FUH SS15


Kartei Details

Karten 80
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 02.08.2015 / 22.08.2015
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Vorschau

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Intentionsinterferenzen und die Transintentionalität des Sozialen

Im zweiten Erklärungsschritt muss das Problem bearbeitet werden, wie aus
dem  Handeln  der  Akteure  über  die  „Logik  der  Aggregation“ 

die sozialen Strukturen zustande kommen. Nun geht es also umgekehrt
darum, Handeln als unabhängige Variable zu nehmen und soziale Strukturen
zur  abhängigen  Variable  zu erklären - genauer: die strukturellen Effekte, die
das  handelnde  Zusammenwirken  mehrerer  Akteure  hat.  Damit  wendet  man
sich den bereits im ersten Kapitel angesprochenen „Verwicklungen“ der Hand-
lungszusammenhänge zu, in denen sich die Akteure miteinander befinden und
aus  denen  die  sozialen  Phänomene  hervorgehen. 

 „Logik  der  Aggregation“ 

Es  geht  in  der  „Logik  der  Aggregation“  beim  handelnden  Zusammenwirken 
also um die Wirkungen, die ein bestimmtes Handeln im Aufeinandertreffen mit 
anderem  Handeln  hat.  Die  soziologisch  hier  interessierenden  Handlungswir-
kungen bestehen aus drei Arten von Struktureffekten: dem Aufbau, dem Erhalt 
und der Veränderung von sozialen Strukturen. 

statisch und dynamisch

Dass  Aufbau  und Veränderung etwas Dynamisches sind und einen erklä-
rungsbedürftigen  Wandel  sozialer  Strukturen  mit  sich  bringen,  leuchtet  ohne 
weiteres  ein.  Dementsprechend  ist  „sozialer  Wandel“  eines  der  wichtigsten 
Themen  der  Soziologie  in  einer  sich  beständig  verändernden modernen Ge-
sellschaft.  Die  Beschäftigung mit sozialem Wandel wird oft als Spezialgebiet 
soziologischer Theoriebildung angesehen, verbunden mit der Annahme, dass 
dazu ganz eigene theoretische Modelle benötigt würden. Das liegt daran, dass 
- auch in der Soziologie - oft in einem falschen, gegensätzlichen Verständnis 
von Dynamik und Statik gedacht wird. Wenn etwas gleich bleibt, wird es als 
statisch bezeichnet, und bedarf dann scheinbar keiner Erklärung aus den Dy-
namiken  handelnden  Zusammenwirkens.  Aber,  paradox  formuliert:  Auch  die 
Statik  ist  dynamisch.  Wenn  zum  Beispiel  die  Einkommensverteilung  in  der 
Bundesrepublik über Jahrzehnte dieselbe bleibt; wenn viele Worte und Rede-
wendungen der Sprache unverändert immer weiter benutzt werden; wenn die 
meisten  Teilnehmer  eines  Seminars  sich  jede  Woche  auf  dieselben  Plätze 
setzen; oder wenn ein bestimmtes Gesetz über Jahrzehnte unrevidiert Gültig-
keit  behält:  Auch diese identischen Reproduktionen sozialer Strukturen müs-
sen aus dem handelnden Zusammenwirken erklärt werden. 

Dynamik der „structuration“

Schon  Anthony  Giddens’  bereits  im  Kapitel  1.2  angesprochenen  theoreti-
schen Vorstellungen über die „duality of structures“ betonen, dass alle sozialen 
Strukturen,  ob  sie  gleich  bleiben  oder  sich  verändern, auf einer beständigen 
Dynamik der „structuration“ beruhen. Eines seiner Beispiele ist die Sprache:“... 
one of the recurrent consequences of my speaking or writing English in a cor-
rect way is to contribute to the reproduction of the English language as a who-
le.“ (Giddens 1984: 8) Georg Simmel (1917: 39) war sich dieses Tatbestandes 
ebenfalls  sehr  bewusst:  „Gesellschaft  ist  ...  keine  Substanz,  ...  sondern  ein 

Geschehen,  ist  die  Funktion  des  Empfangens  und  Bewirkens  von  Schicksal 
und Gestaltung des Einen von Seiten des Andern.“

 „Etablierten-Außenseiter-Beziehungen“

Bei Norbert Elias (Elias/Scotson 1990) findet sich die Betrachtung von „Eta-
blierten-Außenseiter-Beziehungen“,  etwa  alteingesessenen  Bewohnern  eines 
Stadtviertels und neu hinzukommenden sozialen Gruppen, zum Beispiel aus-
ländischen Arbeitern mit ihren Familien. Manchmal ist es so, dass solche an-
fänglichen „Außenseiter“ nach einiger Zeit das Stadtviertel übernehmen, also 
die  ehemals  „Etablierten“  nach  und  nach  wegziehen,  so  dass  die  soziale 
Struktur  sich  in  Gestalt  eines  Austausches  der  „Etablierten“  verändert.  Das 
muss  aber  nicht  so  sein.  Elias  hat  auch  stabil  bleibende  „Etablierten-
Außenseiter-Beziehungen“  untersucht. Stabilität heißt hier nämlich nichts an-
deres, als dass die „Etablierten“ beständig durch bestimmte Handlungsmuster 
und Strategien ihren Status aufrecht erhalten müssen, weil man davon ausge-
hen kann, dass die „Außenseiter“ als Benachteiligte in einer solchen Konstella-
tion sich immer wieder bemühen werden, diese Benachteiligung zu verringern. 
Das  Konstellationsgleichgewicht  -  wenn  es  eines  gibt  -  beruht  also  darauf, 
dass  kontinuierlich  Kräften,  die  es  verschieben  wollen,  andere  Kräfte  entge-
gengesetzt  werden.  Es  ist  also  kein  statisches,  sondern  ein  dynamisches 
Gleichgewicht. 

Intentionsinterferenzen 

Ausgangspunkt der Analyse des handelnden Zusammenwirkens ist jetzt al-
so, was die Akteurmodelle im Einzelnen darlegen: dass Akteure normkonform, 
nutzenverfolgend,  emotionsgetrieben  oder  identitätsbehauptend  handeln.  Die 
je  spezifischen  Ausprägungen  dieser  vier  Arten  von  Handlungsantrieben  bil-

den die situativen Intentionen der Akteure. Und die Handelnden haben in ihrer 
jeweiligen  Handlungssituation  im  Grunde  natürlich  die  Erwartung,  dass  sich 
ihre Intentionen erfüllen. Niemand würde - aus welchem der Handlungsantrie-
be heraus auch immer - in eine bestimmte Richtung handeln, wenn er oder sie 
von vornherein davon ausginge, dass etwas schief geht oder sich die Intention 
sowieso nicht erfüllen wird. 

Doch was passiert, wenn die Intentionen der Akteure aufeinander treffen? 
In  dem  Moment  bestehen  zwischen  den  Akteuren  Intentionsinterferenzen  - 
womit  noch  nicht  gemeint  ist,  dass  ihre  Intentionen  notwendig  konkurrieren 
oder unvereinbar sind, sondern zunächst nur, dass ihre Intentionen sich über-
lagern und gegeneinander stehen, allein dadurch, dass die Akteure einander 
in die Quere kommen. 

Intentionsinterferenzen 

bei den 4 Akteuren

Dies wurde im Zusammenhang mit dem sozialen Handeln des Homo Oe-
conomicus  als  Interdependenzbewältigung  angesprochen.  Normorientiertes, 
emotionales  oder  identitätsbehauptendes  Handeln  gerät  freilich  genauso 
schnell in Intentionsinterferenzen. Schon die Überwachung der Normkonformi-
tät  eines  Akteurs  durch  seine  jeweilige  Bezugsgruppe  weist  auf  eine  solche 
Interferenz hin. Verletzt der Akteur die normativen Erwartungen, greift die Be-
zugsgruppe durch Sanktionen ein. Dass die Bezugsgruppe dann, wenn ihren 
normativen Erwartungen entsprochen wird, nicht weiter eingreift, sondern den 
Handelnden gewähren lässt, ist eines der wichtigsten Beispiele für den in Ka-
pitel  2  angesprochenen  Sachverhalt,  dass  auch  Unterlassen  Handeln  sein 
kann-  und  eine  Intentionsinterferenz  ist  hier  genauso  gegeben.  Dramatisch 
augenfällig  werden  Intentionsinterferenzen  normorientierten  Handelns  dann, 
wenn  der  Akteur  Intra-Rollenkonflikten  ausgesetzt,  also  mit  rivalisierenden 
Erwartungen  verschiedener  Bezugsgruppen  konfrontiert  ist.  Weitere  Intenti-
onsinterferenzen  können  bei  normorientiertem  Handeln  daraus  entstehen, 
dass Akteure Kooperationsnormen unterliegen, also dazu angehalten werden, 
in bestimmter Weise mit anderen zusammenzuwirken. Emotiona-
les  Handeln  kann  Intentionsinterferenzen  hervorrufen,  wenn  der  Gefühlsaus-
bruch  eines  Akteurs  andere  stört  oder  umgekehrt  andere  den  betreffenden 
Akteur daran hindern, seine Gefühle auszuleben. Das Ausleben mancher Ge-
fühle bedingt oder erstrebt auch ein gefühlsmäßig gleichgestimmtes Handeln 
anderer  Akteure,  sozusagen  emotionale  Kooperation.  So  will,  wer  jemanden 
liebt, von diesem wiedergeliebt werden. Ähnliche Arten von Interferenzen fin-
det man schließlich auch bei identitätsbehauptendem Handeln. 

 „Einsamkeit  und  Freiheit“

 Klar ist jedenfalls: Bei kaum einem Handeln ist ein Akteur in 
dem Sinne unabhängig von anderen, dass diese handeln könnten, wie immer 
sie wollten, ohne dass ihn dies bei der Verfolgung seiner Intentionen tangierte. 
Gerade  auch  „Einsamkeit  und  Freiheit“  bedarf  sozial  arrangierter  und  damit 
auch verletzbarer Abschirmung. Wenn man nicht auf einer Insel für sich allein 
lebt, hängt man zumindest von der Nicht-Einmischung anderer ab, um wenigs-

tens gelegentlich genau das tun und lassen zu können, was man selbst will. 
Wann eigentlich ist jemand ganz und gar ungestört? Er ist es jedenfalls dann 
nicht, wenn er sich zum Beispiel zurückgezogen hat, um in Ruhe ein Buch zu 
lesen,  und  plötzlich  gewahr  wird,  wie  in  der  Wohnung  über  ihm  laute  Musik 
angestellt wird. Dieses Beispiel zeigt im Übrigen auch, dass Intentionsinterfe-
renzen nicht unbedingt von Anfang an wechselseitig sein müssen. Der Buch-
leser stört den Musikhörer zunächst nicht.

Intentionsinterferenzen, wie sie sich aus dem Aktiv-  oder  dem  Unterlassungshandeln  Anderer  ergeben  können

Jemand handelt also, und dabei bemerkt er früher oder später, schon bei 
der Planung seines Tuns oder erst im Vollzug, dass er zur Erreichung seiner 
Intention  die  Unterstützung  Anderer  benötigt;  und  diese  Unterstützung  wird 
ihm nicht selbstverständlich gewährt, sondern kann auch ausbleiben, weil ein 
entsprechendes Handeln nicht ohne weiteres in den Intentionen der betreffen-
den Anderen liegt. Oder ein Akteur wird gewahr, dass die Realisierung seiner 
Intentionen  davon  abhängt,  dass  Andere  ihn  nicht  stören;  und  auch  das  ist 
nicht  selbstverständlich,  weil  sich  solche  Störungen  -  ohne  als  solche  beab-
sichtigt zu sein - aus den Handlungsabsichten der anderen ergeben können. 
Ein Handelnder kann derartige Intentionsinterferenzen, wie sie sich aus dem 
Aktiv-  oder  dem  Unterlassungshandeln  Anderer  ergeben  können,  natürlich 
stets fatalistisch hinnehmen. Damit dürfte er sich aber wohl nur dann zufrie-
den  geben,  wenn  ihm  entweder  seine  Intention  nicht  besonders  wichtig  ist 
oder wenn er die Situation so einschätzt, dass der Widerstand der anderen für 
ihn  unüberwindlich  ist,  und  er  zugleich  auch  keine  Möglichkeit  sieht,  diesen 
Widerstand  durch  eine  Änderung  seines  Handelns  umgehen  zu  können,  um 
so zumindest partiell seine Intentionen zu realisieren. 

Transintentionalität 

Wovon  die  verschiedenen  Arten  des  Umgangs  mit  Intentionsinterferenzen 
abhängen und auf welchen Voraussetzungen sie beruhen, wird in den folgen-
den Kapiteln noch eingehend besprochen. Zunächst ist wichtig, sich vor Augen 
zu führen, was die in Handlungssituationen gegebenen Intentionsinterferenzen 
grundsätzlich für die Akteure bedeuten: Wer eine Handlung in die Welt setzt 
und mit ihr eine bestimmte Intention verfolgt, und sich dabei mit anderen Ak-
teuren in die Quere kommt, darf sich nicht darüber wundern, wenn am Ende 
etwas ganz anderes aus seinem Handeln resultiert, als er sich vorgenommen 
hatte. Erstaunlich ist vielmehr die erfolgreiche und auch noch nebenwirkungs-
freie  Verwirklichung  von  Intentionen.  Der  Regelfall  ist  Transintentionalität. 
Damit ist gemeint, dass das Handeln von Akteuren Effekte zeitigt, die jenseits 
der Intentionen der Beteiligten liegen. 

Die  meisten  Handlungswirkungen  stellen  sich  mehr  oder  weniger  „hinter 
dem  Rücken“  der  beteiligten  oder  auch  außenstehender  Akteure  ein.  Dies 
kann  sogar  schon  beim  monologischen,  nicht-sozialen  Handeln  passieren. 

Jemand richtet beispielsweise sein Zimmer ein und scheitert dabei mehr oder 
weniger, etwa weil er eine Wand falsch ausmisst und daraufhin ein zu langes 
Regal kauft, das er dann nicht wie geplant stellen kann. Oder: Jemand betätigt 
eine  bestimmte  Tasten-Kombination  an  seinem  PC,  und  es  geschieht  etwas 
ganz anderes als erwartet. Ein weiteres Beispiel wäre ein monologisch Han-
delnder, der - spieltheoretisch ausgedrückt - ein „Spiel gegen die Natur“ ver-
liert, weil ein Gewitter schneller heraufzieht, als der Akteur es zu Beginn eines 
Spaziergangs  dachte,  und  der  dann  mit  seiner  Intention  scheitert,  den  Spa-
ziergang trockenen Fußes zu Ende zu bringen. In all diesen Fällen geht die 
Transintentionalität  daraus  hervor,  dass  ein  Akteur  die  Kontextbedingungen 
seines Handelns falsch einschätzt, wobei die Fehleinschätzung auf Irrtümern, 
Informationsdefiziten oder Situationsveränderungen beruhen kann.  

 „Spielen  gegen  andere“

Soziologisch interessant wird Transintentionalität aber eigentlich erst dann, 
wenn sie nicht aus „Spielen gegen die Natur“ hervorgeht, sondern eben in so-
zialen  Handlungssituationen  aus  „Spielen  gegen  andere“.  In  diesen  Fällen 
kann  ein  Akteur  -  wie  gewohnheitsmäßig  oder  wohl  überlegt  auch  immer  er 
sich etwas vorgenommen hatte - seine Intentionen deswegen nicht realisieren, 
weil es einen oder mehrere andere Akteure gibt, die ebenfalls ihre Intentionen 
verfolgen. Wenn die Intentionen anderer mit denen des Akteurs nicht kompati-
bel sind, gehen die transintentionalen Effekte aus dem wechselseitigen Kon-
terkarieren und Blockieren der Handlungsabsichten beim handelnden Zusam-
menwirken  hervor.  Ein  Parteivorsitzender  will  zum  Beispiel  der  „Basis“  einen 
Richtungswechsel schmackhaft machen und muss nach langen Debatten fest-
stellen, dass seine Linie nicht mehrheitsfähig ist. 

gescheiterte  Intentionalität 

Damit  ist  eine  der  grundlegenden  Arten  von  Transintentionalität  benannt: 
gescheiterte  Intentionalität.  Ein  Akteur  bezweckt  Etwas  und  muss  dann  fest-
stellen, dass er dies aufgrund von Fehleinschätzungen der Kontextbedingun-

gen oder aufgrund der Interferenzen mit dem Handeln anderer nicht erreicht, 
oder nur unter Inkaufnahme gravierender, seine Zielverfolgung überschatten-
der negativer Nebenwirkungen, und auf jeden Fall nur für begrenzte Zeit. 

beiläufige Transintentionalität 

Die zweite grundlegende Art von Transintentionalität ist beiläufige Transin-
tentionalität.  Diese  resultiert  daraus,  dass  Akteure  mit  dem  Verfolgen  ihrer 
Intentionen  immer  auch  eine  beträchtliche  Menge  anderer  Wirkungen  in  der 
Welt  erzeugen.  In  der  Regel  ergibt  sich  nebenher  aus  dem  handelnden  Zu-
sammenwirken  noch  Einiges  mehr,  was  die  Akteure  manchmal  überhaupt 
nicht oder erst nach geraumer Zeit registrieren, oder was sie zwar bemerken, 
aber nicht weiter wichtig nehmen. 

Bei der beiläufigen Transintentionalität kann man wiederum zwei Varianten unterscheiden

Zum einen gibt es Nebenwirkungen des Handelns. Damit sind 
die Wirkungen gemeint, die sich schon im Vollzug der Verfolgung der eigentli-
chen  Intentionen ergeben. Die Intentionen der Akteure sind auf etwas ande-
res, für sie jeweils näher liegendes gerichtet, und gleichzeitig mit diesem Han-
deln erzeugen sie noch ganz andere Effekte.

„invisible  hand  effects“

Das berühmteste Beispiel für Nebenwirkungen sind die sogenannten „invi-
sible  hand  effects“  (Ullmann-Margalit  (1978),  die  sich  aus  dem  handelnden 
Zusammenwirken  einer  Vielzahl  von  Konsumenten  und  Produzenten  auf  ei-
nem Wettbewerbsmarkt ergeben. Ohne es zu wollen oder auch nur zu bemer-
ken, bestimmen beide Gruppen von Akteuren durch ihre aggregierte Nachfra-
ge bzw. ihr aggregiertes Angebot und die Relation zwischen beidem den Preis 
der Waren. 

 der Wandel von Sprache

Und auch der Wandel von Sprache vollzieht sich größtenteils so 
(Keller 1994: 87-146). Das Aufkommen und Verschwinden bestimmter Mode-
worte wie zum Beispiel „cool“ ist nichts, was irgendjemand maßgeblich steuert. 
Solcher Sprachwandel, wie er vor allem an der Jugendsprache plastisch be-
obachtbar  ist,  geschieht  vielmehr  über  den  alltäglichen,  unreflektierten 

Sprachgebrauch tausender Gesellschaftsmitglieder. Keiner der Beteiligten hat 
das Interesse, bestimmte Worte zu propagieren, und trotzdem passiert es. 

Fernwirkungen

Die andere Variante beiläufiger Transintentionalität sind Fernwirkungen des 
Handelns.  Damit  ist  gemeint,  dass  aus  dem  handelnden  Zusammenwirken 
zeitlich versetzt Wirkungen eintreten, die auf das betreffende Handeln der Be-
teiligten  zurückzuführen  sind.  Auch  hier  lassen sich zahlreiche Beispiele aus 
dem Bereich der Umweltprobleme heranziehen: Man denke etwa an die Aus-
beutung  von  Rohstoffen,  die  Überfischung  der  Meere  oder  Phänomene  im 
Zusammenhang mit dem Klimawandel.

Dimensionen  der Transintentionalität 

In den Beispielen ist bereits angeklungen, dass man beide Arten von Transin-
tentionalität  -  gescheiterte  Intentionalität  und  beiläufige  Transintentionalität  - 
aus  der  Perspektive  der  Akteure  auch  danach  charakterisieren  kann,  ob  es 
sich in kognitiver Hinsicht um vorhergesehene oder unvorhergesehene Effekte 
handelt, und ob es sich in evaluativer bzw. normativer Hinsicht um erwünschte 
oder um unerwünschte Effekte handelt.

 Drei analytische Typen von Transintentionalität lassen sich folglich unterscheiden:

•   Erstens  gibt  es  unvorhergesehene  und  unerwünschte  Effekte,  d.h.  es 
kommt beim handelnden Zusammenwirken etwas heraus, das niemand so 
im Blick hatte und das auch niemand will. 
•   Zweitens gibt es als Resultat des handelnden Zusammenwirkens vorherge-
sehene aber unerwünschte Effekte, d.h. es zeigen sich Wirkungen, die man 
erwartet  hatte  oder  von  deren  möglichem  Eintreten  man  wusste,  und  die 
man in Kauf genommen hat, die man aber ebenfalls nicht haben will. 
•   Drittens gibt es unvorhergesehene aber erwünschte Effekte, d.h. aus dem 
handelnden Zusammenwirken ergibt sich etwas, das man nicht im Blick hat-
te, das man dann aber begrüßt bzw. wovon man positiv überrascht wird. 

•   Nur bei der vierten Kombination dieser beiden Dimensionen, wenn die Ef-
fekte  des  handelnden  Zusammenwirkens  sowohl  erwünscht  als  auch  vor-
hergesehen  sind,  liegt  keine  Transintentionalität  vor.  In  dem  Fall  sind  die 
beteiligten Akteure mit ihren Handlungsabsichten durchgekommen und die 
Effekte des handelnden Zusammenwirkens sind intentional.  
 

Bezieht man diese Dimensionen auf die beiden Formen von Transintentionalität,  lässt  sich  feststellen: 

 Gescheiterte  Intentionalität  kann  in  kognitiver  Hin-
sicht  sowohl  vorhergesehen  als  auch  unvorhergesehen  sein;  in  evaluativer 
Hinsicht ist sie immer unerwünscht. Niemand wird sich vornehmen, zu schei-
tern.  Bei  der  als  Neben-  oder  Fernwirkung  auftretenden  beiläufigen  Transin-
tentionalität  finden sich sowohl in kognitiver wie in evaluativer Hinsicht beide 
Ausprägungen: Das oben angeführte wechselseitige Verschaffen von öffentli-
cher Sicherheit durch schlichte Anwesenheit in der Innenstadt ist ein Beispiel 
für  eine  unvorhergesehene,  aber  durchaus  erwünschte  Nebenwirkung.  Eine 
vorhergesehene und unerwünschte Nebenwirkung kann am Beispiel der gifti-
gen Abfälle bei der Produktion eines Chemiewerks verdeutlicht werden. Eine 
beiläufige Transintentionalität in Form unvorhergesehener und unerwünschter 
Fernwirkungen wären etwa die Folgen des Klimawandels. 

intendierte  Strukturgestaltung 

Soweit  zur  Charakterisierung  und  Systematisierung  verschiedener  Erschei-
nungsformen  von  Transintentionalität.  Das  Ausmaß  der  Transintentionalität, 
das  den  Ergebnissen  des handelnden Zusammenwirkens anhaftet, bestimmt 
aus der Perspektive der Akteure darüber, ob oder inwieweit sie ihr jeweiliges 
Handeln als erfolgreich erleben oder nicht. Und dafür ist aus der Sicht der Ak-
teure auch entscheidend, ob sie mit ihrem Handeln lediglich bestimmte Ihnen 
nahe  liegende  Intentionen  verfolgen  und  dann  darüber  hinaus  mit  trans-
intentionalen Struktureffekten konfrontiert werden - so wie dies bei den oben 
aufgeführten Beispielen zu Neben- und Fernwirkungen der Fall war - oder ob 
sie im Hinblick auf das, was beim handelnden Zusammenwirken für alle Betei-
ligten  herauskommen  soll,  von  vornherein  eine  bestimmte  Absicht verfolgen: 
ob sie also bewusste und gewollte Strukturgestaltung betreiben oder nicht.

Transintentionalität als  zentrale Einsicht der Soziologie 

Zusammenfassend  kann  festgestellt  werden,  dass  die  Effekte  handelnden 
Zusammenwirkens  von  den  Akteuren  zwar  stets  intentional  vorangetrieben 
werden, dass sie ihnen aber in der Regel - früher oder später, längerfristig auf 
jeden Fall, und mal mehr, mal weniger - ins Transintentionale entgleiten, und 
dies auch bei bewusster und zunächst erfolgreicher Strukturgestaltung. Dass 
handelndes  Zusammenwirken  überwiegend  transintentionale  Effekte  zeitigt, 
gilt nicht nur hinsichtlich der unmittelbaren Ergebnisse des Handelns, so wie 
sie sich aus der Perspektive der einzelnen Akteure dann darstellen, sondern 
eben auch für die sozialen Strukturen, die dabei herauskommen.

Die  „entgleitende Geschichte“

Die involvierten Akteure machen jene Erfahrung, die Jean Paul Sartre (1960: 72) so formu-
liert: „Wenn mir aber die Geschichte entgleitet, dann nicht deshalb, weil ich sie 
nicht  mache,  sondern,  weil  auch  der  andere  sie  macht.“ Die  „entgleitende 
Geschichte“:  Das  sind  die  sozialen  Strukturen  um  mich  herum,  die  sehr  oft 
ganz anders ausfallen, als ich sie gerne hätte und einzurichten versucht habe. 
Sie  sind  von  vornherein  transintentional  -  oftmals  schon  allein  aufgrund  der 
langen  Zeithorizonte,  in  denen  sich  aus  dem  handelnden  Zusammenwirken 
spürbare Effekte auf soziale Strukturen ergeben.

Warum nimmt ein soziologischer Beobachter angesichts dessen die Intenti-
onen  des  Handelns  überhaupt  noch  zur  Kenntnis?

  Auch  wenn  -  wie  in  den 
ersten  Kapiteln  dargelegt  wurde  -  davon  auszugehen  ist, dass die einzelnen 
Handlungen  der  Akteure  die  Grundelemente  jeglichen  sozialen  Geschehens 
sind,  gewinnen  sie  ihren  sozialen  Stellenwert  und  damit  auch  ihre  soziologi-
sche Erklärungskraft erst in der Relationierung mit anderen Elementen dieser 
Art.  Dass  man  trotzdem  wissen  muss,  wie jemand - erst einmal für sich be-
trachtet- handelt, begründet sich daraus, dass die Intention einen Handlungs-
impuls markiert, der sich dann mit den Impulsen der anderen involvierten Ak-
teure  gleichsam wie bei der Vektoraddition verbindet. Selbst wenn der Sum-
menvektor, also das Ergebnis handelnden Zusammenwirkens, weit von jedem 
in ihn eingehenden Einzelvektor abweicht, ergibt er sich doch in seiner Rich-
tung und Stärke nur aus ihnen. Welche Intentionen die in einen Handlungszu-
sammenhang verstrickten Akteure verfolgen, macht einen Unterschied - wenn 
auch  oft  nicht  den  Unterschied,  den  jeder  der  Akteure  jeweils  gerne  gehabt 
hätte. Die  Einsicht  in  die  Transintentionalität  impliziert  also  zugleich  eine 
weitreichende  Relativierung  der  Intentionalität  des  Akteurs.  Die  Intention  ist 
mitsamt  den  von  ihr  dirigierten  je  aktuellen  Handlungsmöglichkeiten  des  Ak-
teurs im jeweiligen Geschehen stets nur ein - manchmal sehr wenig ins Ge-
wicht fallender - Kausalfaktor unter vielen anderen. 

 „Logik des Misslingens“

Politische  Gesellschaftssteuerung  ist  sicherlich  die  ambitionierteste  inten-
dierte  Strukturgestaltung,  die  gesellschaftlich  vorkommt,  und  unterliegt  des-
halb am stärksten der „Logik des Misslingens“ (Dörner 1989), also dem Eintre-
ten  unerwünschter  Neben-  und  Fernwirkungen  und  dem  Nichterreichen  der 
angestrebten Ziele. Man muss dabei gar nicht an die Gestaltungshybris sozia-
listischer  Planwirtschaften  denken,  die  nichts  als  grandiose  Scherbenhaufen 
hinterlassen haben. Auch viel bescheidenere politische Gestaltungsvorhaben - 

etwa eine Hochschulreform oder die lange Zeit notorische Rechtschreibreform 
- erweisen sich immer wieder als äußerst schwierig; und neben dem Problem, 
die  angestrebten  Gestaltungsziele  nicht  zu  erreichen,  werden  die  politischen 
Akteure auch immer wieder mit dem Risiko konfrontiert, ungeahnte Nebenwir-
kungen  zu  erzeugen,  die  im  negativen  Sinne  gravierender  sind  als  die  viel-
leicht  erzielten  positiven  Effekte.  Nicht  selten  sind  Leute  mit  den  besten  Ab-
sichten diejenigen, die das Schlimmste anrichten. 

„vier große  Kränkungen der Menschheit“ 

Kupernikus, Darvin, Freud und:

Die  von  Freud  vorgetragene  Beobachtung  der  Geschichte  fortschreibend 
ließe sich nun sagen, dass die vierte Kränkung des modernen Menschen im 
Hinweis  auf  die  Transintentionalität  des  Sozialen  beruht:  Selbst  wenn  der 
Mensch bisweilen rational handeln kann und dies auch tut, sich also Ziele setzt 
und  Pläne  verfolgt,  werden  diese  Intentionen  mindestens  genauso  oft  schei-
tern wie erfolgreich realisiert werden, und zwar allein deshalb, weil es andere 
Menschen  gibt,  die  das  Gleiche  tun.  Nicht  erst,  aber  ganz  besonders  in  der 
Gegenwart scheint es als eine tiefe Kränkung empfunden zu werden, dass das 
handelnde Zusammenwirken so wenig unter Kontrolle ist. Diese Kränkung ist 
deshalb eine so bedrängende, weil die moderne Gesellschaft im Grunde eine 
gestaltungsoptimistische  ist.  Die  moderne  Fortschrittsidee  geht  u.a.  darauf 
zurück,  dass  die  sozialen  Bedingungen,  unter  denen  die  Menschen  leben, 
nicht länger als gottgewollt, sondern zum großen Teil als „Menschenwerk“ be-
griffen  wurden.

Odo Marquard (1977: 72): „Ende Gottes: menschlicher Machzwang“

Dieser „Machzwang“ bereitet den strukturgestaltenden Akteuren in der modernen 
Gesellschaft tagtäglich die Kränkung der Transintentionalität, und der Gestal-
tungsoptimismus muss immer wieder herbe Fehlschläge hinnehmen. 

„unintended consequences of intentional social action“

Vor diesem Hintergrund gewinnt Robert Mertons (1936) frühe programmati-
sche Betonung der „unintended consequences of intentional social action“ ihre 
Berechtigung. 125  Karl Popper (1948: 342, Hervorh. weggel.) geht so weit, hier 
die  zentrale  Aufgabe  der  Sozialwissenschaften  zu  sehen:  „It  is  to  trace  the 
unintended social repercussions of intentional human actions.“ Nur eine sozio-
logische Analyse des handelnden Zusammenwirkens und der sich dabei voll-
ziehenden  und  zu  transintentionalen  Struktureffekten  führenden  Dynamiken 
kann davor bewahren, einem völligen Gestaltungsdefätismus zu verfallen. Sie 
deckt auf, wo genau und warum das handelnde Zusammenwirken den Akteu-
ren entgleitet, und sie ermöglicht so eine differenzierte Einschätzung, welche 
Gestaltungsspielräume die Akteure haben. Die Soziologie kann je nach Situa-
tion  bescheidenere  oder  anspruchsvollere  Steuerungsziele  und  -strategien 
nahe legen. Denn so wichtig es einerseits ist, dass sich die Soziologie über die 
unaufhebbare Transintentionalität alles handelnden Zusammenwirkens im Kla-
ren ist: Weil die Menschen - und dies erst recht in der modernen Gesellschaft! 
-  gar  nicht  anders  können,  als  immer  wieder  zu  versuchen,  die  Verhältnisse 
unter  denen  sie  leben,  mit  zu  gestalten,  ist  eine  „soziologische  Aufklärung“ 
gefragt, die zumindest eine „Intentionalität in Grenzen“ unterstützt.

 Akteurkonstellationen 

Für eine genauere Analyse des handelnden Zusammenwirkens muss der Blick 
zunächst  auf  die  Akteurkonstellationen  gerichtet  werden,  in  denen  sich  die 
Handelnden  miteinander  befinden.  Sobald  die  Intentionen  von  mindestens 
zwei Akteuren interferieren, und diese Interferenz von den Beteiligten wahrge-
nommen  wird,  ist  eine  Akteurkonstellation  gegeben.  Akteurkonstellationen 
bestehen  somit  aus  nichts  anderem  als  dem  Gewahrwerden  und Abarbeiten 
von tatsächlichen oder vorweggenommenen Intentionsinterferenzen. 

Solche Konstellationen handelnden Zusammenwirkens definieren und sor-
tieren  sich  dabei  danach,  auf  welchem  Modus  der  Handlungsabstimmung  
das  handelnde  Zusammenwirken  beruht:  auf  der  wechselseitigen  Beobach-
tung der Akteure, auf der wechselseitigen Beeinflussung der Akteure oder auf 
wechselseitigen  Verhandlungen.

 Dementsprechend  lassen  sich  drei  Arten von Akteurkonstellationen unterschieden

 Beobachtungs-, Beeinflussungs- und Verhandlungskonstellationen

Beobachtungs-, Beeinflussungs- und Verhandlungskonstellationen

Am  elementarsten  sind  Konstellationen  wechselseitiger  Beobachtung,  in 
denen  die  Handlungsabstimmung  allein  durch  einseitige  oder  wechselseitige 
Anpassung  an  das  wahrgenommene  Handeln  der  anderen  -  einschließlich 
ihres antizipierten Handelns - erfolgt. In Konstellationen wechselseitiger Beein-
flussung  findet  Handlungsabstimmung  -  auf  Grundlage  wechselseitiger  Be-
obachtung  -  durch  den  gezielten  Einsatz  von  Einflusspotentialen  wie  Macht, 
Geld,  Wissen,  Emotionen  oder  moralische  Autorität  statt.  In  Konstellationen 
wechselseitiger Verhandlungen gehen - auf Basis von Beobachtung und Be-
einflussung  -  aus  Verhandlungen  bindende  Vereinbarungen,  zum  Beispiel  in 
Form von Verträgen, als Handlungsabstimmung hervor.

Abarbeitung von Intentionsinterferenzen

Die Abarbeitung von Intentionsinterferenzen in Akteurkonstellationen kann 
damit  enden,  dass  die  Konstellation  sich  auflöst,  die  Akteure  einander  also 
fortan aus dem Weg gehen. Vielleicht zieht derjenige, der immer wieder durch 
laute Musik seines Nachbarn gestört wird, schließlich deswegen entnervt weg. 

Beispiele 
für  ein  wenig  konfliktbehaftetes  Abarbeiten  von  Intentionsinterferenzen  und 
das entsprechend rasche Auflösen der Akteurkonstellation sind Fälle, in denen 
eine  einfache  Einigung  über  die  Handlungskoordination  möglich  ist.  Wenn 
zwei  Personen  sich  zugleich  an  einen  Tisch  begeben,  an  dem  zwei  Stühle 
stehen, kann es passieren, dass beide sich auf denselben Stuhl setzen wollen. 

hin und her

Bleibt  die  Konstellation  hingegen  dauerhaft  bestehen,  kann  es  zwischen 
den Akteuren ständig hin und her gehen, ohne dass sich stabile Muster des 
Umgangs mit den Intentionsinterferenzen einspielen. Der durch die Musik des 
anderen Gestörte beschwert sich das eine Mal bei diesem, dann bei der Haus-
verwaltung oder ruft sogar mal die Polizei; ein anderes Mal geht er spazieren 
oder setzt sich auch Kopfhörer auf und hört selbst Musik. Und der Musikhörer 
lässt sich das eine Mal von den Beschwerden beeindrucken und zeigt Einsicht; 
das andere Mal geht er nicht an die Tür und ans Telefon, weil er weiß, dass 
der Nachbar sich beschweren will; und manchmal nimmt der Musikhörer auch 
von vornherein Rücksicht und dreht seine Stereoanlage nicht so laut auf. Ein 
solches Hin und Her ist durchaus nicht selten. 

soziale  Strukturen 

In allen drei Konstellationsformen kann das Abarbeiten von Intentionsinter-
ferenzen  also  punktuell  geschehen,  d.h.  in  Episoden,  die  einmalig  sind  oder 
als einmalig angesehen werden. In vielen Fällen aber bringen die Bemühun-
gen  der  Akteure,  ihre  Intentionsinterferenzen  zu  bewältigen,  intentional  oder 
transintentional  soziale  Strukturen  als  relativ  dauerhafte  Bewältigungsmuster 
der  Interferenzen  hervor.  Die  Handlungsabstimmung  wird  dabei  in  sich  wie-
derholenden  Episoden  verstetigt. 

Verstetigung

 Eine  Verstetigung  bedeutet  zunächst  eine 
Steigerung  wechselseitiger  kognitiver  Erwartungssicherheit  und  findet  ihren 
Niederschlag in geteilten normativen, kognitiven oder evaluativen Orientierun-
gen  in  Gestalt  von  Institutionen  oder  kulturellen  Deutungsmustern.  Hat  sich 
erst eine institutionelle Regel wie zum Beispiel das Händeschütteln als Begrü-
ßungsritual  oder  „Halbe-Halbe“  als  Verteilungsgrundsatz  in  einer  Akteurkon-
stellation eingeschliffen, wird sie durch stete Wiederholung - auch und gerade 
dann,  wenn  man versucht ist, etwas anderes zu tun - aufrechterhalten. Eine 
Verstetigung  der  Handlungsabstimmung  kann  auch  auf  anderen  sozialen 
Strukturen beruhen: Vielleicht erreicht der in seiner Ruhe Gestörte letzten En-
des  unter  Verweis  auf  gesetzliche  Regelungen  vor  Gericht,  dass  seinem 
Nachbarn  feste  Zeiten  auferlegt  werden,  in  denen  er  gar  keine  Musik  hören 
darf;  und  Zuwiderhandlungen  werden  geahndet.  Dann  wäre  eine  normative 
Ordnung gefunden, die die Intentionsinterferenz fortan klar regelt. 

die  Etablierung  eines  relativ  dauerhaften  Bewältigungsmusters

Weiterhin  vollzieht  sich  die  Etablierung  eines  relativ  dauerhaften  Bewälti-
gungsmusters  von  Intentionsinterferenzen  keineswegs  immer,  sondern  eher 
selten  so,  dass  dieses  Muster  bewusst  konzipiert  und  realisiert  wird.  Beim 
Richterspruch ist das der Fall, wobei dann ein Außenstehender der Konstella-
tion ihre soziale Struktur gibt. Hätten sich die beiden Nachbarn untereinander 
auf eine ähnliche Regelung geeinigt und sich fortan daran gehalten, läge eine 
aus der Konstellation selbst zielgerichtet geschaffene soziale Struktur vor. 

Arten sozialer Strukturen 

Bevor darauf eingegangen wird, wie über bestimmte Dynamiken bei der Abar-
beitung  von  Intentionsinterferenzen  soziale  Strukturen  aufgebaut,  erhalten 
oder verändert werden, soll zunächst noch geklärt werden, welcher Art diese 
Strukturen sein können. Drei Arten von sozialen Strukturen lassen sich dabei 
unterscheiden: Erwartungs-, Deutungs- und Konstellationsstrukturen. 

Erwartungsstrukturen 

Erstens  gibt  es  die  schon  mehrfach  angesprochenen  institutionalisierten 
normativen Erwartungen. Solche Erwartungsstrukturen können sowohl forma-
lisiert als auch informeller Natur sein. Zu den formalisierten gehören Rechts-
vorschriften  ebenso  wie  die  formalen  Regeln  innerhalb  von  Organisationen. 
Normative  Erwartungsstrukturen  sind  aber  auch  alle  Arten  von  informellen 
sozialen  Regeln,  wie  sie  innerhalb  größerer  oder  kleinerer  Gruppen  Geltung 
besitzen. Die Sitten und Umgangsformen in einem Land, der Moralkodex eines 
bestimmten  sozialen  Milieus  und  auch  die  manchmal  ganz  idiosynkratischen 
wechselseitigen  normativen  Erwartungen  in  einer  Ehe  sind  Beispiele  dafür. 
Viele  normative  Erwartungen  werden  in  Form  von  Rollen  gebündelt,  wie  im 
Kapitel 3 dargestellt worden ist.