SS22


Kartei Details

Karten 274
Sprache Deutsch
Kategorie Politik
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 02.07.2022 / 10.07.2024
Weblink
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Was inkludiert Schütz Beschreibung der natürlichen Einstellung?

  1. Idealisierung der Vertauschbarkeit der Standorte
  2. Idealisierung der Kongruenz der Relevanzsysteme
  3. Generalthese der reziproken Perspektiven

Was ist mit der Vertauschbarkeit der Standorte gemeint?

  • Annahme, dass Welt identisch wahrgenommen wird
  • nimmt man die Position von jemand anderem in face-to-face Situationen ein, nimmt man an, dass Welt immernoch gleich aussieht

Was ist mit der Kongruenz der Relevanzsysteme gemeint?

  • Jedes Individuum kann die Welt und die Personen um sich herum jeweils nur vor dem Hintergrun der eigenen Sozialisation individuell deuten
  • subjektive Faktoren, die die Wahrnehmung der Welt prägen = biografische Situation 
  • Problem:
    • Wissenschaft ignoriert diese Tatsache: behauptet, für jedes Individuum ist alles gleich relevant & Welt wird von allen nach gleichen Kategorien gedeutet

Was ist mit der Generalthese der reziproken Perspektiven gemeint?

  • Idealisierungen (Vertauschbarkeit + Kongruenz) = Generalthese 
  • beide handeln von typisierenden Konstruktionen gedanklicher Gegenstände, die sich den gedanklichen Gegenständen meiner privaten Erfahrung und der meines Mitmenschen überlagern
  • Annahme: der von mir als selbstverständlich hingenommene Sektor wird auch von meinen Mitmenschen als selbstverständlich wahrgenommen

Wie respezifiziert Garfinkel nun den Handlungs- und Verstehensbegriff?

  • Ziel zu beobachten, wie ein Soziologe einen Akteur in der Praxis beobachtet
    • wie transformiert er dessen Handlungen aus der Perspektive seines eigenen Kategorialsystems 
  • Soziologe verfälscht die Handlungen somit immer mehr
  • echtes Fremdverstehen ist nicht möglich

Wie weißt Garfinkel nach, dass die soziale Ordnung fragil ist?

  • Breaching Experimente
  • Ziel: Wie kann Forscher seine eigenen Denkgewohnheiten auf die der Akteure übertragen - wie begeht er ein Kategorienfehler?
  1. Preis feilschen im Supermarkt
  2. Konsequenzes Rückfragen
  3. Austauschbarkeit der Standpunkte (Verwechslung Kunde und Dienstleister)

Wie ist das Experiment der "Ein-Preis-Regel" aufgebaut?

  • Erwartung:
    • VP fürchtet die Aufgabe und schämt sich
    • Verkäufer haben Angst und Ärger
    • Begründung: in Alltagsvorstellung nimmt man an, dass ein Preis im Supermarkt fix ist
  • Ergebnis: 
    • Verkäufer waren weder beschämt noch verängstigt 
    • VP hatten am Anfang Angst und haben bei öfteren Wiederholungen weniger Angst, z.T. sogar Spaß

Welches Fazit kann aus dem "Ein-Preis-Regel" Experiment gezogen werden?

  • Gesellschaftsmitglied kann auf drei verschiedenen Wegen als kultureller Trottel (inkompetent) hingestellt werden
    1. Soziologen unterstellen Menschen, dass es ihnen Spaß macht, nach Normen zu handeln
    2. Soziologen übersehen, dass Menschen aus schonmal gemachten Erfahrungen lernen können (indem sie Routine erlangen)
    3. Soziologen empfinden selbst in bestimmten Situationen Angst/Scham und übertragen diesen Effekt auf andere
      > Kategorienfehler, indem sie eigene Gefühle auf Untersuchungsobjekte übertragen

Was war das Experiment: "Kongruenz der Relevanzsysteme"?

  • Annahme, dass es allgemein gebilligte Eigenschaften in normalen Gesprächen gibt
    • sind im Hintergrund für Normalgespräche
    • ihr gesehenes, aber nicht beachtetes Vorkommen wird genutzt, um Menschen zu berechtigen, ihre alltäglichen Gesprächsangelegenheiten ungestört zu betreiben
  • Experiment: konsequentes Rückfragen bei Gesprächen mit Freunden bei Alltagsphrasen
  • Ergebnis:
    • Verwirrung, Wut, Abbruch des Gesprächs

Welches Fazit kann aus dem Experiment "Kongruenz der Relevanzsysteme" gezogen werden?

  • für Alltagskonversation ist die wechselseitige Unterstellung, die anderen seien kompetente Akteure, zentral
  • Voraussetzung, dass man sinnvoll miteinander kommunizieren kann

Wie wurde die "Austauschbarkeit der Standorte" experimentell geprüft?

  • Verwechslung von Kunde und Dienstleister in Geschäften: VP behandeln Kunden wie Verkäufer
  • Fazit:
    • Annahme im Alltagsleben: wir unterstellen uns wechselseitig, die Welt aus der gleichen Perspektive mit den gleichen Augen wahrzunehmen
    • Kunden wurden ärgerlich, weil Annahme verletzt wurde

Inwiefern dienen die Breaching Experimente (Krisenexperimente) als methodischer Zugang?

  • Verfahren, die zu Verblüffung, Ärger, Scham, Angst und desorganisierte Interaktion führen sollten 
  • sollten etwas darüber aussagen, wie Strukturen von Alltagstätigkeiten gewöhnlich erzeugt und beibehalten werden

Was sind zwei Hauptkonzepte der Ethnomethodologie?

  • Indexikalität:
    • nichts hat eine feste Bedeutung
    • alles ist kontextabhängig
    • dadurch entsteht Bedrohung für die Gesellschaft: wie wird kommuniziert, wenn nichts eine klare Bedeutung hat?
    • Lösung: Reflexibilität
  • Reflexibilität
    • Common Sense Knowledge: sämtliche Kompetenzen und kognitive Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit das Alltagsleben funktioniert
    • dadurch können wechselseitig Sinn- und Bedeutungsunterstellungen durchgeführt werden
    • Krisenexperimente verdeutlichen, dass diese Regeln die Voraussetzungen für das Alltagsleben und die Alltagskommunikation sind

Wie definiert Garfinkel die Ethnomethodologie?

  • Begriff wird verwendet, um rationale Eigenschaften indexikalischer Ausdrücke und anderer praktischer Handlungen als kontingente, forlaufend erbrauchte Leistungen der organisierten Praktiken des Alltagslebens zu untersuchen
    • Untersuchung der Hintergrunderwartungen/des Basislebens des Alltags

Was sind Zurechnungspraktiken?

  • accountings
  • ethnomethodologische Studien analysieren Alltagstätigkeiten
  • Methoden von Gesellschaftsmitgliedern:
    Machen die Tätigkeiten als Organisationsformen gewöhnlicher Alltagstätigkeiten sichtbar-rational und praktisch-mittelbar (accountable) 
    • alle direkt beobachtbaren Tätigkeiten von Alltagsaktueren
  • Accounts lassen sich nicht strikt eingrenzen
    = praktische Leistungen von Alltagsakteuren

Was ist Rationalität nach Garfinkel?

  • Kriterium für das in einer sozialen Situation vorausgesetzte Wissen (Reflexivität)
  • Unterscheidung der praktischen Form von Rationalität (logale, begrenzte Geltung) vs. theoretische Form von Rationalität

Was wird an Garfinkel kritisiert?

  • theoretische Bedeutungslosigkeit
    • sehr spezifischer Sinn der Begrifflichkeiten
    • lässt sich nur schwer mit anderen soziologischen Theorien vereinbaren
    • Theorie = a-theoretisch

Was wird an Garfinkel geliebt?

  • radikale Weise, wie er versucht, die Prinzipien sozialer Ordnung zu begründen, indem er sie außer Kraft sehtzt
    • methodische Unruhestiftung

Wie wird Goffmann eingeordnet und bewertet?

  • unterschiedliche Urteile: greatest sociologist vs. sonderbar und unheimlich
  • Zuweisung Goffman zu soziologischer Schule = schwierig
    • Theorieattribute: Behaviorist, Funktionalist, Strukturalist, Konversationsanalytiker, Vertreter der symbolisch-interaktionistischen Rollentheorie, Systematiker

Inwiefern lässt sich Goffmann als Systematiker einordnen?

  • systematisch argumentierender Sozialtheoretiker
  • Ablehnung der theoretischen Systematisierung seiner Arbeit/Ordnungsversuche
    • Ansicht, dass nichts auf der Welt in abstrakte Systeme reduziert werden kann
  • Schwankt zwischen Suche nach einer generellen Theorie der f2f Interaktion und Skepsis, dass es eine solche gibt

Wie sieht Goffmanns Menschenbild aus?

  • Menschen spielen Theater, sind Rollenspieler
    • planen den Eindruck auf andere/inszeniert sich
  • Mensch begibt sich gern in Gesellschaft anderer 
  • Grund: möchte das wahre Selbst vor äußerlichen Übergriffen schützen
    • sobald er die Privatsphäre verlässt, ist er potentiell gefährdet
  • "Goffmensch" = prinzipiell verunsichertes Wesen, das ständig:
    1. Probleme bewältigen
    2. Antworten suchen
    3. Rätsel lösen muss
  • Gesellschaft als "ärgerliche Sache"

Wie ist Goffmanns Perspektive auf das Problem der sozialen Ordnung?

  • ähnlich Garfinkel: missverstandener Gegenspieler zu Parson
  • es gibt viele Verhaltensmuster, die die soziale Ordnung produzieren
  • Mensch ≠ bereiwilliger Normenvollstrecker
  • Bild des "cultural dope" wird dekonstruiert

Was beinhaltet das Werk "Interaction ritual"?

  • zentraler Untersuchungsgegenstand:
    Ergeignisse, die im Verlauf und aufgrund des Zusammenseins von Leuten geschehen
  • Ziel: Beschreibung natürlicher Interaktionseinheiten

Was beinhaltet das Werk "Strategic interaction"?

  • zentraler Untersuchungsgegenstand:
    persönliche Interaktion als ein sich natürlich abgrenzendes, analytische einheitliches Teilgebiet der Soziologie

Was beinhaltet das Werk "Relations in Public"?

  • Interaktionspraktiken definieren und ins Zentrum stellen
    • wurden bis dato von Soziologen zwar veranschaulicht, aber nie als zentralen Forschungsgegenstand verwendet

Was beinhaltet das Werk "The interaction order"?

  • Ziel: unmittelbare Interaktionen sind der analytischen Untersuchung wert
    • unmittelbare Interaktionen bis dato keinen Namen
    • Vorschlag: "Interaktionsordnung"
  • am besten mit Mitteln der Mikroanalyse zu untersuchen
  • wichtigstes Werk: kumuliert Ergebnisse der vorherigen Werke

Was postuliert Goffmann mit der "Autonomie der Interaktionsordnung"?

  • Katalog von Kriterien, die bestätigt werden müssen, damit von Interaktionsordnung als autonomer Gegenstandsbezug einer mikroanalytischen Perspektive sprechen kann
    • Definition von verschiedenen Elementen der Interaktionsordnung und deren Zusammenhänge
  • Zeigen, dass Interaktionsordnung nicht mit makrosoziologischen Kategorien erklärt werden kann
    • Interaktionsordnungen weisen Stabilität auf
    • skizzieren der Entwicklung von Interaktionsordnungen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien einer Gesellschaft
    • Vergleichen von ähnlichen Interaktionsordnungen in verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen

Was sind Merkmale der Interaktionsordnung?

  1. einfach situiert (merely situated)
    • zufällig in sozialer Situation 
  2. situativ (situational)
    • nur in f2f Konstellationen

Beispiel: Person wird ausgeraubt; Waffe des Einbrechers = gefährlich, nur, wenn Opfer anwesend ist
Gefahr fürs Leben = situational gebunden, Verlust von Wertgegenständen = einfach situiert

Ab jetzt Merkmale nur für f2f: Welche gibts?

  1. Unvermittelbare Verstricktheit/kognitive Zustände der Partner
  2. Offensichtlichkeit des Verhaltens/Lesbarkeit des Verhaltens
  3. Ritualisierung/Standardisiertheit des körperlichen und sprachlichen Verhaltens
  4. kategoriale vs. individuelle Identifikation
  5. Persönliche Gebietsansprüche

Was ist die unmittelbare Verstricktheit/die kognitiven Zustände der Partner?

  • wechselseitie Verstricktheit und gemeinsame Beteiligung der Teilnehmer am Geschehen (Minimum: in Form von Aufmerksamkeit)
  • wichtige kognitive Zustände können nicht über längere Ruhephasen hinweg aufrechterhalten werden oder erzwungene Auszeiten/Unterbrechungen überdauern
  • Gefühle, Stimmungen, Wissen, Körperstellung, Muskelbewegungen = im sozialen Handeln miteinander verknüpft
    • verleihen psychobiologischen Charakter
  • z.B. jemand schaut beim Reden immer weg -> man will mit Person nicht mehr interagieren

Was ist die Offensichtlichkeit des Verhaltens/Lesbarkeit des Verhaltens?

  • Verhalten gibt Hinweise auf Status, Beziehungen, nächste Handlungen und Absichten
  • auch bei fremden Menschen lesbar
  • daher Versuch, Enthüllung zu erleichtern/zu verhindern/zu verfälschen

Was ist die Ritualisierung/Standardisiertheit des körperlichen und sprachlichen Verhaltens?

  • Skripte, die angeben, wie wir uns in verschiedenen Situationen zu verhalten haben

Was ist die kategoriale/individuelle Identifikation?

  • Charakterisierung der anderen durch zwei Formen der Identifikation
  • Kategoriale Identifikation
    • Person wird einer/mehrerer sozialer Kategorien zugeordnet
    • meiste Personen werden kategorial behandelt
  • Individuelle Identifikation
    • Person wird mit einmaliger Identität ausgestattet
    • basiert auf äußerer Erscheinung, Klang der Stimme etc.
    • nahestehende Personen werden individuell identifiziert

Was sind persönliche Gebietsansprüche?

  • in sozialen Interaktionen wird man mit unvorhersehbaren persönlichen Gebietsansprüchen des Gegenübers konfrontiert
  • andere Person = körperlich anwesend
    • macht uns verwundbar, da durch Körperlichkeit ist man Angriffen anderer durch die Kraft ihres Körpers ausgesetzt
    • Gewalt, sexuelle Belästigung, Raub etc.
  • Gesellschafts-/Menschenbild: Kampf alle gegen alle; Menschen sind ungleich (körperliche Unterschiede)

Was kann man zu Merkmalen nun sagen?

  • Merkmale ≠ Strukturen der Interaktion
  • f2f Interaktion lokaler Ordnung wird immer wieder geschaffen
  • Situationen kein Spiegel/Ausfluss einer bereits bestehenden Ordnung, sondern Grundlage

Was kann man abschließend zum analytischen Status der Interaktionsordnung sagen?

  • Schnittstelle Interaktionsordnung und Sozialstruktur:
    • vergleichsweise autonome Form des Lebens in der Interaktionsordnung
    • ohne Interaktionsordnung: grundlegend, konstitutiv für Gestalt von makroskopischen Phänomenen (Sozialstruktur)
  • Goffmann ≠ radikaler Mikrosoziologe -> betrachtet Mikro und Makro als autonome Felder soziologischen Arbeitens
  • Interaktive Praktiken und soziale Strukturen stehen in Beziehung zueinander

Was ist der Leitgedanke Goffmanns bzgl. der Doing-Gender Perspektive?

  • Kategorien von Personen werden in miserablen interaktionalen Bedingungen widerstandslos akzeptiert
  • menschliche Natur besitzt Fähigkeit, Abbilder von Männlichkeit und Weiblichkeit zu entwerfen, zu verstehen und die Bereitschaft, bei der Darstellung solcher Bilder nach einem Plan zu verfahren
    • Fähigkeit haben Menschen durch ihre Eigenschaft als Personen (nicht als Mann/Frau)
  • Es gibt keine Geschlechtsidentitäten, nur den Plan für das Portraitieren der Geschlechtszugehörigkeit

Was versucht Goffmann zu erklären?

Wie in Interaktionen die Einteilung in männlich/weiblich konstruiert wird

Was sind seine Erklärungsgründe?

  1. Sozialisation
  2. Institutionelle Reflexivität
  3. Praktiken des Hofierens
  4. System der Höflichkeit

Was ist mit der Sozialisation gemeint?

  • anfängliche Zuordnung in männlich/weiblich = erster Schritt eines Sortierungsvorgangs 
  • dann: unterschiedliche Behandlung, unterschiedliche Erfahrungen, andere Erwartungen werden gestellt, andere Erwartungen erfüllt
  • Folgen:
    1. eine geschlechtsklassenspezifische Weise der äußeren Erscheinung des Handelns und Fühlens lagert sich über das biologische Muster
    2. dadurch entstandene Unterschiede werden als grundsätzliche Eigenschaften angesehen (als biologische Eigenschaften)