M7 3416 FUH
Einführung in die Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung
Einführung in die Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung
Kartei Details
Karten | 148 |
---|---|
Lernende | 19 |
Sprache | Deutsch |
Kategorie | Psychologie |
Stufe | Universität |
Erstellt / Aktualisiert | 17.10.2018 / 15.02.2022 |
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Kap. 5
Kognitive Persönlichkeitstheorien allgemein
Betonen interindividuelle Unterschiede in der Art & Weise, wie eine Person sich selbst, ihre Erfahrungen und ihre Umwelt konstruiert
Kap. 5
Theorie der persönlichen Konstrukte von George A. Kelly (allgemein)
- im Mittelpunkt steht der Begriff "Konstrukt": stellt ein Ordnungsprinzip dar / eine Dimension, nach der Erfahrungen im Hinblick auf die eigene Person und die soziale und materielle Umwelt unterschieden und mit Bedeutung versehen werden
- das erfolgt bevorzugt in Form bipolarer Konstrukte (z.B. ordnet man seine Mitmenschen zwischen den Polen "wohlwollend" und "übelwollend" ein)
- Konstrukte können präverbal, unbewusst und/oder implizit sein
- es gibt ein Grundpostulat (die Prozesse einer Person (ihr Erleben und Verhalten) werden durch die Art und Weise, wie sie Ereignisse antizipiert, psychologische vermittelt und geprägt) sowie 11 Korollarien
- Korollarium (=ein Folgesatz, der sich aus einer Prämisse ableitet) enthält weitere Annahmen zu den Konstrukten
Kap. 5
Korollarien - Auflistung
- Konstruktions-Korollarium
- Individualitäts-K.
- Organisations-K.
- Dichotomie-K.
- Wahl-K.
- Bereichs-K.
- Erfahrungs-K.
- Modulations-K.
- Fragmentations-K.
- Ähnlichkeits-K.
- Sozialitäts-K.
Kap. 5 Korollarien
1. Konstruktions-Korollarium
- eine Person antizipiert Ereignisse, indem sie ihre Replikation konstruiert
- Bsp: Studentin A antizipiert den Verlauf ihrer bevorstehenden Prüfung als Wiederholung ihrer bisherigen Prüfungserfahrungen
Kap. 5 Korollarien
2. Individualitäts-Korollarium
- wichtigstes Korollarium für die Persönlichkeitspsychologie
- Personen unterscheiden sich voneinander in ihrer Konstruktion von Ereignissen
- → Persönlichkeit/Einzigartigkeit eines Menschen resultiert aus seinem Konstruktsystem, seiner spezifischen Art & Weise, Erfahrungen zu strukturieren und ihnen Bedeutung zu verleihen
- Studentin A antizipiert ihre Prüfung völlig ander als Student B
Kap. 5 Korollarien
3. Organisations-Korollarium
- jede Person entwickelt in charakteristischer Weise ein Konstruktionssystem, das Ordnungsbeziehungen zwischen Konstrukten umfasst
- Der Erfolg in der Prüfung ist für Studentin A dem Ziel untergeordnet, damit dem ersehnten Berufsziel nahe zu kommen; für Student B ist ein Erfolg in der Prüfung eine Möglichkeit, seinen Eltern für ihre Unterstützung zu danken
Kap. 5 Korollarien
4. Dichotomie-Korolllarium
- das Konstruktsystem einer Person setzt sich zusammen aus einer begrenzten Anzahl dichotomer Konstrukte
- Studentin C konstruiert die Pfüfung als Erfolg vs. Versagen; Student D konstruiert die Prüfung als fair vs. unfair
Kap. 5 Korollarien
5. Wahl-Korollarium
- eine Person wählt für sich selbst diejenige Alternative innerhalb eines dichotomen Konstruktes, bei der sie größere Möglichkeiten für eine Ausdehnung und/oder genauere Bestimmung des Konstrukts antizipiert
- Für Studentin E ist Erfolg (und nicht Versagen) derjenige Konstruktpol, mit dem sie sich mehr auseinandersetzt, weil Erfolg für ihr Selbstkonzept und ihre Zukunftspläne die größere Bedeutung hat
Kap. 5 Korollarien
6. Bereichs-Korollarium
- Ein Konstrukt ist nur für die Vorhersage eines begrenzten Bereiches von Ereignissen geeignet
- Erfolg vs. Versagen ist als Konstrukt für die Vorhersage von Prüfungen geeignet, jedoch nicht für die Vorhersage einer Beziehung zum Partner
Kap. 5 Korollarien
7. Erfahrungs-Korollarium
- Das Konstruktsystem einer Person variiert, während sie nach und nach Replikationen von Ereignissen konstruiert
- Eine neue Erfahrung in einer Prüfung führt bei Student F zu einer veränderten Konstruktion (und Antizipation) künftiger Prüfungen
Kap. 5 Korollarien
8. Modulations-Korollarium
- Die Variation im Konstruktsystem einer Person wird begrenzt durch die Durchlässigkeit der Konstrukte, innerhalb deren Angemessenheitsbereich die Varianten liegen
- Student G konstruiert eine Prüfung nur als Erfolg vs. Versagen, daher wird seine unterschiedliche Leistungsfähigkeit im Hinblick auf unterschiedliche Anforderungen nicht in sein Konstruktsystem aufgenommen
Kap. 5 Korollarien
9. Fragmentations-Korollarium
- Eine Person kann nacheinander eine Vielzahl von Subsystemen ihres Konstruktionssystems verwenden, die im Hinblick auf die sich aus ihnen ergebenden Schlussfolgerungen unvereinbar miteinander sind
- Studentin H ist an allen Inhalten der Klinischen Psychologie höchst interessiert; in der Vorbereitung auf die Prüfung liest sie Bücher zur Klinischen Psychologie nur mit Widerwillen
Kap. 5 Korollarien
10. Ähnlichkeits-Korollarium
- In dem Ausmaß, in dem eine Person eine Konstruktion von Erfahrungen verwendet, die der ähnlich ist, die eine andere Person verwendet, werden ihre psychologischen Prozesse denen der anderen Person ähnlich sein
- Student K und Studentin L konstruieren die bevorstehende Prüfung sehr ähnlich, daher erleben sie bei den Gedanken an die Prüfung ähnliche Gefühle und Befürchtungen
Kap. 5 Korollarien
11. Sozialitäts-Korollarium
- In dem Ausmaß, in dem eine Person die Konstruktionsprozesse einer anderen Person konstruiert, kann sie eine Rolle in einem sozialen Prozess spielen, der die andere Person mit einbezieht
- → es kann nur dann ein Austausch zustande kommen, wenn eine Person sich bemüht, die Konstruktionen ihrer Interaktionspartner zu konstruieren (sonst würde man ständig aneinander vorbei reden!)
- Die Mutter von Student M bemüht sich, die Prüfung mit den Augen ihres Sohnes zu sehen, wenn sie mit ihm darüber spricht
Kap. 5
Entstehung und Nutzen von Konstrukten; Arten von Konstrukten
- Konstrukte entstehen aus wiederholten Erfahrungen, wenn eine Person diese als invariant konstruiert hat
- Konstrukte dienen dazu, künftige Erfahrungen vorherzusagen und damit (kognitive) Kontrolle über die Zukunft zu erlangen (Kontrolle über die Zukunft ist laut Kelly die zentrale menschliche Motivation)
- Die Güte eines Konstruktsystems wird daran bemessen, wie gut es in der Lage ist, Erfahrungen Bedeutung zu verleihen und sie vorherzusagen (nicht Validität, sondern Effektivität ist wichtig)
- Arten: permeable/impermeable Konstrukte, präemptive/konstellatorische/propositionale Konstrukte
Kap. 5
Konstruktarten: Durchlässigkeit bzw. Zulassen von Änderungen
- permeable Konstrukte: bei neuen Erfahrungen wird der Konstruktbereich erweitert und differenziert; Konstruktsystem ist integrativ und flexibel
- impermeable Konstrukte: neue Elemente werden nicht zugelassen, stattdessen ständig Bildung neuer Konstrukte, die unverbunden nebeneinander existieren
Kap. 5
Konstruktarten: Differenziertheit
- präemptive Konstrukte: ein Element wird nur durch ein einziges Konstrukt abgebildet (z.B. Prüfung nur als Belastung); ungünstig!
- konstellatorische Konstrukte: feste Beziehungen zwischen Konstrukten, wie es für Stereotype charakteristisch ist; wenn ein Merkmal vorhanden ist, sind auch andere vorhanden (z.B. jemand trägt eine Brille, daher ist er intelligent)
- propositionale Konstrukte: ein Element wird nur so eingeordnet, wie es aufgrund entsprechender Erfahrung möglich ist; es werden keine darüber hinausgehenden Zuordnungen vorgenommen; angemessen!
Kap. 5
Konstruktiver Alternativismus
- eine der zentralen Annahmen Kellys
- zu jeder Konstruktion gibt es Alternativen → wir können Erfahrungen grundsätzlich auch anders konstruieren → jede Person ist frei, ihre Erfahrungen unterschiedlich zu konstruieren
- im Alltagsdenken werden Alternativen meistens ausgeschlossen, die Dinge "sind halt so wie sie sind"
- Kelly vertritt die wissenschaftstheoretische Position des Konstruktivismus: Zugang zur Realität erfolgt nur über ihre Konstruktion
Kap. 5 Erfassung von persönlichen Konstrukten
3 Möglichkeiten
- Offenes, freies Gespräch
- Selbstcharakterisierung in der 3. Person (sich aus Sicht eines vertrauten & wohlgesonnenen Freundes beschreiben)
- Role Construct Pepertory-Test (REP-Test)
Kap. 5 Erfassung von persönlichen Konstrukten
Durchführung eines REP-Tests
- 1. Schritt: Testperson füllt 18 Rollen-Titel mit konkreten Personen
- 2. Schritt: Zeilenweise werden jeweils 3 Personen markiert, insgesamt gibt es 32 solcher Personentripel
- 3. Schritt: die Testperson gibt jeweils an, in welcher Hinsicht sich 2 der 3 Personen ähneln (Ähnlichkeitspol) und in welcher HInsicht sie sich von der 3. Person unterscheiden (Kontrastpol)
- um herauszufinden, welche Konstrukte zur Personenbeschreibung verwendet werden und wie differenziert das Konstruktsystem ist
- Möglichkeit, implizite Konstruktionen explizit zu machen
Kap. 5 Erfassung von persönlichen Konstrukten
Auswertungs- und Variationsmöglichkeiten des REP-Tests
Auswertung:
- qualitativ
- quantitativ (Faktoren- oder Clusteranalysen)
Variationen (Bsp.)
- unipolare statt bipolare Konstrukte
- auf Situationen, Ereignisse bezogen statt auf Personen
Kap. 5
Idiographisch vs. nomothetisch
- alle diagnostischen Zugänge von Kelly sind idiographisch → offen für individuelle Konstrukte der einzelnen Person; personenzentrierte Erfassung; die Testperson bestimmt erst die verwendeten Dimensionen
- ⇔ nomothetisch: die Dimensionen sind vorgegeben
- Ursprung der Begriffe: W. Windelband (Philosphieprofessor) → es gibt 2 Wege zur Erkenntnis: nomothetisch und idiographisch; W. Stern übertrug das auf die Psychologie → 4 Teilgebiete der Differenziellen Psychologie: 2 nomothetische (Variations- & Kovariationsforschung) und 2 idiographische (Psychographie & Komparationsforschung)
Kap. 5
Fixierte Rollentherapie
- ungewöhnliche Form von Therapie, die Kellys Ansatz konsequent umsetzt
- Annahme: negative Gefühle & psychische Störungen entstehen, wenn ein Konstruktsystem Erfahrungen nicht angemessen abbilden kann (z.B. wenn für Erfahrungen keine Konstrukte vorliegen oder nicht bewährte Konstrukte beibehalten werden)
- Therapie: Klient ändert sein Konstruktsystem so, dass er Erfahrungen auf eine für ihn mit weniger Leiden verbundene Art abbilden kann (insbes. soll er vergangene Erfahrungen so konstruieren, dass er weniger unglücklich damit ist)
- "fixierte Rolle": Klient soll für begrenzte Zeit die Rolle von jemand anderem spielen (Therapeut erstellt Rollenskript, das von der Selbstbeschreibung des Klienten abweicht, aber nicht das Gegenteil (Kontrastpol) beschreibt)
- Ziel: im Schutz der Rolle neue Erfahrungen machen, die zu einem veränderten und effektiveren Konstruktsystem führen; bisherige Konstrukte sollen nicht mehr als gegeben, sondern als veränderbar wahrgenommen werden (das wäre auch allgemein die optimale Perspektive)
Kap. 5
Grundgedanken von Kelly in der aktuellen Persönlichkeitspsychologie
- in der sozial-kognitiven Lerntheorie
- in Ansätzen zum Thema Selbstkonzept
- v.a. die Themen subjektive Konstruktion, Konstruktiver Alternativismus und personenzentrierte Erfassung
Kap. 5 Kellys Theorie heute
Stellenwert der subjektiven Konstruktion
Mischel:
- im Kognitiv-Affektiven Persönlichkeitssystem (CAPS) kommen Enkodierungen (also persönlichen Konstrukten) eine Schlüsselrolle zu
- subjektive Konstruktion (nicht objektive Merkmale) löst Affekte, Ziele und Erwartungen aus und aktiviert Kompetenzen & Handlungspläne
Hazel Markus:
- Selbstschemata (entspricht dem Konstruktkonzept) können als persönliche Konstrukte verstanden weren, die sich auf Grundlage vergangener Erfahrungen bilden und die auf die eigene Person bezogenen Erfahrungen organisieren und strukturieren
Epstein:
- ein Selbstkonzept ist eine Theorie, die eine Person über sich selbst erstellt hat
- Gemeinsamkeit mit Kelly ist v.a. das Bild des Menschen als Wissenschaftler
Kap. 5 Kellys Theorie heute
Stellenwert des Konstruktiven Alternativismus
- in der sozial-kognitiven Lerntheorie ist die Bildung alternativer Konstruktionen eine wesentliche Voraussetzung für effektive Selbstregulation
- die Fähigkeit alternativ zu konstruieren ist die zentrale Kompetenz der Selbstregulation (Stichwort Belohnungsaufschub: wenn das Objekt der Belohnung (z.B. Marshmallow) als nicht genießbares Objekt konstruiert wird (Wolke), fällt das Warten leichter)
Kap. 5 Kellys Theorie heute
Stellenwert der personenzentrierten Erfassung
- Mischel: die Forderung nach einem personenzentrierten Ansatz ist verbunden mit der Forderung nach interaktionistischem Zugang (d.h. der Berücksichtigung der Situation als einen verhaltensdeterminierenden Faktor)
- Ansätze zur Erfassung persönlicher Ziele: hier stehen diejenigen Ziele einer Person, die sie für sich selbst als relevant formuliert hat, im Mittelpunkt (z.B. Little, der persönliche Ziele als "persönliche Projekte" bezeichnet und sich von Kelly beeinflusst sieht)
Kap. 5
Bewertung
- Kelly betonte früh den Stellenwert kognitiver Schemata
- Kellys Perspektive ist sowohl für die Forschung als auch für die Praxis von unschätzbarer Bedeutung
- Kelly hat in seiner Theorie die zentrale Rolle kognitiver Prozesse bereits früh vorweggenommen (zu früh → diese zentrale Rolle wurde erst in den 70ern thematisiert)
- Kellys Perspektive & die Fixierte Rollentherapie konnten sich am ehesten in GB durchsetzen (bis heute sehr beliebt)
- wichtiger Beitrag: REP-Test
- subjektive Konstruktion stellt für die Persönlichkeitstheorie eine zentrale theoretische Perspektive dar