PETEOU-I

PsyPaton

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Kartei Details

Karten 297
Sprache Deutsch
Kategorie Medizin/Pharmazie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 20.04.2015 / 26.05.2015
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ICD-10 und DSM-IV kennen verschiedene Angststörungen. Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des gefürchteten Reizes und der zentralen Symptome, sondern auch in anderen Aspekten des Angsterlebens: (2 Bsp.)

  • Spezifität: Die Angst betrifft bei einigen Betroffenen nur sehr spezifische Reize, bei anderen mehrere bis viele Aspekte des Lebens.
  • Dauer: Die Angst ist bei einigen nur auf bestimmte Zeiten/Situationen begrenzt, bei anderen ist sie chronischer Natur.

Wie sieht die Einteilung der Angststörungen im engeren Sinn nach ICD-10 aus? (11)

 

F40 Phobische Störungen

  • F40.0 Agoraphobie mit / ohne Panikstörung
  • F40.1 Soziale Phobie
  • F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
  • F40.8 Sonstige Phobische Störungen
  • F40.9 Nicht näher bezeichnete phobische Störungen

F41 Sonstige Angststörungen

  • F41.0 Panikstörungen
  • F41.1 Generalisierte Angststörung
  • F41.2 Angst und depressive Störung gemischt
  • F41.3 Angere gemischte Angststörungen
  • F41.8 Sonstige Angststörungen
  • F41.9 Nicht näher bezeichnete Angststörung

Phobische (F40) und sonstige (F41) Angststörungen: Verlauf

  • Viele Betroffene mit Angststörungen versuchen lange Zeit selbst, mit ihren Symptomen zurechtzukommen oder vermeiden
  • Mittleren Dauer von 5-15 Jahren zwischen dem Erstauftreten der Symptome und einer Diagnose (Chronifizierung)
  • Spontanremissionen von Angststörungen kommen vergleichsweise selten vor(1/5)
  • Bei der Panikstörung variiert das Erstauftretensalter beträchtlich (zwischen der späten Adoleszenz und Mitte 30)
  • Generalisierte Angststörung hat nach Patientenangaben ihren Beginn bereits in der Kindheit oder in der Adoleszenz (Erstauftreten nach 20. Lebensjahr nicht ungewöhnlich)

Unterschiede ICD-10/DSM-IV bei Phobischen (F40) und sonstigen Angststörungen (F41) (4)

  • ICD-10 Agoraphobie ins Zentrum (für Kombination) DSM-IV geht primär von der Panikstörung aus
  • Soziale und spezifische Phobie entsprechen sich in beiden Systemen
  • ICD-10 grenzt Phobien stärker ab. Hat eine eigene Kategorie (F40.x). Die restlichen Störungen mit klassischen Angstsymptomen sind unter "Andere Angststörungen" (F41) zu finden
  • DSM-IV fasst die Angststörungen wesentlich breiter: Darunter fallen bspw. auch Zwangsstörungen und PTSD

F40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung: Allgemeines zum Störungsbild (4)

  • Definition: Angst vor Situationen oder Orten, wo eine sofortige Flucht an einen sicheren Platz oder nach Hause schwierig oder peinlich wäre und keine Hilfe erreichbar wäre, wenn Angstsymptome auftreten
  • Präsenz einer vertrauten Person wird oft angestrebt, denn sie lindert oder verhindert meist die Symptome
  • Störung hat eine besonders einschränkende Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Betroffenen (können sie kaum noch das Haus verlassen)
  • Ohne Behandlung hat Agoraphobie eine starke Tendenz, chronisch zu werden.

F40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung: häufige Befürchtungen von Betroffenen (7 Bsp.)

  • eine Ohnmacht oder einen Schlaganfall zu erleiden
  • die Kontrolle über sich zu verlieren oder verrückt zu werden
  • sterben zu müssen
  • Durchfall zu bekommen
  • erbrechen zu müssen
  • unkontrolliert urinieren zu müssen
  • durch ihre Ängste oder ihre Symptome für Aufsehen zu sorgen

ICD-10 Kriterien für eine F40.00 Agoraphobie ohne Panikstörung (4 + 4)

A. Deutliche und anhaltende Furcht vor oder Vermeidung von mindestens zwei der folgenden Situationen:

  1. Menschenmengen
  2. öffentliche Plätze
  3. allein reisen
  4. Reisen mit weiter Entfernung von Zuhause

B. Wenigstens einmal nach Auftreten der Störung müssen in den gefürchteten Situationen mindestens zwei klassischen Angst- und Paniksymptome (eins der Symptome muss vegetativer Art sein) gemeinsam vorhanden gewesen sein (siehe unten).

C. Deutliche emotionale Belastung durch das Vermeidungsverhalten oder die Angstsymptome; die Betroffenen haben die Einsicht, dass diese übertrieben oder unvernünftig sind.

D. Die Symptome beschränken sich ausschliesslich oder vornehmlich auf die gefürchteten Situationen oder Gedanken an sie.

F40.1 Soziale Phobie: Allgemeines zum Störungsbild

(3)

Die Betroffenen erleben sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und der Bewertung durch andere ausgesetzt. Sie befürchten Peinlichkeiten, negativ aufzufallen, sich zu blamieren oder nichts zu sagen zu haben und deshalb von anderen, die dies bemerken, als unsicher, dumm, uninteressant, minderwertig usw. beurteilt zu werden.

Befürchtete Situationen werden  von Nichtbetroffenen gewöhnlich als völlig neutral oder sogar angenehm erlebt. z.B. Essen in Restaurants, Party- und berufliche Gespräche, Aufsuchen von öffentlichen Toiletten, Konversation mit Verabredungen usw.

Situationen werden unterschiedlich stark vermieden oder nur mit starker Belastung oder Angst ertragen. Die Einsicht, dass dies übertrieben oder unvernünftig ist, lindert die Angst nicht.

F40.1 Soziale Phobie: Typische gefürchtete Situationen bei sozialer Phobie (8 Bsp)

  • Vorträge, Reden
  • Vor anderen Schreiben
  • Dates
  • Gesellschaftliche Anlässe
  • Restaurants
  • Kurse
  • Geschäftsmeetings
  • Öffentliche Toiletten

F40.1 Soziale Phobie: ICD-10 Kriterien (4 + 2 + 4)

A. Entweder 1. oder 2.:
1. deutliche Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten
2. deutliche Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten.
→ Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnung von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z. B. bei Parties, Konferenzen oder in Klassenräumen.

B. Mindestens zwei klassische Angst- und Paniksymptome (siehe unten) in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit Auftreten der Störung, sowie zusätzlich mindestens eins der folgenden Symptome:

  1. Erröten oder Zittern
  2. Angst zu erbrechen
  3. Miktions- [Harndrang]oder Defäkationsdrang [Stuhldrang] bzw. Angst davor.

C. Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig sind.

D. Die Symptome beschränken sich ausschließlich oder vornehmlich auf die gefürchteten Situationen oder auf Gedanken an diese.

F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien: Allgemeines zum Störungsbild (4 + 4 + 1 Hauptklassen)

Spezifische Phobien sind situativ bedingt. Sie sind Ausdruck einer deutlichen Überschätzung von Gefahren und Bedrohungen, die man ganz bestimmten, eng umschriebenen Objekten oder Situationen zuschreibt

Spezifische Phobien entstehen gewöhnlich im Kindesalter oder im frühen Erwachsenenalter

Das Erleben bei einer realen oder unmittelbar erwarteten Konfrontation hat für Betroffene oft grosse Ähnlichkeit mit einer Panikattacke

Prinzipiell können Menschen vor fast allem Angst entwickeln. Einige Arten von Objekten oder Situationen scheinen aber besonders geeignet, um Angst auszulösen, denn sie verursachen schon bei den meisten Nichtbetroffenen Unbehagen:

  • Tier-Typ: Hunde, Spinnen, Insekten usw.
  • SItuativer Typ: Flugzeuge, Tunnel, Fahrstuhl, Examen, Höhen, Enge Räume usw.
  • Blut-, Spritzen-, Verletzungstyp
  • Naturgewalten-Typ: Sturm, Wasser, Gewitter usw.
  • Andere Typen = Restklase: Vogelfedern, Fahrräder, usw.

F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien: Besonderheit (3)

Nach einer Erregungsphase des sympathischen Nervensystems reagieren diese Betroffenen oft mit Bradykardie, Blutdruckabfall und im Extremfall mit Ohnmacht. Man spricht von biphasischer Reaktion.

Darüber hinaus empfinden Blutphobiker evtl. eher Ekel und Übelkeit als Angst

F41.0 Panikstörung: Allgemeines zum Störungsbild

  • Die ICD-10 nennt das Erleben bei einer Panikstörung auch episodisch paroxysmale Angst.
  • Wiederholt auftretende Panikattacken sind das Kernmerkmal einer Panikstörung → mehr als eine Attacke, denn eine Panikattacke an sich ist keine codierbare Störung
  • In Beobachtungszeitraum von mind. 1 Monat mehrere Anfälle mit schweren vegetativen Symptomen aufgetreten
  • Das Besondere der meisten Attacken bei einer Panikstörung ist ihre Unvorhersehbarkeit → oft nicht durch spezielle Umstände ausgelöst
  • Sind nicht durch Vermeideverhalten abzuwenden

Panikattacken (6)

  1. ICD-10 und vom DSM-IV nennen vegetative, thorakale und abdominelle, psychische und allgemeine körperliche Symptome als mögliche Erscheinungen
  2. Betroffene, die eine Panikattacke erleben, spüren meist kurz vorher, wenn sich eine solche ankündigt. Berichtet wird von Schwäche, Unsicherheit, manchmal von einem drastischen Absinken des Selbstwertgefühls (Patientenaussagen) oder von einer Vorahnung, dass gleich etwas Schlimmes mit dem eigenen Körper geschehen wird, meist begleitet von kardialen Symptomen und Atemnot
  3. Die Attacke steigert sich innert etwa 10min zu ihrer vollen Ausprägung.
  4. Die Dauer kann stark variieren, von einigen Minuten bis zu 1-2 Stunden. Im Mittel 1/2 h
  5. Panikattacken sind relativ verbreitet. Ca. 30% aller Erwachsenen haben schon eine erlebt
  6. Unbehandelt können sie die Betroffenen stark einschränken
  7. Eine Panikstörung wird nur diagnostiziert, wenn keine spezifische Phobie im Sinne von F40 vorliegt.

Drei Arten von Panikattacken (3)

  • Typisch für Panikstörungen sind unerwartete (spontane) Attacken, die von den Betroffenen nicht mit einem spezifischen Auslöser verbunden werden. Sie werden als "aus heiterem Himmel kommend" erlebt.
  • Situationsbedingte Attacken: werden nur in besonderen Situationen, z.B. in stark besuchten Einkaufszentren, in heissen, stickigen Räumen oder auf Brücken ausgelöst. Meist  Minderzahl
  • Situationsbegünstigte Attacken: Ihre Wahrscheinlichkeit steigt bei Konfrontation mit einem situativen Auslöser, sie hängen aber nicht immer damit zusammen.

F41.0 Panikstörung: Was ist typisch für die Anfallsfreie Zeit?

  • Betroffenen erleben häufig starke Erwartungsangst, jederzeit wieder einen Anfall zu erleiden (Angst vor der Angst, Furcht vor Angstanfällen)
  • Viele entwickeln deshalb agoraphobisches Meideverhalten
  • Betroffene sorgen sich über mögliche physische und psychische Folgen eines Anfalls. Teilweise entwickeln sie wegen der Unerklärlichkeit der Attacken ausgeprägte hypochondrische Befürchtungen.

F41.0 Panikstörung: ICD-10 Kriterien

A. Wiederholte Panikattacken, die nicht auf eine spezifische Situation oder ein spezifisches Objekt bezogen sind und oft spontan auftreten (d.h. die Attacken sind nicht vorhersagbar). Die Panikattacken sind nicht verbunden mit besonderer Anstrengung, gefährlichen oder lebensbedrohlichen Situationen.

B. Eine Panikattacke hat alle folgenden Charakteristika:

  1. Sie ist eine einzelne Episode von intensiver Angst oder Unbehagen.
  2. Sie beginnt abrupt.
  3. Sie erreicht innerhalb weniger Minuten ein Maximum und dauert mindestens einige Minuten.
  4. Mindestens vier klassische Angst- und Paniksymptome (siehe unten) müssen vorliegen, davon eines von den vegetativen Symptomen.

F41.1 Generalisierte Angststörung: Allgemeines zum Störungsbild

  • Charakteristisch ist: habitueller und anhaltendes Erleben von Angst und Sorgen
  • Für Betroffene scheinen die Welt und das Leben durchgängig bedrohlich und voller Risiken zu sein → Es werden Unfälle, Krankheiten und Schicksalsschläge für sich selbst oder das soziale Umfeld befürchtet, auch wenn keinerlei Anzeichen für entsprechende Bedrohungen vorliegen
  • Die Sorgen und Ängste sind ungewöhnlich in der Häufigkeit, Dauer, Intensität und Unkontrollierbarkeit. Der inhaltliche Fokus kann dauernd wechseln.
  • Bei der GAS stehen eher Sorgen als Furcht im Zentrum (worrying)
  • Typisch: Unfähigkeit, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Die dauernde psychische Anspannung ist meist mit vegetativer Übererregung verbunden → GAS-Patienten leiden an psychischen und körperlichen Symptomen
  • Die GAS weist Überschneidungen mit den Symptomen von affektiven, somatoformen und Persönlichkeitsstörungen auf (unscharfe Definition)

F41.1 Generalisierte Angststörung: ICD-10 Kriterien

A. Ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten mit vorherrschender Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen in Bezug auf alltägliche Ereignisse und Probleme.

B. Insgesamt mindestens vier klassische Angst- und Paniksymptome, eins davon vegetativer Art (siehe unten), und weitere Symptome aus zwei Bereichen: Anspannung und anderen, unspezifischen Symptomen

F42 Zwangsstörungen: Allgemeines zur Kategorie (inkl. Leitsymptome) (4)

  • Bei Zwangsstörungen geht es um in der gleichen Weise wiederkehrende und sich stark aufdrängende Denkinhalte oder Handlungen, die extrem belastend sein können. Die Betroffenen erleben sie als sehr störend bis quälend und als persönlichkeitsfremd (ich-dyston).
  • Die Zwänge werden zwar als eigene Gedanken oder Handlungen anerkannt, die Betroffenen halten sie aber in der Regel zumindest teilweise für unangemessen, sinnlos und/oder übertrieben (muss jedoch nicht)
  • Versuche, die Zwangsgedanken zu unterdrücken, gelingen nicht dauerhaft. Beim Unterlassen von Zwangshandlungen stellen sich starke Angst oder Anspannung ein.
  • Leitsymptome von Zwangsstörungen: Zwangsgedanken, Zwangsimpulse und / oder Zwangshandlungen

F42 Zwangsstörungen: Was versteht man unter dem "Manifestationskontinuum"? (3)

Manche Inhalte von Zwangsgedanken sind mit bestimmten Tätigkeiten (auch mentalen) verknüpft.

Verspürt ein Betroffener den fast unwiderstehlichen Drang zu dieser Handlung, so spricht man von einem Zwangsimpuls.

Gibt er diesem nach, kommt es zur manifesten Zwangshandlung.

F42: Was vesteht man unter Zwangsgedanken? (3)

  • Zwangsgedanken sind sich aufdrängende Ideen, Vorstellungen, Erinnerungen, Fragen oder Grübeln
  • Können verschiedenste Inhalte betreffen
  • Müssen inhaltlich nicht vollkommen unsinnig sein - aber die Penetranz und ihr wiederkehrender Charakter wird als unsinnig erlebt

F42: Welches sind typische Inhaltsbereiche von Zwangsgedanken? (7)

  • Kontamination: Gedanken an Schmutz, Verseuchung, Infektionen, oft verbunden mit Abscheu, Ekel, Angst vor möglichen Kontaktsituationen
  • Pathologischer Zweifel: Extreme Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit eigener Handlungen (z.B. Herd abgestellt?), oft verbunden mit Angst vor schlimmen Folgen
  • Sexualität: Sich aufdrängende Gedanken an mögliche eigene Homosexualität oder als persönlichkeitsfremd erlebte sexuelle Handlungen
  • Symmetrie/Ordnung: Starkes Bedürfnis nach geometrischer Ordnung / Anordnung oder nach einem eigenen gedanklichen Prinzip
  • Religion: Quälende Gedanken an Versündigung, die mentale Rituale nach sich ziehen, oder Gegensatz von Gott und Teufel, der sich in Gedanken und Ritualen niederschlägt, Blasphemie
  • Aggression: Furcht davor, sich selbst oder anderen Schaden oder Verletzungen zuzufügen, oder sich Aufdrängen von grausamen, gewalttätigen Bildern
  • Magische Gedanken: Vorstellung, mit eigenen Gedanken oder Handlungen das Schicksal zu beeinflussen oder mögliches Unheil zu verhindern (z.B. wenn man nur auf die farbigen Streifen eines Fussgängerstreifens tritt)

F42: Was versteht man unter Zwangsimpulsen? (2)

Zwangsimpulse sind Impulse, bestimmte Handlungen auszuführen, die zwar abgelehnt werden, sich aber vom Patienten nur schwer unterbinden lassen. Ein Zwangsimpuls kann als sich aufdrängender Antrieb zu einem bestimmten Tun verstanden werden.

Zwangsimpulse sind zwar innerpsychisch, beziehen sich aber auf ganz konkrete Handlungen oder mentale Rituale.

F42: Was versteht man unter Zwangshandlungen?

Zwangshandlungen haben meist das Ziel, Angst und Anspannung zu reduzieren oder aufzuheben

Einige Zwangshandlungen sind vergleichsweise einfach (nur auf Fussgänger treten), andere können extrem komplex werden (Ausführen langer Rituale)

Manche entsprechen inhaltlich den Gedanken (z.B. Waschen bei sich verschmutzt fühlen), andere dienen zwar der Bekämpfung der Zwangsgedanken, haben aber inhaltlich nichts mit dem Gedanken, den sie neutralisieren sollen (bsp. Rückwärtszählen aufgrund eines Sündigen Gedankens)

F42: Welches sind häufige / typische Zwangshandlungen? (6)

  • Kontrollieren: Handlungen, um mehrfach die Richtigkeit von Wahrnehmungen oder eigenen Taten zu überprüfen
  • Waschen / Putzen: Ritualisierte, oft sehr komplexe Handlungsabläufe, um sich vor möglicher Kontamination zu schützen oder zu befreien
  • Zählen: Zählvorgänge, die isoliert oder als Teil komplexer Zwangsrituale auftreten
  • Wiederholen: Wiederholungen von Handlungen, bis sich das richtige (gute) Gefühl in diesem Moment einstellt, manchmal auch zwanghaftes Wiederholen von Äusserungen
  • Anordnen: Anordnen von Gegenständen nach geometrischen oder inhaltlichen Kriterien
  • Fragen / Belästigen: Nachfragen, sich Dinge bestätigen, versichern lassen

F42 Zwangsstörungen: ICD-10 Kriterien (3 + 4)

A. Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen (oder beides) an den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen.

B. Die Zwangsgedanken (Ideen und Vorstellungen) zeigen sämtliche folgenden Merkmale:

  1. Sie werden als eigene Gedanken/Handlungen von den Betroffenen angesehen und nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben.
  2. Sie wiederholen sich dauernd und werden als unangenehm empfun-den, und mindestens ein Zwangsgedanke oder eine Zwangshandlung werden als übertrieben oder unsinnig erkannt.
  3. Die Betroffenen versuchen, Widerstand zu leisten (bei lange bestehenden Zwangsgedanken und –handlungen kann er allerdings sehr gering sein). Gegen mindestens einen Zwangsgedanken oder eine Zwangshandlung wird gegenwärtig erfolglos Widerstand geleistet.
  4. Die Ausführung eines Zwangsgedankens oder einer Zwangshandlung ist für sich genommen nicht angenehm (dies sollte von einer vorübergehenden Erleichterung von Anspannung und Angst unterschieden werden)

C. Die Betroffenen leiden unter den Zwangsgedanken und Zwangshand-lungen oder werden in ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit behindert, meist durch den besonderen Zeitaufwand.

F42: Zwangsstörungen: Verlauf

  • Beginnt meist schleichend
  • Bei Männer beginnt die Störung im Durchschnitt früher (Kindes- oder Jugendalter) als bei Frauen (drittes Lebensjahrzehnt)
  • Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen zeigt dann einen kontinuierlichen Verlauf, teilweise mit Schwankungen aufgrund äusserer Belastungen; 10-15% zeigt einen progredienten Verlauf; sehr selten ist ein episodischer Verlauf (2-5%).
  •  

F42: Zwangsstörungen: Unterschiede ICD-10/DSM-IV (3)

DSM-IV behandelt Zwangsstörung als Angststörung; ICD-10 hat dafür eine separate Kategorie

ICD-10 hat spezifische Codes für Zwangsgedanken, -handlungen oder die Mischform; DSM-IV bietet für diese Phänomene keine gesonderten Codes → definiert dafür klarer, was im Einzelnen unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen zu verstehen ist.

DSM-IV mache eine Differenzierung "mit wenig Einsicht", wenn die betroffene Person nicht erkennt, dass die Zwangsgedanken und –handlungen übertrieben oder unbegründet sind.

F42.2 Zwangsgedanken und –handlungen, gemischt: Allgemeines zum Störungsbild

Damit "Zwangsgedanken und –handlungen, gemischt" diagnostiziert wird, sollen Symptome beider Bereiche gemeinsam und gleichwertig vorliegen

F43 Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörungen: Allgemeines zur Kategorie (4)

Den Störungen in dieser Kategorie ist gemeinsam, dass belastende Situationen oder Ereignisse die klar definierten Auslöser sind → sind immer direkte Folge einer akuten schweren Belastung oder eines kontinuierlichen Traumas

Kein eindeutiges / einheitliches Erscheinungsbild

In Fällen einer besonders schweren Belastung kann es zu akuten Belastungsreaktionen oder zu einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen.

Gewisse Betroffene reagieren auf eine objektiv gesehen weniger schwere Belastung, weil sie ihre persönlichen Bewältigungs- oder Lösungsmöglichkeiten subjektiv erschöpft sehen. Es entwickelt sich eine Anpassungsstörung (an die neuen, subjektiv belastenden Gegebenheiten)

Unterscheidungsfaktoren für Störungen in F43 Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörung

  • Auslöser (3)
  • Latenzzeit (3)
  • Dauer / Verlauf (3)

Auslöser:

  • Akute Belastungsreaktion (ABR): aussergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung
  • PTSD: kurz oder lang anhaltendes Ereignis oder Geschehen von aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmass
  • Anpassungsstörung: identifizierbare psychosoziale Belastung von nicht aussergewöhnlichem oder katastrophalem Ausmass

Latenzzeit zw. Belastung und Symptombeginn:

  • ABS: Beginn wenige Minuten nach dem Ereignis
  • PTSD: in der Regel verzögerter Beginn, bis zu 6 Monate
  • AS: innerhalb eines Monats nach der Belastung

Dauer / Verlauf

  • ABS: Symptome klingen definitionsgemäss innerhalb weniger Stunden oder Tage wieder ab
  • PTSD: bei ca. 20-40% der Patienten mit Vollbild Chronifizierung über Monate bis Jahrzehnte (dann als F62.0 klassifiziert)
  • AS: meist schneller Rückgang der Symptome, jedoch auch mögliche Chronifizierung über Monate bis Jahre

F43 Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörungen: Verlauf einer Akuten Belastungsreaktion (2)

Unmittelbaren Beginn der Symptome noch während oder gleich nach dem belastenden Ereignis

ICD-10 spricht von akuter Belastungsreaktion und begrenzt die Dauer (auch bei anhaltender Belastung) auf maximal 48 Stunden. Danach müssen die Symptome wieder abklingen.DSM-IV geht von einer Mindestdauer von 2 Tagen und einer Höchstdauer von 4 Wochen aus und spricht von akuter Belastungsstörung.

F43 Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörungen: Verlauf einer PTSD (2)

Verzögerter Beginn nach dem belastenden Ereignis (manchmal ausgelöst durch neue belastende Ereignisse oder Erinnerungen).

Häufig entsteht die PTBS aus einer akuten Belastungsreaktion heraus

Verlauf ist nicht einheitlich: Je nach lebenssituativen Bedingungen und Belastungen können sich die Symptome über die Zeit hinweg verändern (Zu- und Abnahme).

Bei 1/2 der Betroffenen remittiert die Störung vollständig innert 3 Monaten nach Beginn, bei vielen anderen dauern die Symptome länger als 1 Jahr → Chronifizierung: ICD-10 schreibt einen Übergang zur Diagnose einer Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) vor.

DSM-IV unterscheidet eine akute Form (< 3 Monate), eine chronische Form (> 3 Monate) und eine Form mit verzögertem Beginn (Beginn mind. 6 Monate nach Belastung)

F43 Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörungen: Verlauf einer Anpassungsstörung

Verzögerten Beginn nach der Belastung: ICD-10 = 1 Monat, DSM-IV = 3 Monaten

Symptome klingen innert 6 Monaten nach Wegfall der Belastung von selbst wieder ab; es gibt aber auch mehrmonatige bis jahrelange Verläufe.

F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Symptome und Symptomcluster

Symptome (5)

Symptomcluster (3)

dissoziative Symptome:

  • Amnesie
  • Derealisation
  • Depersonalisation
  • Einengung der Wahrnehmung
  • sich selbst als gefühllos oder abwesend erleben

Symptomcluster:

  • Intrusionen: ungewollte, wiederkehrende intensive Erinnerungen, Träume, Bilder, Gefühle, Gedanken an das traumatische Erlebnis
  • Vermeidung oder Abstumpfung: Meiden von traumabezogenen Reizen, Gesprächen, Orten, Situationen, Menschen, usw.; Anhedonie; Numbing; emotionaler Rückzug, niedrigere Erwartungen und Hoffnungen im Leben
  • Hyperarousal: Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit usw.

F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD): ICD-10 Kriterien (5 + 4 + 2 + 5)

A. Die Betroffenen waren einem kurz oder lang anhaltenden Ereignis oder Geschehen von aussergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmass ausgesetzt, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde.

B. Anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch

  • aufdringliche Nachhallerinnerungen (Flashbacks),
  • lebendige Erinnerungen,
  • sich wiederholende Träume oder
  • innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen.

C. Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden. Dieses Verhalten bestand nicht vor dem belastenden Erlebnis.

D. Entweder 1. oder 2.:

  1. Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.
  2. Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung (nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei der folgenden Merkmale:
    1. Ein- und Durchschlafstörungen
    2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche
    3. Konzentrationsschwierigkeiten
    4. Hypervigilanz
    5. erhöhte Schreckhaftigkeit

E. Die Kriterien B., C. und D. treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis oder nach Ende einer Belastungsperiode auf.

F43.22 Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt: Allgemeines zu Anpassungsstörungen (3)

Eine Anpassungsstörung ist ein gestörter Anpassungsprozess nach einschneidenden Lebensveränderungen oder nach belastenden Lebensereignissen. Die Belastungen sind von einer Art, die von den meisten Menschen zwar negativ erlebt werden, für die man aber Bewältigungsstrategien hat (nicht Trauma). Fehlen solche Mittel, kann es zu Zuständen von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung kommen, die soziale Funktionen und Leistungen behindern → Symptome und Verhaltensweisen führen zu deutlichem Leiden, welches über das hinausgeht, was man bei Konfrontation mit diesem Belastungsfaktor erwarten würde.

Bsp.: Verlassen des Elternhauses, Elternschaft, Scheidung, Beziehungsprobleme, ernste Kränkungserlebnisse, Tod von Angehörigen, Arbeitsbelastungen und -anforderungen, Nichterreichen beruflicher Ziele, Pensionierung, eine schwere körperliche Krankheit, Migration, Flucht usw.

Schwergewicht der Symptome (kodiert an 5. Stelle): Depressive Reaktionen, Angst / Besorgnis oder Sozialverhalten (v.a. bei Jungendlichen) können im Mittelpunkt stehen

F43.22 Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt: (3 + 3+)

A. Identifizierbare psychosoziale Belastung, von einem nicht aussergewöhnlichen oder katastrophalen Ausmass; Beginn der Symptome innerhalb eines Monats.

B. Symptome und Verhaltensstörungen, wie sie

  • bei affektiven Störungen (F3) (ausser Wahngedanken und Halluzinationen)
  • bei Störungen des Kapitels F4 (neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen) und
  • bei den Störungen des Sozialverhaltens (F91) vorkommen.

Die Kriterien einer einzelnen Störung werden aber nicht erfüllt. Die Symptome können in Art und Schwere variieren.
Spezifizierung für Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt: Sowohl Angst als auch depressive Symptome sind vorhanden, jedoch nicht in grösserem Ausmass als bei Angst und depressiver Störung gemischt (F41.2) oder anderen gemischten Angststörungen (F41.3).

C. Die Symptome dauern nicht länger als sechs Monate nach Ende der Belas-tung oder ihrer Folgen an, ausser bei der längeren depressiven Reaktion (F43.21). Bis zu einer Dauer von sechs Monaten kann die Diagnose einer Anpassungsstörung gestellt werden.

F43.0 Akute Belastungsreaktion: Allgemeines zum Störungsbild

  • Unterschiede DSM vs. ICD (2)
  • Verlauf
  • Symptome

Unterschiede ICD-10 vs. DSM-IV:

  • In der ICD-10 muss die Belastung nicht zwingend so traumatisch sein, dass sie bei fast allen Personen tiefe Verzweiflung auslösen würde; Die Störung ist zeitlich wesentlich enger begrenzt als im DSM-IV und es fehlen wegen des kürzeren Zeithorizontes einige typische PTBS-Kriterien (z.B. Nachhallerinnerungen, Vermeidung von Hinweisreizen).
  • Im DSM-IV wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die akute Belastungsreaktion die Vorstufe einer posttraumatischen Belastungsstörung darstellen kann

Verlauf: Typischerweise beginnt PTSD mit einer Art 'Betäubung', einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit. Dann folgen entweder ein weiterer Rückzug aus der aktuellen Situation bis hin zu dissoziativem Stupor oder aber Unruhe und Überaktivität wie Flucht oder Fugue.

Weitere Symptome sind Zeichen panischer Angst, Depression, Ärger oder Verzweiflung, also sowohl typische Angst- wie auch einige affektive Symptome.