Seminar WS20/21


Kartei Details

Karten 55
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 18.01.2021 / 30.06.2024
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Welche Aufgabe der Exekutiven Funktionen (EF) führt dazu, dass es schwierig ist, Probleme beim Rechnen bei Kindern mit AD(H)S auf eine Dyskalkulie zurückzuführen? 

  • Hohe Komorbidität mit ADHS und Dyskalkulie
  • Kinder mit ADHS machen beim numerischen und physischen Zahlenvergleich mehr Fehler als unauffällige Kontrollgruppe
  • Kinder mit ADHS haben eine höhere Fehlerquote in Zahlenvergleichsaufgabe
  • Höhere Fehlerquoten lassen sich aber wohl besser durch defizitäre Inhibition erklären, die bei ADHS gegeben ist
  • Daher ist es schwierig festzustellen, ob Kinder mit ADHS eine Rechenschwäche haben und aufgrund dessen schlechtere Leistungen erbringen, oder ob die schwächeren Rechenleistungen auf mangelnde Inhibition zurückzuführen sind

Zu welchen Ergebnissen kam die Studie von Landerl et al., 2009, die die Komorbidität von Dyskalkulie und Legasthenie untersuchte? 

  • Gesamtstichprobe mit über 1000 Kindern der 2.-4. Klasse
  • Kinder mit auffällig schwachen Rechenleistungen, aber altersgemäß entwickelten Leseleistungen (Dyskalkulie)
  • Kinder mit schwachen Lese- und Rechenleistungen (Legasthenie/Dyskalkulie)
  • Kinder mit unauffälligen Rechenleistungen, aber mit schwachen Leseleistungen (Legasthenie)
  • KG mit unauffälligen Lese- und Rechenleistungen (Kontrollgruppe)
  • Kinder in Gruppen mit isolierten Lernstörungen wurden so ausgewählt, dass die jeweils nicht beeinträchtigte Leistung dem Altersdurchschnitt entsprach --> das ist wichtig, weil in vielen anderen Studien nicht darauf geachtet wird, welche eventuellen Komorbiditäten vorliegen und die Ergebnisse dann nicht komplett auf eine Rechenstörung zurückzuführen sind! (siehe Frage 6)
  • Die Kinder haben einen Mengengrößenvergleich gemacht
  • Ergebnisse:
  • Distanzeffekt in allen Gruppen -->  Reaktionszeit ist bei Mengen, die dichter aneinander liegen (kleine Distanz) größer
  • Beide Gruppen von rechenschwachen Kindern zeigten gleichermaßen basisnumerische Defizite, unabhängig davon, ob die Leseleistungen beeinträchtigt war oder nicht -->  basisnumerische Defizite sind also spezifisch für Dyskalkulie
  • spricht für spezifische kognitive Kernmechanismen für Dyskalkulie und Legasthenie

Benennen Sie Faktoren, die die Diagnostik von Dyskalkulie erschweren und methodische Probleme bei der Erforschung von Dyskalkulie darstellen.

  • Probleme beim Studiendesign: oft werden rechenschwache Kinder mit unauffälligen Kindern verglichen, es wird aber nicht auf Komorbiditäten untersucht --> schlechtere Ergebnisse der rechenschwachen Kinder müssen also nicht unbedingt auf eine Dyskalkulie zurückzuführen sein, sondern könnten eventuell an Komorbiditäten (z.B. ADHS) liegen.
  • Auch andere Entwicklungsstörungen können Einfluss auf die Zahlenverarbeitung und Rechenleistung haben, Bsp. ADHS
  • In IQ-Tests sind Untertests, die die Rechenleistung erfassen --> Kinder mit Rechenschwäche schneiden schlechter ab und würden möglicherweise keine Diskrepanzdiagnose erhalten
  • Diagn. Verfahren erheben sehr unterschiedliche Komponenten
  • Leistungsprofile sind sehr heterogen, sodass eine eindeutige Zuordnung schwerfällt

Für welche Fähigkeiten stehen die exekutiven Funktionen updating, shifting und inhibition? Nennen Sie für jede Komponente eine Beispielaugabe zur Erfassung dieser.

  • Updating:
    • Überwachung des Informationsflusses und Ergänzung bzw. Löschung von Inhalten des Arbeitsgedächtnisses
    • Erfassung z.B. durch Aufgaben, in denen nach jedem neuen Stimulus die letzten drei Stimuli genannt werden müssen
    • Z.B. Buchstaben-Gedächtnisaufgabe:
      • timuli: Serie von Konsonanten
      • Aufgabe: immer die letzten drei Buchstaben berichten
      • AV: Richtigkeit der erinnerten Buchstaben 
  • Inhibition
    • Gezieltes Unterdrücken dominanter oder automatischer Reaktionen
    • z.B. Stroop-Test: Lesen eines Farbwortes unterdrücken, um Farbe zu erkennen
    • Z.B. Antisakkaden-Aufgabe:
      • Distraktorreiz: kurzer Blitz auf der einen Seite des Bildschirms
      • Zielreiz: Pfeil auf der nicht gecueten Seite des Bildschirms
      • Aufgabe: Fixation des Kreuzes, dann berichten der Pfeilrichtung 
      • AV: Anteil korrekt berichteter Pfeile
  • Shifting
    • Flexibler Wechsel zw. Aufgaben/ mentalen Sets
    • Task-switiching Aufgaben bei denen z.B. das Merkmal wechselt, nach dem Stimuli Kategorien zugeordnet werden sollen
    • Z.B. Number-letter-Aufgabe
      • Stimuli: Kombination aus einer Zahl und einem Buchstaben
      • Cue: Auftauchen des Stimulus auf oberer oder unterer Bildschirmhälfte
      • Aufgabe:
        • Entscheidung, ob Zahl gerade oder ungerade, wenn Stimulus auf oberer Bildschirmhälfte
        • Entscheidung ob Buchstabe Konsonant oder Vokal, wenn Stimulus auf oberer Bildschirmhälfte
      • AV: Reaktionszeitdifferenz zwischen trials mit gleicher und trials mit unterschiedlicher Anweisung

Wie werden exekutiven Funktionen im Unity/Diversity Framework aufgefasst?

  • wenn man eine VPn verschiedene Aufgaben zur Messung der EFn durchführen lässt sieht man, dass die verschiedenen EFn deutlich miteinander korrelieren --> dies verstanden Forscher als Hinweis für eine übergeordnete Fähigkeit, eine gemeinsame Komponente der EFn --> Unity 
  • die EFn zeigen jedoch keine perfekten Korrelationen und teilweise sogar unterschiedliche Korrelationsmuster mit anderen Maßen --> die verschiedenen EFn lassen sich also auch differenzieren --> es gibt eine spezifische Komponente --> Diversity 
  • Die einzelnen Fähigkeiten bestehen aus einer gemeinsamen und einer spezifischen Komponente
    • Fähigkeit zum Updating = Common EF + Updating Spezifische EF
    • Fähigkeit zum Shifting = Common EF + Shififting Spezifische EF
    • Fähigkeit zur Inhibtion = Common EF
  • Hypothesen zur Funktionen der Komponenten
    • Common EF
      • Aktives Aufrechterhalten von Aufgabenzielen und zielbezogener Informationen
      • Nutzen zielbezogener Informationen zur Steuerung oberflächlicher Informtionsverarbeitung (low level processing)
      • Fähigkeiten, die für alle spezifischen exekutiven Funktionen notwendig ist
    • Updating-Specific --> noch uneindeutig evtl. kontrollierter Abruf aus dem Langzeitgedächtnis
    • Shifting-Specific
      • Fähigkeit zur Flexibilität: Fähigkeit, schnell und spontan neue Aufgaben/ Bedingungen zu repräsentieren und umzusetzen

Wieso sind exekutive Funktionen allgemein und bezogen auf ADHS ein relevantes Forschungsgebiet? 

Exekutive Funktionen als Prädiktor für unterschiedlichste Verhaltensweisen

  • Z.B: Zusammenhang mit behavioral disinhibtion (=genereller Vulnerabilitätsfakor)
    • Wird mit Aufmerksamkeitsdifiziten, novelty seeking, Verhaltensstörungen und Substanzkonsum in Verbindung gebracht
    • Korreliert zu -.63 mit genereller EF
    • --> bessere generelle exekutive Funktionen gehen einher mit weniger behavioralen Problemen

Weitere Zusammenhänge:

  • Ausdruck und Kontrolle impiziter Vorurteile und Verzerrungen
  • Treue in der Beziehung zum Partner
  • Erfolgreiches Ausführen von Diät- oder Trainingsplänen

--> Erfassen exekutiver Fähigkeiten könnte relevant sein in Interventionsprogrammen oder zur Identifikation von Zielgruppen für Präventionsprogramme

Zusammenhang mit ADHS

  • Beeinträchtigte Inhibitionsfähigkeit gefunden
  • Diskussion, ob primäres Inhibitionsdefizit ursächlich für ADHS-Symptome ist (s. Referat ADHS2)

Welche Risikofaktoren für die Ausbildung einer ADHS wurden bisher identifiziert? Gibt es protektive Faktoren? 

Genetische Risikofaktoren

  • Etwa 80% der Verhaltensvarianz werden durch erbliche Faktoren erklärt
  • V.a. Gene beteiligt, die zusammengenommen komplexe Neurontransmitterfunktionen (v.a. Dopamin) kontrollieren
  • Jedes einzelne gefundene Risikoallel erhöht das relative ADHS-Risiko nur zu einem geringen Maß
  • ADHS = komplexe Erkrankung, die durch Interaktion verschiedener Faktoren verursacht wird

Exogene Risikofaktoren

  • Deutliche Befundlage für folgende Faktoren
    • Nikotinexposition während der Schwangerschaft
    • -->Mechanismus: Reduktion der Dichte nikotinerger Rezeptoren, die die dopaminerge Aktivität modulieren-->
    • Interaktion von genetischen und exogenen Faktoren: Beleg, dass das Vorliegen eines bestimmten Allels das Risiko einer ADHS-Entstehung erhöht, wenn während Schwangerschaft geraucht wird
    • Chronische Bleiexposition (selten)
    • Ungünstige psychosoziale Bedingungen, z.B: schwere Deprivation in Kindheit, institutionelle Erziehung (weniger Ursache als Moderator: Auswirkung auf Schweregrad und Stabilität der Symptomatik)
  • Widersprüchliche/ uneindeutige Befunde für
    • Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen
    • Virale Infektionen während der Schwangerschaft
    • Atopische Krankheiten (z.B. Neurodermitis)
  • Protektive Faktoren

  • Positive Qualität von Beziehung in Familie und Schule

Welche neuropsychologischen Auffälligkeiten wurden bei Kindern mit ADHS beobachtet? 

  • Störungen der IV --> Schlechtere Leistungen wenn die Menge & Komplexität der zu verarbeitetenden Infos zunimmt
  • Beeinträchtigung der motorischen Kontrolle --> Vorbereitung, Auswahl und Ausführung motorischer Antworten gestört
  • Beeinträchtigungen exekutiver Funktionen --> Vielfach nachgewiesen --> Mangelnde Fähigkeit zur Verhaltensinhibition --> manche Forscher sehen primäres Inhibitionsdefizit als ursächlich für Störung anderer exekutiver Funktionen --> Dadurch z.B. verbales & nonverbales AG, planerisches & problemlösendes Denken beeinträchtigt
  • Motivationale Faktoren (delay aversion, verkürzte retrograde Verstärkerwirksamkeit) modulieren Ausmaß der Beeinträchtigung

Welche Rolle spielt das Dopaminsystem im Bezug auf eine ADHS?

  • Dopaminsysteme
    • Mesokortikolimbisches System: beeinflusst motorische Aktivität, Neugierverhalten, planerisches Denken
    • Mesostriatales System: Rolle bei stereotypen Verhaltensweisen und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit
  • Auffälligkeiten des Dopaminsystems
    • Um 70% höhere Bindungskapazitäten der präsynaptischen Dopamintransporter (Höchstwahrscheinlich genetisch determiniert)
    • Folge: schnellerer Rücktransport aus synaptischem Spalt
      • Angriffspunkt von Methylphenidat
        • Methylphenidat blockiert Transporter --> hemmt Wiederaufnahme --> Dopamin kann länger Wirken
  • Dopaminerge Hypofunktion im PFC
    • bei Erwachsenen beobachtet, bei Kindern nicht
    • evtl. im Verlauf der Entwicklung Ausweitung der Beeinträchtigung der dopaminergen Neurone im Bereich der Basalganglien zu einem Defizit im präfrontalen Zielbereich der Neurone

Beschreiben Sie das Modell von Miyake et al. (2000) und erklären Sie vorher kurz und präzise, was man unter exekutiven Funktionen versteht. 

Exekutive Funktionen sind höhere kognitive Prozesse, die das Denken und Handeln regulieren und im Einsatz sind, wenn es um Bewältigung neuer, unbekannter und komplexer Aufgaben und Situationen geht.

Miyake und Kollegen beschreiben in ihrem Modell: 

  • Inhibition: Fähigkeit, dominante, automatische oder vorherrschende Reize bewusst zu unterdrücken bzw. zu hemmen
  • Updating: Aktualisieren und Aufrechterhalten von Arbeitsgedächtnisinhalten und -prozessen; eine aktive Verarbeitung und Manipulation der Information wird ermöglich. Das Updating ist eng verknüpft mit dem Konzept des Arbeitsgedächtnisses
  • Shifiting: Schneller Wechsel zwischen Aufgaben, Lösungsstrategien oder auch Denkmustern bei neuen Situationen und Anforderungen

Wie unterscheidet sich die Therapie von Kindern mit einer isolierten LRS zu der von Kindern, die komorbide Auffälligkeiten zeigen? Welche Probleme sind vor allem bei Kindern mit LRS und ADHS aufgetreten?

Kinder mit LRS und ADHS zeigten vor allem Probleme in der Aufmerksamkeitssteuerung und -aufrechterhaltung und weniger im Bereich der Hyperaktivität. Für die Therapie sollte man sich bei Kindern mit isolierter LRS besonders auf die phonologische Verarbeitung der gesprochenen und geschriebenen Sprache konzentrieren, wohingegen man bei Kindern mit komorbiden Auffälligkeiten darauf achten sollte, sie in der Selbstkontrolle und im Erwerb konkreter Lernstrategien zu unterstützen.

Bei der Studie von Landerl und Moll von 2010 wurde unter anderem auch die familiäre Transmission untersucht. Welche Ergebnisse konnten die Autoren finden, insbesondere bezüglich erhöhten Raten für Rechenstörungen u. LRS? 

  • Erhöhte Raten für Rechenstörung bei Familien mit Kindern mit Rechenstörung
  • Erhöhte Lese-Recht-Schreib-Raten bei Familien von Kindern mit LRS
  • Erhöhte Raten sind störungsspezifisch u. sprechen gegen eine gemeinsame Ätiologie
  • Interessante Beobachtung: Familien mit Kindern, die eine Rechenstörung und eine LRS haben, berichten nicht eher von Rechenstörung u. LRS in Familie als Familien mit Kindern mit einer isolierten Störung
  • Familien mit Kindern, die eine Rechenstörung und eine LRS haben, die von Verwandten mit LRS berichten, berichten eher von Rechenstörungen als Familien, die nicht über eine LRS berichten --> Ko-Segregation

Landerl und Moll verwenden Ausschlusskriterien für Ihre Studie, was in vorherigen Untersuchungen nicht der Fall gewesen ist. Welche Kriterien sind das? Und welche Kinder werden für eine weitere individuelle Beurteilung eingeladen? Die Kinder werden dann im Bereich Lesen, Rechnen und Schreiben geprüft. Suchen Sie sich eine Kategorie aus den dreien aus und beschreiben Sie davon das Testverfahren.

  • Ausschlusskriterium: Kinder mit Deutsch als Zweitsprache, Kinder mit einer diagnostizierten ADHS o. Kinder mit einer Diagnose von generellen Lernproblemen
  • Alle Kinder, die mindestens eine SD unter der Altersnorm in Rechnen, Lesen u. Schreiben waren à werden für individuelle Beurteilung eingeladen
  • Lesen 
    • standardisierter Sätzelesetest (Mayringer u. Wimmer, 2003)
    • einfache Sätze lesen und ankreuzen, ob ihre Bedeutung richtig ist
    • Bsp: "Erdbeeren sind blau" 
  • Rechtschreibung
    • standardisierter Rechtschreibtest (Landerl u. Moll, 2009) 
    • 24 Wörter für Zweitklässler
    • 48 Wörter für Dritt- u. Viertklässler
  • Rechnen
    • standardisierter Test mathematischer Fähigkeiten (Haffner et al., 2005)
    • Kompetenz der Kinder in den vier mathematischen Operationen in spezifischen Subtests beurteilt
    • zusätzlich zwei Untertests
    • mündliche Instruktionen

Welche vier Hauptannahmen entkräftet Siegel in ihrem Artikel „IQ is irrelevant for the Definition of Learning disabilities?“

  1. IQ-Tests messen Intelligenz
  2. Intelligenz und Leistung sind unabhängig voneinander
  3. IQ-Scores sagen Lese- oder Rechenscores voraus
  4. Individuen mit Lesestörung verschiedener IQ-Level haben verschiedene kognitive Prozesse und Informationsverarbeitungsfähigkeiten

Was schlägt Siegel vor, wie man eine Lernstörung ohne das Diskrepanzkriterium diagnostizieren sollte, und was nennt sie als bestes Argument für die Modularität von Leseprozessen? 

  • Pseudowort-Lesetest
  • Worterkennungstests
  • Bestes Argument für die Modularität von Leseprozessen u. Beweis, dass Lesen als ein Prozess wirklich unabhängig vom IQ ist: hyperlexikalische Kinder (= Kinder, die zwar Wörter lesen und vorlesen können, aber die Bedeutung nicht verstehen)