FU Hagen SS 2015


Kartei Details

Karten 72
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 18.07.2015 / 22.08.2017
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Urteilsperspektive und Problemperspektive

Bestimmte Probleme passen besonders gut zu bestimmten Niveaus der sozialen Perspektive:
-  Privater Konflikt zwischen zwei Personen    Niveau 2
-  Konflikt zwischen mehr als zwei Personen    Niveau 3
-  Über privaten Bereich hinausgehender Konflikt  Niveau 4

 Was passiert, wenn Urteilsperspektive und Problemperspektive nicht zusammenpassen?

Spielt v.a. bei Unterscheidung zw. „männlicher“ und „weiblicher“ Moral wichtige Rolle

Weite und tiefe Perspektive

„Jellyby-Trugschluss“: (Mrs. Jellyby: Romanfigur aus „Bleak House von Charles Dickens; ihre moralischen Prioritäten sind auf merkwürdige Art durcheinander geraten) Mrs. Jellyby widmet ihre gesamte Kraft den  Armen in fremden Ländern, vernachlässigt hierbei aber ihre eigene Familie extrem: „Als ob sie nichts Näheres als Afrika wahrnehmen könnte.“
 
Die Entwicklung der sozialen Perspektive erfolgt nicht nur in die „Weite“, sondern auch in die „Tiefe“.
Das Verstehen des anderen wird nicht zugunsten eines abstrakten Gesellschaftsverständnisses auf-
gegeben, sondern durch ein solches allenfalls relativiert.
Der qualitative Unterschied zwischen den verschiedenen Niveaus der sozialen Perspektivübernahme
liegt nicht darin, dass eine „engere“ jeweils durch eine „weitere“ Perspektive ersetzt wird. Auch hier
folgt Entwicklung durch die Akkommodation bestehender Perspektiven, die nicht einfach ersetzt,
sondern erweitert und neu koordiniert werden. Im Sinne Piagets handelt es sich um Prozesse der
Dezentrierung, Differenzierung und Reintegration.

Hierarchisch integrierte Entwicklungsstufen

Inhalte sind notwendig, um Strukturen beispielhaft zu verdeutlichen. Sie sind aber nicht mit den Strukturen identisch, sondern nur deren mögliche Resultate. Das Niveau 4 der sozialen Perspektivübernahme ermöglicht es, die gesellschaftliche Dimension individueller Problemsituationen zu erkennen, es bedeutet aber nicht, dass die individuelle Situation nicht mehr erkannt werden kann. Dies ist einer der Gründe, warum die Stufen der moralischen Entwicklung als „hierarchisch integriert“ bezeichnet werden.  

Die Niveaus der sozialen Perspektivübernahme

Die Niveaus der sozialen Perspektivübernahme stellen wie die Stufen der moralischen Urteilsentwicklung nicht nur eine hierarchische Entwicklungssequenz dar, sondern charakterisieren auch unterschiedliche Denk- und Handlungsorientierungen im Erwachsenenalter.
Die Entwicklung verläuft sequentiell von Stufe zu Stufe bis zum jeweiligen individuellen „Endpunkt“.
Auf dem Weg hierhin kann keine Stufe ausgelassen oder übersprungen werden.
 
ACHTUNG: Hiernach entsteht der Eindruck einer „Entwicklungstreppe“

Stufen im Sinne von Piaget führen uns aber nicht zu einem Ziel, sondern sie sind selbst das Ziel.

Entwicklungstreppe: Treppenbauers und Treppenbenutzers

Wir sollten die Entwicklung daher eher aus der Sicht eines Treppenbauers betrachten, der eine Steintreppe mauert, indem er Stufe auf Stufe setzt: Als Treppenbauer befinden wir uns immer auf der höchsten Stufe, selbst dann, wenn wir unsere Arbeit eingestellt haben.

In der Rolle des Treppenbenutzers ist unsere Bewegungsfreiheit ungleich größer als in der des Erbauers: Wir können die Stufen hinauf und hinunter steigen und somit unser Gesichtsfeld erweitern oder verengen.

Kompetenz und Performanz

Die metaphorische Unterscheidung von Treppenbauer und Treppenbenutzer entspricht weitgehend der Unterscheidung von Kompetenz und Performanz:

Ich kann nur die Stufen benutzen, die ich vorher gebaut habe.
Die Existenz einer Stufe ist keine hinreichende Bedingung dafür, dass sie in einer bestimmten Situati-
on auch benutzt wird. Die Benutzung einer Stufe ist also ein sicheres Indiz für deren Vorhandensein.

Asymmetrische Voraussetzungsrelationen

Kompetenzniveau ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für Performanzniveau.
Entwicklungstheoretiker verknüpfen nicht nur Entwicklung und aktuelles Denken asymmetrisch untereinander, sondern auch unterschiedliche Entwicklungsdimensionen: Kognitive Reife ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung der Reife des moralischen Urteils (Kohlberg, 1974)

13. Zusammenhang zwischen „logischem Denken“, „sozialer Perspektive“ und „moralischem Urteil“
(„asymmetrische Voraussetzungsrelation“)

"Logisches Denken", "Soziale Perspektive" und "Moralisches Urteil" sind durch eine asymmetrische Voraussetzungsrelation miteinander verbunden.

Die Entwicklung des logischen Denkens (Piaget) ist eine notwendige, aber nicht
hinreichende Bedingung für die Entwicklung der sozialen Perspektive (Selman), die
ihrerseits wiederum eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des
moralischen Urteils (Kohlberg) darstellt.

Kette: logisches Denken  ►soziale Perspektive ► moralisches Urteilen

Nach Kohlberg verlaufen unterschiedliche Entwicklungsdimensionen „parallel“ ab und repräsentieren verschiedene Kontexte und Perspektiven für die Definition der strukturellen Veränderung.

Ohne Rückgriff auf die Entwicklungsstufen des logischen Denkens (Piaget) lassen sich die strukturelle Verbindung der Stufen untereinander nicht erklären.

Auflösungsgrad der Betrachtung

Strittig: Anzahl der Stufen
Mit zunehmend genauerer Analyse einzelner Stufen steigt die Tendenz, diese wiederum in Substufen
zu untergliedern (vgl. Kohlbergsche Theorie)

Es gibt keine „wahre“ Anzahl von Stufen:
-  Erweiterung der Stufen
o  Stufen sind qualitativ unterscheidbare Meilensteine der Entwicklungsdimension  
o  Je stärker die „Vergrößerung“ ist, unter der man einen Entwicklungsverlauf betrachtet, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, qualitativ unterscheidbare Punkte innerhalb des Verlaufs entdecken zu können.

-  Reduzierung der Stufen (Vorschlag)
o  Betrifft die postkonventionellen Stufen (Stufe 6 ist z.B. empirisch schwer feststellbar)
o  Diagnostische Verfahren stoßen an ihre Grenzen (z.B. setzt das Interviewverfahren
von Kohlberg für eine sichere Einstufung entsprechende Kompetenzen auch bei den
Auswertern der Antworten voraus)

Kohlbergs Vernachlässigung der Performanz

Die Theorie von Kohlberg bezieht sich hauptsächlich auf die Entwicklung der moralischen Urteilskompetenz, weitaus weniger auf die konkreten Bedingungen der Auflösung der Kompetenz. Diese Vernachlässigung der Performanz zeigt sich auch daran, dass in der Theorie nicht systematisch zwischen „altersangemessenen“ und „altersunangemessenen“ Stufen unterschieden wird. ABER: Es macht einen Unterschied, ob man – aus welchen Gründen auch immer – auf einem niedrigen Niveau argumentiert, obwohl die eigene Kompetenz weit höhere Stufen erfasst, oder ob einem als Erwachsenem bspw. nur ein Denken auf der ersten Stufe möglich ist.
 

14.  Kompetenz und Performanz in Bezug auf das moralische Urteilen

Unter Kompetenz versteht man in der Entwicklungspsychologie das höchstmögliche Entwicklungsniveau, das einem Individuum zur Verfügung steht, und mit Performanz das tatsächliche, in einer konkreten Situation, erreichte Niveau.

Kompetenz ist die Voraussetzung für Performanz. Jedoch ist Performanz nicht nur von der Kompetenz abhängig. Im Studienbrief wird Kompetenz mit Treppenbau und Performanz mit Treppenbenutzung verglichen: man kann nur Stufen benutzen, die vorher gebaut wurden. Die Benutzung einer Stufe ist also ein sicheres Indiz für deren Vorhandensein. Die Existenz einer Stufe ist jedoch keine hinreichende Bedingung dafür, dass sie in einer bestimmten Situation auch benutzt wird (asymmetrische Voraussetzungsrelation, siehe auch Frage 13).

Fixiertheit und Weiterentwicklung

Neue Informationen können ein einmal erreichtes Gleichgewicht zwischen Individuum und Umwelt gefährden, gleichzeitig aber auch zu einer Akkommodation im Sinne der Erreichung eines neuen Gleichgewichts auf einer höheren Stufe führen.
Wer in Bezug auf komplexe moralische Probleme genau weiß, was richtig oder falsch ist, scheint gegenüber neuen Informationen weniger aufgeschlossen zu sein, als derjenige, der sich seines Urteils nicht so sicher ist (Fixiertheit des Denkens).

15.  Was ist eine „invariante Entwicklungssequenz“? Kann man in der moralischen Urteilsentwicklung eine
Stufe überspringen? Kann man auf frühere Stufen zurückfallen?

Eine invariante Entwicklungssequenz liegt vor, wenn alle Stufen eines Entwicklungsprozesses in einer bestimmten Weise durchlaufen werden müssen, bis das Individuum auf der ihm am höchsten möglichen Stufe angelangt. Es können also keine Stufen übersprungen werden, jedoch kann die Sichtweise vorhergehender Stufen angenommen werden - eine absichtliche Reaktivierung ist dabei manchmal schwer von einer echten Regression zu unterscheiden.

Moralisches Denken und moralisches Handeln

Hilfeleistung hängt von folgenden Vorbedingungen ab

Darley und Latané

(1)  Situation muss bemerkt werden
(2)  Einschätzung als tatsächliche Notlage
(3)  Persönliche Verantwortung muss übernommen werden

Abschieben der Verantwortung (Diffusion of responsibility)

Bei einer Gruppe, die einen Notfall sieht, fühlt sich jeder Einzelne weniger verantwortlich, weil jeder
andere gleichermaßen für Hilfe verantwortlich ist.

Situationsgebundenheit des moralischen Denkens

Die Situationsgebundenheit des moralischen Denkens nimmt von Stufe zu Stufe ab (Perspektive der höchsten Moralstufe; Kohlberg):
Der strukturelle Unterschied zwischen den Stufen korrespondiert mit der Erkenntnis, dass handlungsrelevante Merkmale eines moralischen Problems auf der nächsthöheren Stufe als situative Variationen eines moralischen Grundproblems gedeutet werden können.

16.  Zusammenhänge zwischen moralischem Urteil und moralischem Handeln

Nach Kohlberg und Candee (1984) bestimmt nicht nur das moralische Urteilsniveau alleine das moralische Handeln: sie gehen davon aus, dass eine für richtig gehaltene Entscheidung nur dann in die Tat umgesetzt wird, wenn man sich in einer Situation subjektiv verantwortlich fühlt und bestimmte "nicht-moralische" Fähigkeiten der "Ich-Kontrolle" (z. B. Intelligenz, Aufmerksamkeit) die Ausführung der Handlung unterstützen.

17.  Vier-Komponenten-Modell der Entstehung moralischen Verhaltens (Rest, 1986)

Bild

Zusammenhang zwischen Urteil und Handeln

Komponenten (1-4) =  Haupteinheiten der Analyse

Je nach Anlage der Untersuchung kann zu erwartender Zusammenhang unterschiedlich sein
► abhängig von der Struktur der jeweiligen moralischen Problemsituation:
(1)  Problemsituation symmetrisch   ►kein monotoner Zusammenhang
(2)  Problemsituation asymmetrisch   ►Zunahme moralischer Entscheidungen mit der Stu-
fenhöhe
Auf postkonventioneller Ebene darf also nur noch eine Handlungsalternative möglich sein, damit diese als die „moralische“ Alternative bezeichnet werden kann.

FAZIT:  
Zur empirischen Prüfung des Zusammenhangs zwischen Urteilen und Handeln sind also nur asymmetrische Problemsituationen geeignet.
(Symmetrie und Asymmetrie sind auch eine Frage der subjektiven Situationsinterpretation!)

Systematischer Zusammenhang zwischen Urteil und Handeln evident – bei Kohlberg

Der Vorwurf opportunistischen Verhaltens lässt einen solange kalt, wie er nicht von jemandem
kommt, der einem wichtig ist

Selbsttäuschung und Manipulation

Wenn unser moralisches Handeln direkt unter der Aufsicht unserer moralischen Gefühle stände, könnten wir die Kritik unseres Gewissens zwar verdrängen, ihr aber nicht von vornherein entgehen. Wir könnten zwar moralischen Irrtümern erliegen, uns aber schwerlich bewusst selbst täuschen.

Nach dem Modell von Rest (s.o.) setzt die Identifizierung des moralischen „Ideals“ in einer konkreten
Handlungssituation voraus, dass man die Situation zunächst dahingehend analysiert, wie die eigenen
Handlungen das Wohlergehen der anderen beeinflussen. (Qualität der Analyse stark abhängig von situativer
Perspektive)

Moralische Selbsttäuschung ist demnach eine Frage der „kognitiven Anstrengung“, ob man eine Situation überhaupt als moralisch relevant erkennt:

Potentiell heikle Situationen lassen sich schon im Vorfeld moralisch dadurch entschärfen, dass man die Analyse unter einer verkürzten Perspektive vornimmt
► wir sehen damit bewusst weg und beschränken damit unsere Wahrnehmung.


Moralische Selbsttäuschung wird noch durch mehrdeutige Beziehung zwischen Urteilsstufe und
Handlungsentscheidung unterstützt.


FAZIT:  Intensität des Denkens muss sich nicht immer direkt auf Handlungsentscheidung auswirken.
ABER: indem wir dieses Risiko der „kognitiven Sparsamkeit“ 5  eingehen, entziehen wir unser Handeln
fahrlässig unserer eigenen moralischen Kontrolle.

18.  Selbstaufmerksamkeit und moralisches Verhalten

Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit:
Diese geht davon aus, dass im Zustand der „Selbstaufmerksamkeit“ eine größere Übereinstimmung zwischen Selbstdarstellung und tatsächlichem Verhalten besteht als im Zustand der „Selbstunaufmerksamkeit“. Selbstaufmerksamkeit wird hierbei verstanden als ein Zustand, in dem die Aufmerksamkeit weniger auf ex-
terne Ereignisse, sondern überwiegend auf das eigene Selbst gerichtet ist. Sie bewirkt, dass Diskrepanzen zwischen dem tatsächlichen Verhalten und Intentionen, Aspirationen bzw. internen Verhaltensstandards stärker bewusst werden.
Diese Diskrepanzen werden meistens negativ erlebt, da – wie Frey et al. schreiben – „Standards bzw.
Aspirationen im Allgemeinen ‚höher‘ sind als das tatsächliche Verhalten“.

Unter der Bedingung von Selbstaufmerksamkeit wird Selbsttäuschung erschwert, d.h., der erfolgreiche Selbsttäuscher muss seine Aufmerksamkeit vorrangig auf externe Ereignisse konzentrieren und damit von seinem Selbst ablenken.

die ideale Aufmerksamkeit

Die höchste uns zur Verfügung stehende moralische Stufe beschreibt die ideale Aufmerksamkeit, die
wir unserem moralischen Selbst zukommen lassen können. Ist unsere Selbstaufmerksamkeit von
unserem moralischen Selbst abgelenkt, ist eine unserer moralischen Kompetenz entsprechende Performanz eher unwahrscheinlich.
►Die oberflächliche Deckungsgleichheit (bestimmte Probleme passen zu bestimmten Niveaus der sozialen
Perspektive) aktiviert eine soziale Perspektive unterhalb unseres Kompetenzniveaus. Anstatt die Komplexität der Konsequenzen unseres eigenen Verhaltens zu reflektieren, verwickeln wir uns z.B. in einen „Ersatzstreit“ mit unserem Partner.
►Die integrative Struktur der kognitiven Stufen lässt aber die Vermutung zu, dass wir eine Tendenz zum  vorzeitigen Abbruch der Situationsanalysen haben
o  immer dann, wenn wir befürchten müssen, dass wir uns mit weiterem Nachdenken in ein kognitives Ungleichgewicht manövrieren, gewinnen Gleichgewicht bewahrende Alternativen an Attraktivität.
o  Bestreben, selbstbedrohende Informationen/Ereignisse so zu interpretierten, dass sie für das Selbst weniger bedrohend wirken und der Tendenz, den Selbstzentrierung erzeugenden Stimuli zu entgehen. („Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit“; Frey, Wicklung & Scheier, 1980)

Techniken zur Vermeidung aversiver Konsequenzen von Selbstaufmerksamkeit

(1)  Nicht denken, sondern handeln!
(2)  Nicht denken, sondern reden!

Diese Techniken retten uns kurzfristig aus unangenehmen Situationen, belasten dafür aber unser Selbst dauerhaft. Je häufiger wir unter unserem „Niveau“ handeln, desto unangenehmer wird die „Spiegel-Bedingung“.  Die Konsequenz ist letztlich eine dauerhafte Selbstunaufmerksamkeit, die eine Weiterentwicklung
verhindert und unsere Kompetenz dauerhaft auf einer einmal erreichten Stufe „fixiert“.

19.  Gibt es eine weibliche Moral? (Stufenfolge von Gilligan) / Fürsorge- vs. Gerechtigkeitsmoral

Ausgangspunkt für Gilligans war ihr Eindruck, dass Frauen durch Kohlbergs Interviewverfahren häufiger der Stufe 3, Männer häufiger der Stufe 4 zugeordnet wurden.

In Anlehnung an die Beschreibung der Stufen 3 und 4 entwickelte Gilligan die Vorstellung einer weiblichen Fürsorgemoral im Gegensatz zur männlichen Gerechtigkeitsmoral. Die Kohlbergschen Stufen 3 und 4 werden aus ihrer hierarchischen Beziehung herausgelöst und nebeneinander gestellt. 

ntwicklungssequenzen weiblicher Fürsorgemoral nach Gilligan sind:

  • Präkonventionelles Stadium: Orientierung auf das individuelle Überleben
  • 1. Übergangsphase: Vom Egoismus zur Verantwortlichkeit
  • Konventionelles Stadium: Gutsein als Verzicht
  • 2. Übergangsphase: Vom Gutsein zur Wahrheit
  • Postkonventionelles Stadium: Die Moral der Gewaltlosigkeit

Entwicklungssequenz weiblicher Fürsorgemoral nach Gilligan (1983):

Präkonventionelles Stadium: Orientierung auf das individuelle Überleben

Die individuelle Selbsterhaltung, die der Sicherung des Überlebens dient, ist charakteristisch für die egozentri-
sche Perspektive dieses Stadiums. Das Selbst ist das einzige Objekt der Fürsorge, deren Radius nur durch mangelnde Kraft eingegrenzt wird. 

Entwicklungssequenz weiblicher Fürsorgemoral nach Gilligan (1983):

1.Übergangsphase: Vom Egoismus zur Verantwortung

Die Selbstbezogenheit wird erkannt und führt zu einem Konflikt zwischen Egoismus und Verantwortlichkeit.
Zugehörigkeit und Verbindung zu anderen treten in den Vordergrund. Das stärkere Selbstwertgefühl setzt ein
Selbstkonzept voraus, das die Möglichkeit einschließt, „das Richtige zu tun“, die Fähigkeit, in sich selbst die
Möglichkeit zu sehen, sozial akzeptiert zu werden. Konventionelles Stadium: Gutsein als Verzicht

Entwicklungssequenz weiblicher Fürsorgemoral nach Gilligan (1983):

Konventionelles Stadium: Gutsein als Verzicht

In diesem Stadium wird ein altruistischer Standpunkt eingenommen. In Übereinstimmung mit der gesellschaft-
lichen Konvention von Weiblichkeit wir die Verantwortung für andere zu dem zentralen Bestandteil des Selbst-
bildes. Daraus resultiert eine mütterliche Moral, die die Fürsorge für Schwächere beinhaltet, aber nicht die
Berücksichtigung der eigenen Interessen und Bedürfnisse. Selbstbehauptung gilt in diesem Stadium als unmo-
ralisch, da das „Gute“ mit der Fürsorge für andere gleichgesetzt wird. 

Entwicklungssequenz weiblicher Fürsorgemoral nach Gilligan (1983):

2.Übergangsphase: Vom Gutsein zur Wahrheit

Die Fremdbestimmtheit der konventionellen Sichtweise wird deutlich. Ein Konflikt zwischen Egoismus und
Altruismus wird nun nicht mehr nach Kriterien des kbeurteilt. Durch die Trennung der Stimme des Selbst von der Stimme der anderen fragt die Frau, ob es möglich ist, gleichzeitig für sich und für andere verantwortlich zu sein und so den Widerspruch zwischen Verletzen und Sich-Kümmern aufzulösen. Die Moralität einer Handlung wird nicht danach eingestuft, was andere dazu sagen werden, sondern danach, wie realitätsgerecht sie Absicht und Folgen verknüpft. onventionell Guten, sondern nach solchen der „Wahrheit“

Entwicklungssequenz weiblicher Fürsorgemoral nach Gilligan (1983):

Postkonventionelles Stadium: Die Moral der Gewaltlosigkeit

Die gesellschaftlichen Normen und Werte werden aus dieser Perspektive transzendiert. Eine Synthese von
Egoismus und Altruismus wird durch die Einsicht möglich, dass das Selbst und die anderen wechselseitig voneinander abhängig sind. Anteilnahme wird zum selbst gewählten Prinzip, das die Fürsorge für die eigene Person mit einschließt. Die Orientierung an selbst gewählten moralischen Prinzipien setzt selbstverantwortlichkeit voraus. Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit auch gegenüber den eigenen Bedürfnissen.

Unterschiede von Fürsorgemoral und Gerechtigkeitsmoral

Weibliche und männliche Moral sind strukturell gleichwertig.  
Gerechtigkeits- und Fürsorgemoral ergänzen sich gegenseitig (Kohlberg, 1983, 1987).

Geschlechtsdifferenzen schwer nachweisbar

Empirisch scheint eine Geschlechtsspezifität der Moral nur schwer nachweisbar zu sein. Frauen und Männer unterscheiden sich zwar nicht zwingend in ihrem moralischen Denken, in Bezug auf konkrete, rollenbezogene Entscheidungen sind jedoch große Meinungsdiskrepanzen zwischen den Geschlechtern feststellbar.

Bedeutsamer als das biologische Geschlecht schein daher die Wechselwirkung zwischen moralischer
Kompetenz und situativer Betroffenheit zu sein.