M7 3420-1 FUH

Diagnostische Verfahren: Interview und Beobachtung Interview

Diagnostische Verfahren: Interview und Beobachtung Interview


Kartei Details

Karten 54
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 14.11.2018 / 26.02.2020
Weblink
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Kap. 3 Interviewtechniken der qualitativen Sozialforschung

12 Kennzeichen qualitativer Sozialforschung

  1. Methodisches Spektrum statt Einheitsmethode
  2. Gegenstandsangemessenheit von Methoden
  3. Orientierung am Alltagsgeschehen und/oder Alltagswissen
  4. Kontextualität als Leitgedanke
  5. Perspektiven der Beteiligten
  6. Reflexivität des Forschers (für Interviews besonders bedeutsam; subj. Eindrücke/Reaktionen/Deutungen gelten nicht als Stör-, sondern als Datenquelle)
  7. Verstehen als Erkenntnisprinzip
  8. Prinzip der Offenheit
  9. Fallanalyse als Ausgangspunkt
  10. Konstruktion der Wirklichkeit als Grundlage
  11. Qualitative Forschung als Textwissenschaft
  12. Entdeckung und Theoriebildung als Ziel

Kap. 3 Interviewtechniken der qualitativen Sozialforschung

Interviewer as a Miner or a Traveler

Metaphern zum Unterschied qualitatives vs. quantitatives Interview

  • Interviewer als Bergmann: Wissen = verschüttetes Edelmetall, wird vom Interviewer ausgegraben ohne dabei verändert oder kontaminiert zu werden
  • Interviewer als Reisender: neues Wissen wird in der Konversation mit anderen auf einer Bildungsreise konstruiert; Interviewer hat Karten dabei oder lässt sich einfach treiben; begleitet die unbekannten Landesbewohner und hört sich ihre Geschichten an; dabei entsteht neues Wissen und der Interviewer selbst verändert sich möglicherweise dabei

⇒ Wissen wird in qualitativen Interviews als Konstruktion aufgefasst 

Kap. 3 Interviewtechniken der qualitativen Sozialforschung

Narratives Interview

(eine von 19 Varianten (Bortz&Döring) des qualitativen Interviews)

  • v.a. in der qual. Biographieforschung verwendet, daher auch autobiographisch-narratives Interview genannt
  • umfasst 3 Phasen
  1. Anfangs-/Haupterzählung: stimuliert durch initiale Aufforderung, dass der Proband jetzt seine ganze Lebensgeschichte/einzelne Abschnitte erzählen soll; keine Nachfragen durch Interviewer (erhält nur den Erzählfluss durch Signale aufrecht); soll Informationen generieren die der Befragte bei direkten Fragen nicht äußern kann/will; beim Geschichtenerzählen unterliegt man Zwängen (Gestaltschließungszwang, Detaillierungszwang)
  2. Phase des Nachfragens: Interviewer kann Nachfragen zu vagen, unverständlichen oder vermeintlich unwichtigen Passagen stellen; geht nooch nicht um Gründe/Warum, sonder um das tangentielle Erzählpotential auszuschöpfen
  3. Bilanzierungsphase: konkrete Details werden abstrahiert; Identifizierung von wiederkehrenden Abläufen/Zusammenhängen/Mustern; Interviewer kann an bereits geäußerten Sachen anknüfen und Warum-Fragen stellen

Kap. 3 Interviewtechniken der qualitativen Sozialforschung

Fokussiertes Interview

  • Fokussierung auf ein bestimmtes Objekt (Film, Zeitungsartikel, konkrete Situation, Gegenstand,...)
  • ursprünglich Gruppeninterviews, aber auch Einzelgespräche
  • Ziele: Hypothesen zum Objekt bestätigen/widerlegen (Hypothesen des Forschers sind Teil des Interviews!) und neue, noch nicht berücksichtigte Aspekte zu Tage fördern durch genügend Freiräume im Gespräch → Anregung von schwer zugänglichen Erinnerungen
  • ⇒ über den Umweg des fokussierten Objekts können Zugänge zu subjektiven Erfahrungen erschlossen werden

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Formulierung von Fragen 

Fragen sollen so formuliert werden, dass sie vom Interviewten richtig (also im Sinne des Interviewers) verstanden werden

  • einfach & kurz: angemessene Verwendung von Fremdwörtern & Fachtermini, nicht unnötig einfach da sonst der Befragte sich unterschätzt fühlt
  • eindeutig: auf einen einzigen Aspekt bezogen, keine doppelte Verneinung
  • keine Suggestivfragen

Statement von Schuler: Fragen sollen verständlich, klar, nicht zu lang, dem Sprachniveau des Empfängers entsprechend, sozial akzeptabel und relevant sein

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Typen von Fragen: Funktionale Fragen 

sollen Großteil des Gesprächs steuern und Gelenk- & Schaltaufgaben übernehmen

  • Kontakt- & Einleitungsfragen: unverfänglicher small talk, um das Eis zu brechen; aber nicht übertreiben (manchen Leuten ist ausgedehnter small talk unangenehm)
  • Überleitungsfragen bzw. -abschnitte: zur Einleitung eines neuen thematischen Blocks, bisheriges Thema kurz zusammenfassen, durch einige Erläuterungen zum nächsten Thema überleiten; dient auch dazu, allzu redefreudige Interviewpartner zu bremsen
  • Kontrollfragen: zur Sicherstellung, ob die Antworten des Befragten richtig verstanden wurden
  • Filterfragen: bei Verzweigungen v.a. in standardisierten Interviews 

COLUMBO-Fragetechnik: eine Haltung im Interview, bei der sich der Interviewer absichtlich dumm stellt, um hartnäckige Kontrollfragen zu stellen ohne bedrohlich zu wirken und dadurch möglichst viele und valide Informationen zu erhalten 

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Typen von Fragen: Formale Fragen (offen vs. geschlossen)

formale Fragen allgemein signalisieren dem Interviewpartner, in welcher Form er etwas darstellen soll

  • offene & geschlossene Fragen: beziehen sich auf die Vorgabe der Antwortform; Formen von geschlossenen Fragen: Identifikationfragen (W-Fragen), Selektionsfragen (oder-Fragen), Ja-Nein-Fragen
  • einleitende Sätze bei offenen Fragen: offene Fragen stehen meist am Anfang eines Interviewabschnitts, daher nicht abprupt, sondern durch einleitende Sätze/Schilderungen; dienen dazu, bestimmte Gedächtnisinhalte des Befragten zu aktivieren; kann auch verschiedene Sinneskanäle ansprechen (Bsp. Weihnachtsmarkt)
  • Indikationen für offene Fragen: neues Thema eröffnen, zur Unterstüzung der ausführlicheren Behandlung eines Themas, um konkrete Beispiele anzuregen
  • Indikationen für geschlossene Fragen: um nach offenen Fragen Details zu klären, bei gehemmten Personen, die lange Pausen nach offenen Fragen zeigen, bei Befragten die vom Thema abschweifen (hier v.a. Selektionsfragen)

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Typen von Fragen: formale Fragen (sonstige Arten)

  • Direkte & indirekte Fragen: umso direkter, je leichter der Befragte erkennt worauf die Frage abzielt; direkte Fragen sind nicht zwangsläufig geschlossen, aber indirekte Fragen sind fast immer offen; 2 Gründe für indirekte Fragen: bei  versperrten Gedächtnisinhalten & bei heiklen, intimen oder belastenden Themen
  • Allgemeine & konkrete (Nach)Fragen: allgemeine F. geben nur ein Thema vor, können offen oder geschlossen sein; konkrete F. beziehen sich auf konkrete Erlebens- & Verhaltensweisen, können zusätzlich situative Bedingungen spezifizieren, können offen oder geschlossen sein, Übergang zw. Nach- & Kontrollfragen ist fließend

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Typen von Fragen: formale Fragen (spezielle Fragetechniken)

In Einstellungsinterviews:

  • spezielle Frageformulierungen zur Analyse von Schwächen ("Verbesserungsmöglichkeiten" statt "Schwächen")
  • situative Fragen: Bewerber bekommt kritische Arbeitssituation geschilder und soll sich hineinversetzen, wie würde er handeln? "mentale Tätigkeitssimulation"

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Allgemeine Hinweise zum Aufbau des Interviewleitfadens

  • nach potentiell belastenden Fragen sollte zunächst eine unverfängliche Ablenkungs- oder Pufferfrage gestellt werden
  • Motivation und Aufmerksamkeit müssen über alle Phasen aufrechterhalten werden
  • im mittleren Drittel ist die Spannungskurve der Aufmerksamkeit am höchsten → hier besonders wichtige Fragen
  • max. 90 Minuten, besser 30-60 Minuten (bei Kindern/Älteren noch weniger)

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Ablauf: Eröffnung des Interviews

kurze Aufwärmphase (small talk)

Einführung zum Interview mit folgenden Informationen: 

  • Gegenstand & Ziele des Interviews 
  • Ablauf des Interviews (über Teilaspekte informieren, wenn es mehrere thematische Blöcke gibt)
  • Zeitlicher Rahmen (exakte Zeit natürlich nicht möglich)
  • Einverständnis zur Video- oder Tonaufzeichnung einholen (erklären, warum es wichtig ist)
  • Zusicherung von Anonymität (rechtliche und ethische Rahmenbedingungen beachten, mitteilen wer die Aufzeichnungen hören und weiterverarbeiten wird)
  • Etwaige Fragen des Probanden klären

empfohlen: Fragen zu soziodemographischen Merkmalen (falls noch nicht vorliegend) → zwar leicht zu beantworten, aber auch die Gefahr der Etablierung eines ungünstigen Frage-Antwortmusters (deshalb nicht allzu viele dieser Fragen)

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Ablauf: Hauptteil 

  • Einstiegsfragen zum 1. Themenblock sollten leicht zu beantworten sein, am besten offene Fragen
  • hilfreich: Assoziationshilfen, um sich an relevante Erfahrungen zu erinnern (...sowas kommt ja häufig in der Schule/Arbeit vor)
  • allgemeine Fragen vor konkreten Fragen/Nachfragen
  • heikle Fragen erst im letzten Drittel
  • nach belastenden Fragen sollten Fragen zu Stärken & Ressourcen kommen
  • am Ende des Interviews nochmal solche Fragen, um den Probanden positiv zu stimmen

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Ablauf: Zusammenfassungen & Überleitungen

Am Ende eines Themenblocks Zusammenfassung durch den Interviewer, Bitte um Korrekturen und Ergänzungen, Überleitung

Vorteile dieser Zusammenfassung: 

  • kurzzeitiger Rollenwechsel → Abwechslung und evtl. Entlastung
  • Interviewer prüft, ob er alles richtig verstanden hat
  • manchmal fallen Interviewten dabei noch zusätzliche Aspekte ein

Kap. 4 Konzeption & Erstellung eines Interviewleitfadens (für mind. teilstandardisierte Interviews)

Ablauf: Abschluss

  • Dank an den Interviewpartner: v.a. wichtig bei Forschungsinterviews
  • Ggf. die aktuelle Stimmung des Interviewpartners abklären: "Ich habe den Eindruck, dass unser Gespräch an einigen Stellen belastend für Sie war, möchten sie darüber sprechen? Wie geht es Ihnen jetzt?" → Meta-Kommunikation
  • Weitere Fragen des Interviewpartners beantworten
  • Weiteres Vorgehen und Kontaktmöglichkeiten erläutern: z.B. wann erfolgt Rückmeldung
  • Small talk: unverfängliche Fragen vorher aufschreiben/im Interviewleitfaden aufgelistet
  • Verabschiedung: bis zur Tür begleiten zeigt besondere Wertschätzung