M7 3420-1 FUH
Diagnostische Verfahren: Interview und Beobachtung Interview
Diagnostische Verfahren: Interview und Beobachtung Interview
Fichier Détails
Cartes-fiches | 54 |
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Langue | Deutsch |
Catégorie | Psychologie |
Niveau | Université |
Crée / Actualisé | 14.11.2018 / 26.02.2020 |
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Kap. 1
Definition psychologisches Interview
- Keßler: zielgerichtete, mündliche Kommunikation; ein/mehrere Befrager und Befragte; Informationssammlung über Erleben & Verhalten des/der Befragten im Vordergrund
- Westhoff: Gespräch; ein/mehrere Befrager und Befragte; hat implizite & explizite Regeln; zur Erhebung von Infos zu Beschreibung, Erklärung oder Vorhersage individuellen Verhaltens oder der Beziehung zw. Personen bzw. zu Bedingungen zur Änderung/Aufrechterhaltung dieser Punkte
- bestimmte Interviewtechniken können auch Veränderungsprozesse initiieren (ständige Fragen nach Stärken → Fokussierung des Probanden darauf) ⇒ fließender Übergang zw. Diagnostik & Intervention
Kap. 1
Begriffe "Gespräch", "Befragung", "Exploration"
- Gespräch und Befragung manchmal synonym für Interview
- oder Befragung = Oberbegriff für 1. Interview und 2. schriftliche Befragung
- Exploration: Erkundung des subjektiven Lebensraums eines Probanden (Hauptmethode biographische Persönlichkeitstheorie, Thomae)
Kap. 1
Anamnese (Eigen/Fremd), Katamnese
- Anamnese: störungsbezogene Vorgeschichte (manchmal auch gesamte Biographie; dann aber besser von einem biographischen Interview sprechen)
- Eigenanamnese: betroffene Person gibt selbst Auskunft
- Fremdanamnese: andere Personen (z.B. Eltern) werden zur Vorgeschichte befragt
- Katamnese: rückblickende Befragung; Wochen/Monate/Jahre nach der Behandlung; zur Abschätzung der Stabilität von Behandlungseffekten etc.
Kap. 1
Unterschiede Alltagkonversationen vs. Interview
- Interview folgt einem gewissen Zweck und ist regelgeleitet
- Wiederholungen: in Alltagsgesprächen vermieden, im Interview eine Technik um vollständig Auskunft zu erhalten
- Rollenverteilung: in Alltagsgesprächen stellen alle Beteiligten Fragen, im Interview nur der Diagnostiker
- (Des)Interesse indizieren: in Alltagsgesprächen durch alle Beteiligten, im Interview nur durch den Interviewer zur Steuerung/Unterbrechung des Informationsflusses
- Hintergrundwissen: in Alltagsgesprächen oft implizites gemeinsames Hintergrundwissen, im Interview müssen solche impliziten Wissensbestände möglichst explizit gemacht werden
- Antwortlänge: in Alltagsgesprächen gebietet es die Höflichkeit sich kurz zu fassen, im Interview werden mögl. viele und detaillierte Informationen gesammelt
Kap. 1
Variationsmöglichkeiten bei Interviews
- Settings/Medien: reale Begegnung, Telefoninterview, internetbasiertes Interview
- Dauer: einige Minuten (Telefon) bis 60 oder 90 Minuten (maximal! Konzentration etc.)
- Anzahl der Interviewer und Interviewten: Panel-Interview (mehrere Interviewer - ein Befragter; Bewerbungsgespräch); Focus Group (ein Interviewer - mehrere Befragte, die dann gemeinsam diskutieren)
- Rolle des Befragers: extra Karte
- Ziele: extra Karte
- Grad der Strukturierung und Standardisierung
Kap. 1
Rolle des Befragers (Fissini)
- weiche Interviews: Schaffung einer offenen und warmen Atmosphäre damit der Befragte möglichst frei sprechen kann (v.a. bei Problemen); Rogers Gesprächspsychotherapie: drei Haltungen des Therapeuten (positive Wertschätzung, Empathie, Kongruenz/Echtheit); "good cop"
- neutrale Interviews: zurückhalten-interessierte Haltung; dient der Minimierung von Fehlerquellen und der Vergleichbarkeit
- harte Interviews: befragte Person soll überrumpelt/provoziert werden, um die Abwehr zu durchbrechen und Offenheit zu erzwingen; Variante: Stressinterview (Kreuzverhör um Stressresistenz zu erfassen); "bad cop"
Kap. 1
Ziele von Interviews
- biographische Persönlichkeitsforschung: möglichst umfassende Beschreibung
- Klinische / Gesundheitspsychologie: Erklärung/Identifikation von auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen
- Eignungsdiagnostik: Vorhersage des zukünftigen Verhaltens eines Bewerbers
- unterschiedliche Ziele in qualitativer und quantitativer Forschung
Kap. 1
4 standardisierbare Aspekte eines Interviews
- die Fragen: Wortlaut, Anzahl, Abfolge können standardisiert sein
- die Antworten: standardisiert wenn nur "ja" oder "nein" vorgegeben sind
- die Auswertung: Antworten werden nach Regeln zu bestimmten Kategorien zugeordnet oder auf festgelegten Dimensionen quantitativ eingeschätzt
- das Verhalten des Interviewers: eng verbunden mit 1.; zusätzlich noch Festlegung ob und wie auf Nachfragen reagiert werden soll und welche Rolle er einnehmen soll
Kap. 1
Ausmaß der Standardisierung als Kontinuum
- völlig unstandardisiert
- oft wird auch von standardisiertem oder strukturierten Interview gesprochen, wenn nur z.B. Fragen und Auswertung aber nicht die Antworten standardisiert sind
- vollständige Strukturierung: Interview lässt sich durch schriftliche Befragung ersetzen, wenn die Beobachtung des Interviewten nicht als zusätzliche Datenquelle dient
Kap. 1
Vorteile standardisiertes Interview
- gute Vergleichbarkeit
- können ökonomisch ausgewertet werden
- geringe Anforderungen an den Interviewer
- Gütekriterien können leichter bzw. überhaupt ermittelt werden
- Interviewerfehler sind besser kontrollier- und reduzierbar
Kap. 1
Nachteile standardisiertes Interview
- subjektiver Lebensraum bzw. subjektive Repräsentation des Probanden werden nicht angemessen erfasst (kein zusätzliches Nachfragen, freies Erzählen)
- festgelegte Fragen werden von unterschiedlichen Befragten möglicherweise unterschiedlich verstanden (Wortäquivalenz vs. Bedeutungsäquivalenz)
- strikte Festhalen an der Standardisierung kann unnatürlich wirken (das Interview sollte einem quasinatürlichen Fluss folgen, um die Auskunftsbereitschaft aufrecht zu erhalten)
Kap.1
Vorteile unstandardisiertes Interview
- subjektive Repräsentationen des Individuums können besser erfasst werden; der Befragte kann freier und umfangreicher erzählen und der Interviewer bei interessierenden Themen weiter nachfragen
- Bedeutungsäquivalenz (im Vergleich mit mehreren Interviewten) ist wichtiger als die Wortäquivalenz
- adaptives Diagnostizieren ist besser möglich: Anschlussfragen in Abhängigkeit von den Antworten des Probanden (teilweise auch in standardisierten Interviews möglich)
Kap. 1
Nachteile unstandardisiertes Interview
- schwierige Vergleichbarkeit
- unklar: wie können verschiedene, sehr unterschiedlich verlaufene Gespräche gruppenbezogen ausgewertet werden?
- nicht unbedingt alle relevanten Informationen erfasst: Befragter kann Sachen bewusst/unbewusst auslassen
- Interviewer braucht spezielle Fertigkeiten (nur durch viel Training und Erfahrung)
Kap. 1
Teilstandardisiertes bzw. halbstrukturiertes Interview
- basiert auf einem Gesprächsleitfaden, darin sind Themen und mehr oder weniger ausformulierte Fragen festgelegt, die auf jeden Fall angesprochen/gestellt werden sollen
- Vergleiche mehrerer Interviews und vergleichende Auswertung leichter möglich
- trotzem ist das nicht die "ultimative Lösung", die beste Form des Interviews hängt immer von der Zielsetzung ab
Kap. 2
Interview aus kognitionspsychologischer Perspektive
- Interviews sind Informationsverarbeitungsprozesse, die von Erwartungen, Emotionen und Motiven begleitet werden
- beide Parteien müssen verbale, non- und paraverbale Signale wahrnehmen, verstehen und ihre weiteren Handlungen darauf abstimmten
- bei beiden können dabei Befürchtungen, Ärger und Argwohn, Sympathie und Antipathie, Hoffnung, Stolz, Kompetenzgefühle, Freude auftreten
Kap. 2
Interview aus tiefenpsychologischer Sicht bzw. in Hinblick auf Übertragung und Gegenübertragung
- vergangene Beziehungen mit wichtigen Personen haben Einfluss auf aktuelle Beziehungen
- ursprünglich tiefenpsychologisch (betrifft die Therapiebeziehung), gibt aber auch die sozial-kognitive Variante (übertragen auf alltägliche Beziehungen)
- sozial-kognitiver Hintergrund: jeder hat mentale Repräsentationen von positiv oder negativ konnotierten signifikanten Anderen; diese werden aktiviert wenn man eine Person trifft die einer solchen mentalen Repräsentation ähnelt; dieser Person werden dann Merkmale der eigentlichen Person zugeschrieben
- noch nicht im Kontext eines Interviews untersucht, aber laut Autor sehr wahrscheinlich
Kap. 2
Interview aus motivationaler Sicht
- Bedürfnisse nach Kontrolle und Komplexitätsreduktion spielen eine Rolle: unbekannte Person und neue Situation, in der evtl. intime Details erzählt werden sollen; daher wird die Situation zuerst eingeschätzt (bedrohlich/angenehm, vertrauenswürdeig/undurchschaubar, (un)vorhersagbar etc.)
- Selbstdarstellungsmotive: guten Eindruck machen (v.a. attraktives Gegenüber des anderen Geschlechts), kompetent & sympathisch wirken
- Motiv der Selbstwertregulation: sich nicht blamieren wollen, durch Vermittlung eines bestimmten Bildes den Selbstwert aufrechterhalten/erweitern
- altruistische Motive: dem Interviewer bei der Bachelorarbeit helfen
- Machtmotivation
⇒ können alle das Verhalten des Interviewten mit bedingen
Kap. 2
Interview aus lernpsychologischer Perspektive
- Interview ist ein Prozess der wechselseitigen Verstärkung, der v.a. vom Interviewer gesteuert werden soll
- Interviewer kann durch verbale und nonverbale Verstärker den Redefluss stimulieren & aufrecherhalten
- abwehrende nonverbale Signale, knappe Antworten des Interviewten können den Interviewer von weiteren ähnlichen Fragen abbringen
- nonverbale Signale des Interviewers (Lachen, Zustimmung, Stimmqualität) können auch zu korrespondierenden nonverbalen Signalen aufseiten des Interviewten führen
Kap. 2
Soziale Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse
- Ersteindrucks-, Stereotypisierungs- & Kategorisierungsprozesse: soziodemographische Merkmale des Gegenüber haben Einfluss auf das Antwortverhalten
- Attributionsverzerrungen: man generiert automatisch Erklärungen, warum sich das Gegenüber gerade so verhält z.B. dispositionale statt situative Bedingungen
- asymmetrischer Kommunikationsprozess: einer stellt Fragen, einer antwortet; soziale Beeinflussungsprozesse und Macht spielen eine Rolle; es kann zu subtilen "Machtspielen" kommen, bei denen die befragte Person durch nonverbales Verhalten, ihre Antworten und evtl. Gegenfragen demonstrieren will, wer hier eigentlich Herr der Situation ist
aus sozialpsychol. Sicht geht es also um ggs. Wahrnehmen & Beurteilen vor dem Hintergrund der genannten Prozesse
Kap. 2
Persönlichkeitsmerkmale als moderierende Variablen
auf Seiten des Interviewten:
- Persönlichkeitseigenschaften (z.B. ängstlich)
- kognitive Komplexität: kogn. komplexere Menschen strukturieren & beurteilen detaillierter und mit Hilfe mehrerer Dimensionen → geben differenziertere Antworten
auf Seiten des Interviewers:
- Persönlichkeitseigenschaften
- kognitive, soziale und emotionale Kompetenzen beeinflussen sein Verhalten
Kap. 2
Fazit zu kognitiven, emotionalen und motivationalen Prozessen im Interview
- diese Prozesse laufen ab, wenn sich der Interviewte Gedanken über denn Hintergrund des Interviews macht
- teilweise bewusst, aber v.a. unbewusst
- Grund 1: bestimmte Motive und habituelle Tendenzen sind nicht explizit, nur implizit
- Grund 2: Frage- und Antwortschema erlaubt kein langes Nachdenken, wie in einem normalen Gespräch ist es unüblich erst mal nichts zu sagen
Kap. 2
Soziale Urteilsbildung in Einstellungsinterviews; interagierende Bedingungen (Schuler)
Situationsparameter:
- Position
- Organisation
- Umwelt
- Diagnosebedingungen
- Vorinformation
Mechanismen der Informationsverarbeitung
Person, Verhalten und Eindruck des Bewerbers
Person, Verhalten und Eindruck des Interviewers
Beziehung/Interaktion
Entscheidung des Bewerbers und des Interviewers
Kap. 2
Konsequenzen, die sich aus der Komplexität und den daraus resultierenden potentiellen Problemen für die Gestaltung von weichen und neutralen Interviews ergeben
1. Transparenz:
- eindeutige Definition der Interviewsituation, des Ziels, der Rollenverteilung und der Dauer geben
- Befragter macht sich sonst eigene Definition und handelt danach; womöglich überangepasst, unkooperativ etc.
- sorgt zudem für vergleichbare Bedingungen bei mehreren Interviewpartnern
2. Beziehung gestalten:
- gute und vertrauensvolle Arbeitsbeziehung (aus moralischen und methodischen Gründen
- Misstrauen etc. führt dazu, dass der Interviewte Informationen vorenthalten wird
- nicht als Neutrum auftreten → zu so jemandem kann man keine Beziehung aufbauen und daher auch nichts anvertrauen
3. Freundlich sein, aber neutral bleiben:
- nicht wie ein Automat reagieren
- Interview soll sich anfühlen wie ein gutes, zielgerichtetes Gespräch
- Interesse zeigen, um den Redefluss zu stimulieren
- keine Wertungen vornehmen, nicht gegen andere solidarisieren
4. Möglichkeit zur Meta-Kommunikation einplanen:
- wenn der Interviewpartner einem misstraut, sich verweigert etc., kann man die Beziehungsebene thematisieren und die Kommunikation reflektieren
- Bsp.: "Ich habe den Eindruck, dass meine Fragen Ihnen unangenehm sind. Liege ich damit richtig? Möchten Sie mir sagen warum? Wir können auch zu einem anderen Thema wechseln!"
Kap. 2
Vorteile des Interviews gegenüber der Fragebogenmethode und schriftlichen Befragungen
Fragebogen:
- mehrfache Messungen bei Fragebögen gehen davon aus, dass die Intervalle der Skala gleich bleiben (der Wert 3 bedeutet an verschiedenen Tagen immer das gleiche), aber Bedeutungen der Antwortalternativen können sich bei mehrfachen Messungen ändern
- Voraussetzung bei Fragebögen: das inhaltlich aufgespannte Bedeutungssystem ist auch bei einem Posttest noch anwendbar, aber oft sollen nicht nur quantitavie Veränderungen innerhalb eines solchen Systems durch Interventionen herbeigeführt werden, sondern qualitative Übergänge zwischen Bedeutungssystemen
schriftliche Befragungen (v.a. online/postalisch):
- Interviews sind flexibler
- spontane Reaktionen und nonverbale Signale können gedeutet werden
- Identität des Interviewten ist eindeutig bestimmt
- höhere Kontrolle im Hinblick auf die Erhebungssituation, die Reihenfolge der Fragen, die Dauer, die Vollständigkeit und den Rücklauf
Kap. 3
Wann kann/sollte ein Interview zur Datenerhebung angewendet werden?
- immer dann, wenn es keine geeigneten Fragebogen-Verfahren gibt (relativ häufig)
- Fisseni: 1) bei der Erarbeitung einer diagnostischen Fragestellung 2) Zur Abklärung des Kontextes der diagnostischen Fragestellung 3) Bei der Erhebung persönlicher und intimer Informationen
- zur Exploration von Phänomenen, die gar nicht/nur schwer beobachtbar sind und zu denen es noch keine/wenig theoretische Überlegungen gibt
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Klinische Psychologie & Beratung
- zur Deskription einer Symptomatik
- zur Erklärung von Störungsbildern
- zur klassifikatorischen Einordnung eines Störungsbildes (dafür stehen standardisierte Interviewleitfäden zur Verfügung)
- zur prädiktiven Diagnostik (um künftige Verläufe vorherzusagen, Maßnahmen zu planen)
- zur Evaluation von Veränderungen
- zur klinischen Dokumentation
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Strukturiertes Interview für das Fünf-Faktoren-Modell
- dient der Erfassung von adaptiven und klinisch relevanten Extremausprägungen der Facetten und Faktoren der Big Five, die auf Persönlichkeitsstörungen hinweisen
- Vorteile ggü. Fragebogenmethode: 1) Beurteilungen werden durch den Interviewer vorgenommen und sind daher weniger durch die aktuelle Stimmung des Probanden beeinflusst 2) Verständnis der Fragen kann eher sichergestellt werden
- zunächst werden Ausgangsfragen gestellt, und diese dann abhängig von den Antworten genauer exploriert
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Behandlungssteuernde Funktion des Interviews (neben der diagnostischen Zielsetzung)
- löst typische Affekte, Emotionen und Einstellungen aus → stimuliert Reflexionsprozesse
- zur Entwicklung, Förderung, dem Aufstellen und Ändern von Behandlungszielen & -plänen
- zur Gestaltung des Behandlungsablaufs
- ⇒ Übergänge zwischen Diagnostik und Intervention sind fließend
- während des therapeutischen Prozesses können alle Äußerungen eines Klienten dem Therapeuten immer auch diagnostische Informationen liefern, die für weitere Maßnahmen genutzt werden können
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Gesprächsführung in verschiedenen Therapieschulen (Gesprächspsychotherapie, lösungsorientierte Kurzzeittherapie)
Gesprächspsychotherapie (Carl Rogers):
- weicher Interviewstil
- klientenzentriert
- 3 Grundhaltungen: Empathie, Wertschätzung, Echtheit/Kongruenz
- soll zur Selbstexploration des Klienten anregen
Kurzzeittherapie:
- spezielle Fragetechniken zur Exploration von Ressourcen und Ausnahmen von einem Problemmuster
- spezielle hypothetische Fragen, um die Ziele eines Klineten zu klären und Lösungen zu konstruieren ("Wunderfrage")
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Spielbasierte Befragungstechniken
- Probleme bei Kindern zwischen 4 und 8: Hemmungen, Ängste, Unsicherheit, Loyalitätskonflikte, Langeweile
- mündliche Befragung im Spiel → im Idealfall freiwillig und mit Spaß
- Beispiel: Sceno-Test (v. Staabs) = Holzkasten mit biegsamen Puppenfiguren, Bausteinen, Tieren, Alltagsgegenstände etc.; das Kind soll im Deckel etwas aufbauen und wenn es fertig ist, erzählen was es gebaut hat
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Personalpsychologie
Berufseigungsdiagnostik:
- Einstellungsinterview: wichtigste Methode zur Auswahl von Mitarbeitern
- sollten möglichst valide, reliabel und objektiv durchgefphrt werden → teilstandardisiertes Interviewsystem (Multimodales Interview, MMI)
Bestandteile des MMI:
- Gesprächsbeginn
- Selbstvorstellung des Bewerbers
- Freier Gesprächsteil
- Berufsinteressen, Berufs- und Organisationsauswahl
- Biographiebezogene Fragen
- Realistische Tätigkeitsinformationen
- Situative Fragen
- Gesprächsabschluss
Interviews kommen außerdem in der Personalentwicklung zum Einsatz
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Entscheidungsorientiertes Gespräch (EOG)
- Westhoff und Mitarbeiter haben die Prinzipien des EOG konsequent für Einstellungsinterviews umgesetzt und nutzbar gemacht
- bietet eine Systematik zur Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Interviews
- kann für alle Arten von Gesprächen, die Entscheidungen vorbereiten sollen, eingesetzt werden
- sind teilstandardisiert und verhaltensorientiert
- Verhaltensgleichung (extra Karte)
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Entscheidungsorientiertes Gespräch (EOG): Verhaltensgleichung
V = fI(U,O,K,E,M,S)
U: Umgebungsvariablen (äußere Lebensbedingungen)
O: Organismusvariablen (körperliche Bedingungen)
K: Kognitive Variablen (Leistungsfähigkeit, Wahrnehmen, Lernen, Denken)
E: Emotionale Variablen (emotionale Belastbarkeit, Umgang mit Belastungen, relativ überdauernde Gefühle etc.)
M: Motivationale Variablen (Leistungsmotiv, Ziele etc.)
S: Soziale Variablen (soziale Intelligenz, Einstellungen etc.)
Index I: die Wechselwirkungen der Variablen
(es sollten solche Variablen ausgewählt/berücksichtigt werden, deren Relevanz emp. nachgewiesen wurde und die für die Fragestellung praktisch bedeutsam sind)
Kap. 3 Interviews in unterschiedlichen psychologischen Anwendungsfeldern
Forensische Psychologie: das Kognitive Interview
- besondere Form der Befragung, um möglichst valide Zeugenaussagen zu erhalten
- Verwendung von Erinnerungshilfen:
- Mentales Zurückversetzen in den Wahrnehmungskontext → verbessert die Erinnerungsleistung (auch emotionales Zurückversetzen kann hilfreich sein)
- Der Befragte soll alles erzählen was ihm einfällt, auch scheinbar unwichtige Dinge; er soll dabei frei erzählen (aktiviert Assoziationen, die die Erinnerung verbessern); liefert mehr korrekte Infos als geschlossene Fragen (z.B. ja/nein)
- Schilderung des Ereignisses in unterschiedlichen Reihenfolgen, z.B. rückwärts → soll Assoziationen auslösen und die Erinnerung verbessern
- Schilderung des Ereignisses aus verschiedenen Perspektiven (aus der Perspektive einer anderen anwesenden Person); Achtung: lädt auch zu Spekulationen ein
Studien zeigen, dass mehr korrekte und ein bisschen mehr inkorrekte Details berichtet werden → insgesamt höherer Zuwachs an korrekten Details
Kap. 3 Interviews in der psychologischen Forschung
Biographische Persönlichkeitsforschung nach Hans Thomae - Grundlagen, Kritik daran
- verfolgt einen eigenen idiographischen Ansatz: das Individuum und seine Welt sollen mögl. genau und wertneutral sowie theoretisch und methodisch unvoreingenommen erfasst werden
- kritisiert die Fragebogenmethode: zerhackt den Erlebnisstrom
- theoretische Unvoreingenommenheit: ein Forscher soll einem Individuum nicht die eigenen psychologischen Konstrukte überstülpen ("Die Denk- und Ausdrucksweisen dieser Person und nicht das psychologische Konstrukt oder das Messmodell ... bilden den Ausgangs- und Orientierungspunkt für alle Vorgehensweisen des Untersuchers")
- Kritik: ist eine naiv-empirische Haltung (die Wirklichkeit erschließt sich dem Forscher "einfach so") → Mittelweg zwischen Thomaes bottom-up Idee und der top-down Strategie vieler Forscher wäre gut
Kap. 3 Interviews in der psychologischen Forschung
Biographische Persönlichkeitsforschung nach Hans Thomae - freie Exploration
- wenig strukturierte Form des Interviews
- kein Einengen der Antwortmöglichkeiten auf ein bestimmtes Konzept, denn dadurch verschließt sich die Wissenschaft der vollen Breite menschlichen Verhaltens (Fremdbeobachtung ist meist nicht möglich)
- Proband wird zunächst gebeten, spontan über sein Leben oder bestimmte biographische Einheiten zu berichten
- danach können weitere Fragen gestellt werden
- entscheidend: Haltung ggü. dem Probanden (nicht als passive Versuchsperson, sondern auf gleicher Ebene)
Kap. 3 Interviews in der psychologischen Forschung
Biographische Persönlichkeitsforschung nach Hans Thomae - Konzept der Daseinstechniken; Resümee
- Daseinstechniken (bzw. später Reaktionsformen) sollte in Abgrenzung zum amerikanischen "coping" (Bewältigung) stehen: Bewältigung impliziert angeblich schon aktive und erfolgreiche Versuche → Thomae wollte einen möglichst wertneutralen Begriff
- Daseinstechniken sind Möglichkeiten des Umgangs mit bedeutsamen (v.a. belastenden) Lebenssituationen
- Resümee von Laux: idiographisches Vorgehen nach Thomae ist nicht unwissenschaftlich, sondern zielt auf mögl. genaue und umfassende Darstellung von Phänomenen ab → radikale empirische Orientierung!
Kap. 3 Interviews in der psychologischen Forschung
Der biographische Ansatz von Dan P. McAdams
- setzt ebenfalls Interviews ein, allerdings stärker strukturiert
- Menschen unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf Eigenschaften & charakteristische Adaptionen (persönl. Ziele, Bewältigungsstrategien...), sondern auch in der Art und Weise, wie sie Identität & Bedeutung im Rahmen einer individuellen Lebenserzählung konstruieren
- Identität = narrative Identität, eine Geschichte die immer wieder erzählt wird um die Vergangenheit und die Zukunft in ein kohärentes Ganzes zu integrieren und um Einheit und Sinn zu erlangen
- jede Lebenserzählung ist einzigartig, aber innerhalb einer Kultur gibt es gemeinsame Muster → der kulturelle Kontext kann die Lebenserzählung stark beeinflussen
- zählt zu einem narrativen Paradigma, das sich in den Sozialwissenschaften mittlerweile durchgesetzt hat
Kap. 3 Interviewtechniken der qualitativen Sozialforschung
Was ist qualitative Sozialforschung?
- eigenständiges Paradigma
- Qual. Forschung ist eine Gruppe von Methoden in verschiedenen sozial-, kultur- und wirschaftswissenschaftlichen Fächern
- Psychologie: qualitative Methoden gibt es, Mainstream ist aber quantitativ
- es gibt 4 übergreifende Grundannahmen (extra Karte)
Kap. 3 Interviewtechniken der qualitativen Sozialforschung
Vier Grundannahmen zu qualitativer Forschung (Flick, von Kardoff, Steinke)
- Soziale Wirklichkeit wird in Interaktionsprozessen der beteiligten Akteure gemeinsam hergestellt & konstruiert → es müssen alltägliche Herstellungsprozesse untersucht werden, indem die subjektiven Sichtweisen & Deutungsmuster der sozialen Akteure rekonstruiert werden
- Der Prozesscharakter und die Reflexivität sozialer Wirklichkeiten interessieren und müssen entsprechend untersucht werden
- Objektive Lebensbedingungen werden durch ihre subjektive Bedeutung relevant; daher muss der subjektive Sinn interpretiert werden
- Kommunikation ist sehr wichtig und wird auch methodisch durch z.B. Interviews umgesetzt