Pädagogische Psychologie PPJ07

VL07 Kognitive Entwicklung

VL07 Kognitive Entwicklung

Robert Gauss

Robert Gauss

Kartei Details

Karten 10
Lernende 11
Sprache Deutsch
Kategorie Pädagogik
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 22.05.2013 / 30.05.2021
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Was ist kognitive Entwicklung aus kognitiv-konstruktivistischer Sicht (Piaget)?

Für den Biologen, Philosophen, Psychologen und Pädagogen Jean Piaget ist Wissen gleichbedeutend mit Intelligenz und diese wiederum ein besonderer Fall biologischer Anpassung (Mietzel 2007:80). Er fragte danach, wie sich Menschen aufgrund ihrer Anlagen an ihre Umwelt anpassen können. (Staub 2013:18)

Was versteht Piaget unter Assimilation und Akkommodation?

Anpassung durch Assimilation: In Analogie zum biologischen Prozess des Einverleibens und Einpassens von Objekten in vorhandene Strukturen versteht Piaget das „Einverleiben“ von neuem Wissen in bereits vorhandenes Wissen.

Anpassung durch Akkommodation: Prozesse der Akkommodation gehen einher mit einer Veränderung der eigenen Wissenstruktur.

 

Was ist kognitive Entwicklung aus sozio-kultureller Sicht (im Anschluss an Wygotski)?

Im Gegensatz zu Piaget geht der russische Pädagoge Lew Wygotski nicht davon aus, dass es eine allgemeine Entwicklung der kognitiven Funktionen unabhängig von Kultur und Zeit gebe. (Staub 2013:49) Den Ursprung kognitiver Prozesse sieht er in sozialen und kulturellen Prozessen. Kognitive Fähigkeiten entwickeln sich auf der Grundlage sozialer Kontakte, durch Interaktion mit Erwachsenen oder kompetenten Gleichaltrigen. Für Wygotski beeinflusst diese Interaktion nicht nur die kognitive Entwicklung, sondern bringt sie recht eigentlich hervor. (Mietzel 2007:108)

Was treibt die kognitive Entwicklung voran (a) bei Piaget und (b) bei Wygotski?

(a) Piaget: Äquilibration: Motor der kognitiven Entwicklung

  • Äquilibration - Zustand des kognitiven Gleichgewichts zwischen vorhandenen Schemata des Individuums und neuen Informationen aus der Umgebung.
  • Piaget: aktuellen Erfahrungen werden konstant mit dem in Form von Schemata vorhandenen Wissen überprüft.
  • Auftretende Diskrepanzen stören den Gleichgewichtszustand (Disäquilibration).
  • Akkommodationsprozesse verändern Schemata bis ein neues Gleichgewicht hergestellt ist.
  • Die Koordination von verschiedenen Schemata führt zunehmend zu komplexeren kognitiven Strukturen
  • Sämtliche Schemata und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen bilden die aktuelle kognitive Struktur.

-> individueller Konstruktivismus

(b)  Wygotski: Kognitive Prozesse haben ihren Ursprung in sozialen und kulturellen
Prozessen

Höhere mentale Fähigkeiten sind zuerst auf der interpersonalenEbene vorhanden und treten erst allmählich durchInternalisierung auf der intrapersonalen Ebene auf.

-> sozialer Konstruktivismus

 

Welche Mechanismen liegen laut Piaget der kognitiven Entwicklung zugrunde?

1. Reifung/biologische Prozesse

  • stehen unter genetischer Kontrolle
  • können aber nur in Interaktion mit Umwelteinflüssen wirksam werden
  • Geschwindigkeit der kognitiven Entwicklung abhängig von Reifungsprozessen im Gehirn
  • kognitive Entwicklung durch spezielles Training beschleunigen zu wollen ist aussichtslos

2. aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt

  • Kinder als Lernende, die sich ihr Wissen mit Hilfe ihres Vorwissens selbst konstruieren
  • Aufgabe von Lehrern oder Eltern ist es, eine der kognitiven Entwicklung entsprechende Lernumgebung zu schaffen, welche das Interesse des Kindes herausfordert und zur Eigenaktivität anregt.

3. soziale Erfahrungen

  • Für Piaget spielen soziale Interaktionen eine (untergeordnete Rolle
  • Interaktion zwischen Gleichaltrigen wichtig (Gelegenheit zur Diskussion zwischen Ebenbürtigen)

4. Streben nach Gleichgewicht (Äquilibration)

  • Streben nach Gleichgewicht zwischen vorhandenen Schemata und neuen Informationen aus der Umgebung als Motor

 

Was ist der Zusammenhang zwischen Entwicklung und Lernen (a) in der Theorie von Piaget und (b) in der Theorie von Wygotski?

(a) Piaget

  • kognitive Entwicklung stark durch biologische Reifung angetrieben;
  • kognitive Entwicklung geht dem Lernen voraus
  • vordefiniertes Stufenmodell

(b) Wygotski

  • Lernen ist Werkzeug der Entwicklung: durch Lernen wird die Entwicklung auf höhere Niveausgezogen.
  • kein Stufenmodell
  • Sprache als Werkzeug

 

Welche grundlegenden Stufen der kognitiven Entwicklung hat Piaget auf der Grundlage seiner Forschungsarbeiten gefunden? Wie lassen sich diese charakterisieren?

1. sensomotorische Phase (0-2 Jahre)

  • körperliche Erfahrungen
  • Weiterentwicklung der elementaren Reflexschemata durch Assimilation und Akkomodation
  • Entwicklung der Objekt-Permanenz
  • Unterscheidung zwischen Ich und Umwelt (Erkennen seines Spiegelbildes)

2. Phase des präoperationalen Denkens (2-7 Jahre)

  • dank Sprachentwicklung zunehmende Nutzung symbolischen Funktion (Vorstellung von Ereignisabfolgen, Nachahmungen)
  • Klassifikation von Objekten aufgrund eines gut sichtbaren Merkmals
  • Fehlen grundlegender Invarianzen (z. B. für Menge, Volumen, Masse etc.)
  • Irreversibilität des Denkens (vgl. Wasserumschüttexperiment)
  • Konzentration auf ein Merkmal (z. B. Höhe der Flüssigkeit im Glas) anstatt auf mehrere (Höhe und Breite)
  • Schwierigkeit, sich in die Position einer anderen Person zu versetzen.

3. Phase der konkreten Operationen (7-11 Jahren)

  • Fähigkeit zum operationalen, logischen Denken, wenn enger Bezug zur konkret erfahrbaren Wirklichkeit besteht.
  • Konkrete Operation: „umkehrbare auf der Vorstellungsebene vollzogene Aktivität an konkreten und tatsächlich vorhandenen Gegebenheiten“ (Mietzel 2007:95)
  • Invarianzen von Mengen etc.
  • zunehmende Reversibilität des Denkens

4. Phase der formalen Operationen (ab 11 Jahren)

  • Fähigkeit zum abstrakten Denken ohne Anschauungsgrundlage
  • Systematisches Vorgehen zur Problemlösung, Aufstellung von Hypothesen
  • Idealisiertes Denken über Lebensbedingungen aufgrund geringer Erfahrung
  • Die meisten Erwachsenen setzen formal-operationales Denken nur dort ein, wo sie grosses Interesse oder grosse Erfahrung haben.

 

Was wird im Anschluss an Wygotski unter der Zone der nächstmöglichen Entwicklung verstanden?

  • Für Wygotski stellt der Bereich der potenziellen Entwicklung die „Zone der nächstmöglichen Entwicklung“ dar (englisch: zone of proximal development; ZPD): Was ein Lernender mit Hilfe anderer zu tun imstande wäre.
  • Nach Wygotski setzt „gutes Lernen“ Entwicklungsprozesse in Gang, die ohne Lernanregungen nicht auftreten würden.
  • Während die erfolgte Entwicklung zeigt, was ein Kind ohne Hilfe anderer tun kann, bedeutet die potenzielle Entwicklung, was ein Kind unter Anleitung eines Erwachsenen oder eines (kompetenteren) Kindes tun kann.

 

Was ist Scaffolding? Geben Sie ein konkretes Beispiel aus Ihrem Unterrichtsfach.

  • Als Scaffolding ("Einrüstung") wird das vorübergehende Bereitstellen eines Lerngerüstes bezeichnet, das Unterstützung bietet und dem Lernenden gestattet, eine Aufgabe zu verrichten, die er sonst nicht ausführen könnte (Funktion als Lernwerkzeug)
  • Eine solche „Einrüstung“ ist immer mit einer sozialen Situation verbunden. „Im Verlauf des Interaktionsprozesses wird der Umfang oder die Art der gebotenen Unterstützung in dem Masse zurückgenommen ('abgebaut'), wie der Empfänger Lernfortschritte in die gewünschte Richtung zeigt.“

Inwiefern sind entwicklungspsychologische Annahmen für die Unterrichtspraxis von Bedeutung?

Allgemein:

  • Berücksichtigung der Eingangsvoraussetzungen der Lernenden unter entwicklungspsychologischen Aspekten: z.B. ab welchem Alter können Schüler/-innen systematisch experimentieren und abstrakt denken?
  • Annahmen über die Beziehung zwischen Anlage- und Umweltfaktoren.
  • bestimmen zuwesentlichen Teilen unsere Auffassung von den Möglichkeiten und Grenzen eines wirksamen Unterrichts.

Einfluss Piagets:

  • aktive Rolle des Menschen bei der Konstruktion seines Wissens
  • Berücksichtigung des Vorwissens
  • Passung der Aufträge für optimale Motivation
  • Wissen entsteht aus aktivem Tun

Einfluss Wygotskis:

  • soziale Interaktion (LP)
  • gelenkte Beteiligung (guided participation)
  • Kognitive Meisterlehre (cognitive apprenticeship): interaktives Lernen in authentischen Situationen; Lehrer als kompetent Vorbilder