FUH SS15
Fichier Détails
Cartes-fiches | 35 |
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Langue | Deutsch |
Catégorie | Psychologie |
Niveau | Université |
Crée / Actualisé | 21.07.2015 / 14.06.2024 |
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„sozial“
Wäh-
rend im Alltag meist diejenigen als „sozial“ bezeichnet werden, die sich in ir-
gendeiner von der Allgemeinheit positiv anerkannten Form fürsorglich oder
wohltätig um andere Menschen bemühen, entscheidet nach soziologischem
Verständnis allein eine bestimmte innere Ausrichtung des Handelns, nämlich
die subjektiv sinnhafte Ausrichtung an anderen, über den sozialen Charakter
des Handelns. Danach kann auch ein Handeln, das uns im Alltag als „unsozi-
al“ oder gar „a-sozial“ erscheint, soziales Handeln sein. Betrüger oder Mörder
beispielsweise handeln nach soziologischem Verständnis sozial, weil sie ja
gerichtet und bezogen auf ihr Opfer handeln.
dass Handeln von sozialen Strukturen geprägt sein kann
Des Weiteren muss man sich klar machen, dass Handeln von sozialen
Strukturen geprägt sein kann und dennoch kein soziales Handeln im Sinne der
obigen Definition sein muss. Wenn beispielsweise jemand Holz hackt, um et-
was zum Verfeuern zu haben, ist dies kein soziales Handeln. Denn als subjek-
tiver Sinn tauchen hierbei nur Bezüge auf Sachen - das Holz, die Axt, den
Hackklotz - sowie auf je eigene Bedürfnisse auf. Freilich ist auch dieses Han-
deln durch und durch sozial mitbedingt. Der Holzhacker nutzt mit der Axt einen
kulturell spezifischen Gegenstand, er hat sich das Holzhacken nicht selbst
beigebracht, sondern von anderen gezeigt bekommen und gelernt, und sein
Handeln wird in bestimmten Gesellschaften nur möglich, wenn er über weitere
Ressourcen verfügt, zum Beispiel über die Mittel, sich das nötige Werkzeug zu
leisten oder über eine Erlaubnis, in einem Waldgebiet Holz zu schlagen. Auch
- in Webers Verständnis - nicht-soziales Handeln ist also üblicherweise sozial
geprägt.
Einseitigkeit und Wechselseitigkeit sozialen Handelns
Eine weitere wichtige Implikation der soziologischen Bestimmung von sozia-
lem Handeln ist, dass dieses einsam und einseitig sein kann. Auch das mar-
kiert einen Unterschied zum Alltagsverständnis, in dem in der Regel davon
ausgegangen wird, dass Handeln dann „sozial“ ist, wenn der oder die Interak-
tionspartner, auf die man sich bezieht, anwesend sind und reagieren. Der so-
ziologische Begriff des sozialen Handelns dagegen umfasst, dass die ande-
ren, an denen sich soziales Handeln orientiert, leibhaftig räumlich anwesend
sein können, dass sie aber auch weit weg sein können und zum Beispiel nur
über Telekommunikationstechniken anwesend sind.
soziale Beziehung
Wenn Wechselseitigkeit des sozialen Handelns zustande kommt, die Beteilig-
ten ihr soziales Handeln aneinander ausrichten, dann liegt nach Weber eine
soziale Beziehung vor (Schneider 2002: 57-64). Wechselseitiges soziales
Handeln, also „... ein seinem Sinngehalt nach aufeinander gegenseitig einge-
stelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer ...“, konstituiert die
soziale Beziehung
Weiterhin können soziale Beziehungen auf unmittelbarer räumlicher
Kopräsenz beruhen, können aber auch zwischen räumlich dauerhaft getrenn-
ten Handelnden bestehen, wie etwa eine jahrelange Brieffreundschaft beweist.
motivationale Verschränkung
In sozialen Beziehungen bildet sich eine eigentümliche motivationale Ver-
schränkung zwischen den Beteiligten heraus. Die „Um-zu-Motive“ des einen
werden zu „Weil-Motiven“ des anderen, und umgekehrt (Schütz 1932: 223-
227). 16 Beispielsweise frage ich mein Gegenüber etwas, um eine Antwort zu
erhalten; und das Gegenüber antwortet mir, weil ich gefragt habe.
Unterlassungshandeln
In solchen Zusammenhängen wechselseitig aufeinander bezogenen Handelns
wird im Übrigen nochmals deutlich, dass Nicht-Handeln unter bestimmten Um-
ständen ebenfalls als Handeln gewertet wird: wenn ein Handeln, das das Ge-
genüber von mir erwartet, ausbleibt (Geser 1986). Solches Unterlassungshan-
deln kann streng genommen nicht beobachtet werden. Denn es passiert ja
eben nichts. Aber vor dem Hintergrund andersartiger Erwartungen wird das
Nichtgeschehen doch sichtbar. Wenn ich meiner Freundin jeden Morgen einen
Kuss gebe und dies dann eines Tages ausbleibt, ist dieses Unterlassen eine
Handlung: für sie, die sich fragt, ob ich mich etwa über sie ärgere oder gar mit
meinen Gedanken bei einer anderen Frau bin, und für mich, wenn ich die
Nichtgewährung des Kusses als demonstrative Bestrafung einsetze.
Jede soziale Beziehung stellt was dar?
Jede soziale Beziehung, ob einmalig oder dauerhaft und ob eher über Ak-
tivhandeln oder eher über Unterlassen konstituiert, stellt damit bereits ein han-
delndes Zusammenwirken von Akteuren dar. Im Weiteren geht es um die ver-
schiedenen soziologischen Akteurmodelle, die dem zugrunde liegen.
Akteure und Handlungswahlen
Die sozial Handelnden werden in der Soziologie mit dem Terminus Akteur bzw. Akteure bezeichnet.
Die Soziologie interessiert sich
nur für einen Ausschnitt, nämlich eben für die Person als Handelnde, und da-
bei insbesondere für die in sozialen Zusammenhängen handelnde Person. Der
Begriff des Akteurs bezieht sich immer schon auf den Handelnden, nicht auf
den Sich-Verhaltenden, und setzt damit die im Vorangegangenen geschilder-
ten Begriffsbestimmungen voraus. Der Akteurbegriff umfasst also Einheiten,
die sinnhaft und zielgerichtet handeln, und denen wiederum von anderen Ak-
teuren Handeln zugeschrieben werden kann.
Akteurbegriff erfasst Handeln als Handlungswahlen
Der Begriff impliziert dabei zudem, was weiter oben mit dem Modell der
wechselseitigen Konstitution von sozialem Handeln und sozialen Strukturen
bzw. dem Modell der soziologischen Erklärung (Kap. 1.2; 1.3) beschrieben
wurde: dass Handeln immer in sozialen Situationen stattfindet, in denen sich
die Akteure orientieren, also die jeweils gegebene Situation für sich interpretie-
ren und definieren, und dann zwischen verschiedenen Handlungsalternativen
wählen. Die sozialen Situationen, in denen sich ein Akteur wiederfindet, de-
terminieren ihn oder sie nicht zu einem bestimmten Handeln, sondern der Ak-
teurbegriff erfasst Handeln als Handlungswahlen. Dabei ist der Akteur natür-
lich nicht „frei“, sondern bei seiner Handlungswahl auf die gegebenen Alterna-
tiven in der jeweiligen Situation verwiesen. Der soziologische Akteurbegriff
betont, dass die Handlungswahlen eingebettet sind in soziale Situationen und
geprägt werden von den sozialen Strukturen, die diese Situationen kennzeich-
nen.
Individuum
Die sozialen Strukturen eröffnen Handlungsmöglichkeiten oder schränken
sie ein, und prägen so den Alternativenraum für die Handlungswahlen. Darin
liegt ein Unterschied zum Begriff des Individuums, mit dem in einem älteren
und durch die Philosophie der Aufklärung aufgeladenen Sprachgebrauch die
Idee der Autonomie des Einzelnen gegenüber den sozialen Strukturen bzw.
gegenüber der Gesellschaft akzentuiert wird.
individuelle und überindividuelle Akteure
Das Besondere am Akteurbegriff ist schließlich auch, dass er sich nicht nur
auf den Einzelnen bezieht. Es kann der oder die individuell Handelnde gemeint
sein; Akteure können aber auch Organisationen, soziale Gruppen oder soziale Bewegungen sein. Letztlich können nur die Einzelnen handeln, aber Organisationen, soziale Gruppen oder Bewegungen sind
gewissermaßen aus Einzelnen „zusammengesetzte“ handelnde Einheiten.
Solche „composite actors“ (Scharpf 1997: 52/53) handeln nach Außen hin wie
eine Person nach Maßgabe einer gemeinsamen Zielsetzung. Sie werden des-
halb als überindividuelle Akteure im Unterschied zu individuellen Akteuren be-
zeichnet. Der Akteurbegriff kann daher zum Beispiel auch auf Verbände,
Unternehmen, Regierungen usw. angewendet werden.
Akteurmodelle
Akteurmodelle sind generelle theoretische Modelle, die als Erklärungswerk-
zeuge für das Handeln der Akteure dienen. Mit ihnen lässt sich erfassen, wa-
rum Handelnde aus den ihnen situativ verfügbaren Handlungsalternativen die-
jenige auswählen, die sie dann auch tatsächlich ausführen - wobei der Alterna-
tivenraum eben strukturell bestimmt ist. Die Akteurmodelle fokussieren und
bündeln jeweils bestimmte der Strukturdeterminanten, die für die Handlungs-
wahlen bedeutsam sind, und stellen so die Verknüpfung der Handlungswahl
zur „Logik der Situation“ her. Mittels der Modelle lassen sich Handlungswahlen
auf je andere sie prägende sozialstrukturelle Handlungsbedingungen zurück-
führen. Man erhält so einige wenige analytische Akteurmodelle für die „Logik
der Selektion“, wobei die Modelle eben - wie noch ausführlicher gezeigt wird -
jeweils recht unterschiedliche Elemente sozialer Strukturen heranziehen.
Worauf beruhen die Akteurmodelle?
Den Modellen liegen jeweils verschie-
dene dominierende Handlungsantriebe zugrunde, d.h. sie stellen auf vereinfa-
chenden Annahmen beruhende Muster von Triebkräften des Handelns dar.
Es geht bei den Ak-
teurmodellen um fundamentale und zugespitzte Typen von Motiven sozialen
Handelns. Solche Modelle beschreiben also nicht, welche konkreten und situa-
tionsspezifischen Motive jemand im Einzelfall hat, sondern sie bringen in ab-
strahierender Weise auf den Begriff, was den typischen Akteur in einer be-
stimmten sozialen Situation antreibt.
vier Arten von Handlungsantrieben
Ein erstes Modell, das bis heute den Mainstream in der soziologischen
Handlungstheorie repräsentiert, ist der Homo Socio-
logicus. Dies ist das Modell eines Akteurs, der sein Handeln an sozialen Nor-
men ausrichtet. Normative Erwartungsstrukturen zeigen ihm an, worum es ihm
in einer Situation zu gehen und wie er entsprechend zu handeln hat.
Dem Homo Sociologicus steht als zweites Akteurmodell der Homo Oeco-
nomicus gegenüber. Das ist ein Akteur, der
so handelt, dass er seinen eigenen erwarteten Nutzen unter geringstmögli-
chem Aufwand maximiert.
Ein drittes Akteurmodell ist der „Emotional man“ (Flam 1990a).
Emotionale Handlungsantriebe werden durch andere sozialstrukturelle Deter-
minanten ausgelöst als norm- oder nutzenorientiertes Handeln.
Ein viertes Akteurmodell ist schließlich der Identitätsbehaupter. Es gibt
Handlungen, die jemand nur oder hauptsächlich deshalb ausführt, weil er nach
außen oder sich selbst dokumentieren will, wie er sich selbst sieht und gesehen werden will. Das gilt zum Beispiel für solches Handeln, bei dem jemand seiner Gesinnung folgt und dafür teilweise große persönliche Kosten auf sich
nimmt.
Verhalten
Verhalten ist zunächst jedes „... körperliche Geschehen in Raum und Zeit ...“ (Luckmann 1992: 38), und damit etwas, was Mensch und Tier gemeinsam haben. In diesem weiten Sinne gehören physiologische Vorgänge im Inneren
des Körpers, etwa die Blutzirkulation, ebenso zum menschlichen Verhalten wie das Denken als Nervenerregung oder das Heben eines Arms als äußerliche Körperbewegung.
Verhalten kann ursächlich erklärt werden, also auf bestimmte physikalische, chemische und biologische Faktoren und Zusammenhänge zurückgeführt werden. Vieles, was ein Mensch im Laufe eines Tages und seines gesamten Lebens tut, ist bloßes Verhalten. Das meiste davon bleibt soziologisch ganz unerheblich, weil es keinerlei nennenswerte Relevanz für Handeln und soziale Strukturen hat.
In mindestens drei Fällen ist allerdings bereits bloßes Verhalten soziologisch bedeutsam
Erstens gehört Verhalten manchmal zu den prägenden Bedingungen der Handlungsmöglichkeiten eines Akteurs - wenn etwa dessenkörperliche Konstitution sein Verhaltensrepertoire bestimmt und ihm gewisse Aktivitäten gestattet oder verbietet.
Zweitens ist in Rechnung zu stellen, dass ein bloßes Verhalten des Gegenübers auf Seiten anderer Akteure ein Handeln hervorrufen kann. Beispielsweise kann ein plötzlicher Ohnmachtsanfall die Umstehenden dazu bringen, erste Hilfe zu leisten und einen Arzt zu verständigen.
Drittens schließlich kann massenhaft gleichartiges Verhalten von Menschen soziale Wirkungen zeigen, also neben handelndem Zusammenwirken zu den Faktoren gehören, die bestimmte soziale Strukturen aufbauen, erhalten
oder verändern, wie etwa bei einer Panik.
Handeln und Sinn
Max Weber (1922: 2, Hervorh. weggel.) definiert Handeln allgemein - also noch nicht soziales Handeln - als „... menschliches Verhalten (einerlei ob äußerliches oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) ..., wenn und insofern der oder die Handelnden mit ihm einen subjektivenSinn verbinden.“
Verhalten ist demnach das Allgemeinere, wovon Handeln eine Sonderform darstellt, nämlich subjektiv sinnhaftes Verhalten. Weber bindet mit dieser Definition das Vorliegen von Handeln daran, dass eine Absicht verfolgt wird, dass diese Absicht dem Handelnden auch bewusst ist und für ihn den Sinn seines Handelns ausmacht.
Intentionalität
Intentionalität meint die Gerichtetheit des Tuns im Sinne einer willentlichen Bereitschaft, die das Tun anleitet.
Ein solches Tun wäre mit der strengen Begriffsbestimmung von Max Weber nicht als „Handeln“ zu erfassen, es kann aber eben auch nicht einfach in den Bereich des Verhaltens abgeschoben werden - darauf hat insbesondere die phänomenologische Betrachtungsweise von Alfred Schütz und Thomas Luckmann hingewiesen, auf die weiter unten noch ausführlicher eingegangen wird.
Das Aufsetzen der Füße morgens beim Aufstehen ist also mehr als ein Verhalten. Es ist ein gerichtetes Tun, das von einem umfassenderen Motiv getragen wird. Auch ein solches, mit Blick auf eine konkret vorliegende Absicht weniger
bewusstes Tun setzt Intentionalität voraus.
Routinen
Beim alltäglichen Handeln und auch im sozialen Zusammenleben wimmelt es nur so von solch weniger bewusstem Tun. Es kommt immer dann vor, wenn Akteure etwas sehr routiniert tun. Max Weber (1922: 12) hat das bei seinem
Typ des „traditionalen“ Handelns bemerkt. Hierunter fasst er jedes Handeln, das eine „eingelebte Gewohnheit“ bildet. Dies können kollektive Gewohnheiten sein, etwa die Art, wie man sich in Deutschland am Telefon meldet, nämlich mit Namen und nicht bloß, wie etwa in den USA, mit „Hallo“. Es können auch individuelle Gewohnheiten sein, zum Beispiel der Weg, den ich tagein, tagaus von der Wohnung zum Arbeitsplatz nehme. Für all solche Handlungsweisen gilt, dass sie mindestens an der Grenze zum „dumpfen“ Verhalten liegen, weil die zugrunde liegenden Motive bewusstseinsmäßig so in den Hintergrund getreten sind, dass die Person bezeichnenderweise zumindest überrascht reagiert, wenn man sie fragt, warum sie so und nicht anders handelt. Weber vermerkt mit Recht: „Die Masse alles eingelebten Alltagshandelns nähert sich diesem Typus ...“ Und dass solche Routinen mehr sind als bloßes Verhalten, merken wir immer dann, wenn die Umwelt gegebenenfalls Handeln statt blo-
ßem Verhalten erwartet und nicht selten sogar so tun kann und auch so tut, als ob der Betreffende gehandelt hätte und sich nicht bloß verhalten hat. Diese Handlungszumutung und Handlungsfiktion kommt vor allem dann zum Tragen, wenn es gilt, Verantwortung für bestimmte Ereignisse zuzurechnen.
Sinn als Selbstverstehen
Die Konstitution von Sinn beruht danach auf einer bestimmten Art des Erlebens des Subjekts, die Luckmann (1992: 28-33) als sukzessive Verdichtung des Bewusstseinsstromes zu Erlebnissen und der Verdichtung dieser Erlebnisse zu Erfahrungen präzisiert hat. Im ständigen Bewusstsein seiner selbst, also der eigenen Körperlichkeit und der darüber wahrgenommenen Geschehnisse in der Welt „draußen“, konturieren sich für
einen Menschen immer wieder Erlebnisse als thematische Kerne, und deren Typisierung zu generalisierbaren Mustern bildet Erfahrungen, zum Beispiel über die Beschaffenheit von Dingen oder den Ablauf sozialer Vorgänge.
Längst nicht alle Erlebnisse im unablässigen passiv „erlittenen“ Bewusstseinsstrom werden zu Erfahrungen verdichtet; aber wenn dies passiert, wird eine gegenwärtige Erfahrung aktiv in einem sich im Bewusstsein vollziehenden inneren Vorgang des Zuordnens zu anderen subjektiven Erfahrungen und des Einordnens in den je eigenen Erfahrungsschatz interpretiert. Sinn wird als reflexive Relationierung von Erlebnissen mit anderen Erlebnissen konstituiert.
Sinn nach Niklas Luhmann
Sinn ist also, wie Niklas Luhmann (1971; 1984: 92-147) es dezidiert formuliert, ein Verweisungszusammenhang, der aktuelle Erlebnisse mit anderen verknüpft. Das können vorausgegangene Erlebnisse sein, zum Beispiel wenn
jemand sein aktuelles berufliches Scheitern auf frühere Faulheit zurückführt und dem gegenwärtigen Erlebnis so Sinn, nämlich eine subjektiv überzeugende - wenngleich sicher bittere - Bedeutung zuweist.
Aktuelle Erlebnisse können aber auch in Verweisungszusammenhänge mit für die Zukunft vorstellbaren und vom Betreffenden selbst herbeiführbaren Erlebnissen gebracht, also mit antizipierten Erfahrungen verknüpft werden.
phänomenologische Konstitutionsanalysen von Sinn
Das Ergebnis der phänomenologischen Konstitutionsanalysen von Sinn lautet, dass Sinn auf einem innerbewusstseinsmäßigen Prozess der Selbstauslegung beruht und in Selbstverstehen besteht, und deshalb immer nur Sinn für ein Subjekt ist.
Jemand stellt sich dann zum Beispiel vor, dass das aktuell erlebte unaufmerksam erscheinende Auf-die-
Straße-laufen eines anderen beim ebenfalls aktuell erlebten Straßenverkehr in Kürze, also zukünftig zu einem Unglück führen könnte, stellt sich weiterhin aufgrund vergangener Erfahrungen vor, dass der andere einen gehobenen Arm als Warnsignal interpretieren und innehalten wird, wodurch sich das Unglück vermeiden ließe. Er verleiht der Situation - und auch einem möglichen zukünftigen Handeln, nämlich dem Entschluss, durch tatsächliches Armheben den anderen zu warnen - dadurch Sinn, dass er das aktuell Erlebte einerseits mit früher gemachten subjektiven Erfahrungen und andererseits mit vorweggenommenen subjektiven Vorstellungen in Beziehung bringt.
Handeln als Entwurf
Vorweggenommene Erfahrungen, auf die sich jemand subjektiv sinnhaft bezieht sind Handlungsentwürfe - wie im obigen Beispiel diejenige Person, die sich entschließt, den Arm zu heben, weil sie antizipiert, dass die abgelaufene Handlung, also der gehobene Arm, als Warnung verstanden werden wird. Handeln ist demnach ein über einen auf Zukünftiges gerichteten Entwurf motivational gesteuerter Ablauf des Tuns. Verhalten dagegen ist nicht an einer in die Zukunft gerichteten Erfahrung orientiert.
Um-zu- und Weil-Motive
„Um-zu-Motive“ charakterisieren den Handlungsentwurf.
Ich tue dies, um ein Handlungsziel zu verwirklichen. Beispielsweise: Ich ermorde jemanden, um an sein Geld zu gelangen. In diesem Fall formuliert das „Um-zu-Motiv“ einen bestimmten, von mir auch bewusst verfolgten Zweck.
Es gibt jedoch auch „Um-zu-Motive“, die keine Ziele im Sinne solcher Zwecke darstellen. Etwa: Ich prügele auf jemanden ein, um meine Wut „rauszulassen“ - und nicht, um ihn zur Fügsamkeit mit meinen Wünschen zu bringen. Vielleicht bewirke ich das; aber dies war nicht mein Ziel. Mein Handlungsentwurf bestand viel-
mehr darin, eine Emotion auszuleben; und was dies weiter bewirkt, ist mir momentan völlig egal und steht mir nicht bewusst vor Augen. Dennoch ist das „Prügeln“ ein auf Zukünftiges gerichteter motivational gesteuerter Ablauf meines Tuns und folglich ein Handeln.
Um-zu-Motive sind für Handeln konstitutiv. Handeln liegt also dann vor, wenn jemand Ausschnitte seines erlebten Verhaltensstroms über zukunftsgewandte Um-zu-Motive selbst versteht.
Weil-Motive
Ich bin beispielsweise zum Mörder geworden, weil ich dazu durch schlechte Gesellschaft, in die ich hineingeraten bin, angestiftet worden bin. Auf den ersten Blick könnte es vielleicht so scheinen, als wären dies zwei alternative Erklärungsangebote. Aber genau besehen erklären die „Weil-Motive“ ein Handeln niemals unmittelbar, sondern immer nur mittelbar, indem sie die jeweiligen „Um-zu-Motive“ erklären: „Indessen das Um-zu-Motiv, ausgehend vom Entwurf, die Konstituierung der Handlung erklärt, erklärt das ... Weil-Motiv aus vorvergangenen Erlebnissen die Konstituierung des Entwurfes selbst.
Nur weil ich in schlechte Gesellschaft geraten und moralisch verwahrlost bin, konnte ich überhaupt auf die
Idee kommen, mir das benötigte Geld durch einen Mord und nicht etwa durch ehrliche Arbeit zu verschaffen. Die „Weil-Motive“ sind also subjektiver Ausdruck der sozialen Prägung des Handelns durch die „Logik der Situation“; sie
sind dem Handelnden nicht unbedingt bewusst und kennzeichnen auch unbewussteres Tun wie zum Beispiel Routinen.
Selbst- und Fremdverstehen
Darüber, wie bei uns ein bestimmtes äußerliches Verhalten mit einem bestimmten Handeln, also subjektivem Sinn, verbunden ist, erschließen wir den Sinn des gleichartigen Verhaltens als Handeln beim anderen. Eine zwangsläufige Eins-zu-Eins Zuordnung eines bestimmten Handelns zu einem bestimmten beobachtbaren Verhalten gibt es aber nicht, da „... Handeln grundsätzlich nicht am beobachtbaren Verhalten ablesbar ist.
Reziprozität der Perspektiven
Wir überbrücken die Unzugänglichkeit des anderen Bewusstseins durch eine generelle Unterstellung der „Reziprozität der Perspektiven“
Wir sehen beispielsweise, dass jemand seinen Regenschirm aufspannt - also zunächst, solange wir das Motiv dahinter nicht kennen, für uns nur ein bestimmtes Verhalten zeigt: „Wir haben die Handlung des anderen als Ablauf der äußeren Welt wahrgenommen und gedeutet.“ Dann kommt das Fremdverstehen als Übertragung von Selbstverstehen auf den anderen: „Von dieser Handlung her können wir die Serie der Bewusstseinserlebnisse, in welchen sich für den Handelnden die Handlung konstituierte, phantasierend nachvollziehen, indem wir die wahrgenommene und gedeutete Handlung als eine von uns zu setzende Handlung entwerfen.
Wir machen uns etwa klar, dass wir selbst den Regenschirm aufspannen, wenn es zu regnen anfängt und wir draußen nicht nass werden wollen. Dieses Motiv unterstellen wir jetzt auch dem anderen.
Plausibilitätsprüfungen
Dass das keine völlig haltlose Spekulation darstellt, zeigt sich daran, dass wir
normalerweise mehr oder weniger umfangreiche Plausibilitätsprüfungen vor-
nehmen. Wir schauen etwa, ob es regnet und der andere nach draußen geht -
und wenn beides der Fall ist, geben wir uns in so einem vergleichsweise be-
langlosen Fall zufrieden.
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