eine PTBS bestanden hat.

Mindestens 2 Jahre

Nennen Sie die 3 zentrale Symptombereiche der hyperkinetischen Störungen gemäss ICD-10 Forschungskriterien und je zwei typische Beispiele.

G1.Mindestens sechs Monate lang bestanden mindestens 6 der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmass.

z.B. häufig unaufmerksam gegenüber Detail; häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten; können Erklärungen oft nicht folgen; beeinträchtigt in der Organisation

G2.Mindestens sechs Monate lang bestanden mindestens 3 Symptome von Überaktivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmass.

z.B. zappeln; verlassen den Platz; laufen häufig herum oder klettern exzessiv

G3.Mindestens sechs Monate lang bestand mindestens 1 Symptom von Impulsivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmass.

z.B. platzen häufig mit der Antwort heraus; können häufig nicht in einer Reihe warten, reden häufig exzessiv; unterbrechen und stören andere häufig

Beurteilen Sie die Behauptung, dass ein hyperkinetisches Syndrom bis zum Erwachsenenalter "auswächst".

Die beiden grossen Diagnostiksysteme gehen davon aus, dass bei einer bedeutenden Minderheit der Betroffenen eine hyperkinetische Störung (resp. ADS/ADHS) bis ins Erwachsenenalter anhält. Knölker et al. (2002) schätzen den Anteil auf rund ein Drittel. Die häufige und generalisierende Behauptung, dass das Syndrom "auswachse", ist nach Meinung dieser Autoren deshalb nicht gerechtfertigt. Winkler (2001) gibt an, dass 50-75% der Betroffenen als Jugendliche noch eine ADHS aufweisen, 3-8% noch als Erwachsene. Diese Angaben beruhen aber auf Selbstbeurteilungen, und die tatsächlichen Prävalenzen im Erwachsenenalter dürften darum wesentlich höher sein und damit eher im Bereich der obigen Schätzung liegen.

Erläutern Sie, wieso der DSM-IV-Begriff Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom nicht ganz zu befriedigend vermag.

Winkler (2001) vertritt die Ansicht, dass der Begriff "Aufmerksamkeitsdefizit" insofern irreführend sei, dass die Betroffenen nicht generell unaufmerksam seien. Vielmehr würden sie versuchen, mehreren inneren und äusseren Wahrnehmungen und Gedanken gleichzeitig zu folgen. Es handle sich also eher um eine Störung der selektiven Aufmerksamkeit.

Umschreiben Sie generell in zwei Punkten die Symptomatik, die nicht in diagnosefähiger Ausprägung gegeben sein darf, damit die Diagnose einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung gestellt werden kann.

Die allgemeinen Kriterien für eine hyperkinetische Störung (F90) müssen erfüllt sein, aber nicht die für eine Störung des Sozialverhaltens (F91).

G6. Die Störung erfüllt nicht die Kriterien für...

  • eine tief greifende Entwicklungsstörung (F84),
  • eine manische Episode (F30),
  • eine depressive Episode (F32) oder
  • eine Angststörung (F41).

Definieren Sie den Begriff Komorbidität.

Komorbidität (engl.: comorbidity, co-occurrence, multiple diagnosis) bedeutet allgemein das gemeinsame Auftreten verschiedener psychischer Störungen bei derselben Person.

Grundsatz: So viele Diagnosen wie nötig, aber nicht mehr als erforderlich!

Spezialfall von Komorbidität: duale Diagnose oder Doppeldiagnose > findet immer dann Anwendung, wenn eine der komorbiden Diagnosen aus dem Bereich der Störungen durch psychotrope Substanzen kommt. Vor allem im Kontext schizophrener Störungen findet dieser Begriff oft Anwendung. Sie finden in PTO eine eigene Lektion zum Thema Doppeldiagnosen.

Was versteht man unter der Schichtenregel? Nennen Sie einen wichtigen Grund, weshalb dieses Konzept zugunsten des Komorbiditätskonzepts aufgegeben wurde.

Die Jasper'sche Schichtenregel besagt, dass psychische Erkrankungen in sog. Schichten angeordnet sind: von organischen Störungen über affektive Störungen bis hin zu den Neurosen (Jaspers, 1973). Jede "tiefer liegende" Erkrankung kann das Erscheinungsbild der darüber liegenden annehmen. Die eigentliche Diagnose muss dann anhand der tiefer liegenden Erkrankung erfolgen. So wurde angenommen, dass z.B. organische Störungen zeitweilig wie schizophrene Störungen aussehen können und daher eine organische Störung zu diagnostizieren wäre.

Empirische Studien haben aber belegen können, dass es für die Hierarchisierung oft keine ausreichende Begründung gab. So haben verschiedene Arbeiten gezeigt, dass bestimmte Störungen überzufällig häufig gemeinsam miteinander auftreten, d.h. unter Umständen nicht zufällig kovariieren.

Nennen Sie 3 Paare von Störungskategorien, die besonders oft gemeinsam vorkommen.
 

  • Schizophrenie und substanzbedingte Störungen
  • Angst- und Persönlichkeitsstörungen
  • depressive und Angststörungen

Erklären Sie einem Laien, weshalb die Entwicklung der Klassifikationssysteme einen grossen Einfluss auf die Häufigkeiten von Komorbiditäten hat.

In 4 Jahrzehnten hat sich die Anzahl der zur Verfügung stehenden Diagnosen fast vervierfacht. Durch diese Entwicklung ergibt sich allein aufgrund von wahrscheinlichkeitstheoretischen Überlegungen eine deutlich Zunahme potenzieller Komorbiditäten. Auch die engeren Definitionen der Störungen durch deren Operationalisierungen tragen hierzu bei.

Nennen Sie mind. 3 Arten, wie es zu Komorbiditäten kommen kann.
 

  • Eine Störung entwickelt sich als sekundäre Komplikation einer anderen Störung. z.B. Substanzmissbrauch als Folge einer bestehenden Phobie

 

  • Komorbidität als Artefakt sich überlappender diagnostischer Kriterien kann bei Störungen aus unterschiedlichen Bereichen auftreten.z.B. In der ICD-10: F60.6 ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung und F40.1 soziale Phobie (Vergleichen Sie die Kriterien in den entsprechenden Lektionen!)


Komorbidität kann sich aber auch bei Störungen aus derselben Kategorie ergeben, etwa bei F60 (verschiedene spezifische Persönlichkeitsstörungen, vgl. dazu die Seiten "Allgemeines zu Störungsbild" der entsprechenden Lektionen).

  • Komorbidität tritt auf aufgrund einer gemeinsamen Diathese oder gemeinsamen Vulnerabilitätsfaktoren. z.B. Im DSM-IV: vermutete genetische Faktoren, die sowohl das Risiko für eine Major Depression wie auch für eine Generalisierte Angststörung erhöhen (Sass et al., 1998, S. 527).

Definieren Sie die Doppeldiagnose, einen Spezialfall von Komorbidität.

Unter Doppeldiagnosen (engl. dual diagnosis) versteht man im Allgemeinen einen Spezialfall von Komorbidität (engl. comorbidity), also des gleichzeitigen Vorliegens zweier Störungen bei derselben Person.

Der Begriff bezeichnet...

  • das gemeinsame Auftreten einer Störung durch psychotrope Substanzen (Störungen durch eine oder mehrere Substanzen wie Missbrauch oder Abhängigkeit von z.B. Alkohol, Schlaf- und Beruhigungsmedikamenten, Cannabis, Heroin, Kokain)
  • und einer zusätzlichen psychischen Störung (z.B. eine Angststörung, Depression, Schizophrenie oder eine Persönlichkeitsstörung)
  • bei derselben Person in einem bestimmten Zeitraum (z.B. ein Monat, ein Jahr, Lebenszeit).

Der Begriff bezieht sich nicht...

  • auf das Zusammenkommen zweier psychischen Störungen ohne Substanzstörung oder
  • auf das Auftreten einer psychischen Störung oder Substanzstörung mit einer somatischen Erkrankung bzw. einer Intelligenzminderung.

Welche Störungsart früher vorgelegen hat, ist sekundär. Wichtig für die Anwendung einer Doppeldiagnose ist aber, dass die zusätzliche Störung unabhängig vom Substanzgebrauch diagnostizierbar ist und höchstens durch diesen reaktiviert oder verschlimmert wird. Wir werden auf diese Einschränkung noch näher eingehen.

Beschreiben Sie den wesentlichen Unterschied zwischen substanzinduzierter und komorbider psychischer Störung.

Um direkte Substanzwirkungen auszuschliessen, gilt folgende zeitliche Faustregel:

Wenn die Symptome mehr als vier Wochen nach einer akuten Intoxikation oder einem Entzug noch weiter bestehen und die Kriterien für ein Syndrom erfüllt sind, wird von einer nicht-substanzinduzierten komorbiden Störung ausgegangen und eine Doppeldiagnose gestellt.

Nennen Sie sieben Kriterien zur Unterscheidung von substanzinduzierter und komorbider psychischer Störung.

Zeitlicher Zusammenhang der Symptomatiken

Abstinenz

Typische vs. atypische Merkmale der zusätzlichen Störung

Substanzspezifische physiologische und verhaltensbezogene Intoxikations- oder Entzugssymptome

Substanzdosis und Konsumdauer

Verschlechterung der Symptome einer bereits bestehenden psychischen Störung durch Substanzintoxikation oder –entzug

Langjähriger Substanzkonsum

Erklären Sie, wodurch sich die vier Patiententypen mit Doppeldiagnosen im Quadrantenmodell auszeichnen.

Typ I: schwere Substanzstörung mit hoher zusätzlicher psychopathologischer Belastung

Typ II: Substanzmissbrauch mit hoher zusätzlicher psychopathologischer Belastung

Typ III: schwere Substanzstörung mit geringer zusätzlicher psychopathologischer Belastung

Typ VI: Substanzmissbrauch mit geringer zusätzlicher psychopathologischer Belastung

Nennen Sie 2 wichtige Argumente, die dafür sprechen, interpersonellen Problemen in der Therapie grosse Wichtigkeit einzuräumen.

n einer Untersuchung wurden Patienten aus einer Ambulanz-Stichprobe mit gemischten nicht-psychotischen Diagnosen zu Beginn ihrer Therapie nach ihrem wichtigsten Problem gefragt. An erster Stelle wurden selbst von Patienten mit klaren ICD-Diagnosen (Ängsten, Depressionen, etc.) interpersonelle Probleme genannt und erst an zweiter Stelle Probleme, die sich auf Symptome bzw. eine Störungskategorie beziehen.

Interpersonelle Aspekte spielen also bei psychotherapeutischer, aber auch medikamentöser Behandlung eine entscheidende Rolle, und zwar unabhängig davon, ob sie als zu behandelnde Probleme definiert werden. Es ist ein immer wieder bestätigter Befund der Psychotherapieforschung, dass Therapieergebnisse positiv mit der Qualität der Therapiebeziehung korreliert sind.

Beschreiben Sie den Aufbau des Circumplex-Modells (verwenden Sie dazu die Begriffe Dimensionen, Ausprägung, Persönlichkeitstypen und Korrelation).
 

Im Circumplex-Modell von Leary werden zwischenmenschlich bedeutsame Aspekte als abhängig von zwei Dimensionen betrachtet:

  • Auf einer vertikalen Status-Dimension können interpersonelle Eigenschaften zwischen Dominanz und Unterwürfigkeit,
     
  • auf einer horizontalen Zuneigungs-Dimension zwischen Hass und Liebe eingeordnet werden.

Je weiter die einzelnen Eigenarten in Richtung auf den Aussenkreis hin extremer werden, desto mehr hält eine Person (zu) starr und (zu) extrem an einem bestimmten Beziehungsmuster fest. Das kann nach Leary die Qualität einer Charakter- bzw. Persönlichkeitsstörung annehmen. Learys Ordnungsversuch führte zu acht Persönlichkeitstypen. Sie entsprechen jeweils einem Oktanten im Kreismodell und können benannt werden (siehe Abbildung). Benachbarte Oktanten korrelieren in empirischen Untersuchungen hoch positiv, während gegenüberliegende Kategorien hoch negativ korrelieren

Charakterisieren Sie die beiden Achsen des Circumplex- und verwandter Modelle.

Status und Zuneigung bzw. Dominanz/Unterwürfigkeit und Feindseligkeit/Freundlichkeit

Erläutern Sie das Plan-Konzept und die Struktur einer Plan-Hierarchie.
 

"Pläne" bestehen...

  • aus einer motivationalen Komponente (Ziel, Zweck) und
  • aus einer Handlungskomponente (auf konkretester Ebene: Verhalten).

Im Therapiekontext steht die instrumentelle Perspektive ("wozu macht XY das?", oder umgekehrt "mit welchen Mitteln verfolgt XY sein Ziel AB?") ganz im Vordergrund. Daraus ergibt sich eine hierarchische Struktur mit Grundbedürfnissen ganz oben und konkretem Verhalten ganz unten.

Erläutern Sie die Bedeutung der Plan-Analyse in der Therapie und warum man sie mit Bedacht einsetzen sollte.

Es ist bedeutsam zu verstehen, was sich wie ein roter Faden durch das Leben eines Menschen zieht. Am ehesten überlebt und generalisiert das, was eine instrumentelle Funktion hat, d.h. einen irgendwie gearteten bewussten oder nicht bewussten Nutzen. Solches Denken, Fühlen oder Handeln wird zum typischen Bestandteil des Funktionierens. Deshalb erfasst die Plananalyse trotz ihrer konzeptuellen Einfachheit ganz zentrale Aspekte und schafft Übersicht. Dabei werden adaptive und maladaptive Strategien erfasst, die sich unter ungünstigen Umständen entwickeln können.

Die Plananalyse hat zwei Grundfunktionen: Sie dient als Basis für ein Verständnis sowohl...
 

  • der Probleme eines Patienten (im 3. Lektionsteil wieder aufgenommen) als auch
     
  • der Möglichkeiten und Beschränkungen in der therapeutischen Beziehung (im 2. Teil wieder aufgenommen)

Es sei jedoch bereits darauf hingewiesen, dass Pläne – seien sie noch so schön und schwarz auf weiss formuliert – immer eine Konstruktion der Beobachtenden/Analysierenden sind und keine Realität. Dementsprechend sind sie vorsichtig und mit einem hohen Mass an Bereitschaft zur Revision zu erschliessen.

Erläutern Sie, welche Arten der Therapiebeziehung für autonome und submissive Patienten besonders günstig sind.

Patienten, die sich rasch unterordnen, profitieren eher von stärker strukturierten Therapieansätzen. Für autonomiebedürftigere Patineten sind dagegen weniger strukturierte Therapieansätze geeigneter.

Bei dominanten Patienten nondirektive Vorgehensweisen wählen, d.h. wenig strukturieren, dem Patienten empathisch folgen und ihm damit viel Kontrolle und Autonomie lassen. Das Gegenteil gilt für unterwürfige Patienten. Hier sollten Therapeuten die Sitzungen direktiv strukturieren, z.B. aktiv Instruktionen erteilen.

Erklären Sie anhand einer Skizze mit interpersonellen Reaktionen, was Leary unter interpersoneller Komplementarität versteht.
 

Interpersonelle Komplementarität bedeutet nach Leary (1957), dass gut zusammenpassende interpersonelle Positionen sich anziehen bzw. sich gegenseitig hervorbringen und stabilisieren.

Was versteht man unter Motivorientierter Beziehungsgestaltung und welches sind zwei zentrale Prinzipien zu ihrer Realisierung?
 

Es bedeutet im Grunde, als dass ein Therapeut auf Patienten nicht einfach auf der Verhaltensebene reagieren sollte, sondern versuchen sollte, die Motive eines Patienten zu verstehen und diese zu "sättigen". Bei offensichtlich positiven Motiven und adaptivem Verhalten ist dies im Sinne einer "ressourcenorientierten" Haltung (die viele Therapeuten traditionellerweise allerdings zu wenig einnehmen) ohnehin einfach. Problemverhalten in der Beziehung muss auf unproblematische Motive zurückgeführt werden, die dann aktiv und unabhängig vom Problemverhalten möglichst weitgehend befriedigt werden.

Erstes Prinzip:

Wenn man in der Hierarchie der Motive, die (hypothetisch) hinter dem Problemverhalten stecken, hoch steigt, kommt man irgendwann auf eine Ebene, auf der das Motiv an sich nicht problematisch ist. Das liegt daran, dass die höchsten Motive allgemein menschlichen Bedürfnissen entsprechen, und die können per definitionem nicht schlecht sein.

Zweites Prinzip:

Durch Sättigung eines unproblematischen Motives kann man den Einsatz problematischer Mittel überflüssig machen, anders gesagt, man "entzieht ihnen die motivationale Basis". Der Patient bekommt ja schon ohne sie, was er braucht.

Nennen Sie den Unterschied zwischen Achse-I-Diagnosen und Persönlichkeitsstörungen hinsichtlich der Zuordnung von spezifischen interpersonellen Problemen.

Im Gegensatz zu Achse-I-Diagnosekategorien konnten für spezifische Achse-II-Diagnosen, d.h. für einige spezifische Persönlichkeitsstörungen, prototpyische Interaktionsmuster innerhalb des zweidimensionalen Circumplex-Modells identifiziert werden.

Gut zuordnen lassen sich nach Fiedler (1994) die Verhaltensweisen...

  • der schizoiden,
  • der paranoiden,
  • der narzisstischen,
  • der abhängigen und
  • der histrionischen Persönlichkeitsstörung.

Stellen Sie die Begriffe ich-synton, Leidensdruck, Konsequenzen und interpersonelle Schutzstrategien in einen Zusammenhang stellen und erklären Sie damit ein Problem bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen.

Ein besonderes Problem bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ist – wir haben es bereits früher in der Lektion angesprochen -, dass die meisten davon "ich-synton" sind. Eine Ausnahme bildet die Border- line-Persönlicheitsstörung, bei der u.a. deswegen auch diskutiert wird, ob sie überhaupt als Persönlichkeits- störung richtig eingeordnet ist. Die Betroffenen anderer Persönlichkeitsstörungen haben von der Störung her keinen Leidensdruck, weil sie die Art, wie sie sind, für normal halten: "So bin ich eben!". Leiden tut eher die Umgebung, und wenn die Patienten selber leiden, dann wegen der Konsequenzen: Dependente passen sich vielleicht zu stark an und werden wegen des konsequenten Zurückstellens eigener Bedürfnisse depressiv. Dasselbe kann auch Narzissten passieren, die sich durch Schwierigkeiten bei der Arbeit kränken lassen.
Verschiedene, im Laufe des Lebens erworbene, aber auch biologisch bedingte Vulnerabilitäten werden durch interpersonelle Schutzstrategien abgeschirmt. Diese aber verursachen Aufwand (z.B. immer der Beste sein zu müssen) oder haben Nebenwirkungen (z.B. sich nur auf distanzierte Beziehungen einlassen zu können). So schaden sie eher und erschweren ein ausgewogenes, störungsarmes Leben

Inwiefern spielen interpersonelle Prozesse in folgenden beiden Therapieformen eine wichtige Rolle:
- psychodynamisch
- verhaltenstherapeutisch

Im psychodynamischen Bereich werden im Rahmen von sog. Übertragungsdeutungen die interpersonellen Vorgänge zwischen Therapeut und Patient analysiert und als Medium psychischer Veränderungen eingesetzt. Besonders hervorzuheben sind hier die mit Sullivans Konzepten sehr verwandten Ansätze von Benjamin (1996), Strupp et al. (1984) und Luborsky (1984), In ihren psychodynamischen Kurzzeit- oder Fokaltherapien werden die zentralen zwischenmenschlichen Konflikte der Patienten in den Mittelpunkt der Analyse und Therapie gestellt.

Zu den in Verhaltenstherapien angewandten Verfahren, die sich auf interpersonelle Aspekte beziehen, gehört das Training sozialer Kompetenzen (andere Bezeichnungen sind Selbstsicherheitstraining, Assertiveness-Training, Training sozialer Fertigkeiten u.ä.). Gemeinsam ist diesen Verfahren, dass mit den Mitteln von Modellernen, Rollenspielen, Verhaltensübungen und Diskriminationstraining die Fähigkeiten des Patienten verbessert werden sollen, sich in bestimmten sozialen Situationen besser in erwünschter Weise verhalten zu können (Fliegel et al., 1981). Zu den interpersonellen Kompetenzen, die in diesen Verfahren typischerweise vermittelt werden, gehören die Fähigkeit, eigene Rechte durchzusetzen, soziale Beziehungen aktiv zu gestalten, eigene Gefühle zu äussern und in interpersonellen Kontexten eigene Bedürfnisse zu verwirklichen.

Nennen Sie Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren.

Eine Selbstratingskala (Synonyme: Selbstbeurteilungsverfahren, Selbstratingskala; engl. self-rating scale) ist ein Verfahren, bei dem der gesamte Beurteilungsprozess auf Seiten des Patienten liegt.

Demgegenüber versteht man unter einer Fremdratingskala (Synonyme: Ratingskala, Fremdbeurteilungsver- fahren; engl. observer rating scale; oft auch nur rating scale) ein Verfahren, bei dem der Bewertungsprozess auf Seiten eines unabhängigen Urteilers liegt unter Einbeziehung eigener Beobachtungen (oder Dritter) und Aussagen des Patienten.

Nennen Sie die jeweiligen Vor- und Nachteile von beiden Verfahrensgruppen (Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren)

Selbstbeurteilungsverfahren

Vorteile:

  • zeitökonomisch
  • weitere Indikationsbereiche
  • meist standardisiert (Normen)

Nachteile:

  • anfällig für Urteilsfehler
  • nicht bei allen Störungsgruppen anwendbar (z. B. wenn die Selbstwahrnehmung verzerrt ist)
  • nicht bei schwer gestörten Patienten einsetzbar
  • weniger änderungssensitiv
  • z.T. geringe Differenzierungsfähigkeit unterschiedlicher Schweregrade

Fremdbeurteilungsverfahren

Vorteile:

  • bei fast allen Schwergraden einer Störung einsetzbar
  • änderungssensitiv
  • gute Differenzierungsfähigkeit unterschiedlicher Schweregrade

Nachteile:

  • zeitaufwändig
  • Training notwendig
  • meist keine Normen

Bei welchen Fragestellungen sind Ratingskalen von Nutzen?

Die oft auch als Rating- oder Syndromskalen bezeichneten Verfahren haben u.a. folgende allgemeine Einsatzbereiche:

  • in Praxis und Forschung,
  • in der Pharmakotherapie und Psychotherapie,
  • in klinischen und experimentellen Studien.

Der Nutzen von Syndromskalen ist in Forschung wie Praxis vielfältig:

  • Basisdokumentation
  • Qualitätssicherung
  • Schweregradbestimmung eines oder mehrerer Syndrome
  • Screening von Personen mit einer möglichen psychischen Störung
  • Selektionskriterien für die Aufnahme von Probanden in Studien
    (z.B. mittels Hamilton-Depressions-Skala, Beck-Depressions-Inventar)
  • Entscheidung für therapeutische Interventionen resp. deren Wechsel
  • Evaluation der Wirksamkeit therapeutischer Interventionen

Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren stellen aufgrund der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten die häufigsten Verfahrensgruppen in der klinischen Praxis wie auch im Rahmen von Studien dar.

Welche Möglichkeiten der Interpretation von Skalenwerten existieren?

  • Referenzwerte
  • Cut-Off-Werte (COW)
  • Prozentränge (PR)
  • (Standard)-Normwerte

Nach welchen Merkmalen kann man Ratingskalen unterscheiden?

  • methodische (Skalierung, z.B. numerisch/graphisch/verbal; zugrundeliegende Testtheorie,
    z.B. klassische vs. probabilistische Testtheorie oder globale vs. additive Skalen
     
  • inhaltliche (z.B. Themen/Bereiche; homogen/eindimensional versus heterogen/mehrdimensional; Personengruppe, z.B. Gesunde - Patienten)
     
  • anwendungsbezogene (z.B. Normierung, Zeitdauer)