OR AT 2 - Auslegung, Ergänzung und Anpassung von Verträgen

Feit/Peyer/Stauber, Übungsbuch Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Orell Füssli, Zürich 2013 Vertragsauslegung, Vertragsergänzung, Vertragsanpassung

Feit/Peyer/Stauber, Übungsbuch Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., Orell Füssli, Zürich 2013 Vertragsauslegung, Vertragsergänzung, Vertragsanpassung


Kartei Details

Karten 14
Sprache Deutsch
Kategorie Recht
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 04.03.2016 / 27.02.2024
Weblink
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1. Wann muss ein Vertrag ausgelegt werden?

Wenn sich die Parteien über den Vertragsinhalt uneinig sind. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des Vertragsinhalts, den die Parteien gewollt haben.

Abgrenzung: Parteien sind sich uneinig über das Zustandekommen des Vertrags (Konsensstreit).

1a. Wann muss ein Vertrag ergänzt werden?

Wenn er eine Lücke aufweist, d.h. wenn die Parteien einen Punkt nicht geregelt haben, der einer Regelung bedarf.

1b. Wann muss ein Vertrag an veränderte Umstände angepasst werden?

Wenn sich das Umfeld, in welchem der Vertrag abgewickelt werden soll nachträglich, in für die Parteien unvorhersehbarer und unzumutbarer Weise verändert hat. Man könnte auch sagen, der Vertrag weisst (für diese ganz andere Situation) eine Lücke auf.

2. Wie ist ein Vertrag anhand der subjektiven Auslegung zu interpretieren?

subjektive Auslegung: der Vertrag wird anhand des tatsächlichen (ermittelbaren) Parteiwillens interpretiert.

2a. Wie ist ein Vertrag anhand der objektiven Auslegung auszulegen?

objektive Auslegung: der Vertrag wird wegen des nicht zu ermittelnden tatsächlichen Parteiwillens, anhand des mutmasslichen Parteiwillens interpretiert. Es wird darauf abgestellt, was ein vernünftiger und redlich handelnder Dritter nach Treu und Glauben unter den gegebenen Umständen gewollt und ausgedrückt hätte.

2b. Wie stehen subjektive und objektive Auslegung des Vertrages zueinander?

Da sich der Vertragsinhalt primär nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen richtet (OR 18 Abs. 1) geht die subjektive Auslegung der objektiven Auslegung vor.

3. Nennen Sie drei Auslegungsmittel (Erkenntnisquellen).

  • Wortlaut
  • Vertragsverhandlungen
  • Verhalten der Parteieien nach Vertragsschluss
  • Interessenlage der Parteien bei Vertragsschluss
  • Vertragszweck
  • Verkehrssitten
  • Handelsgebräuche

4. Nenn Sie drei von Rechtsprechung und Lehre entwickelte Auslegungsregeln für Verträge. 

  • Auslegung ex tunc
  • Auslegung nach Treu und Glauben
  • ganzheitliche Auslegung
  • gesetzeskonforme Auslegung
  • Unklarheitenregel (Unklare Formulierungen werden dem Erklärenden entgegengehalten)

5. Ist es möglich, einen Vertrag in einem objektiv wesentlichen Punkt zu ergänzen?

Die Vertragsergänzung setzt einen zustandegekommenen Vertrag voraus. Da dies wiederum eine Einigung über alle objektiv (und subjektiv) wesentlichen Punkte bedingt, sog. essentialia negotii, ist eine Ergänzung in diesem Punkt nicht möglich.

6. Welche Möglichkeiten hat das Gericht, um einen Vertrag zu ergänzen?

Füllung durch:

  • dispositives Gesetzesrecht
  • eine selbstgeschaffene Regel (modo legislatoris)
  • hypothetischen Parteiwille

7. Nach welchem Prinzip ist der Vertrag trotz der Verhältnisänderung grundsätzlich so zu erfüllen, wie er vereinbart worden ist?

Nach dem Prinzip der Vertragstreue sind Verträge grundsätzlich auch bei Verhältnisänderungen so zu erfüllen, wie es vereinbart wurde (pacta sunt servanda).

8. Wann stellt sich die Frage, ob es einer richterlichen Vertragsanpassung bedarf?

Wenn

  1. die Anpassung nicht geregelt ist (Lücke),
  2. keine Einigung über eine Vertragsänderung zustande kommt
  3. und das Gesetz keine Bestimmung über die Anpassung vorsieht (z.B. OR 266g oder OR 373 Abs. 2).

9. Was ist die clausula rebus sic stantibus?

die Klausel der gleichbleibenden Umstände.

Eine (ungeschriebene, stillschweigende) Klausel, dass eine Vereinbarung unter der Annahme gleichbleibender Umstände gilt, resp. bei veränderten Umständen anzupassen ist.

10. Wann ist die clausula rebus sic stantibus anzuwenden?

Wenn die Veränderung der Verhältnisse: 

  1. nachträglich geschah
  2. unvorhersehbar war
  3. eine gravierende Äquivalenzstörung bewirkt

Die Berufung darauf darf zudem nicht widersprüchliches Parteiverhalten darstellen.