Einführung


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Flashcards 76
Language Deutsch
Category Psychology
Level University
Created / Updated 16.10.2025 / 30.10.2025
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Wilhelm Wundt wollte universitäres Wissen in breite Bevölkerungsschichten tragen und war deshalb aktiv im…

Worin bestand Wundts politisches Engagement?

- Wundt war von 1863 – 1866 aktiv im Heidelberger Arbeiterbildungsverein und hielt Vorträge u.a. über die Erhaltung der Kraft nach Helmholtz sowie über die Evolutionstheorie von Charles Darwin
- die Arbeiterbildungsvereine wurden durch Ferdinand Lassalle (1825‐1864) und Karl Marx zu den Arbeitervereinen umgeformt und die bisher bürgerlichen Führer wurden herausgedrängt
- der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) wurde am 23. Mai 1863 in Leipzig u.a durch Ferdinand Lasalle gegründet
- ADAV ist ein Vorläufer der heutigen SPD

- Wundt wurde Vorsitzender des Bildungsvereins, dann Mitglied der Ständekammer und schließlich Mitglied der Fortschrittspartei
- während seiner Zeit im Arbeiterbildungsverein lernte Wundt auch August Bebel (1840 ‐ 1930) kennen
- als Mitglied der badischen Fortschrittspartei wurde Wundt 1866 mit großer Mehrheit in den badischen Landtag gewählt
- 1869 legt Wundt enttäuscht sein Mandat nieder

Was versteht man unter Wundts „Heidelberger Jugendsünde“?

= Wundts erstes Programm einer Psychologie
- Wundt stellt fest: wissenschaftliche Fortschritte sind eng an Fortschritte der Untersuchungsmethoden gebunden
- plädiert für die ausgedehnte Anwendung des Experiments in der Psychologie als erste Erneuerung
- Zitata: „Die Wichtigkeit, welche das Experiment für die Psychologie noch haben wird, lässt sich kaum schon jetzt übersehen. […] Als zusammenhängende Wissenschaft harrt die experimentelle Psychologie noch ihrer Begründung.“ Wundt, 1862, S. XXVII 

- als zweite methodische Erneuerung schlägt Wundt den Einsatz von Statistik vor
- Zitat: „Es hat […] die neue Statistik […] doch für den Psychologen schon ein äusserst reichhaltiges Materialgeschaffen, das nur noch so gut wie unbenützt geblieben ist.“ Wundt, 1862, S. XXIV
- Zitat: „Man kann ohne Uebertreibung sagen, dass aus den statistischen Ermittelungen sich mehr Psychologie lernen lässt als aus allen Philosophen, den Aristoteles ausgenommen.“ Wundt, 1862, S. XXV (spricht sich gegen Philsophie aus, obwohl er später sebst Philosophie lehrt)

Mit dieser methodischen Erneuerung möchte Wundt eine „Theorie der unbewussten Seelenprozesse“ empirisch bestätigen: 

- denn:
a) die Verarbeitungsprozesse der Seele sind überwiegend unbewusst (alles bewusst zu verarbeiten wäre viel zu viel)
b) unbewusste Schlüsse sind z.B. in der Wahrnehmung möglich (später bewusst werden)
c) ins Bewusstsein gelangt nur das fertige Ergebnis
- (S. Freud war zu dieser Zeit 6 Jahre alt!)

Was umfasst Wundts zweites Psychologie-Programm aus der Leipziger Zeit?

„Auf die Frage nach der Aufgabe der Psychologie pflegen die Psychologen, soweit sie einer empirischen Richtung zugetragen sind, zu antworten: diese Wissenschaft habe die Tatsachen des Bewußtseins, ihre Verbindungen und Beziehungen zu untersuchen, um schließlich die Gesetze aufzufinden, von denen diese Beziehungen beherrscht werden.“ Wundt, 1911, S.1

„Die ganze Aufgabe der Psychologie ist so in den zwei Problemen enthalten: welches sind die Elemente des Bewußtseins? Welche
Verbindungen gehen diese Elemente ein und welche Verbindungsgesetze lassen sich hierbei feststellen?“ Wundt, 1911, S. 29

- Wundt beschreibt die Aufgabe der Psychologie als Untersuchung des Bewusstseins und seiner Verbindungen

  • Erstes Ziel: Identifikation der Elemente des Bewusstseins (z. B. Empfindungen, Gefühle)
  • Zweites Ziel: Analyse der Verbindungsgesetze zwischen diesen Elementen 

Ähnlich wie bei der britischen Assoziationspsychologie (z. B. John Locke, David Hume):

  • auch dort wird das Denken als Verknüpfung einfacher Ideen verstanden
  • Wundt geht aber experimentell und systematischer vor, misst z. B. Reaktionszeiten und Wahrnehmungsprozesse, statt nur zu philosophieren

Warum verzichtete Wundt auf die Erforschung des unbewussten Seelenlebens und welche Folgen hatte das?

- Wundt (ab 1873/74): konzentrierte sich nur auf bewusstes Erleben; verzichtete auf Erforschung des unbewussten Seelenlebens

- Folge: Lücke in der psychologischen Forschung → eigenständige Psychologie des Unbewussten entstand durch z.B. Sigmund Freud (1856–1939): Psychoanalyse, ca. 1905, Carl Gustav Jung (1875–1961): Analytische Psychologie, ca. 1906 und andere

Was war die Bedeutung von Wundts Institut für experimentelle Psychologie (1879)?

- Wundt gründete das erstes Institut für experimentelle Psychologie weltweit 1879 in Leipzig

- zunächst privat durch Wundt (1879–WS 1883/84) finanziert, erfolgreich, viel Zuspruch, Druck auf Uni, daher später als offizielles Universitätsinstitut anerkannt

- Ort: Konviktgebäude der Universität Leipzig (Sitz des 1. Instituts)

- Bedeutung:

  • Etablierung der Psychologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin
  • ermöglichte systematische experimentelle Forschung
  • Vorbild für weitere psychologische Institute weltweit

Wie wurde Wundt durch seine Schüler zum „Urvater der Psychologie“?

- zwischen 1875 und 1919 betreute Wundt in Leipzig 184 Dissertationen

- Studierende kamen aus aller Welt (u. a. USA, Österreich, Russland, Serbien, Polen, England, Indien)

- Leipziger Institut wurde zum internationalen Zentrum der neuen Wissenschaft Psychologie

- seine Schüler verbreiteten Wundts Ansätze weltweit und gründeten eigene psychologische Institute → So wurde Wundt über die Arbeit seiner Schüler als „Urvater der Psychologie“ bekannt

- Nachteil: starke Prägung durch eine dominierende Lehrfigur konnte auch Denkfehler weitertragen

Unter seinen Schülern waren so bedeutsame Persönlichkeiten wie:
‐ Granville Stanley Hall (1844‐1924)
‐ Emil Kraepelin (1856‐1926)
‐ James McKeen Cattell (1860‐1944)
‐ Oswald Külpe (1862‐1915)
‐ Ernst Meumann (1862‐1915)
‐ Charles Edward Spearmann (1863‐1945)
‐ Hugo Münsterberg (1863‐1916)
‐ Edward Bradford Titchener (1867‐1927)
‐ Wilhelm Wirth (1876‐1952)

Auswahl bedeutsamer Publikationen aus dem umfangreichen Werk Wilhelm Wundts:

Wundt, W. (1862). Beiträge zu einer Theorie der Sinneswahrnehmung. Leipzig


Wundt, W. (1863). Vorlesungen über die Menschen‐ und Thierseele. 2 Bde. Leipzig

Wundt, W. (1874‐1875). Grundzüge der physiologischen Psychologie. Leipzig: Engelmann

Wundt, W. (1900‐1920). Völkerpsychologie. Bd. 1‐ 10. Leipzig: Engelmann

Wundt, W. (1912). Elemente der Völkerpsychologie. Grundlinien einer psychologischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Leipzig: Alfred Kröner.

Wundt, W. (1920). Erlebtes und Erkanntes. Stuttgart: Alfred Kröner

Wer war Ernst Heinrich Weber und welche Bedeutung hatte er für Wundt?

- Geboren: 24. Juni 1795 in Wittenberg – gestorben: 1878

- Studium, Promotion (1815) und Habilitation (1817) in Wittenberg und Leipzig

- ab 1818 Professor für vergleichende Anatomie, später (1840) Professor für Physiologie in Leipzig

- mehrfach Rektor der Universität Leipzig (1838-39, 1843-44)

Gilt als Wegbereiter Wundts:

  • lieferte Grundlagen zur Psychophysik (Weber’sches Gesetz)
  • beeinflusste Wundts Verbindung von Physiologie und Psychologie

 

Was besagen der Weber-Test und das Webersche Gesetz?

Weber-Test:

  • Medizinischer Test zur Diagnose von Schallleitungs- oder Schallempfindungsstörungen
  • misst die Lateralisierung der Knochenleitung (z. B. bei Hörstörungen)

Webersches Gesetz (1835):

- beschreibt den Zusammenhang zwischen Reizintensität (S) und ebenmerklichem Unterschied (ΔS)

- besagt, dass ein ebenmerklicher Empfindungsunterschied ΔS abhängig vom Ausgangsreiz S ist
- Fähigkeit, zwei Reize zu unterscheiden, fällt proportional zur Reizintensität ab

Verhältnis ΔS / S = konstant


→ Je stärker der Ausgangsreiz, desto größer muss die Reizänderung sein, um bemerkt zu werden

Wer waren die Gebrüder Weber und welche Beiträge leisteten sie zur Wissenschaft?

Eduard Friedrich Weber (1806‐1871)
‐ Physiologe & Anatom. Forschung zu Muskelbewegungen und galvano‐magnetischen Phänomenen

Wilhelm Eduard Weber (1804‐1891)
‐ Physiker: baute zusammen mit seinem Freund Carl Friedrich Gauß 1833 den ersten elektromagnetischen Telegraphen

Ernst Heinrich Weber (1795‐1878)
‐ Physiologe & Anatom. Untersuchungen zu den Sinnesempfindungen der Haut. Mitbegründer der Psychophysik

Wer war Gustav Theodor Fechner? 

- Geb. 19. April 1801 in Groß‐Särchen, Niederlausitz (1801‐1887)

- 1806‐1814 Erziehung durch den Bruder der Mutter

- bereits ab 1817 Studium der Medizin in Leipzig

- Vorlesungen bei E.H. Weber

- 1819 Bakkalaureatsexamen

- 1823 Promotion und Habilitation

- 1834 Prof. der Physik in Leipzig

- 1858 Erste Vorlesung über psychophysische Messmethoden

Was besagt das Fechnersche Gesetz?

- entwickelt von Gustav Theodor Fechner (1860) im 2. Band der Elemente der Psychophysik

- Idee: Empfindungsstärke wächst nicht linear, sondern logarithmisch mit der Reizstärke


Formel: E = c · log(R / R₀)


E: Empfindungsstärke

R: Reizstärke

R₀: Absolutschwelle

c: sinnesspezifische Konstante

- bedeutet: Jede Empfindungssteigerung entspricht dem Aneinanderlegen ebenmerklicher Unterschiede → Grundlage der Psychophysik

- Stärke einer Empfindung E ist der Logarithmus der Stärke des Reizes R bezogen auf seine Stärke an der Absolutschwelle R0 multipliziert mit einer
sinnesspezifischen Konstante c

- mit dieser Formel lässt sich für jeden Reiz das psychologische Empfinden berechnen

Wer war Rudolf Hermann Lotze und welche Bedeutung hatte er für Wundt?

- Geboren 1817 in Bautzen, gestorben 1881 in Berlin

- 1834 Abitur in Zittau als Bester seines Gymnasiums

- Studium der Medizin in Leipzig, dort Kontakt zu Fechner und E.H. Weber

- 1838 Promotion, danach kurze Tätigkeit als Arzt (ein Jahr)

- ab 1839 akademische Laufbahn → 1843 a.o. Professor für Philosophie in Leipzig

- 1844 Berufung auf Herbarts Lehrstuhl in Göttingen

- Verbindung von Medizin, Physiologie und Philosophie → wichtiger intellektueller Wegbereiter für Wundt

Was beschreibt Lotzes „Medizinische Psychologie“ (1852) und welche Bedeutung hatte sie für Wundt?

- „Medicinische Psychologie oder Physiologie der Seele“ (1852) → erstes großes Werk einer physiologischen Psychologie (= erneute Psychologie)

- Thema: Zusammenhang zwischen geistigem Leben und körperlichen Tätigkeiten

- gilt als Vorläufer und Grundlage für Wundts spätere Arbeiten

- 22 Jahre später (1874) erschien Wundts berühmteres Werk „Grundzüge der physiologischen Psychologie“, das die neue Wissenschaft festigte

Was besagt die Argumentationskette von Laycock zur Erklärung von Reflexhandlungen?

1. Sinnvolle und zielgerichtete Bewegungen lassen sich z. B. bei Fröschen durch Reizung der Extremitäten oder kleinster Teile des Rückenmarks hervorrufen

2. Daraus folgt: Die Annahme eines „Bewusstseins“ des Rückenmarks ist überflüssig

3. Diese Bewegungen sind unwillkürlich und unbeabsichtigt (geschehen reflexhaft)

4. Die gleichen Nervenzellen, die Reflexe im Rückenmark steuern, befinden sich auch im Gehirn und erfüllen dort dieselben Aufgaben

5. Dies wäre bewiesen, wenn allein die Vorstellung eines Reizes (also eine Idee als mentaler Akt) automatisch eine Reflexhandlung auslöst

6. Als Beleg nennt Laycock das Krankheitsbild der Tollwut, bei der schon die Vorstellung (z. B. von Wasser) reflexartige Reaktionen hervorruft

--> Laycock erklärt geistige und körperliche Vorgänge durch automatische, reflexhafte Mechanismen = frühe physiologische Sichtweise auf psychische Prozesse

Welche Symptome und Auslöser der Hydrophobie treten nach Laycock (1845) bei Tollwut auf?

Symptom der Hydrophobie bei Tollwut:
- Krankhafte Scheu vor Wasser und allen anderen Flüssigkeiten
- Symptomatisch sind Muskelkrämpfe im Mund und Rachenraum beim Trinken, dem Anblick von Wasser oder sogar dem bloßen Gedanken an
Wasser oder an das Trinken

Auslöser der hydrophobischen Symptomatik können nach Laycock (1845) folgende sein:
a) proximal‐sensorische Reize, wie etwas Wasser auf der Gesichtshaut


b) distal‐sensorische Reize, wie der Anblick eines Glas Wassers


c) ideelle Reize, wie der Gedanke etwas zu trinken

Wie definiert das RKI (2007) das klinische Bild der Tollwut (Rabies, Lyssa-Virus)?

- Erreger: Rabiesvirus (Lyssa-Virus)

ICD-10: A82.– (Tollwut)

A82.0 Wildtier-Tollwut

A82.1 Haustier-Tollwut

A82.9 Tollwut, nicht näher bezeichnet

Falldefinition (RKI 2007):
Klinisches Bild = mindestens 2 von 7 Kriterien:

  • Schmerzen oder Parästhesien an der Bissstelle
  • Erregtheit mit Spasmen der Schluckmuskulatur
  • Lähmungen
  • Delirien
  • Krämpfe
  • Angstzustände
  • Hydrophobie (Wasserscheu)

- in Deutschland (2000–2009): 361 Fälle dokumentiert

- Verbreitungsstand 2008: weltweit

Wie erklärt Laycock die Verbindung zwischen geistigen und körperlichen Prozessen (Leib-Seele-Problem)?

- Ziel: Verbindung zwischen körperlichen (kinetischen) und geistigen (ideagenen) Prozessen erklären

- Kernidee: Geistige und körperliche Prozesse sind zwei Seiten eines einheitlichen Funktionskreises (Laycocks früher Versuch zur Lösung des Leib‐Seele‐Problems)


Ablauf am Beispiel „Teetasse greifen“:
- Idee des Trinkens entsteht → geistiger (ideagener) Prozess (löst Bereitschaft aus)
- diese Idee führt zu kinetischen Veränderungen (Bewegungsimpulse)
- daraus folgt muskuläre Aktivität (Handbewegung)
- Körperliche Rückmeldung verändert wiederum die Idee (z. B. Wahrnehmung des Trinkens).

Ideagenes Substrat: geistige Ebene (Vorstellungen, Ideen)
Kinetisches Substrat: körperliche Ebene (muskuläre, neuronale Aktivität)
Assoziative Verbindung: Brücke zwischen beiden Ebenen → wechselseitige Beeinflussung, dadurch wird Muskelaktivität ausgelöst

Welchen Ansatz des Leib‐Seele‐Problems unterstützt Thomas Laycock mit seiner Theorie?

Wie lässt sich Laycocks Theorie der cerebralen Reflexe kritisch bewerten?

- erweitert die Theorie spinaler Reflexe zu einer Theorie cerebraler Reflexe, deren motorische Reaktionen durch Ideen ausgelöst werden können

- mit dieser Theorie erklärt er z.B.

a) Instinktverhalten komplexester Art
b) Emotionales Verhalten
c) Lernverhalten: Veränderung des Verhaltens durch Modifikation der Substrate im Gehirn

Kritik:

- sieht Verhaltensweisen als Reflexe an, die keiner willentlichen Kontrolle unterliegen und belegt dies als erster auf einer physiologisch‐medizinischen Ebene (alle Verhaltensweisen gelten als Reflexe ohne willentliche Kontrolle)

- Willentliches Verhalten spielt in Laycocks Überlegungen cerebraler Reflexe keine Rolle, tritt nur bei erkrankten Zuständen auf

Wer integrierte Laycocks Reflextheorie, unterschlug ihn aber in Teilen als Urheber und prägte den Begriff „Ideo‐Motorik“?

Wer war William Benjamin Carpenter?

1813‐1885

‐ geb. am 29. Oktober 1813 in Exeter
‐ bis 1839 Studium der Medizin am UC London
‐ 1839 Promotion zum M.D. am UC London (im selben Jahr wie Laycock an selber Uni promoviert, daher war eine Freundschaft nicht unwahrscheinlich)
‐ 1844 Fellow der Royal Society London
‐ 1845 Professor an der Royal Institution
‐ 1849 Professor am UC London

Was erklärte William Benjamin Carpenter 1852 zur Beeinflussung von Muskelbewegungen durch Suggestion?

- Vortrag: On the influence of suggestion in modifying and directing muscular movement, independently of volition (Vortrag vor der Royal Society, 12. März 1852)

- Thema des Vortrags: Wissenschaftliche Erklärung parapsychologischer Phänomene

Annahmen Carpenters:
a) Die Phänomene sind real
b) Sie haben keine übernatürliche Ursache
c) Es wirken keine bislang unbekannten physikalischen Kräfte

Bedeutung: Zeigt, dass Muskelbewegungen durch Suggestion (= Einflussnahme auf Gedanken oder Verhalten, oft unbewusst, durch Anregung oder Idee) entstehen können, ohne bewusste Willenskontrolle

- prägte/ nannte dort erstmals den Begriff Ideomotorik(= automatische Bewegungen durch Vorstellung oder Idee ausgelöst)

Was beschrieb Carpenter 1852 über „biologized states“ bei Séancen?

- Versammlungen, bei denen Menschen versuchen, mit Verstorbenen oder Geistern zu kommunizieren, meist unter Anleitung eines Mediums

- „Biologized states“: hypnoseähnliche Zustände, bei denen:

  • der Wille stark reduziert oder ausgeschaltet ist
  • die Person wach und bei vollem Bewusstsein bleibt (Unterschied zur Hypnose)
  • Sinne und Gedächtnis weiterhin unbeeinträchtigt arbeiten

- Mechanismus: Kein fremder Wille, sondern eigene angeregte Vorstellungen (Ideen) steuern das Verhalten

- Zitat (vereinfacht): Phänomene des ‚biologisierten Zustands‘ bestehen darin, dass der Geist von den Ideen, die ihm vorgeschlagen wurden, eingenommen ist, und dass diese Ideen einen Einfluss auf die Handlungen des Körpers ausüben

- z.B. Person glaubt, bestimmte Handlungen seien unmöglich (z. B. aufstehen, Augen öffnen, einen Stock halten), und führt sie daher nicht aus nicht weil jemand anderes den Willen kontrolliert, sondern weil der eigene Wille vorübergehend „inaktiv“ ist.

- d.h. Idee oder Suggestion kann körperliche Aktionen steuern, unabhängig vom bewussten Willen → frühe wissenschaftliche Erklärung für Ideomotorik

Wie ist Carpenters Modellvorstellung ideo‐motorischer Handlungen?

- Ziel: Erklärung, wie Ideen automatisch Handlungen auslösen können (ohne bewussten Willensakt)

- Zentrale Annahme: „Ideo-motorisches Prinzip“ – Ideen besitzen die Kraft, unmittelbar Bewegungen auszulösen

Aufbau des Modells:
- Sinneseindrücke (Impressions) → Rückenmark (Exito-motor Reflexzentrum)
- Empfindungen (Sensations) → sensorische Ganglien (Sensor-motorisches Reflexzentrum)
- Ideen & Emotionen → Großhirn (Cerebrum) = Zentrum emotionaler & ideo-motorischer Reflexe
- Der Wille (The Will) entsteht aus geistigen Prozessen (Emotionen, Ideen) und steuert Motorik, freier Wille steht über allem
- Motorische Impulse: Ausgangspunkt sind entweder automatische Reflexe oder ideengesteuerte Bewegungen
--> lösen Intellectual Operations = bewusste Denkprozesse aus, die den Willen steuern

- ermöglichen, dass nicht jede Idee automatisch in Handlung umgesetzt wird, damit schafft Carpenter eine Verbindung zwischen unwillkürlichen Reflexen und bewusster, willensgesteuerter Handlung

Wie lässt sich Carpenters Theorie der Ideomotorik kritisch bewerten?

- anfangs betrachtet Carpenter ideo-motorisches Verhalten nur dann, wenn der Wille durch Krankheit oder okkulte Sitzungen beeinträchtigt ist (spricht nur dann vom ideo-motorischen  Verhalten)

- Spätere Publikation (1874): Ideomotorische Steuerung gilt auch für Alltagshandlungen wie Gehen, Schreiben und Sprechen, die automatische ablaufen

- Verdienst: Entwicklung eines psycho-physiologischen Bottom-up-Modells der Reizverarbeitung und Handlungsinitiierung – frühe wissenschaftliche Erklärung, wie Ideen Bewegung steuern

Worum ging die Carpenter–Laycock-Kontroverse zur Ideomotorik?

- Carpenter räumt Laycock in einer Fußnote ein, die Reflexdoktrin vom Rückenmark auf das Gehirn erweitert zu haben

- Streitpunkt: Carpenter unterschlägt, dass Laycock bereits die Auslösung cerebraler Reflexe durch Ideen beschrieben hatte, und präsentiert die Erkenntnis der Ideomotorik als seine eigene

- etwa 15 Jahre Streit um die Urheberschaft des ideo-motorischen Prinzips

- erst 1871 gibt Carpenter nach und verweist öffentlich, aber anonym auf Laycocks Urheberschaft

->  Laycock gilt als ursprünglicher Entdecker der Ideomotorik

Welcher deutsche Wissenschaftler beschrieb deutlich vor Laycock und Carpenter das ideo‐motorische Prinzip?

Wer war Johann Friedrich Herbart?

1776 ‐ 1841

‐ geb. am 4. Mai 1776 in Oldenburg
‐ 1794‐1797 Studium bei Fichte in Jena, Abbruch
‐ 1797‐1800 Tätigkeit als Hauslehrer
‐ 1802 Promotion und Habilitation in Göttingen
‐ 1805 Außerordentlicher Professor in Göttingen
‐ 1809 Berufung als Nachfolger Kants in Königsberg (spricht für hohe Anerkennung!)
‐ 1833 Berufung an die Universität Göttingen 

Was war Johann Friedrich Herbarts psychologische „Revolution“?

- Versuch (1824/25) eine neue, empirische Psychologie auf mathematischer Grundlage aufzubauen

- konzipierte eine „Vorstellungsmathematik“, da Vorstellungen sich nach Qualität und Intensität abstufen lassen, wodurch mathematische Methoden prinzipell anwendbar werden

- Überwand damit Kants Diktum, dass empirische Psychologie nur eine historische Naturbeschreibung der Seele, aber keine echte Wissenschaft sein könne

Wie beschreibt Herbart 1825 die Grundlage des ideo-motorischen Prinzips?

- Bewegungen der Hand und Finger erzeugen Gefühle, die sich mit Vorstellungen verknüpfen

- Reproduktionsgesetz: Ähnliche Vorstellungen oder Wünsche lösen rückwärts die gleichen Gefühle aus, die wiederum die ursprüngliche Bewegung anstoßen

- ein Wunsch oder Gedanke kann eine automatische Handlung auslösen, muss aber noch durch physiologische Prozesse im Gehirn vermittelt werden; Gefühl allein reicht nicht

- verwendet noch nicht den Begriff „Ideomotorik“, beschreibt aber das zugrundeliegende Prinzip

Wie erklärt Herbart die Entstehung zielgerichteter Bewegungen bei Neugeborenen im entwicklungspsychologischen Kontext (ideo-motorischer Gedanke)?

Teil 1: 

- schon unmittelbar nach der Geburt entstehen aus organischen Gründen unwillkürliche Bewegungen

- jede Bewegung erzeugt ein bestimmtes Gefühl in der Seele und wird gleichzeitig über die Sinne wahrgenommen (Gestalt des Gliedes, Veränderungen in der Umgebung)

Teil 2:

- Beispiel: Ein Kind zieht unwillkürlich Finger oder Arme zusammen → fühlt dies → sieht die Bewegung und deren Wirkung auf einen Gegenstand

- später entsteht Begehren nach der beobachteten Veränderung, das Gefühl wird reproduziert

- durch diese Rückkopplung zwischen Bewegung, Gefühl und Wahrnehmung entstehen zielgerichtete Handlungen

Jede erfolgreiche Handlung verstärkt die vorherige Erfahrung, erleichtert die nächste Bewegung → Lernprozess durch Effektrückmeldung.

Beobachtung: Schon nach ca. 6 Wochen zeigen Kinder erste zielgerichtete Bewegungen.

Wie lässt sich Herbarts Beitrag zur Ideomotorik kritisch bewerten?

- war für Laycock und Carpenter ein historischer Vorläufer

- war ihnen in n der theoretischen Analyse und Schlussfolgerungweit voraus, da er sich nicht von der Erweiterung einer Reflextheorie leiten ließ

- das Prinzip der ideomotorischen Handlungssteuerung gilt bei Herbart für jegliches menschliches Verhalten, nimmt damit entsprechende Beschreibungen von Lotze (1852), Harleß (1861) und James (1890) vorweg

- Herbart hat die theoretische Grundlage gelegt, lange bevor diese späteren Psychologen das Prinzip praktisch oder experimentell wiederentdeckten

- trotz seiner präzisen theoretischen Erkenntnis sucht Herbart keine experimentelle Bestätigung: „Die Psychologie“ so schreibt er, darf mit den Menschen nicht experimentieren; und künstliche Werkzeuge giebt es für sie nicht. Desto sorgfältiger wird die Hülfe der Rechnung zu benutzen sein."

- Begründung: Psychologie darf „mit den Menschen nicht experimentieren“ und verfügt über keine künstlichen Werkzeuge, statt Experimente zu nutzen, setzt Herbart auf mathematische Analyse

Wie sieht der Stammbaum der Geschichte des ideo‐motorischen Prinzips aus?

Überblick über die Entwicklung des ideo-motorischen Gedankens:

- Zeitraum: 17.–21. Jahrhundert

Frühe Einflüsse (17.–18. Jh.):
R. Hooke, J. Locke → Philosophie des Bewusstseins & Assoziationismus
A. v. Haller → frühe Reflexphysiologie
19. Jh.:
Fichte

J. F. Herbart → theoretischer Rahmen (Vorstellungslehre)

Th. Laycock & B. Carpenter → formulieren das ideo-motorische Prinzip
H. R. Lotze & E. Harless → Verbindung von Physiologie & Psychologie
W. James (1842–1910): zentrale Figur – integriert das Prinzip in seine Psychologie („Ideo-motor action“)
20. Jh.:
Nachwirkungen bei W. Moede, W. Hellpach, H. Richter → experimentelle und angewandte Psychologie
21. Jh.:
A. Greenwald, W. Prinz, J. Hoffmann → moderne kognitive und handlungspsychologische Forschung

Welche ersten experimentellen Untersuchungen zum ideo-motorischen Prinzip wurden im 20. Jahrhundert durchgeführt?

Walter Moede (1920) untersuchte im Rahmen seiner Massenpsychologie Reaktionen von Probanden auf gesehene Bewegungen:

1) Versuchsleiter hebt linken Arm und bewegt ihn abwärts

2) Probanden sollen nur die Abwärtsbewegung beachten

3) Auswertung: Aufwärtsbewegung (unbeachtet) vs. Abwärtsbewegung (beachtet) – fraglich, ob unbeachtete Bewegungen überhaupt möglich

- Ergebnis: Aufwärtsbewegung löste fast nur Mitbewegung aus; Abwärtsbewegung erzeugte Mit- und Gegenbewegungen beim Probanden

- Versuchsapparatur: Sommerscher Apparat (1898), Genauigkeit 1/25 mm

 

Richter (1957), Induktion einer entspannten, meditativen Grundhaltung:

- Instruktion: „Stellen Sie sich intensiv vor, Sie ballten Ihre rechte (linke) Hand zur Faust“

- Ergebnis:

  • deutliche ideomotorische Reaktionen in der per Vorstellung zur Faust geballt Hand
  • zusätzlich beachtliche kinetische Effekte in der kontralateralen Hand und den Füßen

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