Zivilverfahrensrecht I

Lernkarten Zivilverfahrensrecht I - Lehrmittel Schweizerisches Zivilprozessrecht und Internationales Privat- und Zivilprozessrecht

Lernkarten Zivilverfahrensrecht I - Lehrmittel Schweizerisches Zivilprozessrecht und Internationales Privat- und Zivilprozessrecht


Kartei Details

Karten 70
Sprache Deutsch
Kategorie Recht
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 13.02.2020 / 23.05.2023
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Nenne die Prozessvoraussetzungen

Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, schutzwürdiges Interesse, Gericht örtlich zuständig?, Gericht sachlich zuständig?, Sache andersweitig rechtshängig (Litispendenz), nebis in idem, Vorschuss geleistet?, wird die Partei vertreten (wenn ja, liegt Vollmacht vor?), Klagebewilligung (Art. 209 Abs. 3), Frist (Art. 209 Abs. 3 und 4), Unterschrift (Art. 130 Abs. 1, Nachfrist wenn fehlt)

Wann prüft das Gericht die örtliche Zuständigkeit?

Bei zwingendem Gerichtsstand von Amtes wegen. Sonst erst, wenn eine entsprechende Einrede erhoben wurde (wegen möglicher Einlassung nach Art. 18)

Was bedeutet nebis in idem?

Ein geschilderter und beurteilter Lebenssachverhalt (zweigliedriger Streiggegenstandsbegriff) darf nicht nochmals gerichtlich beurteilt werden.

Was ist ein relativ zwingender Gerichtsstand?

Auf diesen kann die sozial schwächere Partei nicht im Voraus oder durch Einlassung verzichten. Der Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Entstehung der Streitigkeit ist aber zulässig (Unterschied zu absolut zwingendem Gerichtsstand)

Was kann der Kläger tun, wenn das Gericht wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit nicht auf die Klage eintritt?

Er kann innert 30 Tagen eine Klage beim zuständigen Gericht erheben (Art. 63 Abs. 1). Als Zeitpunkt der Klageerhebung gilt dann das Datum der ersten Einreichung.

Wann ist eine Widerklage oder eine objektive Klagehäufung (=mehrere selbständige Ansprüche in einer Klage) zulässig?

Bei gleicher Verfahrensart (Art. 224 Abs. 1) und sachlichem Zusammenhang (Konnexität), falls eine andere örtliche Zuständigkeit gelten würde.

Was bedeutet Parteifähigkeit? Was setzt sie voraus?

Fähigkeit, an einem Prozess als Partei aktiv oder passiv teilzunehmen. Setzt Rechtsfähigkeit (Art. 11 Abs. 1 und Art. 53 ZGB) voraus.

Was bedeutet Prozessfähigkeit? Voraussetzungen?

Fähigkeit, in einem Prozess rechtswirksame Handlungen vorzunehmen. Natürliche Person: Urteilsfähigkeit (Art. 16 ZGB) und Volljährigkeit (Art. 14 ZGB). Juristische Personen: Art. 54 ZGB.

Was setzt eine Streiverkündungsklage voraus?

Gleiche sachliche Zuständigkeit und sachlicher Zusammenhang.

Was bedeutet Fortführungslast

Bezeichnet denjenigen Zeitpunkt, ab dem ein Klagerückzug ohne Verlust des geltend gemachten Anspruchs nicht mehr möglich ist (=abgeurteilte Sache). Sie tritt mit Zustellung der Klage an die beklagte Partei ein.

Wann liegt Bedürftigkeit vor? (unentgeltliche Rechtspflege)

Wenn eine Partei die Prozesskosten nur bezahlen kann, wenn sie Mittel angreift, deren sie zur Deckung des Grundbedarfs für sich und ihre Familie bedarf (erweitertes betreibungsrechtliches Existenzminimum).

Wann wird eine unentgeltliche Rechtsvertretung bewilligt (Art. 118 Abs. 1 Bst. c)

Wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist. Dies hängt von folgenden Faktoren ab: anwaltliche Vertretung der Gegenpartei, Schwierigkeit der Rechtsfragen, Komplexität des Sachverhalts, Anwendbarkeit der Untersuchungs- und Verhandlungsmaxime, Rechtskundigkeit des Gesuchstellers.

Wie kann eine Abschreibung des Schlichtungsgesuchs angefochten werden?

h.L.: mittels Beschwerde, wenn ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht (Art. 319 Bst. b). Lehrmittel: Beschwerde nach Art. 319 Bst. a, da Endentscheid.

Was hat das Gericht beim Vorliegen einer Klagebewilligung der Schlichtungsbehörde zu prüfen?

Wurde Frist zur Klageerhebung (3 Monate; Art. 209 Abs. 3) eingehalten?

Wurde das Schlichtungsverfahren am richtigen Ort durchgeführt?

Was ist Zentral für die Mediation?

Sie ist freiwillig und kann nicht aufgezwungen werden;

die Organisation ist Sache der Parteien (Art. 215);

Die Kosten gehen zu Lasten der Parteien (Art. 218 Abs. 1);

die Parteien können dem Gericht in jedem Zeitpunkt des Verfahrens einen gemeinsamen Antrag auf Mediation stellen, was zu einer Sistierung führt (Art. 214 Abs. 2 und 3);

kann anstelle des Schlichtungsverfahrens treten (Art. 213).

Wann ist eine Bezifferung der Forderung unmöglich oder unzumutbar?

Wenn der Partei die genaue Höhe des Anspruchs nicht bekannt ist und diese Unkenntnis nicht in ihrer Verantwortlichkeitssphäre liegt, d.h. die Gegenpartei oder Dritte die Information erst bekannt geben müssen, oder wenn vorerst aufwendige und teure Expertisen erforderlich sind.

Was ist die Stufenklage und wo ist sie geregelt?

Art. 85. Die klagende Partei klagt zuerst einen Auskunftsanspruch bzw. einen Anspruch auf Rechnungslegung ein und verbindet diesen mit einer unbezifferten Forderungklage. Erst aufgrund der entsprechenden Auskunft kann sie den Hauptanspruch konkretisieren. In der Praxis wird oft der Antrag gestellt, die Forderungsklage sei bis zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs zu sistieren.

Beispiele einer Gestaltungsklage

Vaterschaftsklage, Klage auf Erstreckung des Mietverhältnisses, Scheidungsklage

Was setzt das Feststellungsinteresse bei einer Feststellungsklage voraus?

Die klagende Partei muss ein erhebliches schutzwürdiges Interesse haben. Ein solches liegt vor, wenn die Rechtsbeziehungen der Parteien ungewiss sind, die Ungewissheit durch gerichtliche Feststellung behoben werden kann und die Ungewissheit der klagenden Partei nicht mehr zumutbar ist.

Beispiele einer Feststellungsklage

Feststellung der Widerrechtlichkeit einer Persönlichkeitsverletzung, Feststellung der Nichtigkeit oder Ungültigkeit eines Vertrags.

Wann kommt das ordentliche Verfahren zur Anwendung?

in vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von über 30000.- (Art. 219 i.V.m. 243 Abs. 1 e contrario; Ausnahmen gemäss Art. 243 Abs. 2).

In nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten (Ausnahmen gemäss Art. 243 Abs. 2).

In Streitigkeiten, die generell vom Geltungsbereich des vereinfachten Verfahrens ausgenommen sind (Art. 243 Abs. 3).

Welche Grundsätze / Maximen gelten im ordentlichen Verfahren?

Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1), allgemeine gerichtliche Fragepflicht (Art. 56), Dispositionsgrundsatz (Art. 58).

Rechtsbegehren bei einer Forderungsklage

- hauptsächliches Begehren (z.B. Schadenersatz, Genugtuung)

- Zins 5 %

- unter Kosten- und Entschädigungsfolge für die beklagte Partei

Nenne den Ablauf des ordentlichen Verfahrens (Art. 219 ff.)

- Schlichtungsgesuch (Art. 202)

- Klagebewilligung (Art. 209)

- Klageeinreichung (ev. erst nach Ausstellung der Klagebewilligung) innert Frist (Art. 209)

- Kostenvorschuss (Art. 98, 101), ev. Nachfrist (Art. 101 Abs. 3)

- Prüfung der Klage betr. formelle Mängel (Art. 132), ev. Nachfrist

- Zustellung der Klage an beklate Partei und Frist zur Stellungnahme (Art. 222), ev. Nachfrist (Art. 223)

- ev. Zweiter Schriftenwechsel und/oder Instruktionsverhandlung (Art. 225 f.)

- ev. Beweisabnahme (Art. 226 Abs. 3)

-Beweisverfügung (Art. 154) und Vorladung zur Hauptversammlung (Art. 133 ff.). Verzicht möglich (Art. 233)

- Parteivorträge (Art. 228 Abs. 1)

- Beweisabnahme (Art. 231)

Schlussvorträge (Art. 232)

- Urteilsberatung

- Entscheid (Art. 236 ff.)

Nenne die Spezialitäten des vereinfachten Verfahrens

- Klage kann ohne Begründung und mündlich eingereicht werden

- Für vermögensrechtliche Streitigkeiten mit Streitwert bis CHF 30000

- Für andere Streitigkeiten (vom Gesetz bestimmt) ohne Streitwertgrenze

- Verhandlungsmaxime

- ausgedehnte gerichtliche Fragepflicht (Art. 247 Abs. 1)

- abgeschwächte Untersuchungsmaxime (Gericht hilft bei der Sammlung des Prozessstoffes mit, indem es Fragen stellt; Art. 247 Abs. 2)

- Vorschriften über Eröffnung und Begründung des Entscheids: Art. 239 sinngemäss anwendbar

Nenne den Ablauf des vereinfachten Verfahrens (Art. 243 ff.)

- Schlichtungsverfahren (Art. 202)

- wenn keine Einigung: Klagebewilligung wird ausgestellt (Art. 209, 211 Abs. 2) auch möglich: Urteilsvorschlag (Art. 210 f.), Entscheid (Art. 212) oder Einigung

- Klageeinreichung innert Frist (Art. 209)

- Leistung Kostenvorschuss innert Frist

- Prüfung der Klage betr. formelle Mängel und ev. Nachfrist (Art. 132)

- wenn Klage mit Begründung: Zustellung an beklagte Partei mit Fristansetzung (Art. 245)

- ev. Klageantwort. Wenn nicht: Verfahren wird weitergeführt (Art. 234 Abs. 1)

- wenn Klage ohne Begründung: Zustellung an beklagte Partei mit gleichzeitiger Vorladung zur HV (Art. 245)

- ev. Schriftenwechsel und/oder Instruktionsverhandlung (Art. 246)

- Hauptversammlung (Art. 245)

- Beweisabnahme

- Urteilsberatung

- Entscheid (Art. 236 ff.)

Wann ist ein Rechtsschutz in klaren Fällen zu bejahen (Art. 257)? = spezielles summarisches Verfahren

Wenn liquide Verhältnisse bestehen. Ein Sachverhalt ist liquid, wenn er unbestritten und sofort beweisbar ist. Sofort beweisbar ist ein Sachverhalt, wenn er ohne zeitliche Verzögerung und besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann (Urkunden oder Augenschein).

Eine liquide Rechtslage besteht, wenn die Norm klar ausgelegt werden kann oder wenn eine klare Rechtsprechung existiert.

Achtung: ist bei der Offizialmaxime nicht erlaubt (Art. 257 Abs. 2)

Nenne die Voraussetzungen zum Erlass einer vorsorglichen Massnahme

- materieller Anspruch zivilrechtlicher Natur

- Gefährdung oder Verletzung des wahrscheinlichen Anspruchs (Art. 261 Abs. 1 lit. a)

- Drohender, nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil (lit. b)

- Zeitliche Dringlichkeit (Achtung: ev. Superprovisorische Massnahme)

- Verhältnismässigkeit

Dies muss der Gesuchsteller glaubhaft machen

Was bedeutet Glaubhaftmachen?

Es muss wahrscheinlicher sein, dass die Voraussetzungen des behaupteten Rechts vorliegen wie umgekehrt.

Wie können vorsorgliche Massnahmen angefochten werden? Wie lange ist die Rechtsmittelfrist?

mit Berufung (Art. 308 Abs. 1 Bst. b und Abs. 2) oder subsidiär mit Beschwerde (Art. 319 Bst. a). Rechtsmitelfrist ist 10 Tage (Art. 314 Abs. 1; 321 Abs. 2)

Das Rechtsmittel hat keine aufschiebende Wirkung.

Welches Zwangsmittel kann bei vorsorgliche Massnahmen, die zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten, eingesetzt weden?

Die Strafandrohung nach Art. 292 StGB (Art. 267 i.V.m. Art. 343 Abs. 1 Bst. a)

Wie kann eine superprovisorische Massnahme angefochten werden?

Die ZPO sieht kein Rechtsmittel vor.

Was ist eine Schutzschrift?

Damit kann der Gesuchsgegener der Tatsache begegnen, dass seine Anhörung bei superprovisorischen Massnahmen erst nach Erlass der Massnahme vorgenommen würde, und seinen Standpunkt bereits vorher darlegen. Die Schutzschrift wird während sechs Monaten beim Gericht aufgehoben (Art. 270).

Nenne den Ablauf des summarischen Verfahrens (Art. 248 ff.)

- Kein Schlichtungsverfahren (Art. 198 lit. a)

- Einrechung des Gesuchs mündlich oder schriftlich (Art. 253)

- Verhandlung (im Ermessen des Gerichts (Art. 256 Abs. 1)

- Entscheid unter sinngemässer Anwendung von Art. 236 ff.

- ev. Beschwerde (Art. 319)

Was ist der Unterschied bei den eherechtlichen Verfahren gegenüber anderen summarischen Verfahren?

- es gilt der eingeschränkte Untersuchungsgrundsatz (Art. 272)

- Spezialregelungen in Art. 271-273)

Wann muss stets eine mündliche Verhandlung durchgeführt werden?

In Angelegenheiten betreffend die Kinderbelange (Art. 296)

Inwiefern ist die Verhandlungsmaxime im Scheidungsprozess abgeschwächt?

Wenn für die Beurteilung von vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen Unterlagen fehlen, fordert das Gericht die Partien auf, diese nachzureichen (Art. 277 Abs. 2).

Was ist bei der gerichtlichen Genehmigung einer Scheidungskonvention (=Vereinbarung über die Scheidungsfolgen) zu beachten?

in Art. 279 geregelt. Gilt für Scheidung auf gemeinsames Begehren und Scheidung auf Klage (wenn Einigkeit bezüglich Nebenfolgen).

Bei einer Veränderung der Verhältnisse kann die Konvention schriftlich angepasst werden. Wenn die Änderungen streitig sind, ist eine Klage einzureichen (Art. 284 Abs. 3).

Was gilt in Verfahren betreffend Kinderbelange?

Art. 295-304. Es gelten die Untersuchungs- und Offizialmaxime. Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen und nimmt Abklärungen vor (=uneingeschränkte Untersuchungsmaxime). Noven werden bis zur Urteilsberatung berücksichtigt (Art. 229 Abs. 3).

Weiter gilt der Freibeweis (Art. 168 Abs. 2).

Das Kind hat eine prozessuale Stellung eigener Art inne, ist aber nicht Hauptpartei.

Was bedeutet das Verbot der reformatio in peius?

Der Rechtsmittelkläger darf durch das oberinstanzliche Urteil nicht schlechter gestellt werden, als wenn er das unterinstanzliche Urteil nicht angefochten hätte. Eingeschränkt wird diese Regel, wenn auch die Gegenpartei das Rechtsmittel ergriffen hat.