AFG 1 - 13 Physische Aktivität
13 Physische Aktivität Theoretische Grundlagen und ihre Anwendung
13 Physische Aktivität Theoretische Grundlagen und ihre Anwendung
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Cartes-fiches | 74 |
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Utilisateurs | 12 |
Langue | Deutsch |
Catégorie | Psychologie |
Niveau | Université |
Crée / Actualisé | 22.01.2018 / 26.08.2023 |
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Die Meta-Analyse von Cooney et al. (2013)
Eine Meta-Analyse von Cooney et al. mit 35 Studien und 1.356 Personen zeigte beim Vergleich von Bewegungsinterventionen mit keiner oder Kontrollbehandlungen
einen moderaten klinischen Effekt zugunsten physischer Aktivität. Im Überblick betrachtet gibt
es Hinweise darauf, dass sport- und bewegungstherapeutische Maßnahmen ähnlich positive
Veränderungen des Befindens wie psychologische und psychotherapeutische Methoden
bewirken. Einschränkend ist zu erwähnen, dass Sportinterventionen bisher überwiegend für leichte bis mittelschwere Depressionen geprüft wurden.
Beweggründe für die Ausübung physischer Aktivität
Menschlichem Verhalten liegen individuelle Beweggründe beziehungsweise Motive zugrunde,
die durch selbstregulative Prozesse in konkretes Handeln überführt werden. Dies wird als
Volition bezeichnet.
Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Motivation und Volition und dementsprechend auch in ihren Handlungen und der jeweiligen Umsetzung.
Die Motivation erklärt das Verhalten hinsichtlich Grund, Intensität und Ausdauer.
Die Volition umfasst im Sinne einer Selbstregulation vorrangig
- Selbstwirksamkeit,
- Implementierungs-intention und
- Strategien zur Abschirmung der Intention.
Die Motivation für physische Aktivität ist bei Erwachsenen laut Dishman (1990) von drei Faktoren abhängig:
- Merkmale der physischen Aktivität (z. B. Art, Intensität, Anstrengung),
- Personenmerkmale (z. B. Motive, soziale Schicht, physische Voraussetzungen), und
- Umweltmerkmale (z. B. Verfügbarkeit von Sportstätten, Jahreszeiten).
Personenbezogene Faktoren
Die Motive für physische Aktivität können je nach Gesundheitsstatus, Alter und Geschlecht verschieden ausgeprägt sein.
Im Erwachsenenalter scheinen neben Wissen und Einstellungen über die gesundheitliche Wirkung von physischer Aktivität insbesondere Faktoren wie Freude an der Ausübung, anschließendes Wohlbefinden oder soziale Anerkennung relevant zur Vorhersage zukünftiger physischer Aktivität zu sein.
Motive für physische Freizeitaktivitäten: (Kinder- und Jugendalter)
Jungs (Kinderalter)
- Stärke
- Gesundheit
- Zugehörigkeit
Mädchen: (Kindesalter)
- Gesundheit
- Zugehörigkeit
- Stärke
Jungs (Jugendlichenalter):
- Stärke
- Gesundheit
- Freude
Mädchen (Jugendlichenalter):
- Gesundheit
- Zugehörigkeit
- Gewichtsregulation/ Aussehen
Weitere Motive:
- Sportliches Vorbild der Freunde
- Soziale, emotionale und physische Erwartungen an das Sporttreiben
- Körperselbstwertgefühl
Motive für physische Freizeitaktivitäten: (erwachsenenalter und hohes Erwachsenenalter)
m Erwachsenenalter
(geschlechtsunabhägig)
- Physische Fitness
- Psychologischer Zustand
- Freude
- Bewältigung
- Aussehen
- Zugehörigkeit
- Wettkampf
Im höheren Erwachsenenalter (geschlechtsunabhängig):
- Freude (z. B. "ich mag es, aktiv zu sein"),
- gesundheitliche und medizinische Gründe (z. B. "ich möchte physisch aktiv sein, um meine Gelenke beweglich zu halten") sowie
- Engagement (z. B. "ich wünschte, körperlich fit zu sein")
Der subjektiven Nutzen physischer Aktivität:
- psychischer Nutzen (z. B. Lebenskontrolle, Selbstbewusstsein, Glück)
- Physischer Nutzen (z. B. Gesundheit, Fitness, Entspannung)
m Erwachsenenalter
(geschlechtsunabhägig)
- Physische Fitness
- Psychologischer Zustand
- Freude
- Bewältigung
- Aussehen
- Zugehörigkeit
- Wettkampf
Im höheren Erwachsenenalter (geschlechtsunabhängig):
- Freude (z. B. "ich mag es, aktiv zu sein"),
- gesundheitliche und medizinische Gründe (z. B. "ich möchte physisch aktiv sein, um meine Gelenke beweglich zu halten") sowie
- Engagement (z. B. "ich wünschte, körperlich fit zu sein")
Der subjektiven Nutzen physischer Aktivität:
- psychischer Nutzen (z. B. Lebenskontrolle, Selbstbewusstsein, Glück)
- Physischer Nutzen (z. B. Gesundheit, Fitness, Entspannung)
Für eher inaktive Personen:
Anpassung an die Erwartung Anderer
Motivbasierte Sporttypen nach Sudeck, Lehnert und Conzelmann (2011)
Sudeck, Lehnert und Conzelmann (2011) schlagen auf der Grundlage eines clusteranalytischen Vorgehens verschiedene motivbasierte Sporttypen vor, bei denen jeweils ein anderes Muster in den Ausprägungen der sechs Merkmalsbereiche
- Figur/Aussehen,
- Ästhetik,
- Wettkampf,
- Kontakt,
- Ablenkung
- Aktivierung/Freude
vorliegt.
Inhaltlich werden die neun Cluster folgendermaßen charakterisiert:
Inhaltlich werden die neun Cluster folgendermaßen charakterisiert:
- Cluster 1: Kontaktfreudige Sportlerinnen und Sportler weisen überdurchschnittliche Ausprägungen der Motive Kontakt und Ablenkung auf.
- Cluster 2: Die meisten Personen sind figurbewusste Ästhetinnen und Ästheten mit überdurchschnittlicher Ausprägung der Motive Ästhetik und Figur/Aussehen.
- Cluster 3: Aktiv-Erholerinnen und -Erholer richten sich auf psychische Aspekte der Erholung aus (Ablenkung und Aktivierung/Freude).
- Cluster 4: Eine weitere Gruppe sind die erholungssuchenden Fitnessorientierten mit hohen Ausprägungen auf den Merkmalen Figur/Aussehen und Ablenkung.
- Cluster 5: Sportbegeisterte zeichnen sich durch überdurchschnittliche Ausprägungen auf ästhetischen Erfahrungen und Kontakt aus.
- Cluster 6: Gesundheits- und Figurorientierte fokussieren besonders auf die physischen Aspekte in Form des Motivs Figur/Aussehen.
- Cluster 7: Für die Clustergruppe figurbewusste Gesellige sind soziale Kontakte im Sport und Figur/Aussehen wichtig.
- Cluster 8: Figurorientierte Stressreguliererinnen und -regulierer werden durch eine Zweckorientierung des Sporttreibens charakterisiert, da der Fokus auf Figur- /Gewichtseffekten (wesentlich stärker als bei den erholungssuchenden Fitnessorientierten, Cluster 4) liegt und Sport als Mittel für Erholungseffekte (Ablenkung) verwendet wird.
- Cluster 9: Das letzte Cluster beinhaltet die erholungssuchenden Sportlerinnen und Sportler, die eine überdurchschnittliche Ausprägung des erholungsrelevanten Motivs Ablenkung und der Ästhetik aufweisen.
Das Motiv Aktivierung/Freude im Cluster
Das Motiv Aktivierung/Freude ist bei allen Clustergruppen überdurchschnittlich ausgeprägt. Die sportbezogenen Motivcluster können Hinweise für eine optimale Passung zwischen den
individuellen Bedürfnisse und Beweggründen und den Angeboten im Freizeit- und Gesundheitssport liefern.
Umweltbezogene Faktoren
Zentrale Umweltbedingungen für die Ausübung physischer Aktivität sind
- die verfügbare Zeit und
- das Klima sowie
- die Zugänglichkeit zu Sportstätten.
Auch für physisch aktive Personen stellt Zeitmangel einen kritischen Faktor für die Ausübung von (mehr) physischer Aktivität dar. Sehr aktive Personen lassen sich aber nicht durch
- widrige Umgebungsbedingungen (wie Kälte, Regen) von der Bewegung abhalten.
Die Mehrheit der Menschen richtet das Ausmaß jedoch nach den saisonalen klimatischen Bedingungen aus: mehr Aktivität im Frühjahr und Sommer, weniger beziehungsweise keine Aktivität im Winter (mit Ausnahme von Wintersportarten wie Skilaufen). Weitere Einflussfaktoren sind beispielsweise
- Wegstrecken und Teilnahme- oder
- Materialgebühren.
Darüber hinaus ist
- das Ausmaß sozialer Unterstützung entscheidend – zwischenmenschliche Kontakte steigern das psychische Wohlbefinden, das sich wiederum positiv auf die physische Aktivität auswirkt.
Es wird angenommen, dass sich Personen- und Umweltfaktoren wechselseitig beeinflussen.
Evidenzbasierte Interventionen zur Förderung von physischer Aktivität in der ganzen Welt
empfehlen die Verbesserung des Zugangs zu Orten mit Möglichkeiten zur Ausübung physischer Aktivität.
Walkability
Walkability beschreibt die Qualität der Lebensumgebung in Hinblick auf die Möglichkeit aktiver Fortbewegung (Zufußgehen oder Fahrradfahren).
Als empirische Kenngrößen des zweckgebundenen Gehens und Fahrradfahrens dienen die fünf "D"
- Densitiy: Verdichtungsgrad eines geographischen Raums – je höher die Dichte, desto häufiger erfolgen Erledigungen zu Fuß,
- Diversity: Vielfalt in der Flächennutzung – je höher die Vielfalt, desto besser ist der Zugang zu vielen Anlaufpunkten,
- Design: Verfügbarkeit und Gestaltung von Straßen und Gehbeziehungsweise Fahrradwegen – je attraktiver das Design, desto stärker werden sie zum Zufußgehen genutzt,
- Destination accessibility: Entfernung zu wichtigen Zielpunkten des täglichen Bedarfs – je näher die Zielpunkte, desto mehr Zufußgehen,
- Distance to transit: kürzeste Strecke von der Wohnung oder Arbeitsstelle zur nächsten Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs – je dichter das Haltestellennetz, desto wahrscheinlicher ist Zufußgehen.
Darüber hinaus hängt die aktive Fortbewegung von dem Gefahrenpotenzial (d. h. der Wahrscheinlichkeit von Straftaten und Gefährdungen) und dem Verkehr in der Wohnumgebung ab.
Walkability im Zusammenhang mit psychosozialen Faktoren:
- Bewegungsbezogene Selbstwirksamkeit
Einer der entscheidendsten Faktoren für die Ausübung von Verhalten ist (bewegungsbezogene) Selbstwirksamkeit. Auch Personen mit geringer Selbst-wirksamkeit sind physisch aktiver, wenn sie in Wohngegenden mit hoher Walkability leben.
- Demnach kann eine Umwelt mit vielen, leicht zugänglichen Bewegungs-möglichkeiten bei Personen mit einer nur gering ausgeprägten Überzeugung, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich ausüben zu können, physische Aktivität fördern.
- Die Untersuchungsergebnisse der Walkability-Forschung werden zunehmend zur Gestaltung von Lebensräumen herangezogen.
Exkurs: Exzessive physische Aktivität
Nicht nur Verhaltensweisen wie Computer spielen oder Nahrungsaufnahme können suchtartig
ausgeübt werden, sondern auch physische Aktivität beziehungsweise Sport kann zur Verhaltenssucht werden.
Im Englischen finden sich dafür verschiedene Begriffe: zum Beispiel
- Excessive Exercise,
- Exercise Dependence / - Addiction / - Involvement,
- Overactivity oder
- Overexercise.
Sportsucht
Im Deutschen hat sich der Begriff "Sportsucht" durchgesetzt. Dabei handelt es sich um eine sport- und bewegungsbezogene Abhängigkeit. In dem im Mai 2013 publizierten DSM-V (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; American Psychiatric Association, 2013) wurden erstmalig Verhaltenssüchte als Diagnosekategorie aufgeführt. Die Forderung nach Anerkennung der Sportsucht als eigenständige Verhaltenssucht wird damit begründet, dass Sportsucht auf vergleichbaren Gehirnprozessen (Impulskontrolle und Belohnung) beruht wie pathologisches Glücksspiel und Parallelen zu Symptomen der Stoffgebundenen Süchte bestehen.
Zu unterscheiden ist zwischen einer
- primären und einer
- sekundären Sportsucht.
primären Sportsucht l
Bei einer primären Sportsucht liegt der Fokus ausschließlich auf der intrinsisch motivierten
sportlichen Aktivität. Dabei besteht ein Zusammenhang mit Angst-gefühlen, Depressionen oder Psychosen.
Sekundäre Sportsucht
Sekundäre Sportsucht bedeutet zwanghaftes Sporttreiben in Verbindung mit Essstörungen (Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa) – 40 - 70% essgestörter Personen treiben exzessiv Sport.
Die meistgenannten Gründe für exzessives Sporttreiben bei Essgestörten
- Die meistgenannten Gründe für exzessives Sporttreiben bei Essgestörten sind Kalorienverbrauch und Gewichtsregulation, Beeinflussung von Figur und Attraktivität sowie Regulation negativer Emotionen.
- Tendenziell neigen Männer eher zu zwanghaftem Sporttreiben und Frauen zu einer Essstörung. Dies liegt in geschlechtsspezifischer Motivation begründet: entsprechend des derzeitigen Schönheitsideals werden Muskeln bei Männern und Schlankheit bei Frauen als attraktiv betrachtet.
Sedentäres Verhalten
In der gesundheitspsychologischen Forschung und Anwendung gewinnt physische Inaktivität
(auch: sitzendes oder sedentäres Verhalten) zunehmend an Bedeutung, da immer mehr
Menschen physisch inaktiv sind und dies negative Folgen für die Gesundheit haben kann.
- Deshalb wird sedentäres Verhalten als eigenständiges Phänomen und nicht nur als die Abwesenheit von physischer Aktivität betrachtet.
- Es werden darunter Aktivitäten in sitzender oder zurückgelehnter Körperposition gefasst, die kaum Energie verbrauchen.
- Langes, ununterbrochenes Sitzen ist typisch für Settings wie (Hoch-)Schulen und bei Bürotätigkeiten oder Bildschirmzeit, wie vor dem Fernseher oder Computer
Obwohl der Zusammenhang zwischen Bewegungsmangel und Krankheit durch empirische
Studien gut belegt ist, steigt das Ausmaß des sitzenden Lebensstils in vielen Ländern (WHO,
2010); so verbringen fast 70 % der Deutschen mindestens drei Stunden des Tages in einer
sitzenden Position.
Gründe für sedentäres Verhalten (Kindheit)
In der Kindheit gestaltet sich die physische Aktivität entsprechend des
- umweltbezogenen (z. B. Grünflächen, Spielplätze) und
- sozialen (z. B. Eltern, Geschwister, Freunde) Kontextes.
Bereits in der Kindheit verbringen Kinder ungefähr ein Fünftel des Tages mit Bildschirmgeräten wie Fernseher, Computer, Spiele-Konsolen oder Smartphones und Tablets, was der Entwicklung einer positiven Einstellung der Kinder gegenüber physischer Aktivität entgegenstehen kann.
- Negative Einstellungen gegenüber physischer Aktivität von Kindern stehen aber im Zusammenhang mit
- körperlichen Beschwerden,
- geringer athletischer Fähigkeit und
- Sicherheitsbedenken.
Gründe für sedentäres Verhalten (Jugendalter)
Im Jugendalter kann sedentäres Verhalten durch Faktoren auf mehreren Ebenen befördert
werden. Es finden sich dabei Hinweise für die Bedeutung
- umweltbezogener (z. B. fehlende Orte für physische Aktivität),
- schulischer (z. B. schlechte Qualität des Sportunterrichts),
- häuslicher (z. B. elterlicher sedentärer Lebensstil) und
- individueller (z. B. Mangel an Bewusstheit, Wissen oder Motivation bezüglich physischer Aktivität, negativer Peer-Druck) Bedingungen.
Weitere Gründe für die Festigung eines sedentären Verhaltensstils im Jugendalter sind
- andere Freizeitaktivitäten,
- depressive Stimmung,
- physische Gesundheit,
- schulische Belastungen und
- vor allem Bildschirmzeit.
Im Durchschnitt verbringen deutsche Jugendliche 3 Stunden pro Tag vor einem Bildschirm. Die Bildschirmzeit steht im Zusammenhang mit Übergewicht, physischer Inaktivität sowie körperbezogener Unzufriedenheit.
Gründe für sedentäres Verhalten Erwachsenenalter
Die Gründe für einen inaktiven Lebensstil bei Erwachsenen können in drei Kategorien eingeteilt werden:
- persönliche Hindernisse (z. B. mangelnde Motivation, hohe Anstrengung, Müdigkeit),
- wahrnehmungsbezogene Hindernisse (z. B. soziale Demotivierung, mangelndes Interesse, Verletzungsangst),
- zeitbezogene Hindernisse.
In absteigender Reihenfolge, begünstigende Faktoren für sedentäres Verhalten
- lange Wegstrecken
- Zeitmangel,
- Mangel an Willenskraft,
- Müdigkeit
- ein sitzintensiver Beruf
Gründe für sedentäres Verhalten
Hohes Erwachsenenalter:
- schlechte Gesundheit, wie Gesundheitsprobleme und Schmerzen.
- das Fehlen einer seniorengerechten Umwelt (z. B. Parks, Erholungszentren; geringe Kriminalität),
- fehlende entsprechende ärztliche Ratschläge,
- Mangel an bewegungsbezogenem Wissen und
- wenig physische Aktivität in der Kindheit.
Folgen sedentären Verhaltens
- Es gibt vielfältige Hinweise darauf, dass sedentäres Verhalten als eigenständiger gesundheits-bezogener Risikofaktor zu bewerten ist.
- Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2010) gilt physische Inaktivität als der vierthäufigste Risikofaktor für die globale Mortalität.
- Personen mit einer geringen physischen Aktivität weisen eine um 20 bis 30 % erhöhte Gesamtmortalität auf.
- Weiterhin begünstigt sedentäres Verhalten Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Allergien und Krankheiten des Herz-Kreislauf Systems.
- Die offensichtlichste Folge eines inaktiven Lebensstils ist Übergewicht.
- In den letzten Jahrzenten weisen weltweit die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen eine starke Zunahme von Adipositas auf.
- Seit dem Jahr 1980 hat sich der weltweite Adipositas-Anteil mehr als verdoppelt.
- Im Jahr 2014 waren weltweit fast 2 Milliarden Erwachsene übergewichtig und mehr als 600 Millionen Erwachsene adipös.
- Dies entspricht ungefähr 40 % beziehungsweise 12 % der erwachsenen Weltbevölkerung.
- In der ganzen Welt leiden bereits ein Drittel der Jugendlichen und 7 % der Kinder (42 Millionen) an übermäßigem Körperfett. In Deutschland bestehen vergleichbare Anteile.
- Die WHO bezeichnet das weltweite Übergewicht als die "Epidemie des 21. Jahrhunderts"
Bewegungsinterventionen
Sedentäres Verhalten als bedeutsamer gesundheitlicher Risikofaktor kann bereits durch leichte
Aktivität, wie Aufstehen und einige Schritte gehen, reduziert werden. Deswegen werden auch
leichte nichtsedentäre Alltagstätigkeiten vermehrt diskutiert und erforscht. Sie sind einfach
zugänglich, risikoarm und ebenfalls für bewegungsschwache Personen geeignet. Für eine nachhaltige Steigerung der physischen Aktivität und dem Abbau sedentären Verhaltens existieren verschiedene Arten von mehr oder weniger gut fundierten Interventionen.
Traditionelle Bewegungsinterventionen
Programme zur Förderung der physischen Aktivität werden der Allgemeinbevölkerung z.B. an Volkshochschulen oder von Krankenkassen – bei Letzteren als Teil von Präventions-angeboten – zugänglich gemacht (z. B. Pilates, Wassergymnastik).
Für solche Bewegungsprogramme ist jedoch zu konstatieren, dass die Aufnahmequoten gering und die Abbruchquoten hoch sind. Dies gilt gerade auch für Zielgruppen, die besonders von erhöhter physischer Aktivität profitieren würden, wie rauchende Personen, Übergewichtige oder Herz-Kreislauf-Kranke.
Die Wirksamkeit von traditionellen Interventionen zur Steigerung der physischen Aktivität ist
vielfach belegt. Eine neue Meta-Analyse von Murray und Kollegen (2017) mit Studien an nichtklinischen Probanden zeigte noch 6 bis 15 Monate nach der Baseline einen signifikanten Effekt der Interventionen auf die physische Aktivität im Vergleich zu Kontrollgruppen, wobei der Effekt 9 bis 15 Monate nach der Intervention weniger deutlich ausgeprägt war.
Bei Erwachsenen hat sich Beratung und Unterstützung über kurz- bis mittelfristige Zeiträume als wirksam für die Steigerung der physischen Aktivität erwiesen. Entsprechend der "Nationalen Empfehlung für Bewegung und Bewegungsförderung" gibt es folgende Möglichkeiten der Unterstützung:
- Informationsweitergabe (Weitergabe von Informationen zum gesundheitlichen Nutzen von Bewegung),
- Bewegungsanleitung (Informationen zur Durchführung von Bewegungs- und Sportaktivitäten),
- Hilfsmittel (Aktivierungsmaßnahmen wie Schrittzähler).
Auch zur Erreichung längerfristiger Effekte ist die Nutzung theoriebasierter Techniken wirksam.
Dabei haben sich
- Selbstbeobachtung (durch beispielsweise ein Bewegungstagebuch),
- Zielsetzungen und deren Überprüfung sowie
- Feedback als besonders hilfreich erwiesen.
Digitale Bewegungsinterventionen
Bewegungsinterventionen werden aufgrund des organisatorischen und finanziellen Aufwandes
bei individuellen Beratungen auch telefonisch, durch Broschüren oder internet-gestützt durchgeführt. Die Wirksamkeit scheint mit derjenigen einer individueller Beratung vergleichbar
zu sein. In den letzten Jahren liegt ein Fokus auf der Entwicklung internet-gestützter Interventionen.
e-Health beziehungsweise m-Health-Interventionen beziehen moderne Informations- und
Kommunikationstechnologien wie das Internet, Smartphones und Wearables ein. Darüber
hinaus können diese Technologien als Ergänzung traditioneller Interventionsmaßnahmen
hinzugezogen werden.
Die Meta-Analyse von Hartmann et al.
Eine Meta-Analyse über internet-basierte Interventionen zur Förderung physischer Aktivität
zeigte trotz kleiner Effektgröße eine positive Veränderung des Verhaltens. Zur Überprüfung der Wirksamkeit einer spezifischen internet-basierten Intervention führten Hartmann et al. (2017) eine randomisiert kontrollierte Studie mit 205 inaktiven Personen durch. Die sechsmonatige Intervention beinhaltete die Selbstbeobachtung der aktiven Minuten und Schritte, die Verwendung von Graphiken bei der Setzung von Zielen, um die Ziele besser mit dem tatsächlichen Verhalten vergleichen zu können, ein Forum zur Erleichterung sozialer Unterstützung zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, ein Forum für Fragen an einen Experten, online-Hilfsmittel wie Karten zur Erstellung von Gehrouten sowie Erinnerungen per E-Mail zum Laden der Webseite. Die Kontrollgruppe erhielt Zugang zu einer Webseite mit Informationen zu Gesundheitsthemen, die mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert sind (wie Ernährung), aber keine Inhalte zu physischer Aktivität. Die physische Aktivität wurde sowohl subjektiv mit einem Fragebogen als auch objektiv mit einem Akzelerometer erfasst. Die Interventionsgruppe wies im Vergleich zur Kontrollgruppe nach dem 12-monatigen Follow-up bei beiden Messinstrumenten signifikant mehr Minuten moderater bis starker physischer Aktivität pro Woche auf.
Bewegungsinterventionen bei gesundheitlichen Störungen und Krankheiten
Vor allem für Personen mit verhaltensbedingten gesundheitlichen Störungen wie Adipositas
können Bewegungsinterventionen eine positive Wirkung erzielen. Für adipöse Menschen sind
verhaltenstherapeutische Interventionen und kombinierte Ernährungs- und Bewegungs-umstellung wirkungsvoller als pharmakologische Behandlungen oder ausbleibende
Intervention. Bewährt haben sich eine langfristige Behandlung von mindestens zwei Jahren sowie eine fortdauernde niederfrequente Behandlung. Die tatsächliche Gewichtsreduktion ist jedoch gering; in entsprechenden Interventionsstudien reduzierten die Interventionsgruppen nach 12 bis 18 Monaten im Vergleich zur Kontrollgruppe nur 4 % ihres Körpergewichts.
Das MoVo-LISA - Interventionsprogramm nach Fuchs 2007
Das psychologische Interventionsprogramm MoVo-LISA dient dem Aufbau und der Aufrechterhaltung eines physisch aktiven Lebensstils im Anschluss an eine stationäre Rehabilitation.
- Grundlage ist das MoVo-Prozessmodell von Fuchs (2007).
- Dieses Modell integriert neben einer Stärkung der Motivation ebenfalls eine Stärkung der Volition, um einen langfristigen Rehabilitationserfolg zu sichern. Dabei werden den Patientinnen und Patienten kognitiv-behaviorale Strategien wie
- Zielsetzung,
- Selbstbeobachtung,
- Handlungsplanung und
- Barrierenmanagement vermittelt.
- Weitere Faktoren sind
- Konsequenzerwartungen und -erfahrungen,
- Selbstwirksamkeit und
- Selbstkonkordanz.
Aufbau des MoVo-LISA
Bei MoVo-LISA handelt es sich um ein Gruppenprogramm mit fünf Komponenten:
- erstes Gruppengespräch (60-90 Minuten, am Ende der zweiten Behandlungswoche),
- Kurzes Einzelgespräch (10 Minuten in der zweiten Hälfte der dritten Woche),
- Zweites Gruppengespräch (60-90 Minuten am Ende der dritten Woche),
- Erinnerungsschreiben nach drei Wochen und
- telefonischer Kurzkontakt sechs Wochen nach der Entlassung.
- Die Gespräche erfolgen anhand eines standardisierten Leitfadens (MoVo-LISA Curriculum).
- Im ersten Gruppengespräch liegt der Fokus auf motivationalen Aspekten mit Themen wie
- Gesundheitsziele,
- Verhaltenspläne,
- Realismus-Check,
- Selbstkonkordanz der Pläne,
- Überprüfung der Selbstwirksamkeit,
- Festlegung auf Zielverhalten und
- Vorbereitung der Umsetzungsplanung in Form einer Hausaufgabe.
Ablauf des MoVo-LISA
- Im Einzelgespräch wird der Stand der Umsetzungsplanung besprochen.
- Im zweiten Gruppengespräch liegt der Fokus auf volitionalen Aspekten mit Themen wie
- Besprechung der Hausaufgabe,
- vorläufige Endfassung des Verhaltensplans,
- Erarbeitung des persönlichen Umsetzungsplans (Klärung der Rahmenbedingungen),
- Antizipation von Barrieren und deren Management sowie
- Rückfallprophylaxe.
- Die Ergebnisse der Gruppengespräche werden in einem Protokoll festgehalten und am Ende des Klinikaufenthalts der Patientin beziehungsweise dem Patienten ausgehändigt. In dem poststationären Telefonat wird mit der Patientin beziehungsweise dem Patienten über die bisherige Umsetzung der Absichten und Pläne, Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Realisierung einer angepassten Form des Zielverhaltens gesprochen.
Wirksamkeit des MoVo-LISA-Konzepts
Die Wirksamkeit des MoVo-LISA-Konzepts wurde von Fuchs et al. (2011) in einer orthopädischen Rehabilitationsklinik mit 220 Patientinnen und Patienten anhand einer quasiexperimentellen Studie geprüft.
- Die Kontrollgruppe erhielt die übliche orthopädische Behandlung – medizinische, psychotherapeutische und psychologische Therapien.
- Die Interventionsgruppe erhielt neben der üblichen Behandlung die MoVo-LISA-Behandlung.
- Messungen erfolgten zwei Wochen vor dem Klinikaufenthalt, am Ende des drei-wöchigen Klinikaufenthalts, nach sechs Wochen sowie nach sechs und zwölf Monaten nach dem Klinikaufenthalt.
- Zum zwölfmonatigen Follow-up wies die Interventionsgruppe eine höhere physische Aktivität (28.5 Minuten pro Woche) als die Kontrollgruppe auf.
- Außerdem praktizierten 50 % der Interventionsgruppe mindestens 60 Minuten pro Woche physische Aktivität;
- im Gegensatz zu 33 % der Kontrollgruppe.
- Bei der Kontrollgruppe nahm dem zwölfmonatigen Follow-up das Schmerzempfinden langsam wieder zu, nicht jedoch bei der Interventionsgruppe.