FS25


Kartei Details

Karten 151
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 10.06.2025 / 12.06.2025
Weblink
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Philosophische Ethik – eine Einbettung

  • Ethik ist eine Disziplin der Philosophie
  • Im Kompetenzprofil der FHNW treten wichtige Aspekte des philosophischen und ethischen Denkens bei den Futur Skills auf:
    - Kritisches Denken
    - Gesellschaftliche Verantwortung
    - Ethik als eigener Punkt bei Sozialkompetenzen

Philosophie und Psychologie – eine lange Vorgeschichte

    • Viele philosophische Fragen heute Gegenstand der Psychologie
    • Beispiele: Psyche, Seele, Bewusstsein, Intelligenz, Subjektivität, Vernunft, Denken …
    • «Die Psyche ist heute im Besitz der Psychologie. Vielen Fragen des Psychischen und der menschlichen Subjektivität lange in den Gegenstandsbereich der Philosophie, so hat psychologisches Wissen im Verlauf des 20. Jahrhunderts weitgehende Deutungshoheit über unser Selbstverhältnis erlangt» (Malich & Keller).

    Was ist Philosophie bzw. was macht Philosophie?

    Verschiedene Aspekte:

    • Staunen und Fragen – Grundform: Was ist X?
    • Verstehen und Interpretieren – Wie wird X verstanden? Welche Interpretation können wir für X finden?
    • Reflektieren und kritisieren – Reflexion hier als Reflexion und Selbstreflexion
    • Ordnung schaffen – Begriffe, Konzepte …: Urteilskraft

    Absichten von philosophischen Überlegungen

    Mögliche Ziele solcher Tätigkeit:

    • Wissen, was etwas meint und überlegen, ob das Gemeinte gut begründet ist: Bedeutungs- und Begründungsfragen sind Geschäft der Philosophie
    • Normative Aspekte befragen: Ethische Fragestellungen, rechtliche Fragestellungen etc.
    • Kritik und Veränderung – kritische Theorie als sich einmischende Philosophie. Kritische Theorie reflektiert «Ideologie» hinter/unter Positionen kritisch
    • Oder Reflexion, um besser verstehen zu können. Gerade hier sind dann die Fragen wieder das zentrale, Antworten aber wohl teilweise nicht

    Die vier Fragen der Philosophie bei Immanuel Kant

    1. Was kann ich wissen?
    2. Was soll ich tun?
    3. Was darf ich hoffen?
    4. Was ist der Mensch?*

    Die ersten drei Fragen verweisen auf verschiedene Bereiche der Philosophie, die auch in anderen Wissenschaften von Bedeutung sind.

    Die vierte Frage geht zentral auf die Vorstellung und das Verständnis von uns selbst (individuell und in der Gesellschaft) – dieses Selbstverständnis ist relevant für professionelles Tun etwa in der angewandten Psychologie.

    Was kann ich wissen?

    • Klassische Frage der Erkenntnistheorie und der Wissenschaftstheorie
    • Wie lässt sich erkennen, wie ist Wissen möglich etc. etc.?
    • Was ist Sprache und welche Rolle spielt sie bei Erkenntnis, Wissen, Technik etc.?
    • Hier aber grundsätzlich die Frage, wer den etwas über was weiss:
      - Wissenschaftsperspektive oder Lebensperspektive – erklären oder verstehen
      - Sie lernen im Studium stark von Wissenschaft her – objektive Wissensbestände aus verschiedenen Bereichen
      - Die Fragen, die sich philosophisch stellen, sind radikaler und geht auf Struktur des Wissens etc.
    • Hinterfragen also der Konzepte und der Begriffe, die verwendet werden. Zum Bespiel Konzepte von Gesellschaft, von Organisation etc.
    • Konstruktivistische Grundüberlegungen verweist auf kritische Theorie

    Was soll ich tun?

    • Diese Frage verweist auf Fragen der Ethik und der Moral
    • Geht aber auch von einer spezifischen Form von Wesen aus: freies Wesen, das entscheiden kann – Mensch
    • Daraus resultieren unterschiedlichste Fragen, die auch die KI betreffen:
      - Was dürfen wir, was dürfen wir nicht? (teilweise rechtliche Fragen)
      - Was sollen wir? (ethische Fragen)
      - Wie wollen wir uns und Gesellschaft verstehen? Wie wollen wir leben?
    • Klassische Reflexionsfragen in Hinblick auf unser Handeln:
      - Tun als Handeln, Sollen als Reflexion auf unsere Entscheide in Hinblick auf unser Handeln: Entscheid und Beurteilung (war es richtig, was ich getan habe?)
    • Philosophie als eine Form des Innehaltens und des kritischen Fragens – teilweise durchaus ärgerlich und behindernd
    • Wichtig für Professionen, die auf Handeln und Lösen ausgerichtet sind – Reflexion als Grundlage für verantwortungsvolles Tun
    • Wertediskussionen, um Regulierungen, ethische Implikationen und ethische Reflexionen
    • Konkret: Berufsordnungen, gesetzliche Rahmungen etc. die psychologisches Arbeiten regulieren

    Was darf ich hoffen?

    • Klassische Frage nach Gott
    • Philosophisch aber auch Frage nach Entwicklungsmöglichkeiten
    • Die Frage nach dem Hoffen, hat vielfältige Dimensionen und ist zentral für unser Handeln und unser Selbstverständnis
    • Auch in Psychologie grosse Tradition
    • Manchmal realistisch, manchmal utopisch, vielfach dystropisch
    • Dimensionen der Frage nach Hoffnung:
      - Was darf ich hoffen, wenn ich ethisch richtig handle?
      - Was darf ich hoffen, trotz meiner Endlichkeit und Sterblichkeit?
      - Kann ich hoffen, dass die Welt sich zum besseren verändert?
    • Fragen nach dem Sinn der Existenz und des eigenen Tuns
    • Grosse Themen: Ziel der menschlichen Entwicklungen (individuell und gesellschaftlich) …

    "Dystopisch" (dystopic) ist ein Adjektiv, das sich auf eine fiktive Gesellschaft oder Situation bezieht, die von einer erschreckenden oder unerwünschten Gesellschaftsordnung geprägt ist

    Was ist der Mensch?

    • Frage nach dem Menschen verweist auf die philosophische Anthropologie, die klärt, was den Menschen ausmacht.
    • Sicherlich das, was in den ersten drei Fragen anklingt: Mensch ist ein Wesen, dass neugierig ist, dass vernünftig argumentiert, das etwas hofft, sich moralisch verhält bzw. sich Gedanken darüber macht, dass das nötig ist etc.
    • Aus diesen Wesensbestimmungen ergeben sich gewisse Tätigkeiten des Menschen, die auf spezifische Dimension des Menschseins verweisen
    • Mensch, hat keine Natur, sondern macht sich zu dem, was er ist – funktionale Sicht auf Menschen
    • Zu diesem «Sich zum Menschen machen» gehören Kultur und Kunst
    • Vielfältige Dimensionen von Kultur: Religion, Sprache, Wissenschaft, Kunst, Technik, Geschichte …
    • Künste: Architektur, Bildhauerei, Malerei, Musik, Tanz, Literatur und Film
    • Mensch ist Homo faber aber auch Homo fabricatus (Latour)

    Homo faber, den technisch-praktisch orientierten Menschen, der glaubt, das Leben allein mit Rationalität meistern zu können

    "Homo fabricatus" (lateinisch für "der Mensch als Gestalter") bezeichnet im philosophischen Sinne den Menschen als aktiven, schaffenden Wesen, der seine Umwelt durch Werkzeuggebrauch und Technik verändert. 

    Philosophische Anthropologie (Lehre des Menschen)

    Frage nach Mensch verweist auf philosophische Anthropologie, welche auch wichtige Überlegungen für Psychologie geliefert hat

    Antwort definiert:

    • Ort des Menschen in der Welt
    • Abgrenzungen gegenüber Tier, Maschine etc.
    • Spezifisches des Menschseins – Wesen – damit auch das, was geachtet bzw. geschützt werden muss – ethische Grundposition des guten Lebens des Menschen (Menschenrechte …)
    • Normatives Selbstverständnis
    • Vorstellungen des Zusammenlebens
    • Etc.

    Philosophische Anthropologie für AOP: ein Beispiel

    • Was ist Arbeit?
    • Was bedeutet Arbeit für das Menschsein?
    • Welche ethischen Fragen ergeben sich bei Arbeit bzw. Arbeitswelt?

    Antworten: zentrale Grundlagen für Arbeitspsychologie

    Philosophie, kritisches Denken und Kritische Theorie

    • Kritische Theorie ursprünglich Gesellschaftstheorie, die Herrschaftsbedingungen moderner Gesellschaft analysiert – kritische Philosophie
    • Zentrale Einsicht: Alle Theorien, Begriffe etc. sind nicht rein objektiv zu verstehen, sondern haben einen (historischen, gesellschaftlichen etc.) Standpunkt, eine Ideologie etc.
    • Dieser Standpunkt ist zentral für den Denkenden und Handelnden, den von hier her wird gedacht und gehandelt – Ideologie verstanden als Grundlage des Denkens
    • Beispiel: Arbeitsgesellschaft, Theorien der Organisation, verhaltenspsychologische Grundlagen etc.
    • Daher: kritisches Denken nötig – oder bei Malich & Keller (2020): «Psychological Humanities als reflexives Moment der Psychologie»
    • In Hinblick auf die AOP kann also kritisch gefragt werden, welche Standpunkte, welche theoretischen Konzepte, methodischen Begriffe etc. verwendet werden und was das für Verständnis von Mensch und Welt bedeutet

    Ethik und Moral

    Moral = Gesamtheit von Regeln und Normen, Handlungsanweisungen für Urteile darüber:

    • ob eine Handlung richtig oder falsch, gut oder schlecht ist
    • ob eine Person eine Tugend oder einen guten Charakter hat oder nicht

    Ethik = Reflexion über die Moral, in der moralische Normen und Prinzipien (Grundsätze) hinterfragt, kritisiert, begründet oder revidiert werden.

    Kurz: Moral ist Praxis, Ethik die theoretische Reflexion dieser Praxis

    Ethik klärt allgemeinverbindliche Prinzipien, die als Grundlage der Moral gelten:

    • Achtung der Würde eines jeden Menschen (jede Person als Selbstzweck)
    • Gegenseitigkeitsprinzip (beschreibt den Wunsch des Menschen, ein Gleichgewicht in der sozialen Interaktion herzustellen)
    • Verallgemeinerungsprinzip (besagt, dass es um das Wohlergehen, aller von der Handlung Betroffenen geht)
    • Folgenprinzip (besagt, dass die moralische Richtigkeit einer Handlung allein durch ihre Folgen oder Konsequenzen bestimmt wird)

    - Mit ethischer Reflexion lässt sich Moral bzw. lassen sich Normen auf ihre Legitimität überprüfen – Spannung von Legalität und Legitimität
    - Dient der ethischen Legitimierung von Entscheiden
    - Ethik gehört zu Bewertungswissen – im Gegensatz zu Beschreibungswissen (etwa Systemtheorie), Erklärungswissen (etwa Motivationstheorie) oder Interventionswissen (etwa Methoden der Verhaltenstheorie)

    Die zentralen Fragen der Ethik:

    • Wie beurteile ich einen Sachverhalt, eine Handlung, eine Entscheidung?
    • Wie legitimiere ich diese Beurteilung?

    Ethik also keine Handlungstheorie
    Bewertungswissen bedarf der anderen Formen des Wissens, vor allem des Beschreibungs- und Erklärungswissens
    Stichworte: Menschenbild, Gesellschaftskonzeption, Entwicklungspsychologische Erklärungen (zum Beispiel Kohlberg), Sozialisationstheorien, Bedürfnistheorien
    –> Konkret: Psychologische Theorien auf der Ebene Individuum und Gesellschaft

    Ethik

    Einteilung der Ethik

    Fokus der Ethik: Individuum oder Gesellschaft

    Zwei unterschiedliche Perspektiven

    • Gleiche Person in unterschiedlicher Betrachtungsweise
    • Ethische Problematik kann von zwei Perspektiven bzw. Zugangsweisen her betrachtet werden, die sich ergänzen

    Beispiel: Gerechtigkeit

    • Sozialethik: Frage nach sozialer Gerechtigkeit bzw. Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Wie muss Gesellschaft eingerichtet sein, dass sie als gerecht gelten kann. Soziale Fragestellung
    • Individuelle Perspektive: Wie und wann handle ich gerecht? Wie kann ich gerecht sein? Mit Bezug auf Professionalität: wie und wann handle ich als Psycholog*in gerecht gegenüber meinen Klient*innen, Kund*innen etc.?

    Bereichsethiken

    • Daneben finden sich verschiedene Bindestrich-Ethiken bzw. sogenannte angewandte Ethiken oder Bereichsethiken
    • Uns interessiert hier die Ethik des psychologischen Arbeitens als angewandte Ethik
    • Hier werden nicht nur ethische und philosophische Überlegungen eine Rolle spielen, sondern auch die normativen Positionen einer angewandten Psychologie im Feld der AOP
    • Bereichsethik hat auch kritische Dimension auf den entsprechenden Wissensbereich bzw. auf Disziplin: Legitimierung und Delegitimierung

    Abgrenzung: Moralpsychologie ist nicht psychologische Ethik

    Moralpsychologie beschäftigt sich mit den Entstehungsbedingungen von Moral

    • Gesellschaftlich – Sozialpsychologisch aber auch organisationspsychologisch
    • Individuell (Piaget und Kohlberg) – hier Fragen danach, wie Menschen zu Vorstellungen zu moralischen Verpflichtungen kommen

    Ethik der Psychologie versteht sich als eine philosophische Ethik, die nach Geltungsgründen gewisser Normen in der und für die Psychologie fragt (Bsp.: Achtung von Würde)

    Dennoch: Frage nach gesellschaftlicher Moralentwicklung ist wichtig

    • Gesellschaftliche Moralentwicklung:
      - Historisch: Mythologien, Schriftlichkeit und unterschiedliche Begründungstrategien (Götter bzw. Gott, Natur, Herrschaftsverhältnisse, …)
      - Weiterentwicklung durch Normentwicklung und gesellschaftliche Entwicklung
    • Moral kann als Schutzvorrichtung verstanden werden, die die prinzipielle Gewalttätigkeit und Verletzlichkeit des Menschen kompensiert
    • Menschen sind verletzlich und moralisch schonungsbedürftige Lebewesen
    • Grund: Menschen nur als vergesellschaftete denkbar – Mensch unter Menschen
    • Intersubjektiv geteilte Lebenswelt notwendig, da kein Mensch seine Identität für sich alleine behaupten kann
    • Nötig also ein Geflecht von reziproker Anerkennungsverhältnisse, in der die Personen ihre gefährdete Identität wechselseitig stabilisieren

    Aber: Ethische Begründung von Moral

    Begründung von Moral: unterschiedliche Konzepte von Ethik

    • Religiöse Ethik
    • Bedürfnisorientierte Ethik (naturalistische Ethik)
    • Philosophische Ethik

    Zentrale Position einer philosophischen Ethik

    • Ethik untersucht Begründung von moralischen Positionen
    • Autonomie bzw. Freiheit des Menschen in Hinblick auf Moral
    • Entscheide sind begründungspflichtig - Verantwortung für Entscheidungen
    • Zentral für Berufsethik, in der Verantwortung der Berufsausübenden im Zentrum steht

    –> Für diese Begründungsarbeit braucht es Theorien der Ethik

    Warum Ethik in der Psychologie?

    • Psychologie beschäftigt sich mit Menschen
    • Psychologie ist in ihrem behandelnden und beratenden Aspekt soziale Dienstleistung
    • Psychologie liefert verschiedene Theorien, die für Zielsetzung und für Steuerung des Zusammenlebens zentrale Bedeutungen haben – grosser gesellschaftlicher Einfluss und daraus erwachsen Fragen der Verantwortung
    • Psychologie verwendet spezielle Methoden der Behandlung, Forschung und Diagnostik – daraus ergeben sich spezifische ethische Fragestellungen
    • Psychologie arbeitet in verschiedenen Zusammenhängen mit vulnerablen KlientInnen
    • Angewandte Psychologie will «Arbeit und Wirtschaft für die Zukunft mitgestalten – aus psychologischer Perspektive» (Homepage FHNW)

    Warum Ethik in der angewandten Psychologie?

    • Mitgestalten verweist auch auf normative Aspekte: Wie sieht diese Zukunft aus? Welche Werte spielen eine Rolle? Etc.
    • In beiden BA-Studiengängen stellen sich verschiedene normative Fragen
    • Aspekte der Bewertung von Zielen, Methoden und Arbeitsweisen
    • Normative Aspekte der Beziehung zu Klient*innen, Kund*innen etc.
    • AOP: «Arbeit für Menschen so gestalten, dass sie ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entspricht» (aus Broschüre BA)

    Einteilung der Ethik

    Prinzipienethik: Pflichten oder Folgen als Kriterium

    • Auf der Ebene der Prinzipienethik lassen sich zwei grosse Theoriestränge unterscheiden: Pflichtenethik vs. Folgenethik
    • Es geht hier um die grundsätzliche Frage, welches Prinzip das Kriterium für die Beurteilung einer Handlung als ethisch richtige angewendet werden soll
    • Diese prinzipielle Unterscheidung findet sich in aktuellen Debatten bei sehr vielen Themen, die sich mit Fragen der Einräumung oder Einschränkung von Grundrechten befassen:
      - Triage in der Intensivmedizin
      - Impfzwang
      - Organspende (Zustimmung oder Ausschluss)
      - Folter und Umgang mit Terror, Krieg

    Prinzipienethik: Pflichten bzw. Grundrechte oder Folgen als Kriterium

    Ein Beispiel aus der Folterdiskussion als Ausgangspunkt: 2002 hatte Wolfgang Daschner, der Polizeivizepräsidenten von Frankfurt am Main, dem festgenommenen Entführer von Jakob von Metzler gedroht, ihn zu foltern, wenn dieser ihm nicht den Aufenthaltsort des entführten Jungen nennen würde. Unter dieser Drohung lieferte der Entführer die Angaben zum Aufenthaltsort des Entführungsopfers. Das Opfer war jedoch schon tot.

    –> (Audiofile «Zum Fall Daschner)

    • Wie beurteilen Sie diesen Fall unter ethischen Gesichtspunkten?
    • Durfte Daschner das oder nicht?
    • Wie begründen Sie Ihre Beurteilung des Falls?

    Im Auftrag der Zeitschrift Stern wurden gegen 1000 Bürgerinnen und Bürger 2003 gefragt, ob Daschner für sein Vorgehen, die Folter anzudrohen, verurteilt werden solle.

    • Wie antworten Sie (es geht hier um Ethik und nicht um Recht)?

    Pflichtenethik

    • Geht von einer Pflicht aus, die es zu erfüllen gibt – auch deontologische Ethik = Sollensethik
    • Es geht um Frage, welche Handlungen aufgrund welcher Überlegung richtig oder falsch sind
    • Dabei steht die Handlungsregel bzw. Maxime selbst im Zentrum
    • Welche Qualität hat der Begriff „Sollen“ in Sätzen wie: „Du sollst nicht töten“?

    Zentral dabei zwei Aspekte

    • Vorschrift (Sollen-Sätze sind präskriptiv bzw. normativ)
    • Universell (Sollen-Sätze sind verallgemeinerbar und sollen in gleichen Situationen immer gleich gelten)
       
    • Die Handlungsmaxime soll allgemein Pflicht werden – Beispiel: A schuldet B Geld und B schuldet C Geld. Moralische Frage nun: Soll B den A ins Gefängnis werfen lassen bzw. ist es moralisch richtig, dass B den A ins Gefängnis werfen lässt?
    • Pflichtenethisch nur korrekt, wenn ich selber auch bereit bin, von C ins Gefängnis geworfen zu werden: präskriptive und universelle Gültigkeit meiner Handlungsmaxime
    • Oder mit Kant formuliert: kann ich wollen, dass meine Handlungsmaxime allgemeines Gesetz wird(Kategorischer Imperativ: handle nach der Maxime, von der du wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz wird).
    • In der Pflichtenethik wird zumeist die Orientierung an diesem Sollen betont und allfällige Orientierung an guten Resultaten abgelehnt (Mittel wird nicht durch Zweck gut – vgl. zweite Formulierung des Kategorischen Imperativs von Kant)

    Folgenethik

    Folgenethik beurteilt eine Handlung als moralisch richtig oder falsch aufgrund der zu erwartenden Folgen bzw. Konsequenzen einer Handlung.

    Die zentralen Fragen sind:

    • Welche Folgen hat das Handeln/Unterlassen?
    • Was ist das Ziel/die Ziele dessen, was man tut/unterlässt?
    • Welchen Nutzen/Schaden zeitigt das Handeln/Unterlassen?

    Zwei unterschiedliche Ausprägungen:

    • Abschätzung/Abwägung: gute/schlechte Folgen (Folgen-Bewertung - Konsequenzialismus)
    • Abschätzung/Abwägung: Nutzen/Schaden (Utilitarismus)

    Folgenethik in angelsächsischer Diskussion stärker vertreten als in westeuropäischer Tradition

    Folgen- oder Pflichtenethik – eine Problematisierung

    Die reinen Formen von Pflichten- bzw. Folgenethik führen zu erheblichen Problemen:

    • Folgenethik: moralisch «schlechtes» kann situativ als ethisch richtiges legitimiert werden – zum Beispiel töten oder foltern von Menschen
    • Pflichtenethik: moralisch «gutes» kann ethisch nicht legitimiert werden, da es zu Pflichtenkollision kommt – z.B. «stehlen», um ein Menschenleben zu retten (Heinz-Dilemma von Kohlberg) – Pflichtenkollisionen, wenn keine klare Hierarchie der Pflichten feststeht – vgl. dazu Triage etwa während Pandemie
    • Pflichtenethik teilweise zu rigoristisch und schlechte Berücksichtigung von situativer Dimension
    • In der Praxis können Pflichten- und Folgenethik kollidieren bzw. gleichzeitig vorkommen und zu Schwierigkeiten führen – Freiheitsbeschränkende Massnahmen

    Pflichten- und Folgenethik – eine Überwindung

    Lösung liegt in vermittelnden Positionen:

    • Regelutilitarismus: langfristig angelegte Folgenethik, die nicht nur unmittelbare Folgen thematisiert, sondern auch die Stabilität der Gesellschaft bzw. destabilisierende Effekte von Handlungen in Rechnung stellt – Bsp. Vertrauen in Institutionen
    • Konsequentialismus von Richard M. Hare: Jemand kann nur jene Handlung für moralisch richtig erklären, deren Konsequenzen er zu akzeptieren bereit ist, auch wenn er selbst der von ihnen Betroffene ist - radikale Vorstellung der Reziprozität (recht nahe bei Position von Kant)

    Oder: Prinzipien mittlerer Reichweite und Pluralismus der ethischen Theorien - v.a. in angewandter Ethik bzw. Bereichsethik

    Pluralismus ist ein politisches Prinzip, das besagt, dass in einer Gesellschaft viele verschiedene Meinungen, Interessen, Lebensweisen und Werte respektiert und anerkannt werden sollten.

    Prinzipien mittlerer Reichweite in der Ethik sind Prinzipien, die zwischen grundlegenden ethischen Theorien und konkreten moralischen Entscheidungen liegen. Sie sind nicht so abstrakt wie allgemeine Prinzipien, aber auch nicht so spezifisch wie einzelne Handlungsregeln. Häufig werden Autonomie, Nicht-Schaden, Fürsorge und Gerechtigkeit als Prinzipien mittlerer Reichweite genannt.

    Tugendethik

    • Die Tugendethik beschäftigt sich anders als die Pflichten- und Folgenethik nicht mit den allgemeinen Prinzipien, von denen her Handlungen und Entscheidungen ethisch beurteilt werden können, sondern fragt nach den persönlichen Charakterzügen und der ethischen Haltung.
    • Sie sucht nach den Tugenden, die ein Mensch haben muss, damit er ethisch richtig handelt und zwar vor allem auch dann, wenn er durch dieses Handeln persönliche Nachteile erwarten muss.
    • Tugendethik verweist auf ein Konzept des selbstbestimmten und in ethischer Sicht gelingenden Lebens
    • Ein Leben bei dem das Verständnis eines Menschen von sich selbst mit den eigenen Handlungen mehr oder weniger übereinstimmt
    • Tugendethische Bestandteile finden sich auch in verschiedenen Berufskodizes, vor allem dort, wo über Haltungen der eigenen Person gesprochen wird – Beispiel: Berufsordnung SBAP. spricht von «persönlicher Kompetenz» und «eigener Verantwortung»
    • Diese Stellen verweisen auf Machtreflexion, auf Reflexion auf eigene Position etc.
    • Zentrale Frage für Berufsethik: was ist ethisch zentral, die Haltung oder Handlung?
    • Tugendethik verweist aber immer schon auf ein Einüben der richtigen Handlungen, v.a. in heiklen Situationen → Bildung von Habitus als Sicherung der Handlungskompetenz in schwierigen Situationen

    Diskursethik

    • Wichtigste Ethik im 20. Jahrhundert: Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel
    • Zentrales ethisches Kriterium ist der Diskurs
      → Eine Handlung ist dann moralisch richtig, wenn sie im offenen und vernünftigen Diskurs erarbeitet worden ist und alle am Diskurs beteiligten der Handlung zustimmen können.

    Bedingungen des Diskurses:

    • Argumentationsgemeinschaft
    • Einhaltung bestimmter Regeln (nicht lügen, Behauptetes begründen usw.)
    • die wechselseitige Anerkennung als gleichberechtigte, aufrichtige, wahrheits- und zurechnungsfähige Subjekte
    • Offenlegung der Interessen

    Ziel des Diskurses

    • Konsens, der nicht bloss zufällig und faktisch ist, sondern nach Erwägung aller relevanten Aspekte und Argumente so abgestützt ist, dass jeder Vernünftige und Gutwillige ihm zustimmen können muss.

    Diskursethik kann in zwei verschiedenen Situationen zum Tragen kommen:

    • konsensual-kommunikative Begründung inhaltlicher sittlicher Normen → Begründungsdiskurs
    • Verfahren der Entscheidung in konkreten ethisch kontroversen Situationen → Verfahren zur Urteilsfindung und –begründung

    Diskursethik: Problematik

    • Die Bedingungen der Möglichkeit eines (herrschaftsfreien) Diskurses liegen diesem letztlich voraus
    • (ethisches) Urteil und (moralisches) Handeln sind nicht das gleiche
    • Konsens muss gewollt werden
    • Diskursethik ist auf «entgegenkommende» Lebensform angewiesen, die ethischen Diskurs zulässt (Jürgen Habermas, Philosophische Texte).

    –> Bei der Diskursethik handelt es sich gewissermassen um eine «schwache» Ethik, da die ethische Urteilsfindung bzw. Begrünung die Handlung nicht automatisch nach sich zieht

    Ethiktypen in angewandter Ethik bzw. Berufsethik

    In der Ethik des psychologischen Arbeitens finden sich alle vier Ethiktypen:

    • Pflichtenethik bei den grundlegenden Wertepositionen wie etwa der Autonomie und der Menschenwürde
    • Folgenethik dort, wo zwischen zwei Möglichkeiten abgewogen werden muss (Güterabwägung)
    • Tugendethik bei der Frage nach der Haltung der professionellen Person und der individuellen Reflexion und Verantwortungsübernahme
    • Diskursethik beim Aushandeln von ethischen Urteilen und Handlungsentscheidungen

    Angewandte Ethik ist pluralistisch

    • Eine Bereichs- und Berufsethik kann nicht auf ein einziges Prinzip und nicht auf einen einzigen Wert zurückgeführt werden
    • Pluralität der ethischen Theorien und der ethischen Prinzipien
    • Das findet sich auch in verschiedenen Berufskodizes
    • Im Einzelfall müssen die verschiedenen Prinzipien und Werte konkretisiert und gegeneinander abgewogen werden – hierzu braucht es den praktischen, ethischen Diskurs der Beteiligten

    Berufsethik: Berufskodizes legen Wertgebäude der Psychologie fest

    SBAP, sgaop, FSP, SGP, etc.

    Eine weitere Begriffsklärung: Werte und Normen

    Werte: 

    • konkrete, gesellschaftlich geteilte Auffassung von Erstrebenswertem, Überzeugungen und Zielvorstellungen, für die man sich Individuell einsetzt. Werte sind damit an Personen gebunden, verweisen aber auch auf gesellschaftliche Vorstellungen.

    Normen:

    • Regulative menschlichen Verhaltens, die durch Verhaltens- und Handlungsregeln gesetzt werden.
    • Verpflichten jeden Einzelnen durch konkrete Handlungsanweisungen, sogenannte “Sollens-Regeln“ → Regeln für die gelebte Praxis

    Normen sind Konkretisierungen von Werten

    Wertefragen im Beruf

    In der beruflichen Praxis findet sich ein Spannungsverhältnis zwischen verschiedenen Wertebenen:

    1. Persönliche Wertehaltung als Individuum, das gewisse gesellschaftliche, religiöse und persönliche Werte vertritt
    2. Gesellschaftliche Werte und Normen, die für Beruf relevant sind und über die Institution und über eigenes Rollenverständnis einfliessen
    3. Berufswerte: Berufsethisches Wissen (Berufskodex, werthafte Praxis) und Werte und Normen des konkreten Berufsfeldes (Institution)

    Werte einer Ethik des psychologischen Arbeitens

    • Die Berufsverbände der Psychologie der Schweiz haben Berufskodizes bzw. Berufsordnungen, in denen Werte für das ethisch korrekte psychologische Arbeiten formuliert werden.
    • Sie finden auf Moodle die Berufskodizes von drei Schweizerischen Verbänden der Psychologie: SBAP., FSP, SGP
    • Zudem habe ich Ihnen die Kodizes der Berufsverbände der deutschsprachigen Nachbarländer und den Europäischen Kodex auf Moodle gestellt
    • Alle diese Berufskodizes sind sich ähnlich, unterscheiden sich aber auch an verschiedenen Stellen, so etwas bei den Sanktionen, im Umfang, im Detailierungsgrad etc.

    Ausgewählte Werte der Berufskodizes

    Sie haben im Glossar (Moodle) aufgrund der verschiedenen Berufskodices einige Werte zusammengetragen und erläutert. Viele der Werte lassen sich unter drei Überbegriffe bringen, die zentral für die Ethik des psychologischen Arbeitens sind.

    • Autonomie / Selbstbestimmung
    • Schadenminderung
    • Integrität