FUH SS15


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Flashcards 66
Language Deutsch
Category Psychology
Level University
Created / Updated 29.07.2015 / 13.06.2020
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Vorschau Kapitel 5

bild

Der  „Emotional  man“

 Der  „Emotional  man“  ist  ein  Akteurmodell,  das  soziales
Handeln als auf emotionalen Antrieben beruhende Handlungswahlen erfasst.
Dieser Akteur verarbeitet seine Handlungssituationen in der Weise, dass sein
Handeln von solchen strukturellen Determinanten der Situation bestimmt wird,
die  Emotionen  auslösen;  und  sein  Bestreben  besteht  insofern  im  Ausleben
dieser  Emotionen,  wodurch  die  Strukturen  in  der  sozialen  Situation  ertragen
und damit erhalten oder auch verändert werden sollen. So erwächst zum Bei-
spiel Neid aus sozialen Verteilungsstrukturen, die von Schlechtergestellten als
ungerechtfertigt erlebt werden; und durch diesen Neid angetriebenes Handeln
von Akteuren kann sich dann in vielerlei Weisen auf die Veränderung dieser
Verteilungsstrukturen richten.

Emotionen  zwischen  Handeln und Verhalten

In einem urplötzlichen Wutausbruch oder sponta-
ner  sexueller  Lust  brechen  sich  körperliche  Reaktionen  vor  aller  sinnhaften
Deutung  ihre  Bahn  und  überwältigen  die  Person  oftmals  im  wahrsten  Sinne
des  Wortes.  Aber  selbst  diese  emotionalen  Reaktionsmuster  sind  sozial  ge-
prägt, also in intersubjektiv geteilte Sinnmuster eingebettet.

Modi der Weltaneignung: Instinkte, Kognitionen, Emotionen

Instinkte,  Kognitionen  und  Emotionen  sind  die  drei  grundlegenden  menschlichen
„Modi  der  Weltaneignung“  (Gerhards  1988:  72).  Alle  drei  dienen  dem  Men-
schen  dazu,  in  der  Welt,  in  die  er  durch  seine  Geburt  hineingeworfen  wird,
zurechtzukommen.

Instinkte konstituieren eine gleichsam automatische, biologisch festgelegte
und  entsprechend  eindeutig  vorgeprägte  Reaktion  auf  einen  bestimmten
Schlüsselreiz. Es werden Punkt-für-Punkt-Entsprechungen zwischen Umwelt-
beschaffenheit und Verhalten eines Lebewesens hergestellt: Wenn ein Angrei-
fer erscheint, sträuben sich dem Hund die Nackenhaare. Diese Alternativlosig-
keit instinktgeleiteter Reaktionen wird aufgebrochen, sobald Kognitionen oder
Emotionen ins Spiel kommen.

Unterschied Emotion und Kognition

Was diese beiden „Modi der Weltaneignung“
von  Instinkten  unterscheidet,  ist  die  Unterbrechung  der  starren  Reiz-
Reaktions-Sequenzen. Denn sowohl bei Kognitionen als auch bei Emotionen
findet  eine  auf  Wahrnehmung  gegründete  Informationsverarbeitung  statt.  Al-
lerdings  unterscheidet  sich  die  Art  der  Informationsverarbeitung  bei  beiden
wiederum  grundlegend.  Kognitionen  beruhen  auf  sequentieller  Informations-
verarbeitung. Sie nehmen Schritt für Schritt die verschiedenen Elemente auf,
aus  denen  sich  die  Handlungssituation  zusammensetzt,  sortieren  und  ver-
knüpfen die Elemente unter anderem mit Hilfe kausaler Schemata, und leiten
dann  daraus  durch  logische  Schlüsse  ein  situationsangemessenes  Handeln
ab.  Diese  Vorgänge  sind  für  rationale  Nutzenverfolgung  ganz  offensichtlich,

finden aber auch bei Normkonformität statt. Normkonformes Handeln setzt ja
voraus,  dass  Bezugsgruppen  identifiziert  und  deren  spezifische Erwartungen
ausfindig gemacht, nicht selten auch konfligierende Erwartungen gegeneinan-
der abgewogen werden müssen, bis der Handelnde weiß, was er zu tun hat.

Emotionen  beruhen  demgegenüber  auf  simultaner  Informationsverarbei-
tung. In dem Maße, wie ein Handelnder gefühlsbestimmt agiert, schnurren die
Abfolgen von Wahrnehmungs- und Denkschritten gleichsam in einem einzigen
Bild zusammen, ohne dass aber der Kurzschluss rein instinktiven Verhaltens
auftritt. Emotionen versorgen den Akteur mit einem gestalthaften Bild der Situ-
ation, aus dem sich dann die Handlungswahl ergibt. Kognitionen stellen dem-
gegenüber eine Serie von Bildern dar, die sich auseinander herleiten, bis sie
ins  Handeln  münden.  Als  „Modus  der  Weltaneignung“  sind  Emotionen  somit
eine  ganzheitliche  Informationsverarbeitung.

beziehungsorientierte  Emotionen

Als Antriebe sozialen Handelns kommen vor allem solche Emotionen in Be-
tracht, die in und durch soziale Beziehungen zustande kommen und die sich
auf  Inhalte  und  Formen  sozialer  Beziehungen  richten. 75   Zu  solchen  bezie-
hungsorientierten  Emotionen  gehören  beispielsweise  Liebe  oder  Mitgefühl

oder Bewunderung. Sie sind Beispiele dafür, wie die Beziehung zu einem an-
deren  Akteur  emotional  positiv  getönt  sein  kann.  Daneben  stehen  natürlich
zum Beispiel Neid, Hass, Verachtung oder Schadenfreude als negativ getönte
emotionale Bestimmungen sozialer Beziehungen. Quer zu diesem Kontinuum
verschiedener  Ausprägungen  von  Sympathie  und  Antipathie steht das Konti-
nuum  von  Verlust  und  Gewinn  als  emotional  bewertetem  Handlungsresultat.
Mittels dieser beiden Dimensionen ließen sich vier Gruppen von beziehungs-
orientierten Emotionen unterscheiden.

Erwartungsenttäuschungen

Ohne dass die soziologische Betrachtung der Emotionen bislang eine um-
fassende Antwort auf die Frage nach den sozialen Auslösefaktoren emotiona-
ler Handlungsantriebe gegeben hat, lassen sich zumindest drei Teilantworten:

Emotionale  Handlungsantriebe  werden durch  massive,  insbesondere  plötzlich  gewahr  werdende  Erwartungsenttäuschungen ausgelöst. 

Der  zweite  Auslösefaktor  emotionalen  Handelns  ergibt  sich  daraus,  dass
auch  Emotionen  der  Routinisierung  unterliegen  können.

Ein dritter Auslösefaktor emotionalen sozialen Handelns können inszenierte Emotionen  sein.

Emotionale  Handlungsantriebe  werden durch  massive,  insbesondere  plötzlich  gewahr  werdende  Erwartungsenttäuschungen ausgelöst

Es kann sich dabei um normative Erwartungen handeln
- wenn zum Beispiel das Gegenüber seine Pflicht nicht erfüllt und man darüber
wütend wird, oder wenn man Scham darüber empfindet, dem anderen gegen-
über  selbst  bestimmten  Normen  nicht  gerecht  geworden  zu  sein.  Aber  auch
die Enttäuschung evaluativer Erwartungen, also etwa das Scheitern bestimm-
ter Hoffnungen und Wünsche an den anderen, können emotionale Reaktionen
wie  beispielsweise  Trauer  und  Verzweiflung  hervorrufen.  Oder  kognitive  Er-
wartungen bleiben unerfüllt, die Dinge entwickeln sich ganz anders als vorge-
sehen, und man reagiert mit Gefühlen der Nervosität oder Angst.

Dass Erwartungsenttäuschungen, je größer die Diskrepanz zwischen dem
erwarteten  und  dem  tatsächlichen  Geschehen  ist,  Emotionen  auslösen  und
das Handeln aus der Fixierung auf Normkonformität bzw. rationale Nutzenver-
folgung herausbrechen, erklärt sich aus der geschilderten Beschaffenheit die-
ses „Modus der Weltaneignung“. Der Homo Sociologicus und der Homo Oe-
conomicus operieren beide auf der Basis von Kognitionen, also sequentieller
Informationsverarbeitung.  Genau  dieser  zeitaufwendige  „Modus  der  Weltan-
eignung“ wird aber durch massive Erwartungsenttäuschungen, vor allem wenn
sie abrupt eintreten, tief greifend gestört.

Routinisierung von Emotionen

Routinisierung  vermag nicht zu erklären, warum irgendwann einmal ein bestimmtes emotionales
Handeln  begonnen  hat.  Aber  falls  sich  dieses  Handeln  dann  immer  wieder
wiederholt, lässt sich das sehr wohl als Routinisierung verstehen. So können
etwa die ursprünglichen Auslöser dafür, dass zwei Menschen sich ineinander
verliebt haben, längst nicht mehr gegeben und vielleicht sogar gänzlich in Ver-
gessenheit geraten sein. Die Liebe kann anhalten, weil beide sich daran gewöhnt haben, den anderen zu lieben.

Inszenierte  Emotionen

Wenn  normative  oder  rationale  Beweggründe  den  Akteur
dazu  bringen,  Emotionen  nach  außen  darzustellen,  die  in  seinem  Inneren
überhaupt nicht vorhanden sind, kann das dazu führen, dass er sich sozusa-
gen  mit  diesen  Emotionen  anfreundet  und  sie  zu  echten  werden.  Das  muss
keineswegs  so  sein.  Aber  es  kann  passieren  -  wobei  nur  psychologisch  er-
gründet  werden  könnte,  auf  welchen  innerpsychischen  Dynamiken  so  etwas
beruht.  Eine  Soziologie  emotionalen  Handelns  muss  lediglich  zur  Kenntnis
nehmen, dass so etwas gelegentlich stattfindet. Vor allem mit Bezug auf Liebe
ist  beobachtet  worden,  wie  aus  gespielter  echte  Leidenschaft  werden  kann.

zwei Modelle emotionsgetriebenen sozialen Handelns

Flam stilisiert zunächst einen „pure emotional man“ als einen in der sozialen
Wirklichkeit  kaum  einmal  rein  vorkommenden  theoretisch  konstruierbaren
Grenzfall.  Der  spontane  Wutausbruch  kommt  diesem  ausschließlich  emoti-
onsgetriebenen Handelns wohl noch am nächsten. Darauf aufbauend model-
liert Flam anschließend den „constrained emotional man“. Dies ist ein Akteur,
dessen Handeln ebenfalls in starkem Maße emotional bestimmt ist; doch diese
Emotionalität  ist  erheblich  durch  normative  oder  rationale  Handlungsantriebe
mitbestimmt. Mit diesem zweiten Modell leistet Flam bereits eine Verknüpfung
von „Emotional man“ und Homo Sociologicus bzw. Homo Oeconomicus.

„pure emotional man“

Flam (1990a: 43-45) charakterisiert den „pure emotional man“ als „unfree,
inconsistent, cost-indifferent“ sowie durch „inconstancy and indeterminancy“

•   Der „pure emotional man“ ist „unfree“, weil ihn Gefühle überkommen. Seine
Emotionen sind nicht freiwillig und bewusst gewählt, sondern unwillkürlich.
•   Der „pure emotional man“ ist „cost-indifferent“. Seine Gefühle sind maßlos
im  wörtlichen  Sinne. 
•   Der  „pure  emotional  man“  ist  „inconsistent“.  Manche  Gefühle  gegenüber
einer  bestimmten  Person  harmonieren  miteinander,  beispielsweise  Liebe
und  Bewunderung.  Das  eine  trägt  das  andere  und  umgekehrt.  Aber  nicht
selten koexistieren durchaus widersprüchliche, spannungsreiche emotiona-
le Strömungen gegenüber einem anderen. Das bekannteste Beispiel ist die
sprichwörtliche Hassliebe.
•   Der „pure emotional man“ ist durch „inconstancy“ gekennzeichnet. Emotio-
nen sind oftmals nichts Beständiges, sondern schwanken erratisch sowohl
in ihrer Intensität als auch in ihrer Tönung. Es gibt zwar den ewigen Hass,
vielleicht auch manchmal die ewige Liebe. Häufiger aber ist die Wechsel-
haftigkeit  von  Gefühlen. 
•   Der „pure emotional man“ ist durch „indeterminacy“ gekennzeichnet. Emoti-
onen sind oftmals schwer in ihrem Auftreten und ihrem Verlauf vorhersag-
bar.  Das  ergibt  sich  vor  allem  aus  der  Wechselhaftigkeit  und  der  Inkon-
sistenz emotionaler Zustände. Auch für einen selbst sind die eigenen emotionalen Zustände oft nur schwer vor- ausschaubar  oder  erklärbar.  Letzteres  hängt  damit  zusammen,  dass  man
Emotionen nur schwer willentlich erzeugen und stabilisieren kann.

Liebe als Gesellschaftsprinzip

Es ist ja kein Zufall, dass es noch keine Gesellschaft gewagt
hat,  Familienbeziehungen  allein  auf  Liebe  zu  gründen.  Selbst  das  Ideal  der
leidenschaftlichen romantischen Liebe in modernen westlichen Gesellschaften
ist  bekanntlich  größtenteils  Fiktion  geblieben,  die  zwar  in  Romanen  und  Fil-
men,  aber  nicht  im  richtigen  Leben  funktioniert  (Luhmann  1982).  Normative
Verpflichtungen gegenüber dem Ehepartner und den eigenen Kindern halten
die Familie zusammen, nicht Gefühle. Die taugen allenfalls zur Initialzündung
dieser sozialen Ordnung und flackern vielleicht, wenn man Glück hat, ab und
zu, sozusagen als Versüßung der Pflichterfüllung, immer wieder einmal auf.

Ehe- und Familienbeziehungen sind somit ein Beispiel dafür, dass emotio-
nale Handlungsantriebe normativ eingebettet werden, um ihnen gewisserma-
ßen  „Sozialverträglichkeit“  zu verleihen. Der „Emotional man“ wird gleichsam
vom Homo Sociologicus an die Kandare genommen.

„constrained emotional man“

 Er ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte Emotionen, die ihn an-
treiben, durch soziale Normen und/oder Erwägungen rationaler Nutzenverfol-
gung  kanalisiert  werden.  Diese  Kanalisierung  kann  sich  auf  die  Tönung  und
die  Intensität  von  Emotionen  beziehen  oder  sogar  in  eine  Umformung  be-
stimmter  Emotionen  münden.  In  jedem  Fall  sind  Emotionen  vorhanden,  die
sodann durch Normen und Nutzenerwägungen weiter geformt werden.

Das  Modell  des  „constrained  emotional  man“  macht  zunächst  darauf  auf-
merksam,  dass  Emotionalität  und  Normbefolgung  einander  nicht  ausschlie-
ßen.

das  Ausleben  von  Emotionalität  vs soziale Normen

So  darf  die  Liebe  der  Mutter  zu
ihrem Kind nicht soweit gehen, dass Sexualität ins Spiel kommt. Ebenso darf
die Mutter, wenn ihre Liebe durch das momentane Verhalten des Kindes plötz-
lich  in  Wut  umschlägt,  dieser  Emotion  nicht  maßlos  nachgeben.  Und  wenn
eine Mutter zwei Kinder hat, von denen sie eines viel mehr liebt als das ande-
re, wird von ihr erwartet, dass sie sich das nicht anmerken lässt, sondern ihre
Emotion gleichmäßig auf beide Kinder verteilt.  
Das  Beispiel  zeigt,  dass  das  Ausleben  von  Emotionalität  durch  soziale
Normen vorgeschrieben, zugelassen oder untersagt wird - und wenn es vor-
geschrieben oder zugelassen wird, spezifizieren Normen weiterhin, welche Art
und  welches  Ausmaß  von  Emotionen  ausgelebt  werden  dürfen.  Arlie  Hoch-
schild (1979) spricht treffend von „feeling rules“.

 Ausleben von Emotionen vs rationale Nutzenerwägungen

Neben Gefühlsnormen stellt ein Akteur beim Ausleben seiner Emo-
tionen aber oftmals auch rationale Nutzenerwägungen in Rechnung. Wenn ich
mich  beispielsweise  in  einem  Bewerbungsgespräch  befinde  und  mir  Fragen
gestellt werden, die ich als unangebracht und dumm empfinde, so dass in mir
spontaner Ärger aufwallt, bin ich gut beraten, wenn ich mir dieses Gefühl mög-
lichst  nicht  anmerken  lasse,  sondern  höflich  bleibe.  Es  gibt  viele  derartige
Klugheitsregeln  für  alle  möglichen  Alltagssituationen.  So  gibt man Verliebten
manchmal die Empfehlung, die eigenen Gefühle für den jeweils anderen nicht
in ihrem wahren Ausmaß zu zeigen, sondern sich spröde zu geben.

Was  insgesamt  den  „constrained  emotional  man“  vom  „pure  emotional man“  unterscheidet

Was  insgesamt  den  „constrained  emotional  man“  vom  „pure  emotional
man“  unterscheidet,  sind  Kompetenzen  des  „emotion  management“  (Hoch-
schild 1979). Durch die Beachtung von Gefühlsnormen und die Erwägung von
Gefühlskalkülen  wird  der  „Emotional  man“  zum  einen  „sozialverträglich“.  Die
normativen  oder  rationalen  constraints  der  emotionalen  Handlungsantriebe
machen sie weniger maßlos und erratisch und damit erwartbarer als beim „pu-
re emotional man“. Zum anderen kann der Akteur selbst hieraus Gewinn ziehen

Die  Handlungserklärung  beim  „constrained  emotional  man“

Die  Handlungserklärung  läuft  beim  „constrained  emotional  man“  auf  eine
Kombination  von  „pure  emotional  man“  und  Homo  Sociologicus  beziehungs-
weise Homo Oeconomicus hinaus. Der Erklärungsanteil, den die beiden ande-
ren  Handlungsmodelle  dabei  zu  tragen  haben,  kann  variieren  -  je  nachdem,
wie stark normative beziehungsweise rationale Gesichtspunkte das emotional
angetriebene  Handeln  kanalisieren.

der  Anteil  des Homo Sociologicus beziehungsweise Homo Oeconomicus an der Handlungserklärung

 Noch  deutlich  höher  wird  der  Anteil  des
Homo Sociologicus beziehungsweise Homo Oeconomicus an der Handlungs-
erklärung,  wendet  man  sich  nun  solchen  Situationen zu, in denen normative
Regeln  oder  rationale  Erwägungen  dem  Handelnden  vorschreiben  bezie-
hungsweise nahe legen, bestimmte zunächst einmal nicht vorhandene Gefühle
zumindest  in  seiner  Außendarstellung  zu  zeigen.  Wenn  beispielsweise  ein
Verwandter gestorben ist und ich zur Beerdigung gehe, wird von mir erwartet,
dass  ich  während  der  Zeremonie  und  beim  anschließenden  Beisammensein
der Trauergäste eine gewisse Trauer an den Tag lege.

Und gäbe es diese normativen Vorschriften hinsichtlich des Ausdrucks
bestimmter  Gefühle  nicht,  könnten  mich  Klugheitsgründe  zum  gleichen  Han-
deln veranlassen. Ich könnte etwa als armer Verwandter darauf spekulieren,
dass die reiche Witwe, auch durch meine Trauer gerührt, sich zukünftig einmal
dazu erweichen lässt, mir finanziell unter die Arme zu greifen.

Pseudo-Emotionalität

Je  stärker  der  Anteil  solcher  normativer  bzw.  rationaler  Beweggründe  für
das  Zeigen  bestimmter  Emotionen  ist,  desto  mehr  verliert  das  Modell  des
„Emotional  man“  an  Erklärungskraft.  Im  Extremfall  kann  es  so  sein,  dass
überhaupt kein emotionaler Handlungsantrieb vorhanden ist, sondern die ent-
sprechenden Gefühle nur noch vorgespielt werden, um normativen oder ratio-
nalen  Gesichtspunkten  Rechnung  zu  tragen.  Das  sind  Fälle  der  Pseudo-
Emotionalität,  für  die  der  Homo  Sociologicus  bzw.  der  Homo  Oeconomicus
oder  eine  Kombination  beider  als  Erklärungsmodelle  völlig  ausreichen.

überindividuelle Akteure als  „Emotional man“

Flam  (1990b) hat sich auch mit dieser Frage auseinandergesetzt und ge-
langt  zu  dem  Schluss,  dass  überindividuelle  Akteure  gleichsam  Brutstätten
bestimmter Emotionen darstellen können, die die involvierten Individuen je für
sich nicht unbedingt ausgebildet hätten. Damit ist mehr gemeint als der Sach-
verhalt,  dass  überindividuelle  Akteure  mitunter  äußerst  geschickt  darin  sind,
vorhandene Emotionen ihrer Mitglieder am Leben zu erhalten oder weiter an-
zufachen; und es geht auch nicht bloß darum, dass überindividuelle Akteure
natürlich  oftmals  Emotionen  inszenieren,  um  sich  normkonform  beziehungs-
weise  strategisch  klug  zu  verhalten.  Sondern  eine  Gewerkschaft  vermag  als
Organisation - um das obige Beispiel wieder aufzugreifen - ein Neidgefühl zu
entfachen, das auf Seiten der Mitglieder vorher nicht vorhanden gewesen ist,
deren Handeln als Organisationsmitglieder aber fortan bestimmt. 

 Identitätsbehauptung als Handlungsantrieb

Der Identitätsbehaupter ist das Modell eines Akteurs, dessen Handlungswahlen von dem Streben nach Bestäti-
gung seines Selbstbildes bestimmt werden. Ein fertig ausgearbeitetes soziolo-
gisches Akteurmodell des Identitätsbehaupters gibt es allerdings nicht.

 Zum dominanten Handlungsantrieb von
Akteuren  in  sozialen  Situationen  wird  Identitätsbehauptung  durch  bestimmte
Arten der Identitätsbedrohung, die weiter unten erläutert werden.

Identität

Die Identität einer Person ist deren Bild von sich selbst.

Modi der Selbstbeschreibung

Schaut  man  sich  solche  Identitätsbeschreibungen  genauer  an,  stellt  man
fest,  dass  dabei  drei  Modi  von  Äußerungen  benutzt  werden:  evaluative  und
normative Selbstansprüche sowie kognitive Selbsteinschätzungen.

evaluative Selbstansprüche

Im Zentrum stehen zumeist evaluative Selbstansprüche. Dies sind - um ei-
nen  Begriff  Ernst  Blochs  (1959)  zu übertragen - die „konkreten Utopien“ der
Person über sich selbst: ihre Vorstellungen darüber, wer sie sein und wie sie
leben will. Solche evaluativen Selbstansprüche können als Aufforderungen an
sich selbst adressiert sein.

Jemand ist, wer er sein will - sofern dieses Wollen für ihn keine „ab-
strakte Utopie“ (Bloch 1959) ist, sondern ein subjektiv gangbar erscheinender
Lebensweg. 85   Für  jedes  Selbstbild  ist  also  eine  Selbstüberschreitung,  ein
„Noch-nicht“ (Bloch 1959) konstitutiv.

normative Selbstansprüche

Flankiert  werden  diese  evaluativen  Selbstansprüche  von  normativen
Selbstansprüchen.  Im  Alltagsverständnis  bilden  letztere  das  Gewissen  einer
Person. 86   Normative  Selbstansprüche  sind  solche  Sollensvorgaben  für  das
eigene  Handeln,  deren  Nichteinhaltung  die  betreffende  Person  als  Scheitern
des eigenen Lebens begreifen würde. Diese Selbstansprüche können auf in-
ternalisierte soziale Normen zurückgehen.

So mag es sein, dass ein Sportler, der  in  einem  Weltmeisterschafts-Endkampf                                                              nur  durch  unbemerkt  gebliebene
eigene Unfairness gesiegt hat, im Nachhinein keinerlei Freude an der errungenen  Goldmedaille  hat.

kognitive  Selbsteinschätzungen

Relativiert  werden  die  evaluativen  und  auch die normativen Selbstansprü-
che  durch  kognitive  Selbsteinschätzungen.  Diese  betreffen  die  Fähigkeiten
und  Möglichkeiten  einer  Person,  ihren  evaluativen  und  normativen  Selbstan-
sprüchen gerecht zu werden, sowie ihr faktisches So-Sein im Vergleich zum
Sein-Wollen und Sein-Sollen. Wenn jemand zum Beispiel erkennt, dass er nur
ein mittelmäßiger Student ist, gibt das seinem Streben danach, ein guter Wis-
senschaftler zu werden, einen gehörigen Dämpfer;

Identität als Selbstsimplifikation

Damit ist insgesamt klar, dass die Identität einer Person keine bloße Beschrei-
bung  ihres  momentanen  Ist-Zustandes  darstellt  und  sich  auch  nicht  in  einer
vergangenheitsorientierten  lebensgeschichtlichen  Rekonstruktion  erschöpft,
sondern diese vergangenheits- und gegenwartsbezogene Sinngestalt des ei-
genen  Lebens  in  die  Zukunft  ausrichtet.  Weiterhin  ist  festzuhalten,  dass  die
Identität einer Person niemals auch nur annähernd die Gesamtheit ihres Sein-
Wollens und -Sollens in Relation zum So-Sein abbildet, sondern eine höchst
selektive Selbstsimplifikation ist. Die Identität ist nicht
so  umfassend,  vollständig  und  vielschichtig  wie  die  Persönlichkeit,  sondern
verhält sich zu dieser wie eine mit wenigen, aber markanten Strichen gezeich-
nete Skizze zu einem Foto. Die Identität ist also eine sehr einseitige Hervorhe-
bung einiger weniger Züge der eigenen Person - was im Umkehrschluss heißt,

dass der Person das allermeiste, was sie selbst ausmacht, als nicht wesentlich
erscheint. All das könnte auch anders sein, und man wäre dennoch derselbe.
Daran zeigt sich auch bereits, dass die Selbstsimplifikation nicht bloß begrenz-
ten Informationsverarbeitungskapazitäten geschuldet ist.

Identität als Steuerungsmechanismus des Akteurs

Talcott Parsons (1968) begreift in diesem Sinne die Person als ein kyberne-
tisches  System,  in  dem  die  Identität  den  obersten  Steuerungsmechanismus
ausmacht.  Biologische  Antriebe  und  Bedürfnisse,  Motive,  Einstellungen  und
Wissen, also all die anderen handlungsbestimmenden Komponenten der Per-
sönlichkeit, werden durch diese interne Steuerung so kanalisiert, dass zeitliche
Kontinuität - was geordneten Wandel, vor allem Weiterentwicklung, durchaus
einschließt  -  und  sachliche  Konsistenz  der  Person  gewahrt  bleiben.

 Genau diese zeitliche und sachliche Einheit „... steht gegen den bloßen Ablauf eines
Menschenlebens...“  (Koch  1975:  134),  gibt  der  Biographie  eines  Menschen
eine  Sinngestalt,  die  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  zusammenhält.

Modi der Identitätsbestätigung

 Wie kommen Akteure zu einer Identität und in welchen Hinsichten gewinnt dieses Merkmal der Binnensphäre eines Akteurs Außenrelevanz?

 Hierauf gibt es zwei Antworten, die zusammen eine zirkuläre
Kausalität  beschreiben.  Die  eine  Antwort  lautet:  Die  Identität  eines  Akteurs
bedarf sozialer Bestätigungen. Das bedeutet zum zweiten: Die Identität eines
Akteurs  muss  in  dessen  Selbstdarstellung  sozial  präsentiert  werden.  Soziale
Bestätigungen und Selbstdarstellung bilden zusammen die Modi des Aufbaus
und der Wahrung einer Identität bzw. der Identitätsbestätigung. Schon in die-
ser thesenhaften Formulierung wird der kausale Zirkel erkennbar: Soziale Be-
stätigungen produzieren und reproduzieren die Identität; und die sozialen Be-
stätigungen sind ihrerseits Reaktionen auf die identitätsgesteuerte Selbstdar-
stellung des Akteurs

soziale  Bestätigungen

Es geht im Folgenden zunächst um den Zusammenhang von sozialen Bestätigungen  und  der  Identität  eines  Akteurs

Identitätsbehauptung ist eine Daueraufgabe des Akteurs, ein Prozess selbst dann, wenn die Identität
über längere Zeit identisch reproduziert wird. Dieser Prozess ist kein monolo-
gischer. Er vollzieht sich nicht im Inneren der Person, sondern in deren Ausei-
nandersetzung mit ihrer sozialen Umgebung. Darin liegt die fundamentale Be-
deutung  von  Sozialität  als  identitätssichernder oder -verunsichernder Umwelt
eines  Akteurs. Ebenso  wie  jemand  zur  umfassenden  Wahrnehmung  seiner
äußeren Erscheinung einer außerhalb seiner selbst befindlichen, ihn spiegeln-
den Fläche bedarf, so vermag auch niemand allein durch Introspektion zu er-
gründen,  wer  er  ist,  sein  will  und  soll,  sondern  benötigt  eine  seine  Identität
widerspiegelnde äußere Umwelt.

Nichtbestätigungen und Identitätsveränderungen

Wichtig  ist  allerdings,  dass  nicht  jede  einzelne
Nichtbestätigung gewissermaßen in einer Zug-um-Zug-Sequenz entsprechen-
de  Identitätsveränderungen  nach  sich  zieht.  Denn  Nichtbestätigungen  fallen
laufend  an.  Ein  Akteur  aber,  der  auf  jede  kleinste  Dissonanz  von  Selbstbild
und Fremdbildern reagierte, müsste sich so intensiv mit sich selbst beschäfti-
gen, dass er vor lauter Selbstreflektionen nicht mehr zu irgend etwas anderem
käme. Und selbst wenn diese Art von Dauerreflektion bewältigbar wäre, erfüll-
te eine sich ständig solchen Umwelteinwirkungen anpassende Identität gerade
nicht  ihre  Funktion,  Kontinuität  und  Konsistenz  ins  Handeln  des  Akteurs  zu
bringen und diesen mit einer Sinngestalt seiner Existenz zu versehen. Ein ge-
wisses Maß an Starrsinn und Beharrungsvermögen, an Selbstgewissheit ge-
genüber Nichtbestätigung, ist also durchaus funktional.

Selbstgewissheit  gegenüber  aktuellen  Nichtbestätigungen

Eine  solche  Selbstgewissheit  gegenüber  aktuellen  Nichtbestätigungen  be-
ruht  auf  akkumulierten  vergangenen  Bestätigungen  des  betreffenden  Identi-
tätsbestandteils. Mit deren Rückendeckung vermag man einzelne Nichtbestä-
tigungen zwar als solche anzuerkennen, in ihrer stets mitschwingenden, erst
eigentlich  einen  Veränderungsdruck  erzeugenden  generalisierten  Berechti-
gung jedoch zurückzuweisen. Man verweist sich selbst und andere dann dar-
auf,  dass  der  betreffende  Identitätsbestandteil  in  vergleichbaren  Situationen
bei anderen Gelegenheiten vielfach bestätigt worden ist.

 

Soziale  Bestätigungen

Soziale  Bestätigungen  sehen  im  Übrigen  nicht  notwendigerweise  so  aus,dass gutgeheißen wird, wie jemand ist und sein will, sondern bedeuten ledig-lich  kognitive  Übereinstimmungen.  Ein  anderer  braucht  beispielsweise  keinChrist zu sein, um jemanden, wie kritisch, spöttisch oder verächtlich auch im-mer,  als  solchen  hinzunehmen. Die  soziale  Bestätigung  eines  Identitätsan-spruchs  erfordert  nicht  einmal  unbedingt  eine  Übereinstimmung  der  beider-seits verwendeten Typisierungen, solange sie nur für den Betreffenden inein-ander  übersetzbar  sind.  Jemand  kann  sich  selbst  als  Sozialrevolutionär  auf-fassen und von der Staatsgewalt und den Massenmedien als Verbrecher ein-gestuft werden: Berücksichtigt er den Interpretationsrahmen der anderen, be-stätigt ihn dies in seiner Selbstdefinition.

subjektive  Priorität

Je  höhere  subjektive  Priorität  ein  bestimmter  Identi-
tätsbestandteil aufweist, desto mehr unterliegt die betreffende Person der Ge-
fahr, bei der Umdefinition von Nichtbestätigungen den Realitätskontakt zu ver-
lieren. Das ist auch alltagsweltlich geläufig. Am unkritischsten sich selbst ge-
genüber ist man bei den Dingen, die einem am meisten am Herzen liegen. 

Identitätsbehauptung vs Lernbereitschaft

In der Regel läuft Identitätsbehauptung aber eben nicht auf einen völlig ver-
blendeten  Starrsinn  -  umgekehrt  betrachtet:  eine  grenzenlose  Flexibilität  von
Umdefinitionsmanövern  -  hinaus,  sondern  auf  verzögerte  Lernbereitschaft.
Wie  sehr  soziale  Bestätigungen  und  Nichtbestätigungen  letzten  Endes  die
Identität  einer  Person  formen  und  gegebenenfalls  immer  wieder  verändern,
zeigt sich im Extremfall daran, wie effektiv - was hier natürlich in einem rein
technischen Sinne gemeint ist - Gehirnwäsche funktioniert.

Gehirnwäsche beweist, dass jemand sich sozialen Einflüssen auf Dauer
nicht  zu  entziehen  vermag.  Wenn  einem  nur  lange  genug  mit  hinreichender
Penetranz gesagt wird, man sei jemand, der so und so ist und zu sein hat und
sogar sein will, und man besitzt keine Chance, die andere Art von Person, die
man  von  seiner  bisherigen  Biographie  her  geworden  ist  und  auch  weiterhin
sein will, noch sozial bestätigt zu bekommen, wird man so, wie es einem ein-
getrichtert wird.

„Programmierung“ der Identität einer Person

Das Beispiel der Gehirnwäsche weist darauf hin, dass eine derartige „Pro-
grammierung“ der Identität einer Person von außen dann, aber nur dann ge-
lingt, wenn die normalerweise gegebene Pluralität und Optionalität der sozia-
len  Einflüsse  rigoros  ausgeschaltet  wird.  Bezüglich  der  meisten  Bestandteile
seiner Identität unterliegt ein Akteur mehr oder weniger vielfältigen Einflüssen,
die einander relativieren und die er selbst auch in seiner inneren Verarbeitung
teilweise gegeneinander auszuspielen vermag. Der Akteur kann, bewusst oder
unbewusst,  seine  Umwelt  partiell  so  wählen  und  gestalten,  dass  er  eher  mit
sozialen Bestätigungen als Nichtbestätigungen konfrontiert wird. Er ist, anders

als  bei  der  Gehirnwäsche,  kein  bloß  passives  Opfer  der  auf  ihn  niederpras-
selnden  sozialen  Bestätigungen  bzw.  Nichtbestätigungen,  sondern  vermag
diese über Umdefinitionen hinaus aktiv zu verarbeiten und zu steuern. 

Selbstdarstellung

Damit  die  Identität  eines  Akteurs  allerdings  überhaupt  soziale  Bestätigun-
gen oder auch Nichtbestätigungen erhalten kann, muss sie von ihm sozial zum
Ausdruck  gebracht  werden.  Dazu  muss  der  Akteur  in  seinem  Handeln  eine
Selbstdarstellung betreiben, die mehr von ihm zum Ausdruck bringt als ein nur
auf  den  Homo  Sociologicus  oder  den  Homo  Oeconomicus  oder  auch  den
„Emotional man“ reduziertes Auftreten. Wenn jemandes Handeln vollkommen
in der Rolle aufgeht, die er einzunehmen hat, wird er als Person mit einer ei-
genen Identität unkenntlich. Ebenso kommt bei jemandem, der immer nur sei-
nen jeweiligen Nutzen rational verfolgt, dessen Identität allenfalls rudimentär in
manchen  Nutzenausprägungen  zum  Ausdruck  -  und  auch  das  nur  implizit.

Diskrepanz

Jeder kennt beispielsweise Alltagssituationen, in denen er - vor allem
in seiner Berufsrolle - gegenüber anderen Akteuren Rollenerwartungen einzu-
halten hat, die nicht damit übereinstimmen, wie er „als Mensch“ mit der Situa-
tion umgehen würde. Eine gleiche Diskrepanz kann sich aber auch zwischen
der eigenen Identität und rationaler Nutzenverfolgung ergeben (Monroe 1991:
15-18) - wenn jemand beispielsweise schweren Herzens darauf verzichtet, die
ersehnte, aber brotlose Künstlerkarriere einzuschlagen, und stattdessen einen
ungeliebten, aber den Lebensunterhalt sichernden Beruf ergreift. Und dass es
immer wieder vorkommt, dass Menschen sich nachträglich darüber schämen,
wie sie emotional „ausgerastet“ sind, zeigt, dass gerade auch der „pure emoti-
onal man“ entgegen manchem modischen Gerede über die Authentizität von
Gefühlen nicht immer die Identität der Person zum Ausdruck bringt. Damit ist
klar,  dass  Identitätsbehauptung  einen  Handlungsantrieb  darstellt,  der  nicht
schon  beiläufig  durch  Normkonformität,  rationale  Nutzenverfolgung  oder  das
Ausleben  von  Emotionen  mitbedient  wird,  sondern dem Handeln eine eigen-
ständige Signatur aufprägen muss.

Auslöser von Identitätsbehauptung

Der wichtigste Auslöser identitätsbehauptenden Handelns sind aktuelle oder antizipierte Identitäts-
bedrohungen. Identitätsbedrohungen sind massive und dauerhafte, also nicht bloß  vorübergehende  Infragestellungen  der  evaluativen  und  normativen Selbstansprüche eines Akteurs. Die Realisierung dieser Ansprüche wird problematisch oder definitiv unmöglich. Dabei lassen sich vor allem drei Typen von Identitätsbedrohungen  unterscheiden:  spezifische  substantielle  Identitätsbedrohungen, indirekte Identitätsbedrohungen durch Existenzgefährdungen und schließlich Identitätsbedrohungen durch Entindividualisierungserfahrungen.