Grundbegriffe und Modelle


Kartei Details

Karten 24
Sprache Deutsch
Kategorie Mathematik
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 22.07.2015 / 22.07.2015
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Dyskalkulie

Dyskalkulie: dys (gr.) – abweichend von der Norm, übel, schlecht; calculare (lat.) – mit Rechensteinen rechnen, berechnen (Cohn 1961)
Leistungsbeeinträchtigung im Rechnen (Born & Oehler, 2013, S. 4)
 

Dyskalkulie wird in der „Internationalen Klassifikation psychischer Störungen“ (ICD-10) auf folgende Weise beschrieben:
 

 Definition der WHO (ICD-10, 1992, S. 277)
„Diese Störung beinhaltet eine umschriebene Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist.
 

Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie und Differential sowie Integralrechnung benötigt werden.“
 

 

Diskrepanzdefinition (der Dyskalkulie)
 

  •  Das zentrale Kriterium für die Diagnose ist die Diskrepanz zwischen den Leistungen im Intelligenztest und den Leistungen im Rechentest (Diskrepanzkriterium).
  • Die Diskrepanzdefinition (s. Definition der WHO) gilt in der neueren sonderpädagogischen Forschung als überholt (Gaidoschik, 2003), da alle Kinder in gleichem Maße zu fördern sind.

 Rechenschwäche
 

  •  „angeborene oder erworbene Schwäche im Rechnen, die ihrem Ausmaß nach die Grenze des Normalen überschreitet“ (Weinschenk 1970)
  •  Unter Rechenschwäche versteht man nach Wehrmann eine Entwicklungsverzögerung bzw. –störung im Bereich des Erlernens, Verstehens und Anwendens mathematischer Grundlagenkenntnisse. Diese zeichnet sich durch eine unterdurchschnittliche Leistung im Lernstoff des arithmetischen Grundlagenbereiches aus. Darunter fallen das Mächtigkeitsverständnis, der kardinale Zahlbegriff, die Grundrechenarten und das Dezimalsystem (Wehrmann 2007, S. 333).
     

 Rechenschwäche ist demnach auf der Ebene des kindlichen Denkens ...
 

  • ein klar beschreibbarer Zusammenhang von Fehlvorstellungen, fehlerhaften Denkweisen, nicht
    zielführenden Lösungsmustern zu den einfachsten mathematischen Grundlagen.
  •  Dies gründet sich häufig auf Ausfälle oder Rückstände in Bereichen, die als Voraussetzung
    am Erlernen der vielschichtigen Kulturleistung „Rechnen“ beteiligt sind.
     

 Rechenstörung
 

  •  „Eine Rechenstörung ist eine extreme, besonders schwerwiegende und dauerhafte Rechenschwäche“, die durch Diagnoseverfahren festgestellt werden kann. Ungefähr vier bis sechs Prozent aller Kinder sind hiervon betroffen, was im Durchschnitt einem Kind pro Grundschulklasse entspricht.“ (Schipper, 2009, S. 332)
  • Um Erfolge zu erzielen, ist eine intensive Förderung notwendig, in deren Rahmen die ersten beiden Schuljahre zielgerichtet aufgearbeitet werden. (ebenda)
     

Kaufmann/Wessolowski (2006): Rechenstörungen
 

„Wir bevorzugen den Begriff der ‚Rechenstörung‘ gegenüber dem weitaus geläufigeren Begriff der Rechenschwäche, da Schwäche einseitig mit Eigenschaften und Verhaltensweisen des Kindes als Verursachungsfaktoren in Verbindung gebracht wird und eher an einen dauerhaften
Zustand denken lässt.
 

Rechenstörungen nach von Aster
 

  •  Störungen zentralnervöser Reifungsvorgänge, die auf verschiedene Weise die Entwicklungsprozesse der kognitiven Informationsverarbeitung behindern
  •  Häufigkeit zwischen 2 und 6 % (deutschsprachiger Raum:4,4 bis 6,7%)
  • ca. ein Drittel zeigt Aufmerksamkeits- undHyperaktivitätsstörungen
  • ca. ein Drittel zeigt Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung
     

Arithmastenie (Ranschburg 1916)
 

Arithmos (gr.) – die Zahl; astenema (gr.) – Schwäche, Kraftlosigkeit, Krankheit

Schöninger (1989)
Arithmastenie ist das Fehlen eines Verständnisses für die Mathematik, ihren Aufbau und ihre Operationen.
 

Rechenschwierigkeiten
 

Der Begriff „Rechenschwierigkeiten“ macht zu wenig deutlich, dass es hier um außerordentliche Schwierigkeiten beim Erlernen des Rechnens geht, die ein Kind nicht mehr ohne besondere Unterstützung überwinden kann.
(Kaufmann/Wessolowski 2006; Schipper 2001; 2009)
 

Verwendung in der Mathematikdidaktik

Aus mathematikdidaktischer Sicht werden zur Beschreibung von Leistungsbeeinträchtigungen im Rechnen bevorzugt die Begriffe Rechenschwäche und Rechenstörung verwendet.

Von Dyskalkulie spricht man in diesem Forschungsbereich nur, wenn zusätzlich zu einer Rechenstörung eine seelische Behinderung von einem autorisierten Arzt festgestellt wurde
(Schipper 2009, S. 333).
 

Schulische Ursachen

  • hierarchischer Aufbau des Mathematik-Curriculums (Schulz 2007, S. 362)
  • fachliche und didaktische Kompetenz der Lehrperson (vgl. ebda)
  • Zeit, in der im Unterricht mit Material gearbeitet wird, für manches Kind zu kurz (Kaufmann/Wessolowski 2006, S. 11)
  • Papier- und Buchunterricht ohne Ableitung der Operationen aus dem Handeln (Schulz 2007, S. 362)
  • individuelle Lernvoraussetzungen und Lernprozesse der einzelnen Kinder zu wenig berücksichtigt
    (Schipper 2009, S. 334)
  • fehlende Ressourcen für individuelle Diagnostik und individuelle Förderung von Kindern mit
    Lernrückständen (vgl. ebda)

     

Kompetenzmodell nach Fritz/Ricken/Gerlach

Stufe 1 Reihenbildung und Mengenvergleich

Reihenbildung und Mengenvergleich
• Säuglinge unterscheiden Mengen mit 2 und 3 Objekten; mit ca. einem halben Jahr können Mengenveränderungen (im Zahlenraum 1 bis 3) wahrgenommen werden.
• Kinder lernen Zahlworte, zunächst aber ohne Mengenverständnis.
• Mit der Zeit entsteht ein Verständnis dafür, dass die Zahlworte in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet sind (Seriation).
• Das Zählen wird sicherer, flüssiger und vollständiger, wird aber noch nicht eingesetzt, um Objekte zu zählen. Der Vergleich von Mengen erfolgt über eine 1-zu-1-Zuordnung.
ca. 30 % der Fünfjärigen

Kompetenzmodell nach Fritz/Ricken/Gerlach
Stufe 2 Ordinaler Zahlenstrahl und zählendes Rechnen

Ordinaler Zahlenstrahl und zählendes Rechnen
• Die Sequenzwörter (sequence-words) werden zu Zählwörtern (counting-words). Das Zählen kann genutzt werden, um Objekte zu zählen.
• Die Kinder begreifen, dass die Zahlwortreihe eine feste Abfolge hat, auf jede Zahl eine bestimmte Nachfolgerzahl folgt und diese Zahl größer ist. Die Zahlwortreihe weist die ‚steigende Menge‘ aus. Die Kinder entwickeln einen inneren Zahlenstrahl.
• Die Kinder vergleichen Zahlen aufgrund ihrer Position in der Zahlwortreihe.
• Das wachsende Verständnis von Vermehren und Vermindern wird mit der Zahlenstrahlvorstellung verknüpft. Dies versetzt sie in die Lage einfache sachbezogene Rechnungen auszuführen. Die Bewältigung der Aufgaben erfolgt zählend - orientiert am inneren Zahlenstrahl.
• Die Aufgaben werden in der Regel zählend gelöst, ohne dass die Kinder schon über eine kardinale Mengenvorstellung verfügen.

ca. 40% der Fünfjährigen (n. O. Thiel)
 

 

Kompetenzmodell nach Fritz/Ricken/Gerlach
Stufe 3 Kardinale Mengenvorstellung

Kardinale Mengenvorstellung

• Erwerben des kardinalen Mengenverständnisses
• Sie erkennen, dass eine Menge nicht nur mit dem letzten Zahlwort beim Zählen benannt werden kann, sondern genauso eine Menge ebenso vieler Elemente ist.
• Es wird verstanden, dass größere Zahlen immer kleinere beinhalten, sodass Zahlen nicht mehr auf der Grundlage ihrer Stelle in der Zahlwortreihe verglichen werden, sondern aufgrund der Mächtigkeit der
beinhaltenden Elemente.
• Aus einer Gesamtmenge heraus kann eine Teilmenge bestimmt werden.
• Vorgänger und Nachfolger von Zahlen können genannt werden, ohne sie zählend ermitteln zu müssen.
• Es muss beim Rechnen nicht mehr alles ausgezählt werden, es kann von der ersten Zahl weitergezählt werden.

ca. 20% der Fünfjährigen
(n. O. Thiel)

 

 

Kompetenzmodell nach Fritz/Ricken/Gerlach
Stufe 4 Teil-Ganzes-Zerlegbarkeit

Teil-Ganzes-Zerlegbarkeit
• Integration der Zahlenstrahlvorstellung und Mengenbedeutung von Zahlen wird weiter vertieft.
• Teil-Ganzes-Konzept wird erworben: Zahlen können in Teilmengen zerlegt und aus Teilmengen zusammengesetzt werden.
• Der ordinale und kardinale Zahlbegriff wird um den relationalen Zahlbegriff erweitert. Die sich allmählich entwickelnden relationalen Kenntnisse gestatten es, dass die Kinder eine Differenz zwischen zwei Mengen bestimmen können.
weniger als 10% der Fünfjährigen (n. O. Thiel)
 

 

Kompetenzmodell nach Fritz/Ricken/Gerlach
Stufe 5 (in der Schule) Teilmengenverständnis und erste Beziehungen

Teilmengenverständnis und erste Beziehungen
• Wissen über Beziehungen zwischen Mengen entwickelt sich: Zahlen können in unterschiedliche Teilmengen zerlegt werden, ohne, dass man ihre Mächtigkeit verändert (8=3+5 oder 8=4+4).
• Kommutativgesetz (3+9 kann umgedreht werden zu 9+3) und effektive Zerlegungsstrategien können genutzt werden (5+8=5+5+3).
 

Triple Code Modell nach Dehaene

Befunde zur Organisationvon numerischen Prozessen

 • Die vielfältigen numerischen Informationen, die wir zum Umgang mit Zahlen und zum Rechnen benötigen, sind in drei Modulen enthalten.
• Die neuropsychologische Forschung vermutet abweichende zerebrale Strukturen oder Funktionen.
• Je nachdem, in welchem Modul „Störungen“ bestehen, sind Auswirkungen auf die Rechenleistung zu beobachten.
 

Triple Code Modell nach Dehaene

Modul 1 analoge Größenrepräsentation (Semantic Analogue Module)

analoge Größenrepräsentation (Semantic Analogue Module)
• Fähigkeit, Anzahlen zu vergleichen und abzuschätzen Verständnis wird über Vorstellungsbilder von Zahlenräumen bzw. Zahlenlinien konstruiert.
• beinhaltet das „nichtsprachgebundene Format der Mengenvorstellung“

• Das Abschätzen und Vergleichen von Mengen geschieht durch Vorstellungsbilder. Auch das „subitizing“ gehört in diese Repräsentationsform, bzw. Fähigkeiten, die schon Säuglingen zugesprochen werden.

Triple Code Modell nach Dehaene

Modul 2 auditiv verbaler Wortrahmen (Verbal Module)

auditiv verbaler Wortrahmen (Verbal Module)
• enthält Fähigkeiten wie das Zählen
• und das Aufsuchen arithmetischer Fakten (Einmaleins)
• Fähigkeiten, die auf sprachlichen Informationsprozessen beruhen

• sprachliche Repräsentationsform nötig
•  Diese Informationseinheiten sind im Langzeitgedächtnis gespeichert und können deshalb jederzeit abgerufen und verbal ausgedrückt werden (Schneider et al., 2013).

Triple Code Modell nach Dehaene

Modul 3 visuell-arabische Zahlform (Arabic-Visual Module)

visuell-arabische Zahlform (Arabic-Visual Module)
• Numerische Operationen innerhalb unseres Stellenwertsystems

• Diese Operationen werden visuell repräsentiert und im Kopf räumlich organisiert.
• Die visuell-arabische Repräsentationsform bezieht sich auf die Verarbeitung von Zahlen durch eine Symbolsprache mit Hilfe der arabischen Ziffernschreibweise. Dazu gehört auch die Besonderheit der
Stellenwerte, die beim Operieren mit mehrstelligen Zahlen von besonderer Bedeutung ist.
 

Triple Code Modell nach Dehaene

Skizze +

Die Defizite können schwerpunktmäßig ein Modul umfassen, zwei Module, aber auch aus allen drei Modulen
resultieren.
 

Triple Code Modell nach Dehaene

Entwicklungsverlauf

Die Ausbildung der drei Funktionseinheiten erfolgt, der Theorie zufolge, durch Lernerfahrungen im Vor- und
Grundschulbereich
basierend auf genetischen und biologischen Anlagen des Individuums.
 

Kognitionspsychologische Erklärungsansätze

 Kapazität des Arbeitsspeichers
 

 • Die Kapazität des Arbeitsspeichers ist gering.
• Befinden sich zu viele Informationen darin, besteht immer die Gefahr, dass ein Teil der Informationen aus dem Gedächtnis geworfen wird.
• Sie können dann auch nicht für kurze Zeit präsent gehalten, wiederholt werden.
• Der Automatisierungsprozess bleibt fragmentarisch.

 • Die Arbeitsspeicherkapazität des Kurzzeitspeichers von Kindern umfasst nur ungefähr 5 Informationseinheiten.
• Diese Anzahl wird bei zählenden Rechnern meistens überschritten.
• Es kommt dadurch nicht zur neuronalen Verknüpfung von Aufgabenstellung (9-6) und Ergebnis (3) und damit nicht zur Automatisierung.
• Ziel bei „schwierigen Aufgaben“ muss es sein, im Gehirn unserer Kinder die direkte Verdrahtung zwischen
Aufgabe und Ergebnis herzustellen, ohne die Kapazität des Arbeitsspeichers zu überschreiten.