Jugendstrafrecht
Vorlesung Uni Bern
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Kartei Details
Karten | 58 |
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Lernende | 15 |
Sprache | Deutsch |
Kategorie | Recht |
Stufe | Universität |
Erstellt / Aktualisiert | 14.05.2019 / 07.06.2024 |
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Welches sind die besonderen Anordnungsvoraussetzungen für die offene Unterbringung?
Offene Unterbringung ist in Art. 15 Abs. 1 JStG geregelt
- explizit ultima ratio! (Abs. 1 Satz 1)
- besondere formelle AVSS: wenn Unterbringung zur Behandlung einer psychischen Störung erfolgt: zwingend medizinscihe oder psychologische Begutachtung (Abs. 3, Art. 9 Abs. 3 JStG)
Welches sind die besonderen Anordnungsvoraussetzungen für die geschlossene Unterbringung?
Geregelt in Art. 15 Abs. 2 JStG
- qualifizierte ultima ratio
- besondere, formelle AVSS: zwingende medizinische oder psychologische Begutachtung (Abs. 3, Art. 9 Abs. 3 JStG)
- besondere materielle AVSS:
- Abs. 2 lit. a Variante 1: für persönlichen Schutz des Jug unumgänglich oder
- Abs. 2 lit. a Variante 2: für die Behandlung der psychischen Störung unumgänglich
- Abs 2 lit. b: für den Schutz Dritter vor schwer wiegender Gefährdung durch den Jug notwendig
Welches sind die Charakteristika der geschlossenen Unterbringung?
- ist auf Dauer angelegt, soll nicht als blosse Krisenintervention bei einer offenen Unterbringung dienen
- Muss in einer Einrichtung, die gegen eigenmächtiges Verlassen gesichert ist, vollzogen werden
- besondere technische sowie personelle Vorkehrungen
- insb. gesicherte Abteilung und/oder Umzäunung
- darf nicht monatelang im Gefängnis vollzogen werden, Gefängnis ist nur erlaubt zur Überbrückung einer Notsituation (leider Problem langer Wartefristen für geschlossene Unterbringung in Jugendheimen oder Abteilungen psychiatrischer Kliniken, was zu langer Verweildauer in einem Gefängnis führt)
Was lässt sich zum Vollzug einer Unterbringung sagen (nebst dem, was im Gesetz direkt steht)?
Der Vollzug ist geregelt in Art. 16 und Art. 17 JStG.
- zu Art. 16 Abs. 3: In Einrichtungen für junge Erwachsene ist der Vollzug dennoch grundsätzlich getrennt vo Erwachsenen durchzuführen.
- zu Art. 17 Abs. 3: Als Grundsatz gilt, dass Schulbildung, Berufsbildung und allfällige Behandlungen Vorrang vor Arbeit haben
- zu Art 16 Abs. 1:
- persönlicher Verkehr mit Eltern ist grundsätzlich zu fürdern (Art. 1 Abs. 2 lit. g JStG iVm Art 84 Abs. 1 Satz 2 StGB)
- darf eingeschränkt werden bei Gefährdung des Kindswohls (Art. 16 Abs. 1 JStG iVm Art. 274 Abs 2 ZGB)
- der pers. Verkehr mit den Eltern darf grundsätzlich nicht im Rahmen des Vollzug s von Disziplinarmassnahmen eingeschränkt werden
- Disziplinarmassnahmen sind zulässig aber:
- Art. 16 Abs. 2 JStG beachten (nicht länger als 7 Tage am Stückvon anderen Jug getrennt)
- in jedem Fall sind täglich mind. 2 Stunden Möglichkeit zur Bewegung zu gewähren, davon mindestens 1 Stunde im Freien, falls es die Witterung zulässt
Welche Probleme stellen sich in Zusammenhang mit dem Tätigkeitsverbot gemäss Art. 16a Abs. 1 JStG?
Es stellt sich die Frage, ob das Tätigkeitsverbot vereinbar ist mit dem Grundsatz des Schutzes und der Erziehung gemäss Art. 2 Abs. 1 JStG. Das Tätigkeitsverbot hat nicht zum Ziel, den Jug selber zu schützen und ist als Erziehungsmassnahme nicht unbedingt geeignet, sondern schützt Dritte vor dem Jug und ist somit nicht wirklich eine Schutzmassnahme.
Es stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Risikoorientiertheit des Tätigkeitsverbots gerechtfertigt wird, nach dem wohlverstandenen Interesse des Jug oder nach erwachsenenstrafrechtlichem Vorbild.
Das Tätigkeitsverbot stellt unter Umständen einen schweren Eingriff in die Ausbildung bzw. die Wirtschaftsfreiheit des Jug. Gerade die Ausbildung und Wirtschaftsfreiheit ist aber ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Inklusion in die Gesellschaft!
Es ist daher ein besonderes Gewicht auf die Verhältnismässigkeitsprüfung zu legen:
- Die Verbotsdauer müsste allenfalls festgelegt werden
- es müsste mindestens eine hohe Gefahr des sexuellen Missbrauchs vorliegen
- Es müssen konkrete Anhaltspunkte für drohenden sexuellen Missbrauch vorliegen (bereits begangener oder versuchter Missbrauch, aber Vorsicht bei berichteter oder diagnostizierter Pädophilie und Konsum von Kinderpornografie, die Entwicklung des Jug ist noch nicht abgeschlossen!)
Können Schutzmassnahmen beliebig kombiniert werden?
Das JStG nennt explizit nur die Kombi ambulante Behandlung mit jeweils alternativ der Aufsicht, der persönlichen Betreuung oder der Unterbringung in einer Erziehungseinrichtung (Art. 14 Abs. 2 JStG)
Gemäss Riedo ist jede beliebige Kombination möglich, fass dies zum Schutz bzw. zur Resozialisierung des Jug geboten ist. Er leitet dies aus folgenden Gesetzesgrundlagen und Grundsätzen ab:
- Art. 10 Abs 1 JStG: "die nach den Umständen erfoderlichen Schutzmassnahmen"
- Art. 1 Abs. 2 lit. c JStG iVm Art. 56a Abs. 2 StGB
- aus dem Grundsatz des Täterstrafrechts (Behandlungsbedürfnis des Jug steht im Vordergrund)
Welche Probleme stellen sich beim dualistisch-vikariierenden Vollzug von einer Unterbringung und einer Freiheitsstrafe?
Grundsätzlich geht die Unterbringung dem Vollzug einer FS vor (Art. 32 Abs. 1 JStG)
Wurde der Zweck der Unterbringung erreicht, wird die FS nicht mehr vollzogen (Abs. 2)
Wird die Unterbringung jedoch aus einem anderen Grund aufgehoben, so entscheidet die urteilende Behörde, ob und wie weit der FS vollzogen wird (Ermessensentscheid ob Verzicht auf Vollzug oder teilweiser oder ganzer Vollzug der FS). Ermessen hat die Behörde daher in folgenden Fällen:
- Aufhebung der Unterbringung weil Zweck nicht mehr erreicht werden kann (entfaltet keine erzieherischen oder therapeutischen Wirkungen mehr, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 JStG)
- hier insbes. Problem der Sabotage der Unterbringung durch Jug um Aufhebung zu erzwingen:
- weil nach Anrechnung der Unterbringung gar keine FS mehr zu vollziehen wäre
- Aufgrund Volljährigkeit Aufsicht oder pers. Betreuung nur noch mit Einverständnis angeordnet werden können
- andere Schutzmassnahmen (insb. amb. Behandlung) nicht zweckmässig sind
- hier insbes. Problem der Sabotage der Unterbringung durch Jug um Aufhebung zu erzwingen:
- Aufhebung der Unterbringung wegen Erreichen des 25. Altersjahrs (Art. 19 Abs. 2 JStG
Bei vollständigem oder teilvollzug der FS: FS-Beschränkung aus Unterbringung ist zwingend anzurechnen (Art. 32 Abs. 3 JStG). Das Problem ist aber, dass 1 Tag Unterbringung nicht zwingend 1 Tag FS darstellt, sondern gemäss Bundesgericht anhand der Bedeutung der vom Betroffenen erlittenen Einschränkung siener Freiheit (offene oder geschlossene Unterbringung) und der Bessserungsaussichten (Kooperationsverweigerung, Sabotage der Unterbringung seitens Jug) die Anrechnungsquote eines Tages Unterbringung zu bestimmen ist.
Was ist zum Wegfall einer Unterbringung infolge Erreichen der absoluten Altershöchstgrenze und der Möglichkeit, zivilrechtlicher Massnahmen gem. Art. 19 Abs. 3 zu beantragen, zu sagen?
Fällt eine Massnahme, wie z.B. eine Unterbringung infolge erreichen des 25. Altersjahres oder aus einem anderen Grund weg, kann die Vollzugsbehörde bei schwer wiegenden Nachteilen für den Betroffenen selber oder für die Sicherheit Dritter vormundschaftliche Massnahmen beantragen.
Bei Wegfall einer Unterbringung kommt dabei insbesondere die fürsorgerische Unterbringung nach Art. 397a Abs. 1 ZGB in Betracht. Diese ist aber nur möglich, wenn eine Selbstgefährdung vorliegt.
Unglücklicherweise hat das BGer in einem Entscheid eine Art "zivilrechtliche Verwahrung" geschaffen, indem es festhielt, dass sich aus dem Fremdgefährdungspotenzial eines Geisteskranken fast zwangsläufig ein Beistands- und Fürsorgebedürfnis ergebe, weil wer die Sicherheit anderer bedrohe, sei persönlich schutzbedürftig, solange von einer schweren Gefahr für Leib und Leben Dritter seitens des Betroffenen ausgegangen werden muss.
Es gehöre zum Schutzauftrag dazu, eine kranke bzw. verwirrte Person davon abzuhalten, eine schwere Straftat zu begehen. Es sei nicht im Interesse des Betroffenen, ihn ohne psychiatrische Behandlung seinem Schicksal zu überlassen.
Was kann zu Art. 19 Abs. 4 JStG gesagt werden?
Dieser Absatz betrifft das Tätigkeits-, Kontakt- und Rayonverbot gemäss Art. 16a JStG.
Er erlaubt die Ablsung der jugendstrafrechtlichen Massnahme durch die äquivalente erwachsenenstrafrechtliche Massnahme wenn der Wegfall eines obigen Verbots mit schwerwiegenden Nachteilen für die Sicherheit Dritter verbunden ist und die VSS für ein Verbot gem. Art. 67 oder 67b StGB gegeben sind.
Idee dahinter ist, dass sich gewisse Situationen und Defizite nicht mit dem Erreichen eines bestimmten Alters abrupt ändern. Die Massnahme des Jugendstrafrechts soll daher mit gewissen Einschränkungen nach Erwachsenenstrafrecht weitergeführt werden können, wenn die VSS vorliegen.
Gleichzeitig bedeutet diese neue Regelung einen Paradigmenwechsel weg von der absoluten Altershöchstgrenze im Jugendtsrafrecht.
Was ist zur Motion Caroni "Sicherheitslücke im Jugendstrafrecht schliessen" zu sagen?
Es geht in der Motion darum, dass gegenüber Jug, bei welchen infolge Erreichen der Altersgrenze eine Schutzmassnahme beendet werden muss, die Möglichkeit der Anordnung ensprechender Massnahmen bzw. die Weitergeführung solcher bestehen soll, wenn dies wegen schwerwiegender Nachteile für die Sicherheit Dritter notwendig ist.
Faktisch geht es darum, eine jugendstrafrechtliche Verwahrung zu ermöglichen.
Begründet wird die Forderung folgendermassen:
- Eine möglicherweise noch notwendige Schutzmassnahme endet mit dem 25. Lebensjahr, was für Ditte eine Sicherheitslücke darstellen kann
- Massnahmen können zwar gem. Art. 19 Abs. 3 JStG durch zivilrechtliche ersetzt werden, aber nur wenn der Täter selber des Schutzes bedarf. Für die Fälle einer Unterbringung gem. Art. 15 Abs. 2 lit. b (Gefährdung Dritter) gibt es keine zivilrechtliche Ersatzmassnahme.
- Entscheid BGer "zivilrechtl. Verwahrung" ändert nichts daran, denn dort war Täter psychisch krank. Ferner ist zu Recht kritisiert worden, BGer überstrapaziere den Begriff des persönlichen Schutzbedürfnisses, wenn er alleine in der Fremdgefährdung auch ein persönliches Schutzbedürfnis sehe.
- Um Dritte rechtsstaatlich korrekt in Fällen wo weder eine psych. Krankheit noch eine Selbstgefährdung vorliege, zu schützen, sollen die Massnahmen (insb. geschlossene Unterbringung) weitergeführt werden können.
Nenne Argumente die für die Einführung einer Verwahrung sprechen könnten
Argumente pro:
- Leider führt das dualistisch-vikariierende System dazu, dass Jug nicht unter grossem Druck stehen, eine Massnahme durchzuziehen, sondern abzuwägen, was sie billiger kommt: Strafe oder Massnahme
- Es gibt keine bedingte Entlassung aus einer Unterbringung unter Ansetzung einer Probezeit, kein Druck zur Bewährung
- Jugendstrafrecht ist bei Normalfällen erfolgreich, dieses erfolgreiche System soll nicht durch spektakuläre Einzelfälle in Frage gestellt werden
- Erst in der Massnahme zeigt sich oft, ob ein Jug sich auf diese einlassen kann und von ihr profitieren kann. Eine im Erstentscheid vorbehaltene, nachträgliche Möglichkeit der Anordnung einer Verwahrung macht daher Sinn.
- Auch wenn Verwahrungen teuer sind, der verhinderte gesellschaftliche Schaden wird die Kosten der klienen Anzahl von Verwahrungen bei weitem aufwiegen.
Nenne Argumente gegen die Einführung der Verwahrung von Jugendlichen
Contra:
- Altersgrenze für Massnahmen wurde bereits erhöht auf 25 - wer somit als 15-jähriger stationär untergebracht wird, kann bereits heute 10 Jahre geschlossen untergebracht werden
- In sog. "gemischten Fällen" steht bereits heute die ganze Palette jugendrechtlicher und erwachsenenrechtlicher Massnahmen zur Verfügung (Art. 3 Abs. 2 JStG), so also auch die Verwahrung nach geltendem Erwachsenenstrafrecht. Es geht daher darum, eine Verwahrung für Jug. die zur Zeit der Tat noch nicht 18 Jahre alt waren, einzuführen...
- Vollzugsöffnungen und damit Fluchtmöglichkeiten sind im Jugendstrafrecht aufgrund der erzieherischen, sozialpädagogischen Ausrichtung an der Tagesordnung. Begehen Jug in der Vollzugsöffnung noch einmal eine ST die eine Verwahrung rechtfertigen, werden sie in der Regel bereits volljährig sein und die Verwahrung nach Erwachsenenstrafrecht im neuen Strafverfahren nachträglich möglich, auch bei einem Raub wenn urspr. Tat schwer genug war ..
- Diagnose- und Prognosestellung für Verwahrung ist bei Jug besonders schwierig, es sind laut Fachpersonen keine verlässlichen Diagnosen von dissozialen Persönlichkeitsstörungen möglich, geschweige denn eine Vorhersage über das Legalverhalten der Jug...
- Verwahrung angesichts des Veränderungspotenzials bei Jug und der Möglichkeit der langen Unterbringung bis 25 Jahren unverhältnismässig
- Vollzugsinstitutionen geben Jug zu schnell frei wegen angeblichem Scheitern der SMN, wenn sie nicht offen für den pädagogisch-therapeutisch ausgerichteten Vollzug sind.
- Es braucht mehr Vollzugseinrichtungen, die gewillt sind, hartnäckig zu bleiben, konsequent Flucht zu verhindern und mit Gewalt umgehen können und dennoch den Entwicklungsauftrag erfüllen, nicht Verwahrung
- In vielen Fällen wäre es besser, den Jug klar zu machen, dass es erst eine Entlassung bei Erreichen der Massnahmeziele gibt, damit früher Erfolge verzeichnet werden können
Welche Arten von Verjährung unterscheidet man?
Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung
Was versteht man unter Verfolgungsverjährung, wo ist diese geregelt?
Art. 36 JStG
Nach Ablauf einer bestimmten Zeit seit der Begehung einer ST findet keine Strafverfolgung mehr statt. Wenn somit die Verfolgungsverjährung eingetreten ist, entscheidet der Richter nicht mehr über Schuld, sondern das Verfahren wird eingestellt.
Die Fristen orientieren sich am abstrakten Strafrahmen (Strafrahmenobergrenze) der in Frage kommenden TB (Abs. 1), oder am Alter des Opfers (Abs. 2), deshalb ist eine Vorabprüfung notwendig: Welche Strattatbestände kämen bei einer Verurteilung in Betracht?
Verfolgungsverjährung wird von Amtes wegen geprüft.
Achtung: Art. 97 Abs. 3 StGB wird analog angewendet, trotz fehlender Auflistung in Art. 1 Abs. 2 JStG: Ergeht innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil, wird die Verfolgungsverjährung beendet!
Was versteht man unter Vollstreckungsverjährung, wo ist dieses geregelt?
Art. 37 JStG
Nach Ablauf einer bestimmten Zeit seit Rechtskraft eines Urteils findet keine Vollstreckung des Urteils mehr statt (Strafe wird nicht mehr vollzogen).
Gilt nur für Strafen, nicht für Massnahmen (aber Massnahmen erfahren infolge von Art. 19 Abs. 2 JStG eine quasi-Verjährung)
Vollstreckungsverjährungsfristen orientieren sich am konkreten Strafmass (Abs. 1), die Vollstreckungsverjährung tritt aber spätestens bei Erreichen des 25. Altersjahres ein (Abs. 2, absolute Vollstreckungsverjährung, da der Strafvollzug ja auch zwingend mit dem 25. Altersjahr endet)
Warum ist Jugendstrafrecht ein Sonderstrafrecht?
Es richtet sich nur an eine bestimmte Altersgruppe (10-18-jährige), die Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht ist hart ausgestaltet, es gibt keine Üebrschneidungen und keine Übergangsaltersgruppe.
Es beinhaltet besondere Sanktionen und ein besonderes Verfahren für diese bestimmte Altersgruppe, es umschreibt jedoch keine eigenen Straftatbestände, sondern verweist für diese auf das StGB.
Was lässt sich aus lernpsychologischer/pädagogischer Sicht zur Wirksamkeit von Strafen sagen, wie sieht eine wirksame Strafe aus?
Eine Bestrafung ist nicht als solche wirksam, sondern weil sie Grenzen aufzeigt und dem Jug. eine Auseinandersetzung mit seinem Verhalten ermöglicht. Eine wirksame Strafe eröffnet dem Jug. alternative Verhaltensweisen, mittels welchen er seine Bedürfnisse befriedigen kann. Sie soll ihn zur Einsicht führen, was nur dann gelingen kann, wenn der Jug. das Verfahren versteht und die Bestrafung nachvollziehen kann.
Der Jug. soll wahrnehmen können, dass nicht er als Person, sondern sein Verhalten abgelehnt wird. Strafe muss schnell erfolgen und konsequent sein. Dabei ist nicht die Strafschärfe relevant, sondern wichtig ist dass der Jug. die Strafe ernst nimmt. Die individuelle Wirkung der Strafe aufgrund der Strafempfindlichkeit des Jug. ist zu berücksichtigen bei der Festlegung des Strafmasses. Verstärkende Wirkungen sind zu beachten.
Da harte Strafen nicht wirksamer sind als milde Strafen, sind harte Strafen nur dann anzuordnen, wenn sie als unvermeidlich angesehen werden. Dabei ist im Auge zu behalten, dass harte Strafen nicht der Erziehung, sondern der Generalprävention dienen.
Was versteht man unter "gemischten Fällen" und wie werden diese bei der Strafzumessung und der Wahl des Verfahrens, der Strafe und der zuständigen Behörde geregelt?
Gemsichte Fälle: Wenn ein Jug. sowohl vor als auch nach Erreichen des 18. Lebensjahrs Straftaten begangen hat, sie im gleichen Verfahren zu beurteilen sind.
Art. 3 Abs. 2 JStG: Es wird immer Erwachsenenstrafrecht angewandt, falls eine Strafe auszusprechen (Wahl Strafart unabhängig von urteilender Behörde und Anwendung Prozessrecht) ist. Ist eine Massnahme am Platz, kann Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht angewendet werden, je nachdem was nach den Umständen erforderlich ist.
Die Strafzumessung für die nach StGB für das Jugenddelikt gewählte Strafart erfolgt jedoch immer nach JStG, egal ob ein Strafgericht oder das Jugendgericht urteilt.
Ob das Jugend- oder das Erwachsenenprozessrecht angewendet wird, hängt hingegen einzig davon ab, ob das Verfahren vor (JStPO) oder nach (StPO) dem 18. Geburtstag eingeleitet wurde.
Die Behördenzuständigkeit richtet sich immer nach dem anwendbaren Verfahrensrecht. Jede Behörde wendet immer ihr eigenes Prozessrecht an!
Jugendstrafrecht kommt in gemischten Fällen nur dann zur Anwendung, wenn im Verlauf des noch im Jugendalter eingeleiteten Verfahrens eine weitere, nach 18 erfolgte Straftat bekannt wird. Sonst gilt in diesen gemischten Fällen, dass das Prozessrecht des Erwachsenenstrafrechts anwendbar ist.
Was ist der Unterscheid zwischen dem Jugendwohlfahrtsmodell und dem Justizmodell?
jugendwohlfahrtsmodell: auch Erziehungsmodell genannt. Im Vordergrund steht weniger die Straftat und das Verschulden, sondern eher die Person des Jugendlichen und seine Bedürfnisse nach erzieherischer oder therapeutischer Einwirkung. Pädagogisch motiviertes Modell. Individualisierte Sanktionen, wenig förmlich geprägtes Verfahren ohne ausgeprägte Verfahrensgarantien.
Justizmodell: auch rechtsstaatliches Modell genannt. Knüpft wie das Erwachsenenstrafrecht am straffälligen Verhalten und reagiert mit einer tatproportionalen Sanktion unter Rücksichtnahme auf die verminderte Schuldfähigkeit des Jug. Betont wird Verantwortlichkeit des Jug. und Beeindruckung dessen mit einer verdienten Strafe. Förmliches Verfahren mit primär juristisch motivierten Entscheidungsträgern.
Welchem Modell (Wohlfahrts- oder Justizmodell) steht das CH-Jugendstrafrecht nahe?
Dem Wohlfahrtsmodell.
Was bedeutet "täterbezogenes Strafrecht" im Gegensatz zu "tatbezogenem Strafrecht" und wo lässt sich das CH-Jugendstrafrecht einordnen?
Das täterbezogene Strafrecht knüpft zwar an die Straftat an, indem diese Anlass ist, um ein Strafverfahren einzuleiten, es geht jedoch danach darum, sich mit dem Jug. als Person zu befassen, ihm Grenzen aufzuzeigen und zu prüfen, welche Intervention zu seiner Entwicklung und zur angestrebten Deliktfreiheit beitragen kann.
Tatbezogenes Strafrecht knüpft in Bezug auf die Wahl der Strafe auf die Tat selber an.
Das CH-Jugendstrafrecht ist kein reines täterbezogene Strafrecht, den insbeondere bei leichten Fällen von Jugenddelinquenz wird ohne grössere Abklärung des Jug. auf eine normale Entwicklung geschlossen und eine Sanktion nach Tatmerkmalen festgelegt, oft sogar gestützt auf Straftarife. Auch bei ganz schweren Straftaten spielt die Tat eine grosse Rolle, insbesondere wenn eine FS-Strafe ausgesprochen wird.
Im Jugendstrafrecht findet eine Akzentverschiebung statt, die Persönlichkeit und das Bemühen, die Sanktion auf die Persönlichkeit des Jug. abzustimmen, spielen im Jugendstrafrecht eine grössere Rolle als im Erwchsenenstrafrecht. Dennoch wird die Tat dem Verschulden entsprechend bestraft und nicht der Täter für seine Lebensführung zur Verantwortung gezogen.
Auch im Jugendstrafverfahren reagiert die Gesellschaft auf ST mit repressiven Strafen und/oder freiheitsebgrenzenden Schutzmassnahmen, trotz erzieherischer Ausrichtung und auf den Täter ausgerichtete Orientierung ist es eine strafrechtliche Ordnung!
Was bedeutet "Zweispurigkeit" des CH-Jugendstrafrechts?
Zweispurig ist eine strafrechtliche Ordnung, wenn sie 2 verschiedene Reaktionsmöglichkeiten auf eine Tat vorsieht.
Das Jugendstrafgesetz unterscheidet zwischen Strafen und Schutzmassnahmen.
Die Strafbefreiung gem. Art. 21 JStG bzw. auf prozessualer Ebene der Verzicht auf Strafverfolgung stellt eine dritte Spur der strafrechtlichen Reaktion dar.
Was versteht man unter Dualismus und wo wird dieses Prinzip umgesetzt, wie unterscheidet sich Dualismus von Zweispurigkeit?
Zweispurigkeit heisst nicht automatisch Dualismus, denn auch ein zweispuriges Strafrecht kann vorsehen, dass von den zwei Sanktionsmöglichkeiten nur eine ausgewählt werden darf (Monismus).
Dualismus wird auf der Sanktionsebene umgesetzt, in einem konkreten Fall kann sowohl eine Strafe als auch eine Schutzmassnahme angeordnet werden. Dabei müssen die VSS für die jeweilige Reaktionsart je für sich erfüllt sein, damit eine Anordnung möglich ist.
Was bedeutet "dualistisch-vikariierend", wo wird dieses Prinzip umgesetzt?
Auf der Vollzugsebene wird das dualistisch-vikariierende System umgesetzt.
Es regelt das Verhältnis zwischen unbedingter Freiheitsstrafe und Schutzmassnahm wenn diese beide angeordnet werden (Art. 32 JStG).
Wird eine Unterbringung und eine FS angeordnet, so geht die Unterbringung vor (Abs. 1)
Wird eine andere Schutzmassnahme als die Unterbringung nebst einer FS angeordnet (gemäss Abs. 4 nur die ambulante Behandlung, pers. Betreuung oder Aufsicht), so kann die urteilende Behörde das dualistisch-vikariierende System fakultativ anwenden. Sie kann also im Einzelfall entscheiden, ob der Vollzug des Freiheitsentzugs aufgeschoben wird.
Das dualistisch-vikariierende System gilt nur in Bezug auf Freiheitsstrafen, aber nicht in Bezug auf die anderen Strafen. Bei den übrigen Strafen sind sowohl die Strafe als auch die Schutzmassnahme zu vollziehen.
Wie wird die Strafmündigkeitsgrenze nach unten hin relativiert?
Obwohl die CH ein im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ein sehr tiefes Strafmündigkeitsalter kennt, wird diese nach unten durch eine differenzierte Sanktionspalette relativiert:
Für Kinder bis 15 Jahre können nur leichte Warnstrafen angeordnet werden (Verweis oder persönliche Leistung bis zu 10 Tagen). Nur gegenüber 15-jährigen kann eine FS als Strafe auferlegt werden.
ABER: bei Untersuchungshaft und Schutzmassnahmen wird keine Altersdifferenzierung vorgenommen. Schutzmassnahmen kommen ab 10 Jahren zur Anwendung, auch wenn sie freiheitsentziehend sind!
Wie wird die Strafmündigkeitsgrenze nach oben hin relativiert?
Jugendstrafrecht wird strike nur auf Jugendlich bis 18 Jahre angewendet. Ab dem 18. Lebensjahr wird Erwachsenenstrafrecht angewendet. Es gibt keine Heranwachsendenregel wie in DE, wo bei 18 - 21-jährigen Fallbezogen entschieden wird, ob die Person als erwachsen oder noch jugendlich angesehen wird.
Relativierung im StGB:
- gemäss Art. 47 StGB wird bei der Strafzumessung das junge Erwachsenenalter der betroffenen Person berücksichtigt.
- gemäss Art. 61 StGB können für junge Erwachsene unter 25 Jahren besondere Massnahmen angeordnet werden (Einweisung in eine Einrichtung für junge Erwachsene), wenn die Straftat in Zusammenhang steht mit einem Entwicklungsrückstand der betroffenen Person.
Wie ist die Anordnung von Untersuchungshaft gegenüber einem Jugendlichen von 10 Jahren zu beurteilen?
Gemäss Art. 27 JStPO kann U-Haft gegenüber Jugendlichen angeordnet werden. Das Gesetz sagt nichts zu einer allfälligen Altersgrenze. Es stellt sich die Frage, ob U-Haft gegenüber unter 15-jährigen erlaubt ist, wenn die FS gemäss Art. 25 JStG nur bei über 15-jährigen angeordnet werden kann. Weiter fragt sich, ob die Art. 212 Abs. 3 (Anrechnung einer U-Haft auf eine künftige FS) der U-Haft bei einem unter 15-jährigen entgegensteht.
Das bundesgericht hat nunmehr entschieden, dass der Text des Art. 27 JStPO klar und unzweideutig ist. Die Systematik des Jugendstrafrechts zeigt denn auch, dass der Gesetzgeber klar angegeben hätte, wenn eine andere als die in Art. 3 Abs. 1 JStG festgelegte Altersgrenze von 10-18 Jahren angewendet werden soll.
Das Schweigen des Gesetzgebers in Art. 27 JStPO ist daher so auszulegen, dass sich die Bestimmung an alle richtet, die sich vom Jugendstrafrecht beurteilen lassen können. Es ist keine Lücke anzunehmen.
Abzulehnen ist gem. Bundesgericht ebenfalls die Ansicht, U-Haft könne aufgrund Art. 212 Abs. 3 StPO, wonach Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht länger dauern dürfe als die zu erwartende Freiheitsstrafe, nicht ggü Jugendlichen unter 15 angeordnet werden. U-Haft muss gemäss Art. 431 Abs. 2 StPO über den Verweis von Art. 3 JStPO nicht nur auf Strafen, sondern auch auf Massnahmen angerechnet werden. Da eine Massnahme wie ambulante Behandlung oder Unterbringung gegen einen Jugendlichen von unter 15 Jahren ausgesprochen werden kann, darf Art. 27 JStPO nicht im Lichte von Art. 212 Abs. 3 StPO so ausgelegt werden, dass er U-Haft für Jugendliche von weniger als 15 Jahren untersagt.
Zuletzt: Das Modell-Gesetz der Vereinten Nationen empfiehlt das Verbot von U-Haft von unter 15-jährigen. Es hat aber keinen zwingenden Charakter. Die Mehrzahl der internationalen Texte beschränkt sich indessen darauf, vorzuschreiben dass U-Haft nur ausnahmsweise als ultima ratio angeordnet werden darf. Die U-Haft in Art. 27 JStPO wird denn auch von den Subsidiaritäts- und Verhältnissmässigkeitsprinzipien beschränkt.
U-Haft kann in Jugheimen vollzogen werden, was Problem etwas entschärft 28 JStPO
Im Bereich der Anordnung einer Strafe begrenzt das Schuldprinzip den mit der Straftat verbundenen Eingriff. Schutzmassnahmen hingegen orientieren sich nicht an ein Verschulden. Wo finden diese ihre Begrenzung, wie sieht diese Begrenzung konkret aus?
Schutzmassnahmen finden Ihre Rechtfertigung im überwiegenden öffentlichen Interesse. Das Schutzinteresse vor einer vom Täter ausgehenden Gefahr muss dabei schwerer wiegen als die mit der Massnahme verbundene Freiheitsbeschränkung. Der Massstab für diese Interessenabwägung ist das Verhältnismässigkeitsprinzip.
Im Jugendstrafrecht ist die Gefahr, die abzuwenden ist, eine drohende oder bereits bestehende Fehlentwicklung, die neue Straftaten wahrscheinlich macht. Je höher diese Gefahr, desto schwerer darf der Eingriff dem Jugendlichen ggü wiegen.
Jede Massnahme muss daher im Sinne der Verhältnismässigkeit den mildestmöglichen Eingriff darstellen (Subsidiarität), sie muss streng an den Zweck gebunden sein, zu welchem sie angeordnet wird (Verhinderung von Delinquenz durch erzieherische oder therapeutische Massnahme) und sie muss geeignet sein, den Zweck zu erreichen (es muss iene EInrichtung zur Verfügung stehen).
Verhältnismässigkeit hat sich immer auf die Gefahr, die sie abwenden soll, zu beziehen. Bezugsgrösse ist nicht das begangene Delikt, da dieser Bezug vom Verschulden gergestellt wird.
Zuletzt: Wo ein Bedarf nach erzieherischen Massnahmen besteht, die nicht mit erheblichen Straftaten und mit einer deliktischen Gefährdung in einem Zusammenhang stehen, sollten diese nach dem ZGB und nicht auf dem strafrechtlichen Weg angeordnet werden. (Eine VSS für den erfolg einer Massnahme ist, dass der Jug. ihre Berechtigung einsieht und sie als Chance wahrnimmt, was nicht zutrifft, wenn wegen eines harmlosen Delikts eine Massnahme angeordnet wird).
Was ist das Opportunitätsprinzip und wie wird es im Jugendstrafrecht umgesetzt?
Das Opportunitätsprinzip soll sicherstellen, dass nur dann ein Strafverfahren durchgeführt und abgeschlossen wird, wenn im konkreten EInzelfall für ein solches Vorgehen ein öffentliches Interesse besteht, die Strafverfolgung somit "opportun", also angebracht/ von Vorteil ist.
Das Opportunitätsprinzip steht somit in einem Gegensatz zum Legalitätsprinzip.
Umgesetzt wird das Prinzip im JStG und JStPO:
- verkürzte Verjährungsfristen Art. 36 f. JStG
- Möglichkeit, von einem Strafverfahren abzusehen oder dieses einzustellen (Art. 5, 16 und 17 JStPO)
- Möglichkeit, auf eine Bestrafung zu verzichten (Art. 21 JStG)
Was lässt sich aus Art. 4 JStPO ableiten?
Das Verfahren soll am Wohnort des Jugendlichen stattfinden (Art. 10 Abs. 1 StPO, nicht a Tatort wie bei den Erwachsenen.
Das Trennungsgebot soll sich auch auf Behördenebene verwirklichen, zumindest auf institutioneller Ebene. Auf personeller Ebene ist diese Trennung nicht überall konsequent vollzogen.
Im Verfahren sollen konstante Bezugspersonen mit dem Fall beschäftigt sein. Eine Person soll Ansprechperson während des ganzen Verfahrens sein (JugA oder JugR), von der Strafverfolgung über die Verurteilung bis zum Vollzug.
Das Verfahren soll kurz gehalten werden (gesteigertes Beschleunigungsgebot), weil Jug im Moment leben und den Bezug zwischen Straftat und Strafe verlieren, je länger das Verfahren dauert.
Das Opprotunitätsprinzip gilt in gesteigertem Mass, um Stigmatisierung und aus-der-Bahn-Werfung von Jug zu vermeiden
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