Klinische Kinder- und Jugendpsychologie

Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten - Borderline Persönlichkeitsstörung

Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten - Borderline Persönlichkeitsstörung

Elena Pauli

Elena Pauli

Kartei Details

Karten 26
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 30.11.2016 / 06.11.2018
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1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Suizidalität

  • Suizid: Selbstintendierte Handlung mit tödlichem Ausgang
  • Parasuizid: Ersetzt Begriff des Suizidversuchs 
  • Parasuizidale Gedanken und Affekte: Direkte oder indirekte Beschäftigung mit Suizidideen ohne Verknüpfung mit Handlungen 

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Das präsuizidale Syndrom

bei Erwachsenen:

  1. Einengung (situativ, dynamisch und wertmässig)
  2. Autoaggression
  3. Suizidphantasien (Vorstellung tot zu sein, Tod selbst herbeiführbar, Suizidmethode

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Warnsignale

  • Subjektiver Eindruck nicht ausreichend geliebt zu sein
  • Gefühle der Einsamkeit, Isolation, Verzweiflung
  • Gefühle der Auswegs- bzw. Sinnlosigkeit
  • Ängste
  • Grübelzwänge
  • Lustlosigkeit, Teilnahmslosigkeit
  • Sehnsucht „weg zu sein“, „auszuschlafen“
  • Leistungsabfall in der Schule
  • Weglauftendenzen resp. –versuche
  • Phantasien um das „Danach“

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

NNSV

  • Definition, Nitkowski & Petermann (2009): selbstverletzendes Verhalten, welches funktionell motiviert ist und zur direkten und offenen Verletzung des Körpers führt, nicht sozial akzeptiert ist und ohne Suizidabsicht durchgeführt wird.
  • „Deliberate self harm“, DSH, Magde et al. (2008): Selbstschädigende Verhaltensweisen wie z.B. Tabletten schlucken, von grossen Höhen springen etc.

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Formen von Selbstverletung (Erwachsene)

  • Schneiden (Rasierklingen, Glasscherben, Messer)
  • Verbrennen (Zigaretten, Bügeleisen, Herdplatten, verbrühen)
  • Beissen
  • Schlagen
  • Knochenbrechen
  • Haare ausreissen
  • Extremes Nägelkauen

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Klassifikation selbstverletzendes Verhalten

gut behandelbar KVT (konditionieren, neue Verhaltensweisen als Spannungsregulation) --> Impulskontrolle bei Kindern schwierig, andere Entspannungstechniken suchen, Stimuli ändern

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Selbstverletzung bei Kindern

  • Nägelkauen
  • Kratzen
  • Lippenbeissen
  • Kopfstossen
  • Haare ausreissen

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Selbstverletzung bei Jugendlichen

  • Ritzen der Haut mit scharfen Gegenständen besonders häufig
  • Häufig komorbide mit depressiven Störungen --> auch Borderline
  • “Infektiöse” Ausbreitung von selbstverletzendem Verhalten (insbesondere auf jugendpsychiatrischen Stationen)

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Diagnostische Kriterien DSM-5: NNSV

A. an 5 oder mehr Tagen absichtlich selbst Schaden an der Körperoberfläche zugefügt (ohne suizidaler Absicht)

Beachte: Nichtvorhandensein Suizidalität von Person bestätigt oder daraus geschlossen, dass mehrfach selbstverletzendes Verhalten ohne tödliche Folgen

B. Selbstverletzendes Verhalten mit mind. 1 der folgenden Erwartungen:

1. Entlastung von negativen Gefühlen
2. zwischenmenschliche Probleme lösen
3. positiver Gefühlszustand herbeiführen

Beachte: Entlastung während oder kurz nach Selbstverletzung erlebt, kann zu Abhängikeit von wiederholtem Verletzen führen

C. mind. 1 der folgenden Merkmale

1. Zwischenmenschliche Probleme, negative Gedanken/Gefühle
2. vorher gedanklich Verhaftensein, schwer zu kontrollieren
3. häufig (nur) Gedanken an Selbstverletzung

D. Verhalten ≠ sozial sanktioniert

E. Leiden oder Beeinträchtigugn

F. nicht ausschliesslich während psychotischer Episode, Delirs, Substanzintoxikation oder Substanzentzug; nicht besser durch andere psychische Störung oder medizinischem Krankheitsfaktor erklärt

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Epidemiologie

  • Mittlere Lebenszeitprävalenz bei Schülern: ca. 18% (1-Jahresprävalenz in CH: ca. 7%, D: ca. 14%, Österreich: ca. 11%; USA: ähnlich in Schülerstichproben, jedoch bis zu 50 % bei jugendlichen Psychiatriepatienten)
  • Geschlechtsunterschiede bei den Methoden
    • Mädchen: Schneiden
    • Jungen: Brennen, sich schlagen
  • Korreliert mit späterer Suizidalität
  • Durchschnittliches Erstmanifestationsalter: 12-14J.
  • Mittlere Häufigkeit bei psychischen Störungen:
    • Substanzabusus-, abhängigkeit: 23.5%
    • Depressive Störungen: 44.2%
    • Essstörungen bis zu 5%
    • Externalisierende Störungen bis zu 26%
    • Persönlichkeitsstörungen bis zu 47%

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Motive für absichtliche Selbstverletzung

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Erklärungsansätze

  • Biologische Aspekte
    • Selbstverletzung geht mit Endorphinanstieg einher 
  • Lerntheoretische Aspekte
    • Erhöhte Zuwendung, Wunsch nach Nähe wird befriedigt --> Aufmerksamkeit
    • Negative Verstärkung: in konfliktreichen Familien kommt es zur Zurücknahme aversiver Interaktionen
  • Psychodynamische Aspekte
    • Grundkonflikt in Identitätsfindung (Grenzziehung Selbst - Umwelt)
    • Schutz vor Desintegration des Ichs

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Risikofaktoren (1)

eher unspezifisch

Gefühlsblindheit (Menschen die ihre Emotionen nicht erkennen und vermitteln können, auch Schwierigkeit beim Erkennen von Emotionen bei anderen)

1. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten

Risikofaktoren (2)

spezifischer

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Problembereich

  • Affektregulation (aversive Spannungszustände, emotionale Taubheit, hohes Erregungsniveau)
  • Selbstbild (Unsicherheit bzgl. der eigenen Identität)
  • Psychosoziale Integration (Gefühl „anders zu sein als alle anderen“)
  • Kognitive Funktionsfähigkeit (dissoziative Symptome: Veränderung Raum/Zeit, Depersonalisation- und Derealisation)
  • Verhaltensebene (Selbstverletzungen, Hochrisikoverhalten)

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Epidemiologie

  • Punktprävalenz: ca. 1.2%
  • Ca. 70 % der Betroffenen sind weiblich
  • Nur 50% der Betroffenen befinden sich in Behandlung
  • Bimodale Altersverteilung bei Erstmanifestation
    • Erste Gruppe mit 14 Jahren verhaltensauffällig --> früher Beginn
    • Zweite Gruppe im Mittel mit 24 Jahren erstmals in stationärer Behandlung --> später Beginn

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Diagnostische Kriterien: Allgemeine Persönlichkeitsstörung

siehe Psychopathologie

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Diagnostische Kriterien: Borderline-Persönlichkeitsstörung

siehe Psychopathologie

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Ambulantes Monitoring

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Verlauf

  • Suizidrate: 5-10 %
  • Hohe Remissionsraten (2 Studien mit Katamnesen bis zu 8 Jahren) 
    • Affektive Instabilität persistiert
    • Dysfunktionale Verhaltensmuster wie Selbstverletzungen und Suizidversuche nehmen deutlich ab
    • DSM-Kriterien erfüllen nach 2 Jahren 60%, 4 Jahren 50%, 6 Jahren 33%, 8 Jahren 20%

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Komorbide Störungen

  • 96 % Depressive Erkrankung
  • 88.5 % Angststörung
  • 64 % Substanzmissbrauch, -abhängigkeit
  • 53 % Essstörungen ➜ Alkohol-/Drogenmissbrauch wichtigster Prädiktor für Chronifizierung
  • 1 % Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis
  • Hohe Komorbidität (25-50 %) mit anderen Persönlichkeitsstörungen
  • Trinkstörungen (1/2 Liter/Tag) ➜ hohe Assoziation mit Dissoziation

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Erklärungsansätze und Risikofaktoren

direkte oder indirekte Versuche intensive Emotionen zu regulieren = Ergebnis schlecht regulierter und instabiler Emotionalität

Neurobehaviorale Entstehungsmodell: Ministressoren, reagieren und interpretieren Gesichtsausdrücke sehr schnell = Konflikt - Selbstschädigung (rabenschwarzes Selbstbild), rau mit Umwelt umgehen

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Evidenzbasierte Behandlugn für das Erwachsenenalter

  • Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT, Linehan, 1996a, 1996b)
    • Höchste Evidenzbasierung für ambulanten und stationären Bereich: 4 unabhängige Arbeitsgruppen, 7 RCTs
  • Mentalisation Based Therapy (MBT; Bateman & Fonagy, 1999)
    • Erste Hinweise auf Evidenzbasierung für teilstationären Bereich
  • Transference Focused Psychotherapy (TFP, Clarkin, Yeomans, & Kernberg, 1999)
  • Schematherapie (Young, Klosko & Weishar, 2005)
    • Für TFP und Schematherapie bislang keine hinreichende Evidenzbasierung

➜Insgesamt sprechen nur 50% der Patienten an

Keine Evidenz für Jugendliche <18J.

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Behandlungsansatz, Beispiel: Dialektisch Behaviorale Therapie für Jugendliche (DBT-A)

  • Marsha M. Linehan --> litt selbst unter Borderline, hat DBT entwickelt (DIE Behandlung für Borderline)
  • KVT-Komponenten: Problemlöseverhalten, Exposition, Fertigkeitstraining, Kontingenz-management, kognitive Umstrukturierung
  • DBT: Dialektik
    • Vereinigung von Gegensätzen in einem kontinuierlichen Prozess der Synthese
    • Die Notwendigkeit, die Patientinnen so zu akzeptieren, wie sie sind und gleichzeitig den Versuch zu unternehmen, ihnen beizubringen, sich zu verändern.

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Behandlungsinhalte

  • Stimmungsschwankungen
  • Selbstverletzungen
  • impulsive Verhaltensmuster
  • Schwierigkeiten, allein zu sein
  • Vielzahl familiärer Probleme, die Auftreten der Symptomatik begünstigen und aufrechterhalten
  • gegebenenfalls komorbide Symptomatik

2. Borderline Persönlichkeitsstörung

Evidenzbasierung DBT für Jugendliche

Dialektischbehaviorale Therapie für Jugendliche. Springer: Berlin. Heidelberg.

  • Kompromissbereitschaft
  • Korrigieren, entschuldigen, Konsequenzen tragen, dann sein lassen
  • Identität und Selbstachtung stärken
  • Selbständigkeit