Klinische I
13: Transkulturelle Aspekte psy. Störungen
13: Transkulturelle Aspekte psy. Störungen
Kartei Details
Karten | 18 |
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Sprache | Deutsch |
Kategorie | Psychologie |
Stufe | Grundschule |
Erstellt / Aktualisiert | 24.05.2013 / 11.03.2015 |
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Transkulturelle Psy
Zweig der Psychologie, der sich mit den kulturellen Aspekten der Ätiologie, der Häufigkeit und Art psychischer Erkrankungen sowie mit der Behandlung und Nachbehandlung der Krankheiten innerhalb einer gegebenen kulturellen Einheit befasst
--> der wissenschaftliche Beobachter bezieht über den Bereich einer kulturellen Einheit hinaus andere Kultur- und Lebensbereiche mit ein
- Junges Arbeitsfeld in Deutschland, mangelnde Datenlage in allen Bereichen
- Lange Konzept des temporären „Gastarbeiters“
- Healthy migrant Hypothese: Nur die fittesten gesündesten Menschen eines Landes schaffen die Emigration
- Häufig Vermischung von „Kultur“ und „Migrationserfahrung“
Kultur
..intersubjektive, vielschichtige Symbolsysteme, die die Wirklichkeit und Lebensprozesse von Gemeinschaften strukturieren.
- Wird im Sozialisationsprozess erlernt, später habituell angewendet, prägt so das öffentliche Leben
- Gesellschaftliche Funktionen von kultureller Zugehörigkeit:
- Orientierung im Alltag
- Identität stiften
- Sich von anderen Gruppen abgrenzen ->wirkt angstreduzierend
Heute wird Kultur zunehmend als Prozess verstanden, bei dem es nicht um Wiederholung von Traditionen geht, sondern mehr um:
- „Bedeutungsräume“ (z.B. Zeitungen, Fernsehprogramme oder Internetplattformen wie Facebook etc.), die Menschen gemeinsam haben,
- Orte an denen sie leben (z.B. Rheinland) oder
- Sprachen die sie gemeinsam sprechen und verstehen (z.B. arabisch-sprachige Welt)
- Häufige Begleiterscheinung der Abgrenzung:
Ethnozentrismus
„jene Weltanschauung, nach der die eigene Gruppe das Zentrum aller Dinge ist und alle anderen im Hinblick auf sie einstuft und bewertet“
- Abweichung von eigenen kulturellen Werten als negativ empfunden
- durch vorgeprägte Sichtweise eigene Kultur als überlegen angesehen
Ethnozentrismus
- Ethnozentrismus zu gewissem Grad normal -> hilft, ähnlich wie Stereotypisierung, Facetten unserer Umwelt zu begreifen und einzuordnen
- Extrem ausgeprägter Ethnozentrismus kann zu Fremdenhass führen
- Gegensatz zum Ethnozentrismus = Polyzentrismus (umschreibt offene Haltung gegenüber anderen Kulturen, Ansichten und Lebensweisen - Andere Kulturen als einzigartig und eigenständig erkannt und eigene kulturelle Werte mit kritischem Blick überdacht)
--> Überwindung von Ethnozentrismus = Kernaspekt transkultureller Kompetenz
Migrationsmotivation
• Flucht
• Arbeitssuche
• Heimatsuche
• Familienzusammenführung etc.
Bewältigungsprädiktoren
• Wer hat die Migration beschlossen/Wer profitiert, verliert?
• Migrationsgrund?
• Migrationsweg?
• Migrationskultur im Heimatland?
• Vorbereitung (u.a. Sprache)
• Aufnahme im Migrationsland?
• Trauermöglichkeiten/Anerkennung des Verlustes
• Umgang mit Zurückgebliebenen
• Rückkehrpläne (wer entscheidet)?
Transition
• Transitionsforschung: Verlassen eines etablierten und Eintritt in einen neuen, fremden Lebenszusammenhang
• in fremder Kultur: mit fremden Codes, Symbolen und neuen Bedeutungen konfrontiert $ muss entziffern
• Individuum ist sich multipler Realitäten bewusst, Übergang wird dennoch als Schock erlebt
• Zentrale Aufgabe des Individuums in Phase der Transition: Kompensation von Verlust und Wiedergewinnung von bereits erreichtem
Belastende Faktoren
• Heimweh/Einsamkeit
• Statusverlust/Rollenverlust
• Sprachliche Probleme
• Offener und latenter Rassismus
• Dissonanzen zwischen Normen und Werten der Herkunftsgesellschaft und der Aufnahmegesellschaft
• Aufenthaltsstatus
• Arbeitslosigkeit
• Ökonomische Unsicherheit
Migrationsprozess (Sluzki)
1. Vorbereitungsphase
Austausch von Briefen, Visabeantragung, (Zeitdimension), meist rascher Wechsel zwischen Euphorie und Anspannung – innerfamiliäre Rollenverteilung, Definition eines Migrationsgrundes (Annährung vs Vermeidung)
2. Migrationsakt
Rituale (Zeitdimension), Gestaltung der Beziehungen mit Zurückgebliebenen, Aufenthaltsdauer, Einzelperson vs. Familie
3. Phase der Überkompensation
Ausmaß der Belastung wird unterschätzt, Erfüllung der Primärbedürfnisse, Verleugnung von Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität
4. Phase der Dekompensation
Beratungsbedarf häufig in dieser Phase, Konfrontation mit neuer Realität vs Beibehaltung von Familienkontinuität – Balanceakt, intergenerationale Konflikte (schnellere Anpassung von Kindern), häufig strikte Rollenaufteilung (familiäre Brüche), Trauer um Verluste (Folgen: somatische Beschwerden, Deliquenz)
5. Phase der generationsübergreifenden Anpassungsprozesse
Akkulturationsstrategien
Assimilation:
ursprüngliche Kultur opfern, Anpassung an Kultur des Gastlandes
Integration:
Schlüsselelemente der eigenen Kultur beibehalten und gleichzeitig Bereiche der Kultur der einheimischen Mehrheit annehmen # Idee des Multikulturalismus
Separation:
eigene Kultur erhalten, Kontakt mit Vertretern der einheimischen Kultur ablehnen
Marginalisierung:
eigene und einheimische Kultur ablehnen
Bikulturelle Identitäts-Integration (BII)
Prävalenz psychischer Störungen unter Migranten in Deutschland
- bislang keine systematischen epidemiologischen Untersuchungen zu psychischen Störungen bei MigrantInnen in Deutschland
- von Bundesgesundheitssurvey ausgeschlossen
- Wissenschaftliche Fundierung bzw. Aussagekraft der Daten eingeschränkt, da:
->Keine Differenzierung nach Herkunftsländern, Migrantengeneration oder Migrationsursache
Psychische Störungen unter Migranten
- Wenige vorhandene repräsentative Studien finden keine Unterschiede in den Prävalenzraten
- Häufigere und längere Krankschreibungen aufgrund psychiatrischer Erkrankungen
- Niedrigere subjektive Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit
- Eher Unterrepräsentation auf psychiatrischen Stationen im Vergleich zum Bevölkerungsanteil je nach Einzugsgebiet
Versorgung und Diagnostik
Versorgung:
- Überversorgung an Arztbesuchen, Facharztkontakten, apparativer Diagnostik und medikamentöser Behandlung
- Unterversorgung an psychotherapeutischen Angeboten
Diagnostik:
- Kaum kulturübergreifend validierte diagnostische Instrumente, häufig Übersetzungen nicht vergleichbar
- Führt zu Über- und Unterschätzung von Prävalenzen
Sprachliche Äquivalenz:
- Genaue Übersetzung
Kulturelle Äquivalenz:
- bezieht sich auf Art und Weise, wie vers, kulturelle und sprachl. Gruppen die Bedeutung der Items eines FBs oder Tests interpretieren
- Mögliche systematische Fehler z.B. Methoden- oder Itembias
Diagnostik am Beispiel der Intelligenzdiagnostik
- Bis in die 50er Jahre Lehrmeinung, dass schlechtere IQ-Werte bei Schwarzen genetisch begründet sind
->Prinzip von Eichstichproben übergangen
- kulturfreie IQ-Tests (z.B. Raven) nicht möglich, weil auch Lernprozesse kulturgebunden
Problem: welche Eichstichprobe gilt für Migrantenkinder
-> Auch normierte Übersetzungen häufig nicht vergleichbar
- In türkischer Version des HAWIK in Normierung sozioökonomischer Status mit berücksichtigt, ergibt Testunterschiede um bis zu einer Standardabweichung
- Auch bei SPM Abhängigkeit des Testergebnisses von Bildungsgrad der Eltern nachgewiesen
FAZIT DIAGNOSTIK:
- Keine Diagnostik ausschließlich auf Fragebögen basierend
- Cultural formulation verwenden
- Checklisten mit Klienten diskutieren
- Testbefunde als Richtwerte
Interkulturelle Aspekte am Bsp. Depressionen
- Der kulturelle Hintergrund beeinflusst die Symptomschilderung der Beschwerden maßgeblich.
- Eine Untersuchung Deutscher und Indonesier ergab bei den deutschen Patienten signifikant häufiger die Symptome:
- Verminderte Leistungsfähigkeit
- Selbstbeschuldigung und Suizidgedanken
- Verarmungsideen
- 45-95% depressiver Patienten berichten im Erstkontakt ausschließlich somatische Symptome, bei gezielter Nachfrage bestätigen 89% auch psychische Symptome
- Introspektive Feststellung innerseelischer Veränderung Ausdruck der westlichen Kultur
- Anderer Umgang mit Störung (soz. Konsequenzen)
- Anderes Erleben der Störung
Depression ist ein kulturübergreifendes Erkrankungsbild, bei der jedoch kulturspezifische Unterschiede bezüglich der Symptompräsentation bestehen.
Idioms of distress
“Transformation von Symptomen und Motiven in öffentlich akzeptierte Sätze von Bedeutung und Symbolik als spezifische kulturelle Leistung“
- Belastungsformeln, d.h. lokaltypische Symptommuster
- Geht um Sprache & subjektives Erleben
- Wichtig bei Erstellen von Diagnosen zur Vermeidung von Fehldiagnosen
- Keine kulturspezifischen Störungen
Kulturspez. Störungen
- In Abgrenzung zu idioms of distress zu sehen
- Existenz kulturspezifischer Störung kontrovers diskutiert # Forschungsbedarf
- „kleine Unterschiede im Schweregrad zu bekannten Störungen“ vs. „qualitativ neue/ andere Störungen“
- In Glossar der WHO Versuch der Systematisierung (siehe Anhang ICD-10)
Sprach- und Kulturmittler in der Psychotherapie
- Dreiersetting: 3 Personen im Raum, die miteinander in 2 Sprachen kommunizieren
- Triade -> 3 Personen befinden sich miteinander in Beziehung -> unter ihnen entstehen Dynamiken
- Dolmetscher in Dreiecksanordnung bewusst als Teil der triadischen Beziehung aufgefasst
- Annahme: Anwesenheit von Dolmetschern beeinflusst therapeutischen Prozess
Individualistische Gesellschaftsform:
- Direktheit in der Kommunikation
- Schnell auf den Punkt kommen, konkret sein
- Männer – und Frauenrollen eher egalitär
- Individualistische Gesellschaft
- Regeln sind wichtig
- Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit
- Trennung von Beruf und Privatleben
- inhaltsorientiert
Kollektivistische Gesellschaftsform:
- Autorität je nach Geschlecht, Status, Familienstand
-Großfamilie, kollektivistische Orientierung
- Individuen definieren sich über ihre Gruppenzugehörigkeit
- Formalisierte Gesprächsstruktur, längere Einleitung
- Höflichkeit, Gastfreundschaft, Tabus
- Trennung von Männer – und Frauenwelten
- Beziehungsorientiert
Transkulturelle Kompetenz = Diversitätskompetenz
Diversity- Prozess und Fazit
1. Unterschiede erkennen
2. Gemeinsamkeiten wahrnehmen
3. Ziele, Fähigkeiten und Bedürfnisse klären
4. Strukturen hinterfragen und ggf. verändern
Läuft auf 3 Ebenen ab:
Individuell institutionell gesellschaftlich
FAZIT
- Es gibt kulturelle Unterschiede, dieso sollten berücksichtigt, jedoch nicht überhöht werden
- Eigene kulturelle Eingebundenheit reflektieren
- Ethnozentrismus überwinden
- Mehr fragen, mehr erklären
- Bedeutungssysteme erfragen, Ressourcen nutzen (Bsp. Familie)