Einführung ins Recht - § 3 Auslegung
Kennenlernen der verschiedenen Auslegungsmethoden von Gesetzestexten und deren Bedeutung für das juristische Arbeiten
Kennenlernen der verschiedenen Auslegungsmethoden von Gesetzestexten und deren Bedeutung für das juristische Arbeiten
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Cartes-fiches | 43 |
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Langue | Deutsch |
Catégorie | Droit |
Niveau | Université |
Crée / Actualisé | 22.03.2017 / 25.01.2020 |
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1.
Was ist Sinn und Zweck der Auslegung?
Durch die Auslegung soll der Sinn einer Aussage (insb. von Rechtsnormen) ermittelt werden und hat somit das Verstehen iner Rechtsnorm zum Ziel.
2.
Welches sind die Hauptgründe für die Auslegungsbedürfigkeit von Rechtsnormen?
- unpräzise Sprache
- oft nur Wiedergabe des Wesentlichen in einem Rechtssatz
- Gesetzgeber geht nicht mit notwendiger Sorgfalt vor (unpräziser Ausdruck)
- Gesetzgeber wählt bewusst zweideutige Formulierungen
3.
Welche Funktion hat der Wortlaut bei der Auslegung von Rechtsnormen?
Der Wortlaut ist der notwendige Ausgangspunkt und im Allgemeinen der wichtigste erste Wegweiser auf dem Weg zum Sinn einer Rechtsnorm. Die Analyse des Wortlauts ist somit ein Element dess man sich auf dem Weg zur Erkenntnis des Sinns einer Rechtsnorm bedient.
4.
Inwiefern wird die Bedeutung des Wortlauts bei der Auslegung einer Rechtsnorm eingeschränkt?
Der Wortlaut ist "stets nur der unvollkommene Ausdruck des Wiederzugebenenden gesetzgeberischen Gedankens".
5.
Auf welche Arten lässt sich der Sinn einer Rechtsnorm verstehen und wie sind diese jeweils ausgestaltet?
Der Sinn einer Rechtsnorm lässt sich in einer subjektiven oder einer objektiven Weise verstehen.
Subjektives Verständnis: Beim subjektiven Verständnis wird danach gefragt, welchen Sinn ein Rechtssatz für bestimmte Personen subjektiv hat.
Objektives Verständnis: Der objektive Normsinn wird unabhängig von den im Gesetzgebungsverfahren geäusserten Ansichten und den persönlichen Ansichten der Adressaten ermittelt.
6.
Welcher Sinnart, der objektiven oder der subjektiven, kommt bei der Auslegung von Normen grössere Bedeutung zu?
Bei der Auslegung einers Rechtssatzes kommt der objektiven Verständnismethode hervorragende Bedeutung zu. Rechtsnormen sind so auszulegen, wie sie vernünftiger Weise von den Rechtssuchenden verstanden werden dürfen und müssen (BGE 114 Ia E. 3c S. 28). Im Vordergund steht also, welchen Sinn eine Rechtsnorm nach dem Verständnis eines idealtypischen Adressaten (reasonable man), also des vernünftigen und korrekten Bürgers, hat. Diese Form der Auslegung ist Ausfluss des Vertrauensprinzips. Sowohl der Staat und seine Organe, als auch die Bürger haben sich am objektiven Sinn einer Rechtsnorm zu orientieren.
7.
Welche Bedeutung hat die Auslegung in zeitlicher Hinsicht bei der Ermittlung des Gesetzessinns?
Ist festgestellt worden, dass der objektive Gesetztessinn massgebend ist, ist weiterhin zu klären, ob dabei auf den Zeitpunkt der des Gesetzes (objektiv-historisches-Verständnis) oder auf den heutigen Zeitpunkt abzustellen ist.
Nach der Auslegung nach dem heutigen Zeitpunkt ist der Sinn einer Gesetzesnorm unter Zugrundelegung der jeweils im Zeitpunkt der Auslegung bestehenden Verhältnisse zu ermitteln (BGE 81 I 274 E. 3 S. 282).
Nach dem objektiv-historischen-Verständnis ist der Gesetzessinn im Zeitpunkt der Entstehung der Norm massgebend. Vom histroischen Sinn einer Norm Abzuweichen ist nur dann erlaubt, wenn dieser Sinn mit dem Wortlaut des Gesetzes unverträglich oder praktisch schlechthin unannehmbar erschiene.
8.
Heute wird eine vermittelnde Ansicht zwischen der objektiv-historischen und der objektiv-zeitgemässen Auslegung vertreten. Was bedeutet das?
Die vermittelnde Ansicht berücksichtigt die Anliegen einer objektiv-historischen Betrachtungsweise, welche auch dem Bedürfnis nach einer Fortentwicklung des Rechts Rechnung trägt. Zunächst wird der objektv-historische Sinn einer Norm ermittelt, damit in einem nächsten Schritt geprüft werden kann, ob eine Rechtsfortentwicklung vorzunehmen ist. Es sind Nachweise zu erbringen, dass der Gesetzgeber heute nicht mehr im Sinne der historischen Norm entscheiden würde. Gründe dafür wären:
- Veränderung der Realien oder Neubeurteilung der Realität aufgrund verbesserter Kenntnisse.
- tiefgreifender Wandel in allgemeinen Wertungen
- Nachweis eines Irrtums der gesetzgebenden Organe
9.
Wie äussert sich das BGer zu der Vermittelnden, sog. objektiv. zeitgemässen Auslegung?
Nach der vom BGer immer häufiger angewandten objektiv-zeitgemässen Auslegungsmethode darf einer Gesetzesnorm ein Sinn gegeben werden, der für den historischen Gesetzgeber in foge eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse nicht voraussehbar war und nin der bisherigen Anwendung auch nicht zum Ausdruck gekommen ist, wenn er noch mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar ist (BGE 107 Ia 234 E. 4a S. 237).
10.
Wann kommt es bei der Gesetzesauslegung nicht darauf an, auf welchen Zeitpunkt die Auslegung auszurichten ist?
Die Frage nach dem Zeitpunkt stellt sich nicht, wenn das Gesetzt auf folgendes abstellt:
- Sitte
- Usanz
- Ortsgebrauch
- Ähnliches
11.
Welches sind die Elemente der Auslegung?
- grammatisches Element
- systematisches Element
- teleologisches Element (ratio legis/Zweck)
- realistisches Element
- histroisches Element
12.
Was ist Gegenstand des grammatischen Auslegungselements?
Das grammatische Element beschäftigt sich mit dem Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung.
13.
Wozu dient das grammatische Auslegungselement und wo findet es seine Grenzen?
Da es das Ziel der Auslegung ist den Sinn einer Bestimmung zu ermitteln, muss in jedem Fall geprüft werden, ob der Wortsinn dem Normsinn entspricht. Gibt der Wortlaut einer Bestimmung deren Sinn nicht korrekt wieder, ist auch der "klare Wortlaut" keine Grenze der Auslegung (BGE 103 Ia 115 E. 3 S. 117, Abweichen vom Wortlaut der auszulegenden Norm).
14.
Was ist bei der Bestimmung des Wortsinns im Rahmen der grammatischen Auslegung besonders zu beachten?
Hierbei sind alle sprachlichen Ausdrucksmittel des Gesetzes zu beachten, d.h.:
- Text, Titel und Marginalien
- Absatzbildung, Satzzeichen (und evtl. schriftliche Gestaltung)
- Sprache des Textes (CH: drei Amtssprachen)
15.
Was ist der Zweck des systematischen Auslegungselements?
Nach dem systematischen Element sind Rechtsnormen aus dem Zusammenhang heraus zu verstehen. Daraus ergibt sich, dass thematisch zusammengehörende Normen sowie ganze Rechtsinstitute ein systematisches ganzes bilden, Gesetze als Einheit zu erfassen und deren Einbettung in die gesamte Rechtsordnung zu beachten sind.
16.
Worum geht es bei dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der systematischen Auslegung und was ist dabei zu beachten?
Beim Gebot der verfassungskonformen Auslegung geht es sowohl um die Durchsetzung der (formell verstandenen) Normhierarchie, als auch um die (materielle) Ausrichtung der gesamten Rechtsanwendung auf die in der Verfassung niedergelegten Grundwerte und -entscheidungen. Zu beachten bleibt, dass der klare Sinn einer Gesetzesnorm nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung beiseite geschoben werden darf (BGE 109 Ia 273 E. 12c S. 302), d.h. inbs. im Falle von Bundesgesetzes darf dem grammatischen Element, trotz Widersprüchen der Auszulegenden Norm zum Verfassungsrecht, die Anwendung nicht vollständig versagt werden (vgl. Art. 190 BV).
17.
Was ist die Hauptkonsequenz bei der Verwendung des systematischen Auslegungselements?
Konsequenz des systematischen Elements ist, dass ein und dasselbe Wort innerhalb eines Gesetzes Unterschiedliches bedeuten kann, wenn es in einem anderen systematischen Zusammenhang steht.
18.
Welche Bedeutung hat die ratio legis für das teleologische Auslegungselement?
Bei der ratio legis handelt es sich um den zu ermittelnden Zweck, bzw. die gesetzgeberische Absicht, welche sich aus dem Gesetz und den Materialien seiner Entstehung entnehmen lässt.
19.
Woraus kann sich die ratio legis ergeben?
Die ratio legis kann sich schon auf der Ebene des einzelnen Rechtssatzes zeigen, aus der gesamten Ordnung eines Rechtsinstitus hervorgehen oder auf der Ebene des Gesetzes (implizit oder aufgrund eines Zweckartikels) feststehen.
20.
Inwiefern besteht eine Abhängigkeit des teleologischen Auslegungselements zum grammatischen und systematischen Auslegungselement?
Der Zweck einer Regelung (ratio legis) erschliesst sich einem durch ihren Wortlaut, durch den systematischen Zusammenhang in dem sie steht und durch die Gesetzgebungsarbeiten aus denen sie hervorgegangen ist.
21.
Welche Konsequenz ergibt sich aus der Ziel- bzw. Zweckgebundenen, d.h. teleologischen Auslegung mit Blick auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise? Wo findet diese ihre Grenzen?
Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise führt dazu, dass ein Sachverhalt auftrund seiner tatsächlichen, wirtschaftlichen Bedeutung beurteilt wird ("substance over form"). Die wirtschaftliche Betrachtungsweise findet jedoch dort ihre Grenzen, wo auf bestimmte äussere, eindeutig feststellbare Merkmale und Strukturen (Formen) abgestellt werden muss, welche eben nicht durch eine im Einzelfall am Gesetzeszweck orientierte Auslegung ausser Kraft gesetzt werden sollen. Mit dieser Einschränkung sollen eindeutige Kriterien wie Vorhersehbarkeit, Beständigkeit rechtlicher Verhältnisse und Rechtssicherheit geschaffen werden.
22.
Welche Gründe können für die Einschränkung der teleologischen Auslegungsmethode vorgebracht werden?
- Gesetzes sind nicht immer folgerichtig aufgebaut, was zu einer unvollkommenen oder keiner Verwirklichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks (ratio legis) führt.
- Gesetze können der Verwirklichung verschiedener, in einem Spannungsverhältnis stehenden, Zielen dienen.
- Es können verschiedene Möglichkeiten der Zweckverfolgung/-verwirklichung offenstehen.
23.
Worauf bezieht sich das "realistische" Element der Gesetzesaulegung?
Bei der Auslegung sind auch die Realien zu beachten, d.h. die tatsächlichen naturwissenschaftlichen, technischen, gesellschaftlichen, sowie die überwiegend geteilten gesellschaftlichen Anschauungen und Wertvorstellungen.
24.
Was muss bei der Anwendung des realistischen Auslegungselements beachtet werden?
Es wird verlangt, dass das Auslegungsergebnis praktikabel ist, sowie die vorläufig ins Auge gefassten Auslegungsergebnisse anhand der damit verbundenen Konsequenzen zu überpfrüfen sind. Es ist unter denjenigen dem jenigen der Vorzug zu geben, das zu einer möglichst sachgerechten Lösung im konkreten Fall führt.
25.
Worin liegen die Grenzen des realistischen Auslegungselements?
Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass mit bestimmten Tatbeständen bestimmte Rechtsfolgen verbunden sein sollen, darf nicht unterlaufen werden. Folgeerwägungen sind im Rahmen der Auslegung auch im Hinblick auf die präjudizielle Wirkung eines Urteils (Entscheids) und seine Ausstahlung über den Einzelfall hinaus anzustellen. Daraus folgt, dass ein Gericht dort, wo es sich im Bereich zulässiger richterlicher Rechtsfindung bewegt, Folgeerwägungen anstellen und die Breitenwirkung eines ins Auge gefassten Urteils bei seiner Entscheidfindung mit berücksichtigen kann.
26.
In welchem Verhältnis stehen die verschiedenen Auslegungselemente zu einander?
Die Auslegungselemente sind grundsätzlich in jedem Einzelfall zu kombinieren, was auch vom BGer betont wird, welches einem sog. pragmatischen Methodenpluralismus folgt (BGE 133 III 175 E. 3.3.1 S. 178).
27.
Wie umschreibt das BGer seinen Methodenpluralismus bei der Auslegung von Rechtsnormen?
Das BGer umschreibt seinen Methodenpluralismus wie folgt: Zunächst hält es fest, dass der Ausgangspunkt jeder Auslegung der Wortlaut der Bestimmung darstellt. Weiterhin ist auf die Entstehungsgeschichte und ihren Zweck, auf die dem Texte zugrundeliegenden Wertungen, sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt abzustellen (BGE 133 V 9 E. 3.1 S. 10 f.). Darüberhinaus betont das BGer auch die Wichtigkeit des Auslegungsziels (BGE 128 I 34 E. 3b S. 40 f.), von Interessenlagen und Praktikabilitätsüberlegungen, sowie zu erwartende Gesetzesrevisionen (BGE 110 II 293 E. 2a S. 295 f.).
28.
Wie ist im Falle einer Widersprüchlichkeit der Auslegungselemente vorzugehen?
In einem Kollisionsfall sind die jeweiligen Auslegungselemente im Einzelfall zu gewichten, wobei insb. zwei Elemente besondere Bedeutung zukommt:
- Wortlaut (sprachliche Erwägungen als Ausgangspunkt)
- teleologisches Element (Betonung des Zweckgedankens, welcher einer Bestimmung ihren Sinn gibt)
29.
Welche Bedeutung kommt dem richterlichen Vorverständnis bei der Auslegung von Rechtsnormen und -texten zu?
Im Falle eines Widerspruchs der verschiedenen Auslegungselemente kommt dem Richter die Aufgabe zu eine Auswahl zu treffen und die verschiedenen Auslegungselemente zu gewichten. Um dies tun zu können ist sein Vorverständinis in den Entscheid einfliessen zu lassen, d.h. sein Erfahrungsschaftz, seine Wertvorstellungen und sein Menschenbild massgebend. Hervorzuheben ist auch, dass eine Beurteilung vom Ergebnis her erfolgt und die Auslegung somit vom erwünschten Ziel mitbestimmt wird (basierend auf dem jeweiligen Vorverständnis des Richters).
30.
Wo bestehen Einschränkungen der Anwendbarkeit des richterlichen Vorverständnisses bei der Auslegung von Rechtsnormen und -texten?
Das richterliche Vorverständnis darf sich auf die Auslegung nur Auswirken, wenn überhaupt dskutable Alternativen zur Auswahl stehen. Da wo der Sinn einer Norm eindeutig ist (da alle Auslegungselemente zum gleichen Ergebnis führen), sollen sich Richter nicht von ihren eigenen Wertvorstellungen beeinflussen lassen. Richter sind darüberhinaus an das Gesetz gebunden und sind verpflichtet Präjudizien und bewährte Lehre zu beachten.
31.
Welche Rolle spielt die Willensbildung beim Abschluss eines Vertrags?
Zum Abschluss eines Vertrags ist die übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung der Parteien erforderlich (Art. 1 Abs. 1 OR). Wichtig ist hierbei die Übereinstimmung der gemachten Äusserungen. Bei Diskrepanzen ist zu ermitteln, ob der Wille (inneres Element) oder die Erklärung (äusseres Element) massgebend sein soll. Im Normalfall ist jedoch auf den (tatsächlichen) Willen der Parteien abzusellen (welcher i.d.R. mit der Erklärung übereinstimmt).
32.
Was sind mögliche Folgen, wenn der Wille der Parteien und deren Erklärungen auseinander gehen (nicht übereinstimmen) oder diese sich einer zwar übereinstimmenden aber falschen (den tatsächlichen Zweck verschleiernden) Ausdrucksweise bedienen?
Es kann vorkommen, dass die Willensäusserungen zwar formell (nach aussen) übereinstimmen, aber die tatsächlichen Willen Auseinander fallen. Die Folge ist, dass der Vertrag grundsätzlich nicht zustande kommt (versteckter Dissens), es sein denn, dass sich eine der Parteien auf den Vertrauensschutz im Geschäftsverkehr (Art. 9 BV) berufen kann (normativer Konsens).
Auch können sich Parteien abweichenden Ausdrucksweisen, welche dieselbe Sache bezeichnen bedienen. Sind sich die Parteien bewusst, dass sie denselben Vertragsgegenstand meinen, liegt (natürlicher) Konsens vor. Die Folge ist, dass der Vertrag trotz unterschiedlicher Bezeichnung oder absichtlicher Falschbezeichnung des Vertragsgegenstands zustande kommt (Art. 18 Abs. 1 OR, BGE 131 III 217 E. 3b S. 219).
33.
Welchem Element der Willenserklärung (Art. 1 Abs. 1 OR) kommt bei der Auslegung vorrangige Bedeutung zu?
Dem übereinstimmenden bzw. wirklichen (subjektiven) Willen der Parteien (natürlicher Konsens) kommt bei der Auslegung vorrangige Bedeutung zu, da diese imm er erste Schritt ist. Dadurch unterscheidet sich diese Form der Auslegung von derjeingen Auslegung von Gesetzen.
34.
Welche Bedeutung hat der Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV, Art. 2 Abs. 1 ZGB) für die Vertragsauslegung?
Das sich aufgrund der Haltung der Parteien nicht immer zweifelsfrei der tatsächliche übereinstimmende Wille ermitteln lässt, ist in solchen Fällen das Vertrauensprinzip heranzuziehen, d.h. die Auslegung hat nach einem objektiven Kriterium, unter Berücksichtigung der individuellen Umstände, zu erfolgen.
35.
Auf welche Arten kann die Objektivierung der Vertragsauslegung durch das Vertrauensprinzip erfolgen und welcher ist der Vorzug zu geben?
1. Nach dem Willen des Erklärenden: Eine Erklärung soll nur in dem Umfang gelten wie sie wirklich (wenn überhaupt) gewollt war (Konsens vs. Dissens).
2. Nach dem Verständnis des Erklärungsempfängers/Adressaten: Der Willensäusserung beim Vertragsabschluss kommt Geltung in dem Umfang, wie sie von der Erklärungsempfängerin verstanden wurde bzw. im Umfang der Bedeutung welche sie der Erklärung beigemessen hat, zu (Dissens vs. normativer Konsens).
3. Adressat als vernünftiger und korrekter Vertragspartner: Demnach ist der Sinn einer Erklärung massgeben, den ihr der Adressat als vernünftiger und korrekter Vertragspartner beilegen durfte und musste (Vertrauensschutzprinzip). Es wird auf den mutmasslichen Willen des Erklärenden und darauf ob der Erklärungsempfänger sich darauf verlassen durfte (und musste) abgestellt (BGE 113 II49 E. 1a S.50).
36.
Worin besteht das individualisierende Element der objektiven Auslegung nach dem Vertrauensprinzip?
Das individuelle Element besteht darin, dass einer Willenserklärung beim Vertragsabschluss der Sinn zukommen soll, den ihr der Adressat (als vernünftiger und korrekter Mensch) in Würdigung aller erkennbaren Umstände und Besonderheiten beilegen durfte und musste.
37.
Welche Folge hat die Abgabe einer Willenserkärung bei Vertragsabschluss unter Geltung des Vertrauensprinzips?
Auch wenn sich die Parteien subjektiv nicht geeinigt haben, führt eine objektivierte Auslegung aufgrund des Vertrauensprinzips zu einer Übereinstimung der ausgetauschten Willenserkärungen. es besteht somit ein sog. normativer Konsens.
39.
Welche Auslegungsmittel und Regeln kommen bei der Auslegung von Verträgen zur Anwendung?
- Wortlaut, allgemeiner Sprachgebrauch (BGE 97 II 72 E. 4b S. 74)
- fachsprachliche Bedeutung unter Fachleuten
- umgangssprachlicher Sinn unter allen Parteien
- Vertrag darf nicht rechtswidrig sein (Art. 20 Abs. 1 OR)
- Grundsatz der favor negotii (Rechtsgeschäfte sind im Zweifel so auszulegen, dass ihre Gültigkeit nicht gefährdet ist)
40.
Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede zw. der Auslegung von Verträgen und jener des Testaments?
Bei der Testamentsauslegung sind nicht die berechtigten Interessen eines Partners zu schützen. Es kommt nicht darauf an, wie die Erklärung nach dem Vertrauensprinzip zu verstehen wäre. Weiterhin ist nach dem subjektiven Willen (und nicht nach objektiven Kriterien) des Erklärenden (Erblasser) zu entscheiden, selbst wenn dieser vom vernünftigen und korrekten Dritten nicht erkannt werden kann.
41.
Was macht die Auslegung von Statuten, Gesellschaftsverträgen und Stifungsrelementen so besonders und was ist dabei zu beachten?
Statuen, Gesellschaftsverträge und Stiftungsreglemente weisen Gemeinsamkeiten sowohl mit Gesetzen, als auch mit Schuldverträgen auf. Sie bilden wie staatliche Erlasse das Grundgesetz eines Verbandes, sind die Regeln objektiver und generell-abstrakter Natur, die für alle Rechtsunterworfenen gelten. Andererseits werden sie von den Beteiligten autonom gestaltet und beruhen wie Schuldverträge auf einer rechtsgeschäftlichen Grundlage.