DuP, Thiersch, Lebensweltorientierte S.A.
DuP, WS19/20, S.A., FH Münster,
DuP, WS19/20, S.A., FH Münster,
Kartei Details
Karten | 20 |
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Sprache | Deutsch |
Kategorie | Soziales |
Stufe | Universität |
Erstellt / Aktualisiert | 11.01.2020 / 19.06.2023 |
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Lebensweltorientierte Soziale Arbeit lässt sich verstehen vor dem Hintergrund von drei vorherigen Theorieparadigmen, welchen?
a. Hermeneutisch-pragmatische Theorietradition (z.B.: Herman Nohl)
b. Realistische Wendung (z.B.: Heinrich Roth)
c. Gesellschaftskritische Wendung
Beschreibe die Hermeneutisch-pragmatische Theorietradition!
Theoretische Grundannahmen:
Lebensphilosophie, historische Betrachtung,
Hermeneutik als erkenntnistheoretischer Hintergrund,
Deutsche Bewegung („höhere Leben“), idealistisch(Nohl)
- Zentrum: der „pädagogische Bezug“:
Induktiv-rekonstruierend, historisch: Pestalozzi (Stans),
mehrfach dialektisch Spannungsverhältnis zwischen Erzieher und Zögling (Repräsentation des „höheren Lebens“ -> erreichen des „höheren Lebens“)
- Kritik - „Metaphysik der hohen Türme“ (W. Flitner); Verwendung ideologischer Begriffe
- Keine gesellschaftskritische, sozialwiss. Einordnung; Ausblendung pädagogischer Paradoxie: Erzieher ist gesells. Geformt
- Bildungswille wird unterstellt
Familie/Partnerschaft
-> immanenten Sinn verstehen + SozialpädagogIn
= Nohl: pädagogischer Bezug in seiner Wirkung
Was bedeutet Paradigma?
Ein Paradigma ist eine grundsätzliche Denkweise. Das Wort entstammt dem griechischen παράδειγμα parádeigma. Übersetzt bedeutet es „Beispiel“, „Vorbild“, „Muster“ oder „Abgrenzung“, „Erklärungsmodell“, „Vorurteil“; auch „Weltsicht“ oder „Weltanschauung“.
Quelle: Wikipedia
Was übernimmt Thiersch aus der hermeneutisch-pragmatischen Tradition für die lebensweltorientierte Soziale Arbeit?
Alltägliche Praxis verstehen und daraus Handlungen entwickeln
- Rekonstruktion von Alltags- und Praxiswissen; Ermittlung alltäglicher Handlungslogiken
- Individuelle Lebensverhältnisse vor den institutionellen Relevanzen in den Blick nehmen
- Aufnahme des Begriffes der „Lebenswelt“
- ohne theoretische Verortung (Husserl (Phänomenologie),
- Schütz (Interaktionismus),
- Habermas (Kritische Theorie))
- Veränderung von Lebenswelten als Bildungschance
Was bedeutet die realistische Wendung laut Roth?
„Realistische Wendung“ (Heinrich Roth)
• Abkehr unhinterfragter normativer Setzungen
-> Hinwendung zur Realität
• Abkehr von dialektischen Denkbewegungen
-> Hinwendung zu empirischen Methoden (kritischer Rationalismus: Deduktion, Falsifikation)
• Abkehr von Lebensphilosophie
-> Hinwendung zum Denken
-> neues Wissenschaftsverständnis
Theoretisches Grundverständnis: Kritischer Rationalismus
Was bedeutet innerhalb der realistischen Wendung, der Behaviorismus?
Lerntheorien: Konditionierung (behavioristische Lerntheorien)
– Iwan Pawlow 1849-1936: klassische Konditionierung (ausgelöstes Verhalten durch Reiz); Abschwächung eines Verhaltens durch Nichtbestätigung (Gegenkonditionierung); Pawlowsche Hund (Glocke -> Speichelfluss)
– John B. Watson 1878-1958: Begründer des klassischen Stimulus-Response-Behaviorismus: Übertragung der Tierpsychologie auf den Menschen; Gegenstand der Psychologie sei das Verhalten; Trainieren als Erziehung
– Burrhus Frederic Skinner 1904-1990: operante Konditionierung -> operantes Verhalten abhängig von Umwelteinflüssen (z.B. Belohnung); programmierte Lernen; Stimulus-> Response-> Consequence; Ratte drückt Hebel nach Licht oder Musik und erhält Futter)
• Soziale Lerntheorien (Albert Bandura, 1925 geb.): Beobachtungslernen und Lernen am Modell (sozialkognitive Lerntheorien (Aneignung -> Ausfüllung)); Imitation, Selbstwirksamkeitserwartung (Glaube an eigene Kompetenz), Aufmerksamkeit , z.B. auch gegensätzliches Verhalten, Eltern schreien Kind an, dass es ruhig sein soll
• Kritisch-rational orientierte Erziehungswissenschaft:
– Testverfahren: kausal schließendes Denken – Zusammenhänge schließend erkennen: Phänomene ç Ursachen (herausbekommen)
– -> pädagogisches Handeln auf erreichbare Erziehungsziele ausrichten
Was ist die Kritik an der realosttischen Wendung?
Theorieansätze stets empirisch überprüfen
• Macht der Zahlen: messbare Ergebnisse und prognostizierbare Ziele (Pisa)
• Fehlende fachliche Verortung der Methodik: kein Schutz vor ideologischen Grundannahmen und autoritärem Verhalten
• Konzentration auf die Methodik blendet inhaltliche Grundannahmen aus
• Adressat gerät aus dem Blick
Was übernimmt Thiersch aus der realistischen Wendung?
Thiersch übernimmt aus der realistischen Wendung:
• Empirische Ergebnisse berücksichtigen
• Wiss. Kriterien empirischer Forschung berücksichtigen
• Hinterfragung normativer Setzungen in der Praxis
• Selbstkritische Hinterfragung des eigenen Wirkens
Was verstehen wir unter der emanzipativen bzw. gesellschaftskritischen Wendung?
68er Bewegung, Umgang mit Heimkindern -> 70er Jahre
Ausgangs- und Zielpunkt der Adressat:
• Zuschreibung von Mündigkeit, Selbstverantwortung, Recht auf Selbstverwirklichung
• Vielfältigkeit ist normal
• Dialogische Hilfeformen
Forderung an die Gesellschaft:
• Barrieren von Selbstverwirklichung beseitigen
• Teilhabe ermöglichen
Gesellschaftskritik und politische Forderungen stehen im Vordergrund:
• Ideologische Vorannahmen entlarven
• Auswirkungen von Methoden bedenken
Was sind die Theoriehintergründe der emanzipativen oder gesellschaftskritischen Wendung?
Kritisch-theoretische Grundannahmen („Frankfurter Schule“)
• Historizität
• Dialektisch zwischen Individuum und Gesellschaft
• Totalität: die gesamte Situation betrachten inkl. selbstkritischer Reflexion des Einflusses der Gesellschaft, der Organisationen, der Fachlichkeit
Symbolischer Interaktionismus („Chicagoer Schule“)
• Einfluss von Umwelt auf den Menschen steht im Zentrum
• Symbolische Interaktionen können zu Etikettierungen und Stigmatisierungen führen
• Kritik an (totalen) Organisationen
Was ist die Kritik an der emanzipatvien bzw. gesellschaftskritischen Wendung?
Mündigkeit der Adressat*innen als Ausgangs- und Zielpunkt
• Einfluss der Umweltfaktoren einbeziehen
• Paradoxes Vorgehen: Hilfebedürftigkeit ó Mündigkeit (Ideologie?)
• Konkrete praktische Hilfen stehen im Hintergrund
• Tendenzielle Abkehr vom Menschen: seine Gefangenheit wird wenig berücksichtigt
-> Forderung, den Blick auf die Lebenswelt bzw. den Alltag der Adressat*innen zu wenden
Was übernimmt Thiersch aus der emanzipativen bzw gesellschaftskritischen Wendung für die bebensweltorientierte Theorie?
Lebensverhältnisse im Kontext gesells. Entwicklungen und konkreter Gegebenheiten (Strukturen, Handlungsoptionen) ins Zentrum stellen:
Aufnahme sozialwissenschaftlicher Theorien
• Berücksichtigung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse: Individualisierung Pluralisierung
• Dialektische Betrachtung von Individuum und Gesellschaft
• Kritisches Alltagskonzept („Alltag“sbegriff in Anlehnung an Kosik)
Ø Alltag als pseudo-konkret begreifen: bewusste und routinehafte Strukturen; verdeckte Normen und
Ø Aufdecken unbewusster Ressourcen und Handlungsoptionen
Ø Inkohärenz als Anlass zur Weiterentwicklung nutzen
Was sind die zentralen Inhalte der lebensweltorientierten S.A.?
Lebenswelt als Schnittstelle zwischen Objektivem und Subjektivem, Strukturen und individuellen Orientierungen/ Mustern/ Erfahrungen
• LWO als Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen, alter und neuer Ungleichheiten, neuer Formen von Anomie und Verunsicherung durch gesellschaftliche Modernisierung
• Rekonstruktion der konkreten alltäglichen Lebenswelt (Raum, Zeit und soziale Bezüge) im Kontext von Gesellschaft
• Lebensbewältigungskompetenzen fördern (Aktivierung/Stabilisierung) als Vermittlung zwischen individuellen Optionen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
Was bedeutet Pseudokronkretheit hinsichtlich der LWO?
Ausgangspunkt:
einzelne Mensch (Rekonstruktion der Ausrichtung, Erfahrungen, Muster) im Kontext seiner (gesellschaftlichen, organisationalen, sozialen (Umwelt)
• Thematisierung spezifischer, moderner Spannungen in und mit Gesellschaftsstrukturen und individuellen Bewältigungsmustern (in den Dimensionen Zeit, Raum und soziale Bezüge)
• Respekt vor dem individuellen „Gewordensein“ und Erweiterung der Bewusstseinsmöglichkeiten und Handlungsoptionen; Orientierung an dem subjektiven Bewusstsein der AdressatInnen
• Ressourcen, Eröffnung von Möglichkeiten der Lebensbewältigung im Zentrum
• Auseinandersetzung mit Herausforderungen angesichts von Routinen (Pseudokonkretheit) sowie vorhandenen Möglichkeiten und Ressourcen
Was bedeutet "gelingenderer Alltag" hinsichtlich der LWO?
„Lebensweltorientierung oder Alltagsorientierung, dieses Konzept …
meint den Bezug auf die Lebensverhältnisse der Adressaten, auf die sozialen und regionalen Strukturen und die Hilfe zur Lebensbewältigung.“ (Thiersch (4)2000)
- formaler Rahmen und Inhalt der Hilfe sind alltagsnah: „vor Ort Probleme da erkennen, wo sie sich zeigen, um die Ressourcen zu nutzen, die gegeben sind.“ (Thiersch 1978)
- Hilfe zur Lebensbewältigung direkt im Alltag
- Ziel ist ein „gelingenderer Alltag“
Was sind also die 8 zentralen Begriffe der LWO?
- Alltag
- Alltäglichkeit
- Pseudokonkretheit
- Respekt und Destruktion
- Empowerment
- Einmischung
- Verhandeln
- Flexibilität
Was sind die Aufgaben hinsichtlich der Alltäglichkeit in der LWO?
„Alltäglichkeit aber ist ambivalent; in ihr erfährt der Mensch sich [einerseits] als Subjekt“. Andererseits arrangiert man sich und verbleibt in „Routinen und Selbstverständlichkeiten“. „Dies Arrangement macht die Alltäglichkeit blind gegenüber den den Alltag bestimmenden Zwängen …“ (Thiersch 1978)
- Aufklärung bzgl. Routinen und der „blinden“ Übernahme gesellschaftlicher Zwänge, die unmündig machen (Selektionsmuster: Sprache, Logik, Kultur)
- Alltagsarrangements zur Ermöglichung verpasster Aneignungsprozesse durch neue Erfahrung
Was ist das Ziel bzw die Handlungsgrundlage hinsichtlich der Alltäglichkeit?
Ziel ist die Realisierung eines „gelingenderen Alltags“
durch Ermöglichung von „Praxis verstanden als Handeln, das … als sinnlich-menschliche Tätigkeit Indiz des Subjektcharakters des Menschen ist.“ (Thiersch 1978)
- Zuschreibung des Subjektcharakters
- Praxis sinnlich-menschlicher Tätigkeit im Blickpunkt
- Dialogisches Vorgehen: Ausgangs-, Bezugs- und Zielpunkt beim Adressaten in seiner Lebenswelt
Was sind die 10 Handlungsmaximen in der LWO?
1. (strukturbezogene) Prävention (frühe Hilfen, Entwicklungsprozesse von Menschen und Strukturen kritisch betrachten und bewusst gestalten)
2. Regionalisierung / Dezentralisierung (Planungsprozesse, Zuständigkeiten, zugehend, ambulant vor stationär)
3. Erreichbarkeit, Niedrigschwelligkeit
4. Integration / Normalisierung / Inklusion (unterschiedliche Lebenskonstellationen und –entwürfe akzeptieren und einbeziehen, Verantwortung der Strukturgestaltung)
5. Partizipation/Demokratisierung (Beteiligung, Teilhabe, Mitsprachereche strukturell ermöglichen) Mennemann/Dummann Einführung in Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit Lebensweltorientierte Soziale Arbeit und ein Überblick über Theorien Sozialer Arbeit 28 III. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit Handlungsmaxime der LWO
6. Vernetzen / Planen (Zusammenarbeit unterschiedlicher Koten- und Dienstleistungsträger)
7. Politische Einmischung (Mitgestaltung der Rahmenbedingungen, Unterstützung der AdressatInnen zur eigenverantwortlichen Mitgestaltung der politischen und sozialpädagogische Prozesse, parteiliche Hilfe)
8. Aushandeln (Diskurs, Konfliktbereitschaft, Einmischung, Gestaltungsräume ermöglichen, AdressatInnen zum selbstbestimmten Handeln ermutigen)
9. Reflektieren ((selbst-)kritisches Hinterfragen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der sozialpädagogischen Rahmenbedingungen (Organisation, Haltung und Handlungsweisen) und der Rutinen der AdressatInnen in ihrem Alltag)
10. Methodisch „offen strukturiert“ (eklektisch)
Was könnte an der LWO kritisiert werden?
Theoretisch vielfältig anschlussfähig
• Theoretische Unbestimmtheit der Begriffe „Lebenswelt“ und „Alltag“
• Festlegung auf theoretische Leitbegriffe: Subjektorientierung, Interaktionismus (ó System)
• Eine Theorie? Eine Grundhaltung? Ein Konzept?