Sozpolitik - Herausforderungen moderner Wohlfahrtsstaaten
Sozialpolitik - Herausforderungen moderner Wohlfahrtsstaaten
Sozialpolitik - Herausforderungen moderner Wohlfahrtsstaaten
Set of flashcards Details
Flashcards | 25 |
---|---|
Language | Deutsch |
Category | Social |
Level | Other |
Created / Updated | 29.05.2018 / 04.07.2022 |
Weblink |
https://card2brain.ch/box/20180529_sozpolitik_herausforderungen_moderner_wohlfahrtsstaaten
|
Embed |
<iframe src="https://card2brain.ch/box/20180529_sozpolitik_herausforderungen_moderner_wohlfahrtsstaaten/embed" width="780" height="150" scrolling="no" frameborder="0"></iframe>
|
Trilemma der Dienstleistungsgesellschaft
Es gibt drei wünschenswerte Dinge, die man mit staatlicher Politik hinkriegen sollte:
- Vollbeschäftigung à Dass die Menschen Arbeit haben und sich selbst versorgen können
- Egalität/Gleichheit/geringe Ungleichheit à Spanne zwischen Arm und Reich sollte viel kleiner sein, als in Realität
- Ausgeglichene Staatfinanz à Der Staat soll nicht bankrott gehen, aber die Hälfte des Verdienstes als Steuern bezahlen zu müssen, ist ebenfalls nicht gut.
In der Industriegesellschaft kann man mit Maschinen den Menschen immer Produktiver machen, was in der Dienstleistungsgesellschaft nicht geht, da die Produktivität nicht gesteigert werden kann. Daher können die Löhne nicht gleich stark steigen, wie in der Industriegesellschaft. In der modernen Gesellschaft gibt es immer mehr Dienstleistungsbetriebe, während die Industrie abnimmt (in den letzten 30-40 Jahren wurden die Beschäftigten halbiert), weshalb es schwierig ist, das Prinzip der Lohngleichheit aufrecht zu erhalten.
Um trotzdem im Einklang zu sein mit den drei von Häuselmann geschilderten Zielen, müssen die Menschen gebildet werden, damit sie auch in einer Dienstleistungsgesellschaft einen hohen Lohn erzielen können.
Herausforderung: Wirtschaftlicher Wandel - Strukturwandel
▶ Wandel von der industrieller Produktion zur postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft und zur Wirtschaft 4.0
▶ Globalisierung: Zunehmender Wettbewerb (Migration/Weltweite Arbeitsteilung): Verlagerung der unqualifizierten Arbeitsplätze ins Ausland (Billig-Lohn-Länder)
▶ Digitalisierungsbedingte Restrukturierung: diverse Berufe verschwinden
Herausforderung: Gesellschaftlicher Wandel
▶ Individualisierung (weniger Abhängigkeit von der Familie, mehr Instabilität in Paarbeziehungen)
▶ Gewandelte Rolle der Frauen (Arbeitsmarktbeteiligung, Abnahme in der Fertilität)
▶ Gewandelte Rolle der Männer (langsamer, schichtspezifisch)
▶ Zunehmende Familieninstabilität (früher vor allem bei den gut qualifizierten – heute eher bei den weniger qualifizierten).
Folgen des wirtschaftlichen Wandels
Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu
Langzeitarbeitslosigkeit nimmt zu
Die Langzeitarbeitslosigkeit hat in den meisten europäischen Ländern zugenommen. Das liegt daran, dass die Gesellschaft immer mehr Dienstleistungsunternehmen hat, was dazu führt, dass viele Menschen mit ihrem Bildungsabschluss keine Stelle mehr finden, da sie z.B. eine Ausbildung im Industriebereich haben, welcher immer weiter abnimmt.
Verlierer und Gewinner im Arbeitsmarkt
▶ Verlierer:
- In Branchen, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, werden Arbeitsplätze mit geringen Qualifikationsanforderungen wegrationalisiert/oder durch Maschinen und Roboter ersetzt.
- Der Druck auf ArbeitnehmerInnen steigt à mehr Stress am Arbeitsplatz, weniger Arbeitsplatzsicherheit.
▶ Gewinner:
- Flexible und mobile Fachkräfte/Manager profitieren von neuen Möglichkeiten und Lohnaufstieg.
Folgen des Gesellschaftlichen Wandels
Familienarmut
Finanzierungsprobleme
Finanzierungsprobleme
▶ Aufgrund der verschiedenen Entwicklungen (insb. Demografischer Wandel) geraten die Sozialsysteme unter finanziellen Druck.
▶ Für einen Umbau des Sozialstaates zur Absicherung neuer sozialer Risiken würden zusätzliche Mittel benötigt.
Soziale Risiken und deren Absicherung
Neue soziale Risiken sind ein wichtiger Teil in der wissenschaftlichen Debatte, wie sich Wohlfahrtsstaaten verändern können.
Es bräuchte mehr sozialpolitische Instrumente, um die neuen sozialen Risiken zu finanzieren. Wobei es schon schwierig ist, die klassischen sozialen Risiken zu finanzieren, da es immer mehr Kinder gibt und die Menschen immer älter werden.
Sind wir bei der Sicherung der sozialen Risiken Voraus, Gleich oder Nachzügler?
- Skandinavische Länder sind in Beruf und Familie weiter fortgeschritten, in der Schweiz ist es ein grosses Problem, Familie und Beruf zu vereinbaren, da die Betreuungskosten für ein Kind eher hoch sind. Zudem gibt es in vielen anderen Ländern, - ausser in der Schweiz, - Familienurlaub, was das Familienleben fördert. In der Schweiz gibt es nur den Mutterschutz, welcher mit 12 Wochen ebenfalls relativ kurz ist.
- In der Bildung ist die Schweiz voraus à Schweizer Bildungssystem ist sehr gut
- Wenn es darum geht, dass die Qualifikation eines Menschens sehr gut ist, in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft aber nicht wirklich brauchbar ist, gibt es keine Umschulung. Da hinkt die Schweiz hinterher.
Antwort auf Herausforderungen: Dualisierung
Dualisierung = Anpassen der Sozialstaatlichen Leistungen
▶ Einschränkung der etablierten, regulären Sozialleistungen für bestimmte Gruppen.
▶ “Insider“ haben nach wie vor gute Absicherung der sozialen Risiken (protegierte Arbeitsplätze, gute Rentenansprüche, etc.)
▶ „Outsider“ haben keine gute Absicherung der sozialen Risiken (prekäre Arbeitssituation mit befristeten Verträgen, Arbeit auf Abruf, kaum Kündigungsschutz, prekäre Vorsorgesituation in Bezug auf Renten)
▶ Verbreitete Entwicklung in vielen Europäischen Staaten – aber auch in der Schweiz zu beobachten.
▶ z.B. wurde mit der ALV-Revision 2010 der Zugang zu ALV Leistungen für junge Arbeitnehmende und Wiedereinsteigerinnen erschwert.
Atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse
Unsicherheit bei atypisch-prekären Arbeitsverhältnissen
Das SECO hat definiert, was unter einem atypisch-prekären Arbeitsverhältnis zu verstehen ist:
- Zeitliche Unsicherheit: Vermehrt zeitliche Unsicherheit aufgrund befristeter Anstellung oder unsichere Einsatzplanung. Beispiele: Temporärarbeit, Befristete Arbeitsverhältnisse
- Ökonomische Unsicherheit: Unsicheres Einkommen aufgrund Unterbeschäftigung oder variablen Löhnen (kein gesichertes Arbeitsvolumen). Beispiele: Arbeit auf Abruf, Heimarbeit (ohne vertragliche Stundenzahlen), unfreiwillige Teilzeitarbeit
- Schutz-Unsicherheit: Schlechte oder fehlende (soziale) Schutzbestimmungen. Beispiel: Scheinselbstständigkeit
Rechtfertigung der Dualität
▶ Rechtfertigung der Dualisierungsstrategie: „Stärkung des Versicherungsprinzips“ (im Gegensatz zum Solidaritätsprinzip)
«Es ist wichtig, dass eine Person an dem Tag, an dem sie einen ersten Franken einbezahlt hat, nicht dieselben Leistungen in Anspruch nehmen kann wie jemand, der zwanzig Jahre lang einbezahlt hat und dann in eine missliche Situation gerät und arbeitslos wird.» Bundespräsidentin Doris Leuthard, Vorsteherin des EVD
Probleme der Dualisierung
▶ „Atypische“ Beschäftigung geht oft einher mit schlechter Absicherung im Alter.
▶ Aber auch andere soziale Risiken wie Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit sind ungenügend abgesichert.
▶ Gesellschaftsvertrag wird ausgehebelt:
▶ Kosten der wirtschaftlichen Anpassungen werden nicht gleichmässig auf die sozialen Schichten verteilt sondern treffen überproportional die, die ohnehin schon Nachtteile haben.
▶ Langfristig: Grundlagen des sozialen Zusammenhalts werden untergraben und soziale Sicherheit insgesamt wird gefährdet.
Wohlfahtschauvinismus
▶ Grosszügige Sozialleistungen erhalten, diese sollen aber nicht den Zugewanderten zugute kommen: Begrenzung der Zuwanderung, um Zahl der Anspruchsberechtigten zu reduzieren. (vgl. Bonoli et al 2017)
▶ Diese Position ist vor allem bei rechtspopulistischen Parteien verbreitet.
Probleme der wohlfahrtschauvinistischen Position
▶ Finanzierungsprobleme des Sozialstaats betrifft primär die demografische Alterung und dieses Problem kann durch eine Begrenzung der Zuwanderung nicht gelöst werden.
▶ Die Studie von Fluder et al. (2014) über die Aufenthalts- und Erwerbsverläufe der Zugewanderten in die Schweiz 2002-2011 zeigt:
- die Zugewanderten sind eher jung (über 66% sind jünger als 35 Jahre),
- überdurchschnittlich qualifiziert,
- arbeiten häufig in Führungsposition/akademischen Berufen
- und sie sind häufiger konstant Erwerbstätig als die Schweizer Erwerbstätigen.
▶ Die Netto-Effekte der Zuwanderung in der Schweiz auf den Sozialstaat sind heute positiv (Mitfinanzierung der Sozialwerke).
Soziale Investitionspolitik
▶ unterstützen und steigern – anstatt lediglich Einkommensausfälle kompensieren.
▶ Langfristige Strategie mit verschiedenen Zielen:
▶ Aufbau von Humankapital
▶ Chancengleichheit
▶ Durchbrechung von Exklusionsdynamiken (z.B. Vererbung/Verfestigung von Armutslagen)
Soziale Investitionspolitik als Antwort auf neue soziale Risiken
▶ Vereinbarkeitspolitik (Kinderbetreuung, Elternzeit, etc.)
▶ Frühe Förderung (Fokus auf Prävention, Chancengleichheit)
▶ Bildung/Qualifizierung
▶ Steigerung der Erwerbsfähigkeit durch Arbeitsintegration (z.B. Instrumente in der IV, der ALV und der Sozialhilfe)
Möglicher Nutzen sozialer Investitionen
▶ Ökonomisch: Entwicklung von Humankapital, Sicherung der langfristigen Beschäftigung, Steigerung der Qualität und der Produktivität der Arbeitskräfte
▶ Sozial: gesellschaftliche Integration, sozialer Zusammenhalt, Reduzierung sozialer Ungleichheit
▶ Politisch: Teilhabe, Entfaltung, Gewährung sozialer Rechte
Kritik am social Investment Paradigma
▶ Liberale Strategie, die Sozialpolitik auf Bildung/Erhalt von Humankapital reduziert und andere Ziele (Bekämpfung von Armut, Umverteilung) ausblendet.
▶ Soziale Investitionen sind schwer zu definieren und Wirkungen lassen sich praktisch nicht messen.
▶ Schwierig umzusetzen, da diejenigen, die von der Politik profitieren könnten - Kinder, junge Menschen, atypisch Beschäftigte, Frauen mit Teilzeitpensen, etc. – keine starke Lobby haben (vgl. Häusermann 2008, 2014)
Pfadabhängigkeit der Reformfähigkeit des Schweizer Sozialstaats
▶ Einmal eingeführte Systeme können nur schwer wieder geändert werden.
Reformfähigkeit des Schweizer Sozialstaats
▶ Moderne Wohlfahrstaaten sind mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert, die nicht zuletzt auch im Sozialstaat selber begründet sind (NSR, Finanzierungssysteme, Veränderungen der Arbeitswelt).
▶ Die derzeitigen Herausforderung verlangen Anpassungen, insbesondere im Bereich der Familienpolitik und der Integrationspolitik.
▶ Wir sehen hier gewisse Entwicklungen (vgl. Häusermann 2008)
- Es gibt gewisse „Modernisierungskompromisse“ wie die 10. AHV Revision.
- Zunehmender Fokus auf Aktivierungsmassnahmen (IV, Flüchtlinge, Sozialhilfe).
- Im Bereich der Familienpolitik allerdings keine starke Varianz zwischen den Kantonen, wenig Möglichkeiten für nationale Reformen.