Jugendstrafrecht

Vorlesung Uni Bern

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Flashcards 58
Students 15
Language Deutsch
Category Law
Level University
Created / Updated 14.05.2019 / 07.06.2024
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Warum ist Jugendstrafrecht ein Sonderstrafrecht?

Es richtet sich nur an eine bestimmte Altersgruppe (10-18-jährige), die Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht ist hart ausgestaltet, es gibt keine Üebrschneidungen und keine Übergangsaltersgruppe.

Es beinhaltet besondere Sanktionen und ein besonderes Verfahren für diese bestimmte Altersgruppe, es umschreibt jedoch keine eigenen Straftatbestände, sondern verweist für diese auf das StGB.

Was lässt sich aus lernpsychologischer/pädagogischer Sicht zur Wirksamkeit von Strafen sagen, wie sieht eine wirksame Strafe aus?

Eine Bestrafung ist nicht als solche wirksam, sondern weil sie Grenzen aufzeigt und dem Jug. eine Auseinandersetzung mit seinem Verhalten ermöglicht. Eine wirksame Strafe eröffnet dem Jug. alternative Verhaltensweisen, mittels welchen er seine Bedürfnisse befriedigen kann. Sie soll ihn zur Einsicht führen, was nur dann gelingen kann, wenn der Jug. das Verfahren versteht und die Bestrafung nachvollziehen kann.

Der Jug. soll wahrnehmen können, dass nicht er als Person, sondern sein Verhalten abgelehnt wird. Strafe muss schnell erfolgen und konsequent sein. Dabei ist nicht die Strafschärfe relevant, sondern wichtig ist dass der Jug. die Strafe ernst nimmt. Die individuelle Wirkung der Strafe aufgrund der Strafempfindlichkeit des Jug. ist zu berücksichtigen bei der Festlegung des Strafmasses. Verstärkende Wirkungen sind zu beachten.

Da harte Strafen nicht wirksamer sind als milde Strafen, sind harte Strafen nur dann anzuordnen, wenn sie als unvermeidlich angesehen werden. Dabei ist im Auge zu behalten, dass harte Strafen nicht der Erziehung, sondern der Generalprävention dienen.

Was versteht man unter "gemischten Fällen" und wie werden diese bei der Strafzumessung und der Wahl des Verfahrens, der Strafe und der zuständigen Behörde geregelt?

Gemsichte Fälle: Wenn ein Jug. sowohl vor als auch nach Erreichen des 18. Lebensjahrs Straftaten begangen hat, sie im gleichen Verfahren zu beurteilen sind.

Art. 3 Abs. 2 JStG: Es wird immer Erwachsenenstrafrecht angewandt, falls eine Strafe auszusprechen (Wahl Strafart unabhängig von urteilender Behörde und Anwendung Prozessrecht) ist. Ist eine Massnahme am Platz, kann Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet werden, je nachdem was nach den Umständen erforderlich ist.

Die Strafzumessung für die nach StGB für das Jugenddelikt gewählte Strafart erfolgt jedoch immer nach JStG, egal ob ein Strafgericht oder das Jugendgericht urteilt.

Ob das Jugend- oder das Erwachsenenprozessrecht angewendet wird, hängt hingegen einzig davon ab, ob das Verfahren vor (JStPO) oder nach (StPO) dem 18. Geburtstag eingeleitet wurde.

Die Behördenzuständigkeit richtet sich immer nach dem anwendbaren Verfahrensrecht. Jede Behörde wendet immer ihr eigenes Prozessrecht an!

Jugendstrafrecht kommt in gemischten Fällen nur dann zur Anwendung, wenn im Verlauf des noch im Jugendalter eingeleiteten Verfahrens eine weitere, nach 18 erfolgte Straftat bekannt wird. Sonst gilt in diesen gemischten Fällen, dass das Prozessrecht des Erwachsenenstrafrechts anwendbar ist.

Was ist der Unterscheid zwischen dem Jugendwohlfahrtsmodell und dem Justizmodell?

jugendwohlfahrtsmodell: auch Erziehungsmodell genannt. Im Vordergrund steht weniger die Straftat und das Verschulden, sondern eher die Person des Jugendlichen und seine Bedürfnisse nach erzieherischer oder therapeutischer Einwirkung. Pädagogisch motiviertes Modell. Individualisierte Sanktionen, wenig förmlich geprägtes Verfahren ohne ausgeprägte Verfahrensgarantien.

Justizmodell: auch rechtsstaatliches Modell genannt. Knüpft wie das Erwachsenenstrafrecht am straffälligen Verhalten und reagiert mit einer tatproportionalen Sanktion unter Rücksichtnahme auf die verminderte Schuldfähigkeit des Jug. Betont wird Verantwortlichkeit des Jug. und Beeindruckung dessen mit einer verdienten Strafe. Förmliches Verfahren mit primär juristisch motivierten Entscheidungsträgern.

Welchem Modell (Wohlfahrts- oder Justizmodell) steht das CH-Jugendstrafrecht nahe?

Dem Wohlfahrtsmodell.

Was bedeutet "täterbezogenes Strafrecht" im Gegensatz zu "tatbezogenem Strafrecht" und wo lässt sich das CH-Jugendstrafrecht einordnen?

Das täterbezogene Strafrecht knüpft zwar an die Straftat an, indem diese Anlass ist, um ein Strafverfahren einzuleiten, es geht jedoch danach darum, sich mit dem Jug. als Person zu befassen, ihm Grenzen aufzuzeigen und zu prüfen, welche Intervention zu seiner Entwicklung und zur angestrebten Deliktfreiheit beitragen kann.

Tatbezogenes Strafrecht knüpft in Bezug auf die Wahl der Strafe auf die Tat selber an.

Das CH-Jugendstrafrecht ist kein reines täterbezogene Strafrecht, den insbeondere bei leichten Fällen von Jugenddelinquenz wird ohne grössere Abklärung des Jug. auf eine normale Entwicklung geschlossen und eine Sanktion nach Tatmerkmalen festgelegt, oft sogar gestützt auf Straftarife. Auch bei ganz schweren Straftaten spielt die Tat eine grosse Rolle, insbesondere wenn eine FS-Strafe ausgesprochen wird.

Im Jugendstrafrecht findet eine Akzentverschiebung statt, die Persönlichkeit und das Bemühen, die Sanktion auf die Persönlichkeit des Jug. abzustimmen, spielen im Jugendstrafrecht eine grössere Rolle als im Erwchsenenstrafrecht. Dennoch wird die Tat dem Verschulden entsprechend bestraft und nicht der Täter für seine Lebensführung zur Verantwortung gezogen.

Auch im Jugendstrafverfahren reagiert die Gesellschaft auf ST mit repressiven Strafen und/oder freiheitsebgrenzenden Schutzmassnahmen, trotz erzieherischer Ausrichtung und auf den Täter ausgerichtete Orientierung ist es eine strafrechtliche Ordnung!

Was bedeutet "Zweispurigkeit" des CH-Jugendstrafrechts?

Zweispurig ist eine strafrechtliche Ordnung, wenn sie 2 verschiedene Reaktionsmöglichkeiten auf eine Tat vorsieht.

Das Jugendstrafgesetz unterscheidet zwischen Strafen und Schutzmassnahmen.

Die Strafbefreiung gem. Art. 21 JStG bzw. auf prozessualer Ebene der Verzicht auf Strafverfolgung stellt eine dritte Spur der strafrechtlichen Reaktion dar.

Was versteht man unter Dualismus und wo wird dieses Prinzip umgesetzt, wie unterscheidet sich Dualismus von Zweispurigkeit?

Zweispurigkeit heisst nicht automatisch Dualismus, denn auch ein zweispuriges Strafrecht kann vorsehen, dass von den zwei Sanktionsmöglichkeiten nur eine ausgewählt werden darf (Monismus).

Dualismus wird auf der Sanktionsebene umgesetzt, in einem konkreten Fall kann sowohl eine Strafe als auch eine Schutzmassnahme angeordnet werden. Dabei müssen die VSS für die jeweilige Reaktionsart je für sich erfüllt sein, damit eine Anordnung möglich ist.

Was bedeutet "dualistisch-vikariierend", wo wird dieses Prinzip umgesetzt?

Auf der Vollzugsebene wird das dualistisch-vikariierende System umgesetzt.

Es regelt das Verhältnis zwischen unbedingter Freiheitsstrafe und Schutzmassnahm wenn diese beide angeordnet werden (Art. 32 JStG).

Wird eine Unterbringung und eine FS angeordnet, so geht die Unterbringung vor (Abs. 1)

Wird eine andere Schutzmassnahme als die Unterbringung nebst einer FS angeordnet (gemäss Abs. 4 nur die ambulante Behandlung, pers. Betreuung oder Aufsicht), so kann die urteilende Behörde das dualistisch-vikariierende System fakultativ anwenden. Sie kann also im Einzelfall entscheiden, ob der Vollzug des Freiheitsentzugs aufgeschoben wird.

Das dualistisch-vikariierende System gilt nur in Bezug auf Freiheitsstrafen, aber nicht in Bezug auf die anderen Strafen. Bei den übrigen Strafen sind sowohl die Strafe als auch die Schutzmassnahme zu vollziehen.

Wie wird die Strafmündigkeitsgrenze nach unten hin relativiert?

Obwohl die CH ein im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein sehr tiefes Strafmündigkeitsalter kennt, wird diese nach unten durch eine differenzierte Sanktionspalette relativiert:

Für Kinder bis 15 Jahre können nur leichte Warnstrafen angeordnet werden (Verweis oder persönliche Leistung bis zu 10 Tagen). Nur gegenüber 15-jährigen kann eine FS als Strafe auferlegt werden.

ABER: bei Untersuchungshaft und Schutzmassnahmen wird keine Altersdifferenzierung vorgenommen. Schutzmassnahmen kommen ab 10 Jahren zur Anwendung, auch wenn sie freiheitsentziehend sind!

Wie wird die Strafmündigkeitsgrenze nach oben hin relativiert?

Jugendstrafrecht wird strike nur auf Jugendlich bis 18 Jahre angewendet. Ab dem 18. Lebensjahr wird Erwachsenenstrafrecht angewendet. Es gibt keine Heranwachsendenregel wie in DE, wo bei 18 - 21-jährigen Fallbezogen entschieden wird, ob die Person als erwachsen oder noch jugendlich angesehen wird.

Relativierung im StGB:

- gemäss Art. 47 StGB wird bei der Strafzumessung das junge Erwachsenenalter der betroffenen Person berücksichtigt.

- gemäss Art. 61 StGB können für junge Erwachsene unter 25 Jahren besondere Massnahmen angeordnet werden (Einweisung in eine Einrichtung für junge Erwachsene), wenn die Straftat in Zusammenhang steht mit einem Entwicklungsrückstand der betroffenen Person.

Wie ist die Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber einem Jugendlichen von 10 Jahren zu beurteilen?

Gemäss Art. 27 JStPO kann U-Haft gegenüber Jugendlichen angeordnet werden. Das Gesetz sagt nichts zu einer allfälligen Altersgrenze. Es stellt sich die Frage, ob U-Haft gegenüber unter 15-jährigen erlaubt ist, wenn die FS gemäss Art. 25 JStG nur bei über 15-jährigen angeordnet werden kann. Weiter fragt sich, ob die Art. 212 Abs. 3 (Anrechnung einer U-Haft auf eine künftige FS) der U-Haft bei einem unter 15-jährigen entgegensteht.

Das bundesgericht hat nunmehr entschieden, dass der Text des Art. 27 JStPO klar und unzweideutig ist. Die Systematik des Jugendstrafrechts zeigt denn auch, dass der Gesetzgeber klar angegeben hätte, wenn eine andere als die in Art. 3 Abs. 1 JStG festgelegte Altersgrenze von 10-18 Jahren angewendet werden soll.

Das Schweigen des Gesetzgebers in Art. 27 JStPO ist daher so auszulegen, dass sich die Bestimmung an alle richtet, die sich vom Jugendstrafrecht beurteilen lassen können. Es ist keine Lücke anzunehmen.

Abzulehnen ist gem. Bundesgericht ebenfalls die Ansicht, U-Haft könne aufgrund Art. 212 Abs. 3 StPO, wonach Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht länger dauern dürfe als die zu erwartende Freiheitsstrafe, nicht ggü Jugendlichen unter 15 angeordnet werden. U-Haft muss gemäss Art. 431 Abs. 2 StPO über den Verweis von Art. 3 JStPO nicht nur auf Strafen, sondern auch auf Massnahmen angerechnet werden. Da eine Massnahme wie ambulante Behandlung oder Unterbringung gegen einen Jugendlichen von unter 15 Jahren ausgesprochen werden kann, darf Art. 27 JStPO nicht im Lichte von Art. 212 Abs. 3 StPO so ausgelegt werden, dass er U-Haft für Jugendliche von weniger als 15 Jahren untersagt.

Zuletzt: Das Modell-Gesetz der Vereinten Nationen empfiehlt das Verbot von U-Haft von unter 15-jährigen. Es hat aber keinen zwingenden Charakter. Die Mehrzahl der internationalen Texte beschränkt sich indessen darauf, vorzuschreiben dass U-Haft nur ausnahmsweise als ultima ratio angeordnet werden darf. Die U-Haft in Art. 27 JStPO wird denn auch von den Subsidiaritäts- und Verhältnissmässigkeitsprinzipien beschränkt.

U-Haft kann in Jugheimen vollzogen werden, was Problem etwas entschärft 28 JStPO

Im Bereich der Anordnung einer Strafe begrenzt das Schuldprinzip den mit der Straftat verbundenen Eingriff. Schutzmassnahmen hingegen orientieren sich nicht an ein Verschulden. Wo finden diese ihre Begrenzung, wie sieht diese Begrenzung konkret aus?

Schutzmassnahmen finden Ihre Rechtfertigung im überwiegenden öffentlichen Interesse. Das Schutzinteresse vor einer vom Täter ausgehenden Gefahr muss dabei schwerer wiegen als die mit der Massnahme verbundene Freiheitsbeschränkung. Der Massstab für diese Interessenabwägung ist das Verhältnismässigkeitsprinzip.

Im Jugendstrafrecht ist die Gefahr, die abzuwenden ist, eine drohende oder bereits bestehende Fehlentwicklung, die neue Straftaten wahrscheinlich macht. Je höher diese Gefahr, desto schwerer darf der Eingriff dem Jugendlichen ggü wiegen.

Jede Massnahme muss daher im Sinne der Verhältnismässigkeit den mildestmöglichen Eingriff darstellen (Subsidiarität), sie muss streng an den Zweck gebunden sein, zu welchem sie angeordnet wird (Verhinderung von Delinquenz durch erzieherische oder therapeutische Massnahme) und sie muss geeignet sein, den Zweck zu erreichen (es muss iene EInrichtung zur Verfügung stehen).

Verhältnismässigkeit hat sich immer auf die Gefahr, die sie abwenden soll, zu beziehen. Bezugsgrösse ist nicht das begangene Delikt, da dieser Bezug vom Verschulden gergestellt wird.

Zuletzt: Wo ein Bedarf nach erzieherischen Massnahmen besteht, die nicht mit erheblichen Straftaten und mit einer deliktischen Gefährdung in einem Zusammenhang stehen, sollten diese nach dem ZGB und nicht auf dem strafrechtlichen Weg angeordnet werden. (Eine VSS für den erfolg einer Massnahme ist, dass der Jug. ihre Berechtigung einsieht und sie als Chance wahrnimmt, was nicht zutrifft, wenn wegen eines harmlosen Delikts eine Massnahme angeordnet wird).

Was ist das Opportunitätsprinzip und wie wird es im Jugendstrafrecht umgesetzt?

Das Opportunitätsprinzip soll sicherstellen, dass nur dann ein Strafverfahren durchgeführt und abgeschlossen wird, wenn im konkreten EInzelfall für ein solches Vorgehen ein öffentliches Interesse besteht, die Strafverfolgung somit "opportun", also angebracht/ von Vorteil ist.

Das Opportunitätsprinzip steht somit in einem Gegensatz zum Legalitätsprinzip.

Umgesetzt wird das Prinzip im JStG und JStPO:

  • verkürzte Verjährungsfristen Art. 36 f. JStG
  • Möglichkeit, von einem Strafverfahren abzusehen oder dieses einzustellen (Art. 5, 16 und 17 JStPO)
  • Möglichkeit, auf eine Bestrafung zu verzichten (Art. 21 JStG)

Was lässt sich aus Art. 4 JStPO ableiten?

Das Verfahren soll am Wohnort des Jugendlichen stattfinden (Art. 10 Abs. 1 StPO, nicht a Tatort wie bei den Erwachsenen.

Das Trennungsgebot soll sich auch auf Behördenebene verwirklichen, zumindest auf institutioneller Ebene. Auf personeller Ebene ist diese Trennung nicht überall konsequent vollzogen.

Im Verfahren sollen konstante Bezugspersonen mit dem Fall beschäftigt sein. Eine Person soll Ansprechperson während des ganzen Verfahrens sein (JugA oder JugR), von der Strafverfolgung über die Verurteilung bis zum Vollzug.

Das Verfahren soll kurz gehalten werden (gesteigertes Beschleunigungsgebot), weil Jug im Moment leben und den Bezug zwischen Straftat und Strafe verlieren, je länger das Verfahren dauert.

Das Opprotunitätsprinzip gilt in gesteigertem Mass, um Stigmatisierung und aus-der-Bahn-Werfung von Jug zu vermeiden

Wie wird das Opportunitätsprinzip im Jugendstrafrecht im Bereich der Strafverfolgung umgesetzt?

Verzicht auf Strafverfolgung gemäss Art. 5 JStPO in verschiedenster Form (wenn VSS Strafbefreiung gem. 21 JStG gegeben oder Vergleich oder Mediation erfolgt), sofern keine Schutzmassnahme notwendig ist, sonst wird das Verfahren fortgesetzt, ausser eine zivilrechtl. Massnahme wurde angeordnet)

Rechtsfolge:
Falls Untersuchung noch nicht eröffnet: Nichtanhandnahme (Art. 5 Abs. 2 JStPO iVm Art. 8 Abs. 4 iVm Art. 310 StPO)
Falls Untersuchung bereits eröffnet: Einstellung (Art. 5 Abs. 2 JStPO iVm Art. 8 Abs. 4 iVm Art. 319 StPO)

Gemäss Art. 21 JStG kann als alternative zu einer der Strafen eine Strafbefreiung verfügt werden. Dieses Vorgehen kommt als Abschluss eines Verfahrens in Frage, als Strafsanktion welche zu einem Schuldspruch ohne weitere Sanktion führt. Es handelt sich jedoch im Gegensatz zu obigen Möglichkeiten um eine Verurteilung mit allfälligem Eintrag!

Verkürzte Verjährungsfristen, Möflichkeit auf Verzicht Volltug FS bei Erreichen Massnahmetiele

Wo sind das Jugendanwalt- und das Jugendrichtermodell geregelt und wie unterscheiden sie sich?

Art. 6 Abs. 2 JStPO

Jugendanwaltmodell in der deutschsprachigen Schweiz: Rechtsstaatsmodell steht im Vordergrund

  • Das Vorverfahren wird von JugA geleitet, ev. unter Beizug eines Sozarbeiters oder Ermittlungsbeamten
  • Nach Abschluss des Vorverfahrens erlässt JugA einen Strafbefehl oder erhebt Anklage ans Jugendgericht
  • In der Hauptverhandlung tritt der JugA als Partei auf und vertritt die Anklage
  • Nach Verurteilung: JugA wird als Vollzugsbehörde tätig, sucht geeignete Institution und begleitet Jug bis zur Entlassung

Jugendrichtermodell in der lateinischen Schweiz: Fürsorgemodell im Vordergrund

  • JugR ist für die Ermittlung des SV zuständig, er leitet das Vorverfahren (Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren)
  • Nach Abschluss Vorverfahren erlässt JugR einen Strafbefehl oder übergibt den Fall der Jugendstaatsanwaltschaft, die formell Anklage erhebt und die Anklage vor dem Gericht in der HV vertritt
  • JugR ist an HV Mitglied des Jugendgerichts, in der Regel als Vorsitzender
  • JugR kann abgelehnt werden Art. 9 Abs. 1 JStPO seitens Jug oder Eltern

Welches sind die Probleme der beiden Modelle (Jugendanwalts- und Jugendrichtermodell)?

Bei beiden Modellen findet eine Vermischung von Untersuchungsbehörde und richterlicher Funktion statt.

Im Jugendanwaltmodell liegt das Problem darin, dass die JugA, wie imErwachsenenverfahren die StA, die Strafuntersuchung durchführt. Über eine grosse Zahl von Fällen entscheidet die JugA danach mittels Strafbefehl und wird somit zur urteilenden Behörde. Nur wenn eine schwere Sanktion beantragt wird oder wenn gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben wurde (was fast nie geschieht), ist das Jugendstrafgericht zuständig. Die JugA kann somit selber über die Anwendung des Strafbefehls steuern, ob ein Fall vor den Richter kommen soll oder nicht. Falls der Fall vor den Richer kommt, übernimmt die JugA die Rolle der StA und vertritt die Anklage. Der JugA ist nicht nur Ankläger, sondern auch eine Art Verteidiger, da er die persönlichen Verhältnisse des Jugendlichen dem Gericht dazulegen hat.

Beim Jugendrichtermodell ist die Vermischung aus rechtsstaatlicher Sicht noch problematischer als beim Jugendanwaltmodell. Der JugR ist bereits für die Strafverfolgung zuständig und leitet das Untersuchungsverfahren. Danach urteilt der JugR in den weitaus meisten Fällen als Strafbefehlsrichter. Wenn schwere Sanktionen beantragt werden, nimmt die JugR Einsitz ins Jugendgericht und urteilt als dessen Präsidium. Der JugR urteilt somit über seine eigene Untersuchung, auch in den ernsthaften, schweren Fällen! Ob ein unabhängiger und unparteiischer Richter hier gewährleistet werden kann, ist höchst fraglich, insbesondere wenn der JugR bereits Untersuchungshaft oder eine vorsorgliche Unterbringung angeordnet hat.

Wie steht der EGMR zum Problem der Personalunion zwischen Untersuchungsleiter und Richter?

Art. 6 Ziff. 1 EMRK statuiert den Anspruch auf ein unbefangenes Gericht.

Bei leichten Sanktionen sieht die EGMR nicht zwingend einen Verstoss gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

Wenn der Richter hingegen zuvor im Untersuchungsverfahren Zwangsmassnahmen wie in der CH z.B. U-Haft oder vorsorgliche Unterbringung angeordnet hat, so ist er im gerichtlichen Verfahren nicht mehr unbefangen.

Die Tatsache dass der Richter von der beschuldigten Partei abgelehnt werden kann, vermag die Gründe für die Befangenheit nicht zu heilen, die grundsätzliche Bedeutung der institutionellen Garantie des unbefangenen Gerichts ist dennoch missachtet, das öffentliche Interesse an einer glaubwürdigen justiz kann nicht dadurch gewährleistet werden, dass der Richter von der Partei abgelehnt werden kann. Das Institut des unparteiischen Gerichts dient nicht nur den individuellen Interessen des einzelnen Beschuldigten.

Vorliegend lotet die Schweiz die äusserste Grenze dessen aus, was vor dem EGMR oder bei anderen internationalen Gremien gerade noch durchgehen mag, indem sie Menschenrechte nur minimal umsetzt. Vor allem in einem neuen Gesetz wie die JStPO ist dies nicht zu billigen.

Welches sind die VSS, der Anwendungsbereich und die faktische Bedeutung des Strafbefehlsverfahrens im Jugendstrafrecht?

Die JStPO umschreibt selber die VSS für den Erlass eines SB nicht. Der Strafbefehl kann erlassen werden, wenn die Beurteilung der Straftat nicht in die Zuständigkeit des Jugendgerichts fällt (Art. 32 JStPO). Damit wird im Sinne einer Negativvoraussetzung auf Art. 34 JStPO verwiesen. Sofern nicht einer der Fälle in Art. 34 JStPO zutrifft, kann das Strafbefehlsverfahren zum Zuge kommen. Damit ist ein SB möglich, sofern keine Unterbringung, keine Busse von mehr als 1000 Franken oder kei Freiheitsentzug von mehr als 3 Monaten in Frage kommt.

Im Verhältnis zu den Höchststrafen, die möglich sind, ist daher der Anwendungsbereich des SB faktisch sehr weit. Die Schwelle für die gerichtliche Beurteilung liegt in der JStPO viel höher als in der StPO, weil die Höchststrafe bei Jug viel tiefer ist: DIe maximale Busse beträgt gem. Art. 24 JStG 2000.- und kann nur auf Jug die das 15. Altersjahr vollendet haben, angewendet werden. Die FS ist in Art. 25 JStG geregelt und beträgt maximal 1 Jahr für Jug nach Vollendung des 15. Lebensjahres. Die Strafbefehlskompetenz beschränkt sich daher nicht nur auf Bagatelldelikte. Zudem kann der JugA/JugR über sein ermessen bei der Strafzumessung indirekt steuern, ob ein Fall lieber im SB-Verfahren erledigt oder dem JugGericht vorgelegt wird.

Der Jug muss nicht zwingend einvernommen werden vor Erlass eine SB. Die JStPO sieht nicht explizit vor, dass der SV liquid sein muss, damit ein SB erlassen werden kann, dies im GEgensatz zum Erwachsenenstrafrecht (Art. 352 StPO).

Welches sind Vor- und Nachteile des SB? Müsste der Anwendungsbereich des Strafbefehls eingeschränkt werden? Welche Möglichkeiten kämen in Betracht?

EInerseits ist das SB-Verfahren ein schnelles Verfahren, mittels welchem eine schnelle Reaktion auf ein unerwünschtes Verhalten eines Jug gezeigt werden kann. Es ist weniger belastend und stigmatisierend als ein Verfahren vor Gericht und ist im Bereich der leichten Delinquenz sicher angebracht und hilft, das Beschleunigungsgebot umzusetzen. Den Zielsetzungen des Erziehungsmodells kommt es sicherlich entgegen, ebenso setzt es das Einheitlichkeitsprinzip sehr konsequent um, da nur eine Person - JugA/JugR - mit dem Fall befasst ist.

Gleichzeitig ist es aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch, weil ein Jug quasi aufs Geratewohl sanktioniert wird, ohne dass ein Richter als unabhängige Instanz entscheidet. Insbesondere bei nicht liquidem SV besteht die Befürchtung, dass die Klärung des SV zugunsten einer intensiven Persönlichkeitsabklärung vernachlässigt wird. Weiter besteht ausserhalb des Bagatellbereichs ein grosses Interesse sowohl des Opfers, als auch des Täters an einer gerichtlichen Kontrolle. Die rechtsstaatlichen Garantien des Jug sollen nicht "auf dem Altar eines wohlgemeinten pädagogischen Fürsorgegedenkens geopfert werden".

Möglichkeiten der Einschränkung:

  • SB nur bei geklärtem Sachverhalt, kann über den Verweis auf Art. 352 StPO in Art. 32 Abs. 6 JStPO leegitimiert werden
  • Einschränkung via Rechtsfolgen: Immer wenn eine FS ausgesprochen wird, muss ein Richter entscheiden (was aber Steuerung durch JugA via sein Ermessen nicht verhindert und nur wenige Fälle, nämlich die FS-Fälle einbezieht)
  • Einschränkung auf Ebene des Tatbestands: gewisse TB gänzlich vom Anwendungsbereich des SB ausnehmen, beispielsweise über das Kriterium der Mindeststrafe (jeder TB der mit einer Mindeststrafe von 180 Tagessätzen Geldstrafe oder 6 monaten FS verknüpft ist soll zwingen dem Richter vorgelegt werden)
  • Beschränkung der SB-Kompetenz auf opferlose Delikte

Was bedeutet das Prinzip der Einheitlichkeit, wie wird es umgesetzt und warum?

Jugendliche sollen während des ganzen Verfahrens und anschliessend im Vollzug möglichst nur von einer einzigen Magistratsperson betreut werden.

Im Jugendrichtermodell der lateinischen Schweiz wird dieses Prinzip am konsequentesten umgesetzt. Der Jugendrichter:

  • führt die Strafuntersuchung
  • erlässt den Strafbefehl (Anklageerhebung erfolgt hingegen durch die Jugendstaatsanwaltschaft)
  • nimmt (meist als Vorsitzender) Einsitz im Jugendgericht (ein Jugendstaatsanwalt vertritt dann die Anklage
  • ist für die Vollstreckung und den Vollzug der Strafe verantwortlich

Im Jugendanwaltmodell nimmt der Jugendanwalt hingegen nicht EInsitz im Jugendgericht, sondern erhebt und vertritt dort die Anklage, ähnlich der StA im Erwachsenenverfahren.

Das Einheitlichkeitsprinzip hat zum Ziel, dass durch Aufgabenkumulation bei einer Person diese den Jugendlichen besser kennenlernt und so die Chance erhält, ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen, welches für einen bestmöglichen pädagogischen Effekt wichtig ist. Weiter fördert das Prinzip der Einheitlichkeit die Beschleunigung des Verfahrens, weil nur
eine Person mit dem Fall befasst wird.

Die dadurch entstehende Doppelfunktion des JugA oder JugR läuft grundsätzlich rechtsstaatlichen Garantien zuwider. Eine Trennung hingegen würde dem Erziehungsgrundatz zuwiderlaufen, welches einen hohen Stellenwert im Jugendstrafverfahren hat.

Welches ist der sachliche Zuständigkeitsbereich des Jugendgerichts?

Sanktionen gemäss Art. 34 Abs. 1 JStPO: Unterbringung, Busse von mehr als 1000.-, FS von mehr als 3 Monaten.

Weiter ist das Gericht zuständig für Einsprachen gegen Strafbefehle, Rückgabe der sachlichen Zuständigkeit an die JugA zur Entscheidung mittels SB, Zwangsmassnahmen nach ANklageerhebung bzw. Überweisung des SB, liquide Zivilforderungen von Privatklägern.

 

Welche Rolle spielt die gesetzliche Vertretung (Eltern oder Vormund) des beschuldigten Jug im Verfahren, welches sind ihre Rechte?

Die gesetzliche Vertretung ist gemäss Art. 12 JStPO verfahrensbeteiligte Person und muss am Verfahren mitwirken, wenn dies die Jugendstrafbehörde anordnet. Die Eltern treten in diesem Fall als Partei auf, verurteilt wird aber nur der Jug., da sich das Strafverfahren dennoch nur gegen den Jug selbst richtet.

Die Eltern können jedoch bei der Aufsicht gem. Art. 12 JStG und der persönlichen Betreuung gem. Art. 13 JStG miteinbezogen werden.

Die Eltern können aufgrund ihrer eigenen Parteistellung einen Rechtsbeistand mandatieren (Art. 23 JStPO), welcher im Verfahren ihre Interessen (nicht die des Jug) vertritt und daher nicht als Verteidigung, sondern als Rechtsbeistand sui generis zu bezeichnen ist. In gewissen Konstellationen haben die Eltern sogar Ansprcuh auf einen unentgeltlichen rechtsbeistand neben der Verteidigung des Jug.

 

 

 

Was lässt sich zur Vertrauensperson gem. Art. 13 JStPO sagen?

Die Vertrauensperson:

  • ist emotionale Unterstützung des Beschuldigten
  • ist keine Verteidigung des Jugendlichen
  • muss eine mündige Person sein, die gesetzliche Vertretung darf aber nicht Vertrauensperson sein
  • braucht keine spezielle Ausbildung
  • darf anwesend sein, aber nicht intervenieren, hat keine Parteirechte
  • darf in allen Verfahrensstadien einbezogen werden
  • darf nicht den Interessen der Untersuchung entgegenstehen

Was lässt sich zur notwendigen Verteidigung gemäss Art. 24 JStPO sagen?

Falls ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt, ist diese bereits nach der ersten Einvernahme, jedenfalls aber vor Eröffnung der Untersuchung, aicherzustellen. Der Anspruch notwendige/amtliche Verteidigung gilt auch im Untersuchungsverfahren!

Die VSS a bis d sind alternative VSS.

a: Die Schwelle von einem Monat FS ist sehr (zu) hoch angesetzt, im Verhältnis zur maximal möglichen FS von einem Jahr (resp. 4 Jahren bei qualifizierten TB). In der Praxis sollte man sich, analog dem erwachsenenstrafrecht, bereits mit einer relativ weit entfernten Möglichkeit einer Unterbringung oder einen solchen FS begnügen, um die Notwendigkeit einer notwendigen Verteidigung zu bejahen

b: Bei nicht mehr leichten Fällen ist mit grosser Zurückhaltung anzunehmen, der Jug oder die gesetzliche Vertretung könne die Verfahrensinteressen selber wahren. Ausserdem darf nicht aus dem Umstand, dass die Eltern genügend Ressourcen hat und sich selber verteidigen könnte, geschlossen werden sie könnten dies in geeigneter Weise für ihr Kind tun. Zu beachten sind dabei auch Interessenskonflikte der Eltern ggü dem Kind, die regelmssig die Fähigkeit, dessen Interessen zu vertreten, ausschliessen dürften. Weiter muss die Hürde zur Annahme eines Falles welches unter b fällt, ebenfalls gem. BGer tief angesetzt werden. Von einem Fall gemäss lit. b ist auszugegen wenn:

  • der Beschuldigte jung ist (i.c. 14 Jahre alt)
  • schwere Tatvorwürfe im Raum stehen
  • die Schulbildung oder die Sprachkenntnisse der gesetzlichen vertretung gering sind.

Was lässt sich zur amtlichen Verteidigung gem. Art. 25 JStPO sagen?

Als allgmeine VSS muss eine der Konstellationen von Art. 24 Abs. 1 vorliegen. Danach gibt es alternative, zusätzliche VSS.

Problematisch ist, dass ein im Erwachsenenstrafrecht geregelter Fall (Verteidigung ist trotz fehlender VSS der notwendigen Verteidigung dennoch zur Wahrung der Interessen geboten und finanzielle Mittel reichen nicht, Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO) in der JStPO nicht geregelt ist. Obwohl diese Konstellation in der JStPO nicht explizit enthalten ist, ist sie vermutlich abgedeckt durch eine Erweiterung der Fassung, resp. grosszügige Annahme der notwendigen Verteidigung in Art. 24 Abs. 1 lit. b JStPO iVm Art. 25 Abs. 1 lit c JStPO.

Welches sind die Anordnungsvoraussetzungen für Schutzmassnahmen, nach welchen Kriterien werden sie bemessen?

Die Anordnung der Schutzmassnahmen ist in Art. 10 JStG geregelt.

Anordnungsvoraussetzungen:

  • Begangene Straftat
  • Bedarf nach besonderer erzieherischer oder therapeutischer Behandlung
  • Kein Verschulden notwendig!

Bemessungskriterien:

  • Betreuungs- bzw. Behandlungsbedarf zum Zeitpunkt der Verurteilung!
  • Verhältnismässigkeit (tritt an Stelle des Begrenzungskriterieums des Verschuldens)
    • geeignet, den angestrebten Zweck zu erreichen
    • angemessenes Verhältnis zwischen Schwere der MN und ohne diese drohende Gefahr
    • erforderlich, um das Ziel zu erreichen (leichteste, Freiheit am wenigsten einschränkende MN, Subsidiarität)

Welches sind die Anordnungsvoraussetzungen für Strafen, nach welchen Kriterien werden sie bemessen?

Die Anordnung der Strafen ist in Art. 11 JStG geregelt.

Anordnungsvoraussetzungen:

  • Begangene Straftat
  • Verschulden (wird kritisiert, dass in JStG keine Begutachtung wegen zweifelhafter Schuldfähigkeit gem. 20 StGB vorgesehen ist, immerhin aber Anwendung von Art. 19 StGB, insbesondere weil erst in Pubertät Steuerungsfähigkeit entwickelt wird)
  • Notwendigkeit einer Strafe (fehlendes Strafbefreiungsbedürfnis nach Art. 21 JStG)

Bemessungskriterien

  • Erzieherische Notwendigkeit (so lange bzw. viel wie erzieherisch notwendig, um den Jug von weiteren ST anzuhalten)
  • Verschulden bestimmt Maximaldauer (aber nur indirekte Orientierung an der Höhe des Verschuldens im Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht)

Wie definiert das Jugendstrafrecht die Schuldfähigkeit und wie berücksichtigt das Gesetz die Frage nach einer verminderten Schuldfähigkeit von Kindern und Jugendlichen?

Gem. Art. 11 Abs. 2 JStG kann nur der Jugendliche schuldhaft handeln, der das Unrecht seiner Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln vermag. Damit folgt das JStG der allgemeinen Definition von Art. 19 Abs. 1 StGB und verlangt dieselben Elemente Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Es geht denn auch grundsätzlich davon aus, dass Kinder ab 10 Jahren Schuldfähig sind (art. 3 Abs. 1 JStG). Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob die Schuldfähigkeit eines Jug ausnahmsweise nicht gegeben ist.

Die Annahme einer grundsätzlichen Schuldfähigkeit ab 10 Jahren widerspricht der entwicklungspsychologischen Tatsache, dass die Steuerungsfähigkeit erst in der Pubertät entwickelt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass Art. 20 StGB nicht anwendbar ist, womit kein Gutachten bei Verdacht auf verminderte Schuldfähigkeit eingeholt werden muss. Der Entscheid liegt daher grundsätzlich bei der Strafverfolgungsbehörde.

Immerhin wird der im Vergleich zu Erwachsenen generell geringer ausgeprägten Schuldfähigkeit durch angepasste, tiefere Strafrahmen Rechnung getragen. Innerhalb der durch das JStG zu beurteilenden Jug wird der unterschiedlich ausgeprägten Schuldfähigkeit je Alterskategorie durch eine differenzierende Strafpalette entsprochen.

 

Nach welchen Kriterien erfolgt die Strafzumessung im JStG?

Rechtsgrundlage ist Art. 47 StGB iVm Art. 2 JStG.

Anknüpfung an die Täterpersönlichkeit (Erziehungs- und Schutzbedürfnis)

Leitsatz: "im Rahmen des Verschuldens so viel wie erzieherisch geboten"

Korrektur der Orientierung an Täterpersönlichkeit in 2 Richtungen:

Nach oben: Verschulden als Obergrenze = nicht auf Bagatelltat mit FS reagieren

Nach unten: auf schwere ST soll nicht bloss ein Verweis folgen, auch wenn dies erzieherisch vertretbar wäre (objektive, gesellschaftliche Ebene)

Jugendstrafrecht orientiert sich also an der Täterpersönlichkeit, ist aber kein reines Täterstrafrecht!

Kein besonderer Strafrahmen pro Tatbestand des StGB für Jug, die Strafrahmen des StGB gelten nicht für Jug

Jeder TB eröffnet die ganze Strafpalette, ausser in bestimmten, vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen.

Keine deliktspezifischen Vorgaben für die Wahl der Strafart!

Wie kann die Strafzumessung im JStG zusammengefasst werden, welches sind die Probleme, die sich daraus ergeben?

Strafzumessung erfolgt auf EInzelfall bezogen und die Begründung der Strafe ist individualisiert. Daraus folgt, dass 2 gleich alte Jug für dieselbe Tat nicht zwingend gleich behandlet werden müssen, was für die Jug oft nicht nachvollziehbar ist, da Jug grundsätzlich gleich behandelt werden wollen. Gerechtigkeit bedeutet für Jug oft Auge um Auge, Zahn um Zahn!

Was gilt es in Zusammenhang mit der Anordnung eines Verweises zu beachten?

  • nur bei günstiger Legalprognose anzuordnen
  • Anwendungsbereich zwar offen, jedoch der Sache nach nur bei leichten Straftaten
  • Mit Weisungen kombinierbar, aber nicht mit Anordnung von Kursen (dafür ist Art. 23 Abs 2 JStG) oder Behandlungen/Therapien (dafür ist Art. 14 JStG)
  • Bei Rückfall in angewendeter Option Probezeit: Urteil "Verweis" wird in Wiedererwägung gezogen und eine neue Strafe ausgesprochen: Problem der Doppelbestrafung?
  • Problem der Verhältnismässigkeit bei Kombination mit stark freiheitsbeschränkenden Weisungen (insb. wenn ST eher leicht war), auch weil Verweis kombiniert mit fb-Weisungen mittels SB angeordnet werden kann!

Was kann zur persönlichen Leistung gesagt werden, wo liegen Probleme?

  • idealtypische Erziehungsstrafe
  • Zustimmung des Jug nicht nötig, aber da die pers. Leist. nicht primär Arbeits- sondern Beschäftigungscharakter hat, stellt sich wohl kein Problem betreffend Zwangsarbeit
  • Es wird immer schwieriger, Plätze zu finden, der Betreuungsaufwand ist für Betriebe oft sehr gross, oft werden diese daher sogar bezahlt, wenn sie einen Jug im Betrieb einsetzen
  • Bei Aufenthaltsverpflichtung werden die Grenzen zur FS bzw. Unterbringung verwischt, insb. kann mittels SB  die pers. Leistung angeordnet werden, ohne gerichtliche Kontrolle!
  • 10 Tage pers. Leistung ist das Maximum für unter 15-jährige: ist wohl zu tief angesetzt als Reaktion auf schwere ST, bis 30 Tage müsste möglich sein für Vergehen udn Verbrechen, oder wenigstens für die Verbrechen
  • Unterschiedliche Handhabung in Bezug auf Dauer eines Tages (4 oder 8 Stunden?), was sich auch auf Umwandlung in FS nach Abs. 6 auswirkt!
  • bedingter oder teilbedingter Vollzug möglich, aber Nutzen umstritten

Was lässt sich in Zusammenhang mit der Busse sagen?

  • es handelt sich um eine Geldsummenstrafe
  • pers. Verhältnisse des Jug wird berücksichtigt
  • nur anordnen, wenn Jug sie auch voraussichtlich wird selber bezahlen können, sonst andere Strafe wählen
  • Gesetz sieht bei der Option Umwandlung in Ersatz-FS leider kein Umwandlungssatz vor, was zu willkürlichen Entscheiden führen kann
  • bedingter oder teilbedingter Vollzug funktioniert hier gut, Busse als Drohung um Bereitschaft zu Teilnahme an Schutzmassnahme zu fördern

Was ist zur Freiheitsstrafe zu sagen, wo liegen Kritikpunkte?

  • Erst ab vollendetem 15. Lebensjahr erlaubt
  • Längere Dauer ab 16 bei bestimmten Straftaten
  • besondere Skrupellosigkeit bei Abs. 2 lit. b: weniger hohe Anforderung als im Erwachsenenstrafrecht
  • Strafrahmenobergrenze wird bisweilen als zu wenig streng beurteilt, Forderung nach längeren FS
  • Qualifizierender Katalog sei zu eng formuliert, Vergewaltigung und sex. Nötigung müssten auch aufgeführt sein (Vergeltungsbedürfnis der Gesellschaft)

Welche Kritik kann an den heute zur Verfügung stehenden Jugendstrafen angebracht werden und welche Revisionsvorschläge wären sinnvoll?

  • Strafpalette ist für unter 15-jährige nicht ausreichend (nur Strafbefreiung, Verweis und pers. Leist. bis 10 Tage aktuell möglich)
    • Vorschlag: pers. Lesitung bei Vergehen und Verbrechen bis 30 Tage, oder zumindest für die Verbrechen
  • Bei einzelnen Strafen fehlen Anwendungsbereiche, fast jede Strafe kann für jede Tat in Frage kommen
    • Vorschlag: Konnex zu Tat herstellen, z.B. Strafbefreiung oder Verweis nur für Übertretungen und Vergehen
  • Keine Abgrenzung von persönlicher Leistung mit Aufenthaltsverpflichtung zu pers. Leistung alleine
    • Vorschlag: Kompetenzverteilung JugA vs JugGericht in Art. 34 JStPO überdenken
  • Fehlende Angabe zu Einheiten bei der persönlichen Leistung, 1 Tag dauert je nach Kanton unterschiedlich lang
    • Vorschlag: Analoge Regelung zum Erwachsenenstrafrecht (1 Tag = 4 Stunden) einführen

In welche Kategorien können Schutzmassnahmen eingeteilt werden?

pädagogische Schutzmassnahmen:

  • Aufsicht
  • persönliche Betreuung
  • teilweise Unterbringung

Behandlungsmassnahmen:

  • ambualnte Behandlung
  • Unterbringung

Kontrollmassnahmen (keine eigentlichen Schutzmassnahmen)

  • Tàtigkeitsverbot
  • Kontaktverbot
  • Rayonverbot

Welches sind die Anordnungsvoraussetzungen (materiell) betreffend Schutzmassnahmen?

Art. 10 JStG, Art. 56 und 59 (?) StGB, Art. 20 JStG

  • Kein Verschulden notwendig
  • tatbeständsmässige und rechtswidrige Straftat
  • Masnnahmebedürftigkeit (Abklärung mindestens der pers. Verhältnisse gem. Art. 9 JStG)
  • Verhltnismässigkeit (Eignung (auch Massnahmefähigkeit!), Erforderlichkeit und Zumutbarkeit)
  • Zusammenhang zwischen Straftat und Masnnahmebedürftigkeit gem. Art. 59 Abs. 1 lit. a StGB ?
    • Wenn kein Zusammenhang gegeben aber Massnahmebedürftigkeit besteht, dann sollte die Zivilbehörde die MN anordnen, nicht die Strafbehörde
  • Gefahr weiterer Straftaten wird durch Massnahme begegnet gem Art. 59 Abs. 1 lit. b StGB ?
    • Muss auch für Jug gelten, MN sollte nicht Selbstzweck sein, sondern wirklich weitere ST verhindern, sonst nicht anordnen
  • Es steht eine geeignete Einrichtung zur Verfügung (Art. 56 Abs. 5 StGB)

Umstritten: Berücksichtigung der Anlasstat bei der Beurteilung der Zumutbarkeit: spielt es eine Rolle welche Art Straftat begangen weurde bei der Wertung der Zumutbarkeit?

Muss eine Schutzmassnahme angeordnet werden, wenn die VSS erfüllt sind?

Grundsätzlich ja, wenn die allgemeinen und besonderen VSS gegeben sind, ist eine Schutzmassnahme zwingend.

Ausnahmen:

  • KESB hat bereits geeignete zivilrechtliche Massnahmen ergriffen bzw. angeordnet (Art. 20 JStG)
  • Jug hat keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz (Art. 10 Abs. 2 JStG)