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Catégorie Pédagogie
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Crée / Actualisé 16.01.2015 / 22.05.2020
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Ulrich Beck: Risikogesellschaft

Durch welche Merkmale zeichnet sich der Übergang von der ersten in die zweite Moderne aus?

Unter der ersten Moderne ist die industriegesellschaftliche Moderne zu verstehen, welche in einem Prozess einfacher Modernisierung aus der Agrargesellschaft hervorgegangen ist. Den Übergang von der der ersten zur zweiten Moderne, also den Übergang in die Risikogesellschaft, bezeichnet er als reflexive Modernisierung

Passiert durch Eigendynamik der Industriegesellschaft, fortschreitende (reflexive) Modernisierung, Merkmale der zweiten Moderne zeigt sich am Reichtum und an Risiken.

Industriegesellschaft ist aufgrund der problematischen Nebenfolgen des Fortschritts mit sich selbst konfrontiert. der Übergang in die zweite Moderne zeichnet sich durch Reflexivität aus, weshalb auch von reflexiver Modernisierung gesprochen wird. Dies bedeutet, dass die ‚fortschrittliche‘ Gesellschaft sich auf sich selbst zurückbesinnt, denn der technische und wissenschaftliche Fortschritt ist nicht nur positiv für die Menschheit zu bewerten, sondern birgt auch unerwünschte und oftmals auf den ersten Blick nicht ersichtliche Nebenfolgen und Risiken.

Der Übergang passiert ungewollt, ungesehen (latent, im Verborgenen) und zwanghaft durch einen eigendynamisch verlaufenden Prozess, der den wissenschaftlich-technischen Fortschritt immer weiter vorantreibt.

Es gibt keinen Bruch, bei dem das Vorangegangene überwunden wurde (wie beim Übergang von der Agrargesellschaft zur ersten Moderne, der sich bewusst von der Tradition abwandte). Es kommt zu einer Weiterentwicklung der Wissenschaft und Technik in dem Sinne, dass - nachdem in der ersten Moderne der technische Fortschritt überhaupt erst möglich gemacht wurde, allerdings auch Risiken mit sich führte - nun in der zweiten Moderne wissenschaftliche Methoden und Verfahren entwickelt werden, um Risiken als solche zu erkennen und zu definieren. Somit wird auch die Wissenschaft reflexiv. Menschen der zweiten Moderne haben beim Übergang in diese den Glauben an die Technik und Wissenschaft keinesfalls verloren, sondern sind weiterhin der festen Überzeugung, dass sich jegliche Schwierigkeiten mit Technik und Wissenschaft überwinden lassen.
 

Was versteht Beck unter Modernisierungsrisiken?

Diese Risiken haben moderne Ursachen (im Gegensatz zu natürlichen Ursachen: Erdbeben, Flut etc.). Sie sind ein „Modernisierungsbeiprodukt“. Modernisierungsrisiken zeigen sich als Nebenfolgen industrieller Produktion. Sie sind Koproduktionen der Teilsysteme Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

Kennzeichen von Modernisierungsrisiken:

Positiv bewertete Folgen der Modernisierung zeigen sich als Reichtum. Risiken, als negativ bewertete Folgen, stellen eine Bedrohung dar, die es möglichst zu vermeiden gilt. Negative Folgen der materiellen Güterproduktion bergen hohes Konfliktpotential. Die Forderung nach Sicherheit steht im Gegensatz zur Forderung nach Gleichheit in der Industriegesellschaft im Vordergrund. Risiken in der Industriegesellschaft betrafen hauptsächlich Arme. In der Risikogesellschaft betreffen Modernisierungsrisiken alle und erwischen früher od. später auch die, die sie herbeiführen oder von ihnen profitieren, erreichen also alle sozialen Schichten. In der Risikogesellschaft gibt es Forderungen nach Sicherheit von Gefährdungs- und Risikolagen (z.B. Smog ist demokratisch, alle können davon betroffen sein), denn sie fühlen sich durch die negativen Folgen der materiellen Güterproduktion bedroht und gefährdet. Modernisierungsrisiken sind global. Sie beschränken sich nicht auf Landesgrenzen. Weltrisikogesellschaft: Ökologische Gefährdungen (Abholzen von Regenwäldern, Schadstoffbelastung der Flüsse und Meere, Freisetzung von Radioaktivität,…) können beispielsweise jeden betreffen!. Sie sind latent. Um wahrgenommen zu werden, muss man sie erst definieren. Nur die Wissenschaft verfügt über die Definitionsmacht, Ursache-Wirkungs-Komplexe aufzudecken. Modernisierungsrisiken = vielschichtig (nur Fachleute können dies erklären), was die Gesellschaft abhängig von wissenschaftlichen Definitionen durch Experten macht. Das Wissen um Risiken erzeugt Betroffenheit, es bleibt allerdings zunächst ein abstraktes Wissen. Deshalb spricht Beck von Wissensabhängigkeit.

Modernisierungsrisiken sind abhängig von Massenmedien, über die Information verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Beck fällt auf, dass das Gefühl der Betroffenheit stärker bei Gruppen zu finden ist, die sich aktiv informieren und über bessere (Aus)bildung verfügen.

Wie lässt sich der Begriff der „Individualisierung“ charakterisieren?

Beck versteht unter Individualisierung die Herauslösung/Freisetzung des Menschen aus den Sozialformen der Industriegesellschaft (SB S. 19). Lebensformen der zweiten Moderne werden "enttraditionalisiert", d.h. Menschen sind nicht mehr traditionellerweise in Klassen, Familien und Geschlechterrollen eingebunden. Es fehlen feste soziale Strukturen und damit auch Bindung und Orientierung. Menschen sind daher für ihre Existenzsicherung, ihre Biographieplanung etc. selbst verantwortlich und vom Markt abhängig.

Entzauberungsdimension: Der Mensch wird aus eingebundenen Ritualen gerissen und muss sich neu finden, d.h. mehr auf sich Selbst gestellt und für sein Handeln auch verantwortlich. Dadurch verlieren wir an Orientierung und Risiken müssen die Akteure selber verantworten.

Individuen werden in zunehmendem Maße auf sich selbst gestellt bzw. müssen ihr Leben in eigener ‚Regie’ führen und ‚Sinn’ herstellen.

Welche Ursachen hat die Individualisierung nach U. Beck?

Als Ursache der Individualisierung kann angeführt werden, dass durch den wirtschaftlichen Aufschwung in den 50er-60er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Fahrstuhl-Effekt nach oben erfolgte, was bedeutet, dass allgemein die Lebensbedingungen derart verbessert wurden, dass jedermann im Schnitt länger lebte, weniger arbeitete, aber mehr verdiente, und sich somit mehr leisten kann. Durch die Bildungsexpansion konnten immer mehr Menschen (v.a. Frauen) an immer besseren Bildungsangeboten teilnehmen. Die Mobilität (sowohl die räumliche als auch die soziale) stieg an..

Allgemein gilt: Je mehr Bildungsangebote vorhanden, desto größer ist auch die Wahlfreiheit und der Entscheidungszwang, je mehr Konsumgüter, desto mehr muss sich das Individuum entscheiden und das für ihn passende auswählen. Und je mehr Geld er hat, desto mehr kann er auch davon ausgeben für z.B. Bildung und Konsumgüter.

Ein Arbeiterkind konnte in der Industriegesellschaft durch die traditionale Bindung an Familie nur Arbeiterkind bleiben, in der zweiten Moderne hat es nun, z.B. durch BAföG (Stichwort: sozialrechtliche Versorgung), die Chance zu studieren und einen anderen, besseren bzw. besser bezahlten Weg einzuschlagen, als seine Eltern (Stichwort: soziale Mobilität).

Allerdings blieben trotz aller Verbesserungen und dem allgemeinen Mehr an Bildung, Recht, Mobilität, Wissenschaft, Einkommen und Konsum die sozialen Ungleichheitsrelationen größtenteils gleich. Auch die Ungleichheit zwischen Mann und Frau bleibt gleich, bzw. fällt noch mehr auf als zuvor.

Welche sozialen Folgen hat der Individualisierungsprozess?

Die Rahmenbedingungen bezüglich der Individualisierung verändern Lebenszusammenhänge (Klasse, Familie).

Die gesellschaftlichen Ungleichheitsrelationen bleiben trotz Fahrstuhleffekt bestehen. Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen wird sichtbar. Frauen profitierten zwar durch die Bildungsexpansion in den 60er Jahren, jedoch auf dem Arbeitsmarkt sind sie weiter benachteiligt. Allerdings gelingt es Frauen, sich aufgrund der erlangten Bildung aus der Abhängigkeit/Versorgung durch Ehemänner zu lösen.

Aufgrund der beruflichen Mobilitätserfordernisse werden Partnerschaften zu Bindungen auf Zeit. Die Normalbiographie weicht einer "Bastelbiographie". Es entstehen neue Abhängigkeiten: das Individuum wird abhängig vom Arbeitsmarkt, der Bildung, von Konsumangeboten uvm.

Die Individualisierung bietet Chancen (Vielzahl an Wahlmöglichkeiten), jedoch damit verbunden auch den Entscheidungszwang und den Zwang zur Autonomie.

Jeder Mensch ist für sich selbst verantwortlich.

Was ist nach G. Schulze der zentrale gemeinsame Nenner der Lebensauffassung in unserer Gesellschaft?

Der zentrale gemeinsame Nenner ist die "Gestaltungsidee eines schönen, interessanten, subjektiv als lohnend empfundenen Lebens", womit. erlebnisorientiertes Handeln an Bedeutung gewinnt.

Welche beiden Entwicklungen führen zur Herausbildung der Erlebnisgesellschaft?

1. Faktor: Einerseits steigen die Einkommen bei gleichzeitig geringerer Arbeitszeit. Andererseits bietet der Markt eine Vielzahl an Waren und Dienstleistungen.

Schulze benennt diese beiden Entwicklungen als Veränderung des Verhältnisses von Subjekt und Situation.

....Grundlage ist die Mehrbedeutung des Lebensstandards...

2. Faktor: Im Wirtschaftssystems kam es zu einer Vervielfachung von Angeboten an Waren und Dienstleistungen, was zu einer riesigen Marktentwicklung führte und zur Dynamik für die Entwicklung einer Erlebnisgesellschaft beitrug!

Warum tritt nach Schulze unter den Bedingungen der Entgrenzung des Handelns die subjektiven Intentionen der Individuen stark in den Vordergrund?

Nicht nur Waren, auch Situationen werden frei wählbar (entgrenztes Handeln bzw. ist dem Individuum selbst überlassen, z.B. ob wann wie er sich bildet => Zunahme an Möglichkeiten. An die Stelle von Situationsarbeit tritt Situationsmanagement, da es gilt, aus den unzähligen Optionen auszuwählen Diese Entscheidungsprozesse werden von subjektiven Faktoren beeinflusst (individuelle Erfahrungen) und erfolgen nicht willkürlich, womit sie pfadabhängig sind und einem bestimmten Zweck folgen.

Warum kommt es nach Schulze zu einer Verschiebung von einer außengesteuerten zu einer innengesteuerten Orientierung?

Nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 60er Jahre war das Leben der Menschen, ausgelöst durch die Bedingungen von Knappheit und Beschränkung, geprägt von nutzen- bzw. gebrauchs- und qualitätsorientierten Entscheidungen. So war ihnen wichtig, ob eine Ware objektiv betrachtet qualitativ gut oder schlecht ist, ob sie für den gewünschten Zweck „taugt“ oder nicht. Die Entscheidungen waren also primär außenorientiert, das Denken auf die Situation gerichtet.

Im Zuge der Entstehung der Erlebnisgesellschaft, ab den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begannen die Menschen sich immer weniger stark an Kategorien wie Nutzen (wichtig/unwichtig), Qualität (gut/schlecht) oder Reichtum (viel/wenig) zu orientieren. Dies liegt u.a. darin begründet, dass
- es mit steigendem Wohlstand immer mehr Produkte gab, die für das ‚nackte‘ Überleben nicht mehr notwendig waren (= Kategorie Nutzen)
- durch neue und bessere technische Errungenschaften die Produkte allgemein so verbessert wurden, dass sie auf den ersten Blick von der Qualität her gar nicht mehr so unterschiedlich waren (= Kategorie Qualität)
- es den Menschen allgemein immer besser ging (= erhöhter materieller Lebensstandard) und sie somit dem sozialen Aufstieg nicht mehr eine solche Bedeutung beimaßen, als noch in der Zeit vor der Erlebnisgesellschaft. (= Kategorie Reichtum)

Was jetzt zählte, war der „psychophysische Akt des Erlebens“ von Produkten durch ihren Konsum. Durch die Entgrenzung der Situation, durch diese Vielzahl an Angeboten, aus denen man wählen kann, wurde das Denken nach innen auf die eigenen Ziele hin orientiert. Man konsumiert ein Produkt nun, weil es in einem selbst „Gefühle, psychophysische Prozesse, Erlebnisse“ auslöst.

Wodurch ist der Erlebnismarkt gekennzeichnet, d.h. welche Ziele verfolgen Konsumenten und Produzenten?

Erlebnismarkt:

Auf dem Erlebnismarkt treffen Erlebnisnachfrage und Erlebnisangebot zusammen. Der Markt erweist sich als Schnittstelle innenorientierter und außenorientierter Rationalitätstypen.

Die Produzenten, welche meist korporative Akteure sind, verfolgen ökonomische (außengerichtete) Interessen. Ihr Handeln im Konsum- und Freizeitmarkt zieht berechenbare Wirkungen nach sich. Ihr Ziel ist es, vielfältige Produkte (Erlebnisangebote) zu verkaufen.

Innenorientiertes Handeln ist im Gegensatz dazu von Konsumenten nicht plan-oder berechenbar. Das Ziel von Konsumenten ist, psychophysische Effekte durch den Kauf zu erzielen.

Aufgrund dessen entwickelt sich eine Dominanz der außenorientierten Rationalität. Die Interaktionen zwischen Produzenten und Konsumenten ist zunehmend von den Intentionen der Akteure entkoppelt.

Der Punkt wo sich Erlebnisnachfrage und Erlebnisangebot treffen nennt man Erlebnismarkt. An dieser Stelle wo sich auch beide Handlungstypen treffen. Daher wird der Erlebnismarkt auch als „Schnittstelle innenorientierter und außenorientierter Rationalitätstypen“ bezeichnet.

Worauf gründet innerhalb der Erlebnisgesellschaft, im Gegensatz zur trad. Gesellschaft, die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Großgruppen?

In der Industriegesellschaft war die Zugehörigkeit durch die soziale Lage bzw. durch die Lebensbedingungen geprägt. Durch die Differenzierung der Erwerbstätigkeit entsteht kein Gemeinschaftsgefühl und ein darauf basierendes spezifisches Kollektivbewusstsein mehr; es kommt aufgrund der allgemeinen Steigerung des Lebensstandards kein kollektives „Klassenbewusstsein“ mehr zustande. Soziale Bewegungen wie Bürgerinitiativen sind zwar einem spezifischen Milieu zugeordnet, aber nicht mehr einer bestimmten sozialen Lage, wie z. B. die Arbeiterbewegungen. In der Erlebnisgesellschaft bestimmt also nicht mehr die soziale Lage, d.h. die Situation, die Zugehörigkeit zu einer Großgruppe, sondern der persönliche Stil und damit der Akt des Konsumierens spezifischer Erlebnisangebote. Die sich aus den alltagsästhetischen Schemata herausbildenden sozialen Milieus sind nun behilflich bei der Orientierung des Einzelnen: aus der Menge der Produktangebote kann nun das ausgesucht werden, was die den einzelnen umgeben Menschen auch konsumieren. Die Sozialstruktur der Erlebnisgesellschaft ist so eng mit dem Erlebnismarkt verbunden: an die Stelle einer „Gemeinsamkeit des Zweckmäßigen“ ist eine „Gemeinsamkeit des Zweckfreien“ getreten. Aufgrund des Wechsels von der Außenorientierung zur Innenorientierung zerfiel also das alte Gesellschaftsbild und die Einordnung der Akteure veränderte sich. Zentrale Kategorien waren nun Denk- und Handlungsmuster beim Gefüge der Milieus und dessen Einordnung: Anhand von Zeichen und Bedeutungen ordnen sich Menschen Gruppierungen zu. Akteure verorten sich selbst und andere über die Feststellung von Ähnlichkeit bzw. Unähnlichkeit. Zu den leicht dekodierbaren Zeichen gehören der persönliche Stil, das Alter (Kohortenzugehörigkeit, Lebenszyklus), die Bildung und die Art und Weise des Situationsmanagements. Diese Zeichenbündel lassen sich zu bestimmten Erlebnisroutinen fassen, wozu Schulze den Begriff der alltagsästhetischen Schemata prägt (intersubjektive Muster von „Zeichen-Bedeutungs-Verbindungen). Die Milieusbestimmung erfolgt nun durch Nähe-Distanz-Relationen.

Wie definiert Schulze den Begriff des „sozialen Milieus“?

Soziale Milieus zeichnen sich laut Schulze durch typische Existenzformen und eine erhöhte Binnenkommunikation aus. Einzelnen Akteure verorten sich über die Feststellung von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit statt. Ausschlaggebend dafür sind folgende dekodierbare Zeichenkategorien:

  • persönlicher Stil,
  • Alter,
  • Bildung,
  • Art und Weise des Situationsmanagements (gebündelt mittels alltagsästhetischer Schemata; Mit wem lebt der andere zusammen, wo wohnt er,...)

Schulze verknüpft diese Zeichen und ordnet sie bestimmten Erlebnisroutinen zu, aus denen er dann alltagsästhetische Schemata herauskristallisiert.

Welche alltagsästhetischen Schemata unterscheidet Schulze und welche Milieus leitet er daraus ab?

Schulze unterscheidet Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema. Die Zugehörigkeit zu einem Milieu lässt sich aus Nähe/Distanz zu diesen Schemata ermitteln unter Berücksichtigung der Variablen Alter, Bildung und Lebensstil.

Niveaumilieu - Nähe zu Hochkulturschema: Lesen überregionaler Zeitungen, klassische Musik dominiert, Genuss von Hochkultur (Theater, Oper, Museum etc.), kontemplativer Genuss, Streben nach Distinktion, Nähe zu Bildungsbürgertum...

Harmoniemilieu - Nähe zu Trivialschema: Nähe zu Arbeiterschicht, Zeitungen der Regenbogenpresse, Bestsellerromane, Unterhaltungsmusik, Heimat- und Naturfilme, Game-Shows, Harmonie = Lebensphilosophie, Anti-Exzentrizität.

Integrationsmilieu - Nähe zu Hochkultur- und Trivialschema: Distanz zu Spannungsschema, Merkmale von Niveau - und Harmoniemilieu fließen ineinander

Selbstverwirklichungsmilieu - Nähe zur Hochkultur- und zum Spannungsschema: Klassik und Rockmusik, Kino und Museen, Abstand von Trivialen und Konventionellen, Lebensphilosophie ist Perfektionismus und Narzissmus.

Unterhaltungsmilieu - Nähe zum Spannungsschema: Action als Genussform, Konsum von Erlebnisangeboten mittels Unterhaltungsmaschinen

Welche Unsicherheiten birgt die Erlebnisgesellschaft?

Der Erlebnismarkt soll mit seinen Produkten subjektive Erwartungen (Erlebnisse) erfüllen. Wie kann man Erlebnisse nach den ökonomischen Kategorien (Nutzen, Qualität, Reichtum) bewerten? Erlebnisse sind nicht kommunizierbar. Ob ein Erlebnis innere Prozesse aktiviert (Nutzen) und intensiviert (Qualität), ist nur subjektiv beurteilbar.

Die Kategorie Reichtum schafft einen Gewöhnungseffekt, da das "Neue" nicht mehr befriedigen kann und daher Erlebnisse kumuliert werden, was wiederum zu einer Erlebnisverarmung führt.

Eine weitere Unsicherheit ist die Tatsache, dass von den Anbietern Erlebnisse versprochen werden und die Abnehmer diesen Versprechungen glauben müssen, um die Wirkungen zu erleben (Autosuggestion). Damit einher geht jedoch die Enttäuschung bezüglich gezielt erzeugte Illusionen.

Was ist bei Gross mit ‚Steigerung der Optionen’ und ‚Steigerung der Teilhabe’ im Zusammenhang mit der Multioptionsgesellschaft gemeint?

In seinem Werk „Die Multioptionsgesellschaft“ (1994) spricht Gross vom Mehrgott; damit ist der Drang nach Mehr und Besserem, der den Menschen innewohnt, gemeint. Viele Menschen der Moderne glauben fest daran, dass es hinter allem ein Mehr und ein Besseres gibt, das nur darauf wartet in die Tat umgesetzt zu werden und dass jeder ein Recht hat, es für sich einzufordern. Das glauben sie, weil ihnen das von einigen wenigen suggeriert wird. Unterstützt wird dieser Glaube durch die Offenheit der Gesellschaft, aus der die Menschen der Moderne ableiten, dass alles allen offensteht und nichts unmöglich ist. Die Entscheidung für eine Option bedeutet, eine andere noch nicht verwirklicht zu haben, womit alle Möglichkeiten des Erlebens, Handeln und Lebens gesteigert werden. Gross spricht daher von Optionensteigerung bzw. einer Multioptionsgesellschaft.

Die STEIGERUNG ist das Programm der Multioptionsgesellschaft, die an den Mehrgott glaubt. Mit „Steigerung der Optionen“ ist in diesem Zusammenhang eine Steigerung der Handlungsmöglichkeiten (1) gemeint – alle Möglichkeiten des Erlebens, Handelns und Lebens werden gesteigert - und mit ‚Steigerung der Teilhabe‘ die Teilhabe an den eröffneten Handlungsmöglichkeiten (2), die zumindest minimal garantiert wird (3). Die Punkte 1-3 bilden das „Dreipunkteprogramm der Moderne“. Damit geht in einer offenen Gesellschaft der gleiche Anspruch auf gleiche Teilhabe an allen Optionen einher. Die Steigerung der Optionen und die Steigerung der Teilhabe ist in diesem Sinne voneinander abhängig.

Wie wird der Begriff der Option nach Gross definiert?

Optionen sind nach Gross "prinzipiell realisierbare Handlungsmöglichkeiten" bzw. wünschbare Möglichkeiten.

Lat. "optare" = "wünschen", d.h. eine Option ist nie schlechter als die Wirklichkeit, sie steigert das Gute und reduziert das Schlechte.

...also eine Welt in der man sich alles wünschen und ausdenken könne - Aufregender, Neuer als Jetztzustand - ..

Optionen sind wünschbare Möglichkeiten des Erlebens, Handelns und Lebens. Er definiert diese: „Optionen sind prinzipiell realisierbare Handlungsmöglichkeiten“, die besser sind als die derzeitige Realität; sie steigern das Gute. In der Moderne repräsentieren Optionen den ständigen Fortschritt und üben eine Sogwirkung nach vorne (Drift) auf die Menschen aus, die sie zu immer neuen Optionen treibt.

Inwiefern gefährdet der Trend zur Multioptionsgesellschaft die soziale Integration der Gesellschaft?

Modernität bedeutet, dass "Optionen, Wahlchancen an die Stelle überkommener Bindung treten" (Dahrendorf 1983). Menschen tun nicht mehr, was sie tun sollen, sondern wollen. Sie sind erfüllt von einem Streben nach Mehr und Besser (Fortschrittsdenken) einer neuen Zukunft.

Handlungsleitend ist Offenheit und Freiheit und nicht die Sinnfrage (Wert und Würde), kein fester Orientierungsrahmen auf dem Weg in die Zukunft. Daraus können sich als Folge Unkalkulierbarkeit, Irregularität, Unberechenbarkeit und Leere und Auswirkungen in Form von sinnloser Gewalt ergeben.

"Optionen sind leere Wahlchancen, wenn die Koordinaten fehlen, die ihnen Sinn geben. Diese Koordinaten aber bestehen aus tiefen Bindungen..."(Dahrendorf 1983).

Individuen sind durch diese Offenheit und Freiheit und dem Fehlen eines Orientierungsrahmens überfordert und die Integration in die Gesellschaft ist gefährdet.

Durch welche Faktoren wird die ‚Drift der Steigerung’ der Optionen ausgelöst?

  • Aufklärung – reflektierendes Bewusstsein: In der Aufklärung (vgl. Kant) kam es zum Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Über reflektierendes Bewusstsein prüft der Mensch altbewährte Traditionen und entzaubert sie. Er emanzipiert sich von den festen Traditionen mithilfe seines Verstandes und gelangt zu den Möglichkeiten.
  • Naturwissenschaftlicher Fortschritt: Der Fortschritt der Naturwissenschaften macht vor nichts mehr Halt, alles wird bis ins kleineste Detail untersucht; eine entsperrte wissenschaftliche Neugierde treibt zu allem Machbaren an.
  • Vermarktung: Alle Bereiche des Lebens (z.B. Waren, Religionen, Freizeitgestaltung) werden vermarktet und somit wählbar gemacht.
  • Demokratisierung: „Demokratisierung setzt Pluralisierung voraus und zielt auf ihre Legitimierung“. So begründete Politik steigert die Teilhabe an den gegebenen Handlungsmöglichkeiten (vgl. Gross, 1994, S. 145) und setzt neue Wünsche frei. Verpflichtungen werden zu Handlungsmöglichkeiten und verlieren sich schließlich ganz. Auch Obligationen werden nicht mehr als „Muss“, sondern nurmehr als „Kann“, als Option wahrgenommen.

Die Sozialwissenschaften sind laut Gross großteilig an dieser Entwicklung beteiligt. Indem sie den Menschen sagen, dass die Dinge nicht sind, was sie scheinen, gibt es nichts festes, starres mehr, sondern nur Mögliches.
 

Der Naturwissenschaft sind keine Grenzen mehr gesetzt. Demokratie basiert auf Pluralisierung.

Ökonomisches Prinzip, Neid bzw. Begehren, Symbiose von Individualisierung und Realisierungswillen und Angst, eine Chance nicht genutzt zu haben.

Wodurch werden ‚tradierte Gewissheiten’, die in den bisher existenten Gesellschaften noch Handlungsorientierungen boten, in der Multioptionsgesellschaft ersetzt?

Diese werden durch Regelungen von Seiten Organisationen, Institutionen und Systeme ersetzt. Menschen der Multioptionsgesellschaft stehen immer unter dem Druck, ihr ganz individuelles „Lebens-Puzzle“ zusammenzusetzen (vgl. Gross, 1994, S. 197). Traditionale Gewissheiten, die für Ordnung sorgten, stehen nicht mehr zur Verfügung.
„Ordnungen, Regeln, Pläne sind Ersatzinstitutionen, keine Institutionen. Sie kompensieren verlorene Ordnungen.“ 
Individuen organisieren "ihr Handeln nach dem Gebot der Zeit und des Raumes" und nicht mehr nach tradierten Vorschriften. Es ist kein transzendenter (Überirdischer) Sinn in ihrem Handeln zu erkennen, sondern es geht nur um Programmerfüllung. Ein "erfüllter" Tag in der Multioptionsgesellschaft ist somit etwas freier formuliert ein Tag, an dem man seine Termine eingehalten hat und seine Entscheidungen getroffen hat.

Institutionen u.ä. sind für Gross (1994) Konstruktionen und Ausdruck fortschreitender gesellschaftlicher Deregulierung (vgl. S. 199): „Ordnungen, Regeln, Pläne sind Ersatzinstitutionen, keine Institutionen. Sie kompensieren verlorene Ordnungen.“ (ebd., S. 201).

Statt sich auf einen transzendenten letzten Sinn zu berufen oder sich in ihm aufgehoben zu fühlen, organisieren die Individuen ihr Handeln nach dem Gebot der Zeit und des Raums:

„Was man tut, tut man nicht mehr, um das ewige Leben oder die irdische Glückseligkeit zu erlangen, sondern um Programme, Ablaufstrukturen, Organisationsziele, Termine einzuhalten und zu erfüllen. Verfahren 'kanalisieren' und ermöglichen Kommunikation und garantieren das Zustandekommen nicht von Sinn, sondern von Entscheidungen.“ (Gross, 1994, S. 203).

Die Welten, in denen wir uns bewegen, sind ohne sinnstiftende Traditionen, aber voller beliebig zu steigernder Optionen.

Welche vier Gruppen sind nach Bourdieu in erster Linie unmittelbar von der Exklusion betroffen? 

Betroffen sind 4 Gruppen (Kombination aus Alter und Nationalität):

1) ältere Franzosen

2) ältere Einwanderer und Gastarbeiter

3) junge Franzosen

4) junge Einwanderer und Gastarbeiter

In welcher Art manifestiert sich das ‚Leiden’ der Exkludierten jeweils? Teil 1

Unmittelbar Leidende: ältere Franzosen, ältere Einwanderer und Gastarbeiter, junge Franzosen und junge Einwanderer/Gastarbeiter.

1) ältere Franzosen (Gruppe 1), die meist Arbeiter in Krisenbranchen und –regionen sind und von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Landwirte (Familienbetriebe) sowie kl. Geschäftsleute, welche arbeitslos sind, ihren Hof aufgeben mussten oder bedroht sind, dies tun zu müssen. Folgen daraus sind die Entwertung der eigenen Lebensleistung, Existenz- und Identitätsbedrohung, sie sehen keine Perspektive => Perspektivlosigkeit und Zukunftspessimismus, Bruch gewerkschaftlicher Solidarität, sie haben das Vertrauen in den Staat verloren, der helfen soll, und sehen auch bei sich selbst Schuld.

2) ältere Einwanderer und Gastarbeiter (Gruppe 2): hierzu zählen Arbeiter in Krisenbranchen oder kleine Geschäftsleute, welche ebenfalls wie die Gruppe 1 von Arbeitslosigkeit oder drohender Arb.losigkeit sowie von bzw. Geschäftsverlust bedroht sind. Sie leiden unter Diskriminierung/Ausgrenzung in der Nachbarschaft wie auch durch staatliche Behörden. Die kulturelle Entwurzelung lässt sie weder Frankreich (leben zwar schon lange hier, sind aber noch immer Fremde) noch in ihrem Ursprungsland dazuzugehören. Sie stehen in Konkurrenz zu Frankreich Gebürtigen. Die beiden Gruppen 1+2 waren in die Arbeitsgesellschaft inkludiert, d.h. sie haben schonmal zur Gesellschaft dazugehört, sind jedoch Exkludiert (herausgefallen) oder von Exklusion bedroht. Das unterscheidet sie von den Jugendlichen der Gruppe 3+4, welche noch nicht zur arbeitenden Gesellschaft gehören und noch nicht inkludiert wurden. 

In welcher Art manifestiert sich das ‚Leiden’ der Exkludierten jeweils? Teil 2

3) junge Franzosen (Gruppe 3): hierzu zählen Jugendliche mit Schulabschluss bzw. welche kurz davor stehen, die keine Lehre oder Arbeit finden. Sie schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch.

4) Junge Einwanderer und Gastarbeiter (Gruppe 4): Kinder von Einwanderern, die häufig arbeitslos sind, die Schule abgebrochen haben bzw. wenn sie Schulabschlüsse haben, fallen diese oft schlechter aus als jene der Franzosen. Dies liegt auch an der Sprachbarriere. Häufig werden sie durch die Schule von ihren Eltern kulturell entfremdet. Sie sind konfrontiert mit Inflation höherer Bildungsabschlüsse (als Folge der Bildungsexpansion in den 60ern).

Die beiden Gruppen 3 + 4 haben aufgrund ihres Alters Chancen in die Arbeitsgesellschaft schaffen integriert zu werden. Diese Tatsache birgt aber auch Versagensängste, was zu desillusionierten Zukunftsperspektiven (leben durch den hohen Erwartungsdruck oft ziellos, nehmen ihr Schicksal mit abgeklärtem Fatalismus hin) führt. Einzige Alternative ist das Leben am Rande der Gesellschaft: Kriminalität (Gewalt, Vandalismus, Bandenrivalitäten), Obdachlosigkeit, Drogensucht.

Mittelbar Leidende

5) Geschäftsleute/Hausmeister in "schlechteren" Stadtvierteln

6) ehrenamtliche Interessensvertreter von unmittelbar Betroffenen (Gewerkschafter, Initiatorinnen von Frauenhäusern etc.)

7) professionelle staatliche Betreuer von unmittelbar Leidenden (Sozialarbeiter, Polizisten, Richter, Lehrer u.a.)

Auf welche Probleme stoßen kollektive Akteure wie Gewerkschaften, Sozialarbeiter und andere, in Ihrem Bemühen, die von unmittelbarem Leiden Betroffenen, zu unterstützen?

Kollektive Akteure der Gruppe 6 (ehrenamtliche Mitglieder, Gewerkschaftsaktivisten, Initiatorinnen von Frauenhäusern) können immer weniger den unmittelbar Leidenden helfen, trotz des Gefühls der Verbundenheit zu ihnen (Identifikation). Teilweise gehören sie sogar selbst zu den unmittelbar Leidenden (wenn Gewerkschaftsaktivisten selbst Arbeiter sind). Die Bereitschaft zu kollektivem Widerstand der Arbeiter fehlt zunehmend. Folge dessen zerbricht die Macht der Gewerkschaften und damit auch die Unterstützungsmöglichkeit. Durch Leiharbeit kämpfen Arbeiter gegen Arbeiter => solidarisieren sich nicht mit mehr miteinander gegen Verschlechterungen ihrer Lagen.

Für die in Gruppe 7 zusammengefassten Personen, wie Sozialarbeiter, Polizisten, Richter und Lehrer gestaltet es sich schwierig, Inklusionsarbeit zu leisten, da die Betroffenen resignieren (Selbstaufgabe), sich diese Gruppe aber ihrem Auftrag persönlich verpflichtet fühlen. Zusätzlich verschlechtern sich auch die Arbeitsbedingungen (Rahmenbedingungen für Arbeit) für die kollektiven Akteure auf politischen und organisatorischen Ebenen. Hinzu können interne Streitereien über Ziele, Strategien, etc. kommen, was ein Eingreifen in diese Entwicklung erschwert oder unmöglich macht. Verfügbaren Ressourcen für die Inklusionsarbeit werden immer weniger (Steuerbelastung auf Kosten der Gruppen 1- 4), staatlicher Ausgaben (für Sozial- und Bildungswesen) werden aufgrund des Neoliberalismus gesenkt, was zur Folge hat, dass dieser Mangel durch einen höheren persönlichen Arbeitseinsatz kompensiert wird, was zu familiären und psychischen Krisen führt, z.B. Burnout. Es entsteht ein Gefühl der Machtlosigkeit.

Bourdieu spricht diesbezüglich von der linken (Inklusionsarbeiter) und rechten Hand (Finanz- und Wirtschaftsministerium) des Staates.

Welche Bedeutung nimmt der soziale Konflikt in der Theorie von Dahrendorf ein?

Dahrendorf entwickelt entlang verschiedener Ländervergleiche eine Grundthese: „Der moderne soziale Konflikt ist ein Antagonismus von Anrechten und Angebot, Politik und Ökonomie, Bürgerrechten und Wirtschaftswachstum. Das ist immer auch ein Konflikt zwischen fordernden und saturierten Gruppen.“ (Dahrendorf, 1992, S. 8).
Nach dieser von Dahrendorf in liberaler Tradition entworfenen These stellen soziale Konflikte Motoren für gesellschaftliche Entwicklungen dar.

Er betrachtet in Anlehnung an Thomas H. Marshall, die Geschichte sozialer Konflikte in den westlichen Gesellschaften, welche er als Kampf um die Bürgergesellschaft erkennt, die im 18. Jahrhundert im Erstreiten von Grundrechten, im 19. Jahrhundert im Kampf um politische Rechte und im 20. Jahrhundert im Kampf um soziale Rechte entstehen konnte. Hierbei ging es um die Ausweitung von Rechten und Angebote. Eine Form des sozialen Konflikts war der Klassenkonflikt (Arbeit-Kapital), welcher mit 2 Wandlungen verschwand:

  • Im 20.Jh. entstand aus der Klassengesellschaft eine Gesellschaft mit offenem Schichtgefüge. Lebenschancen konnten individuell oder mithilfe von Institutionen verbessert werden.
  • Es entsteht eine Mehrheitsklasse auf Bürgerstatus durch die Akzeptanz der Bürgerrechte in einer Mehrheitsgesellschaft.

Somit erkennt er „Gefahren“ einer Gesellschaft als Potential/Chance, sich mit diesen sozialen Konflikten auseinanderzusetzen, um Entwicklung anzutreiben. Wie bei Marx handelte es sich hierbei lange um einen Klassenkonflikt der beiden Antagonisten Kapital und Arbeit. Der gesellschaftliche Wandel im 20. Jahrhundert führte von einer engen Klassengesellschaft zu einer Gesellschaft mit relativ offenem Schichtungsgefüge.

Klassische Widersprüche (aus der Grundthese) haben sich erschöpft, indem die Bürgergesellschaft erreicht ist, womit die Gesellschaft neue (feinere) soziale Konflikte, die Entwicklungsprozesse auslösen, benötigt. Hauptfeind aus liberaler Sicht ist die Unverbindlichkeit: Akteure nehmen keine Konflikte mehr wahr und/oder sie tragen keine mehr aus.

Dahrendorfs Gegenwartsdiagnose lautet: Der Charakter sozialer Konflikte hat sich verändert. Dabei entstehen neue gesellschaftliche Trennlinien, welche nicht zu organisierten Auseinandersetzungen führen.

Wie hat der soziale Konflikt sich in der Industriegesellschaft ausgestaltet?

Konflikte gibt es „nur“ noch in Form unterschiedlicher Realeinkommen, Diskriminierung, Mobilitätsbarrieren = Behinderungen der Teilnahme mit wirtschaftlichen, politischen und sozialen Mitteln.

Der soziale Konflikt, der zwischen den Polen 'Arbeit' und 'Kapital', im marxistischen Sinn, stattfand und den Charakter von Klassenkämpfen um Anrechte und Angebote hat, ändert sich in der Zeit der Industriegesellschaft, wobei zwei Schwellen des Wandels beobachtbar waren:

Charakteristisch für die erste Schwelle ist der Wandel der engen Klassengesellschaft in ein relativ offenes Schichtungsgefüge. Dieser Wandel lässt sich 2erlei begründen:

  • Individuelle Verbesserung der Lebenschancen der Akteure (welche aus einer spezifischen Kombination von Angebot und Anrecht, z.B. berufliche Chancen, bestehen) sowie kulturellen Bindungen (Familie oder Gemeinde)
  • Interessengruppen, die Konflikte der Menschen stellvertretend austrugen.

Erfolge wurden institutionalisiert und den Menschen ging es immer besser.

Es entstand eine Zeit des sozialdemokratischen Konsensus zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und es kristallisierte sich in heutiger Zeit eine „neue Solidarität“ heraus. Diese bezeichnet Dahrendorf als zweite Schwelle. Bürgerrechte sind nicht mehr Hauptthema der Auseinandersetzung, da sie zumeist akzeptiert wurden. Es bildet sich eine neue Mehrheitsklasse (Mehrheitsgesellschaft), die grundsätzlich gleichen Zugang zu den Bürgerrechten hatte. Es entstand eine fundamentale Gleichheit des Zugangs zu diesen Bürgerrechten (Anhebung auf ein Niveau des Bürgerstatus (BECK = Fahrstuhleffekt). Klassengrenzen und separate Gruppenzugehörigkeiten wurden abgelöst. Es entstehen neue soziale Konflikte ohne rechtlich verbindlichen Charakter. Es geht es nicht mehr um Aushandlungen zwischen Staat, Kapital und Arbeit, sondern um neu entstandene Hindernisse, wie Formen der Diskriminierung oder Mobilitätsbarrieren, oder das Realeinkommen.

Im modernen Konflikt geht es nun um die Wirkung von Ungleichheit, „die die volle bürgerliche Teilnahme von Menschen mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Mitteln einschränken, womit es also um Anrechte, die die Position des Bürgers zu einem erfüllten Status machen, geht.

Was versteht Dahrendorf unter Ligaturen und welche Bedeutung haben Sie?

Ligaturen (von lat. ligare = binden) sind bei Dahrendorf tiefe Bindungen, also Elemente, die Sicherheit geben und notwendig sind für den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Der Begriff Ligaturen umfasst Institutionen, die Menschen das Umsetzen ihrer Lebenschancen sichern. Hierzu zählen Unternehmen, Vereine, Stiftungen, Verbände aber auch staatliche Institutionen, sofern diese Gestaltungsfreiräume lassen und nicht heteronom (fremdgesteuert) gesteuert sind.

Lebenschancen sind umsetzbare Möglichkeiten, welche auf garantierten Anrechten beruhen. Es wird zwischen harten Zugangsrechten, dies sind verfassungsmäßig garantierte Grundrechte sowie „weichere“ Anrechte (S. 80), zum Beispiel Reallöhne, unterschieden.

Hinzu kommen Optionen. Darunter ist die „je spezifische Kombination von Anrechten und Angebot“ zu verstehen (S. 79). Lebenschancen werden somit von Optionen und Ligaturen beeinflusst bzw. ermöglicht.

Ein Schüler darf seinen Beruf frei wählen (Anrecht: Grundgesetz). Bedingend für die Aufnahme eines bestimmten Lehrberufs ist das entsprechende Schulzeugnis (Barriere) und eine freie Lehrstelle (Angebot) bei einem Unternehmen (Ligaturen). Trifft nun der Berufswunsch des Schülers nicht das Angebot des Marktes (Kombination von Anrechten und Angebot = Optionen) wird diese individuelle Lebenschance, seine Umsetzung der verfassungsmäßig garantierten Anrechte, behindert. Der moderne soziale Konflikt („sozialer Schließungsprozess“ S. 81) liegt vor, wenn der Schüler auf sein Anrecht verzichtet (Freiheit der Berufswahl/freie Entfaltung der Persönlichkeit) und einen anderen Beruf wählt oder in eine andere Stadt zieht (Mobilität). Er nimmt es somit stillschweigend hin, dass die freie Lehrstelle zum Tischler möglicherweise an einen Mitschüler gefallen ist, dessen Zeugnis höherwertiger war (Abitur).

Was meint Dahrendorf, wenn er von ‚Eingefrorenen sozialen Konflikten’ spricht?

Dahrendorf erklärt mit ‚eingefrorenen sozialen Konflikten’ die neue Form von Konflikten, die modernen Konflikte. In den entwickelten Bürgergesellschaften besitzt jeder einzelne Bürger Grundrechte, politische Rechte und soziale Rechte. Teilnahmerechte müssen jedoch ausgeübt werden, um wirklich zu sein. Bürger müssen sich handelnd für Anrechte einsetzen und sie dort einklagen, wo sie nur unvollständig realisiert werden. Finden sich Menschen mit Anrechtsbarrieren ab, obwohl ihnen Rechte zustehen, liegt ein sozialer Schließungsprozess vor und damit ein eingefrorener sozialer Konflikt. Es handelt sich hier nicht um Austragen von Interessensgegensätzen.

Es entsteht die Gefahr eines „modernen sozialen Konflikts“ => Menschen verzichten aus verschiedenen Gründen auf Anrechte:

  • Anrechtsstrukturen üben eine normative Kraft aus, d.h. Anrechtsbarrieren werden hingenommen, obwohl es sie gar nicht geben dürfte.
  • Menschen finden sich mit gegebenen Anrechtsbarrieren ab. Sie geben sich mit weniger zufrieden, auch wenn es ums Überleben geht (viele fielen den großen Hungerkatastrophen zum Opfer, weil bestimmte Gruppen exklusiv über die Lebensmittel verfügten, also Anrechte monopolisierten).
  • Es fehlt die Kraft der Motivation. Menschen setzen sich nicht mehr für die Verbesserung von Bürgergesellschaften ein, sondern ruhen sich auf ihren Errungenschaften, den formalen Bürgerrechten für alle, aus. Motivationsverlust liegt auch in der Gewöhnung, da früher die Interessengruppen die Anrechte für die Menschen erstritten. Das Hinnehmen von Anrechtsbarrieren wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein sozialer Konflikt, weil ein sozialer Schließungsprozess und kein Austragen von Interessenkonflikten vorliegt, daher wird diese Art von Konflikt auch „eingefrorener sozialer Konflikt“ genannt basierend auf dem Motivationsverlust der Mehrheit. Damit fallen Teilgruppen aus der Mehrheitsklasse, wie sie in den entwickelten Bürgergesellschaften entstand, heraus.

Wodurch zeichnet sich die Unterklasse aus?

  • Lethargie
  • selten radikal, höchstens gewaltförmige Situationskonflikte
  • no go areas: soziale Barrieren, räumlich von Anrechten und Angeboten abgekoppelt
  • verkümmerte Lebenschancen
  • keine gesellschaftlichen Angebots- und Anrechtsstrategien - auch innerlich von Angeboten und Anrechten entfremdet, gesellschaftliche Angebots- und Anrechtsstrategien laufen ins Leere
  • Ghettoisierung: kein Kontakt zu anderen Gesellschaftsgruppen (kein Lernen voneinander)
  • Anomie: Regeln werden nicht (mehr) eingehalten

Die Unterklasse ist als benachteiligte soziale Gruppe, die nicht (mehr) zur Gesellschaft dazugehört, zu sehen.

Die Gesellschaft braucht diese Gruppe nicht und sieht sie auch nicht in ihrem „Spiel“ vor. Diese Gruppe setzt daher auf individuelle Mobilität abseits gesellschaftlicher Bindungen (Ligaturen). Sie sind enttäuscht, da sie nicht zur Gesellschaft dazugehören und sich aufgrund ihrer Erfahrungen auch nicht dazugehörig fühlen und sie leben in anomischen Zuständen, abgetrennt von der Mehrheitsgesellschaft durch soziale Barrieren. Die Unterklasse ist „selten radikal, allenfalls kommt es zu gewaltförmigen Situationskonflikten“. Die Unterklasse ist lethargisch (teilnahmslos, kämpft nicht um ihre Anrechte). Die Unterklasse ist räumlich von Anrechten und Angeboten abgekoppelt (no-go-areas), in denen Lebenschancen der Unterklassenmitglieder schon im Keim erstickt werden. Auch innerlich sind sie von Angeboten und Anrechten entfremdet und nehmen nicht mehr wahr, dass sie wohl Anrechte haben und darum kämpfen könnten (Lebenschancen verkümmern). Durch diese Lethargie ist es ihnen unmöglich, sich mit anderen Gruppen in einer bunten Vielfalt zu mischen, sich auszutauschen und etwas voneinander zu lernen. Sie kapseln sich ab, weil sie sich nicht dazugehörig fühlen. Zieht sich dann auch noch der Staat aus manchen Regionen zurückzieht, verschlechtert sich ihre Situation weiter und es entstehen Ghettos (Ghettoisierung). Anomie (Verlust des Glaubens an gesellschaftliche Regeln) macht sich breit und hat zur Folge, dass sich Menschen nicht mehr an Regeln der Gesellschaft halten, äußert sich z.B. in Kriminalität, Vergewaltigung in der Ehe, Steuerhinterziehung, Missbrauch von Kinder.

Wodurch entsteht eine Verschärfung der Abgrenzung zwischen Unter- und Mehrheitsklasse (Dahrendorf)?

Das Vertrauen der Gesellschaft in ihre Regeln nimmt ab. Die Verschärfung der Abgrenzung zwischen Mehrheits- und Unterklasse entsteht, da auch die Mehrheit Angst vor sozialer Ausschließung hat. Die Mehrheitsklasse baut aus Angst vor sozialer Ausschließung Barrieren, die im Sinne einer Bürgergesellschaft keine sein sollten, gegen die Unterklasse auf. Mitgliedern der Mehrheitsklasse selbst glauben nicht mehr an ihre eigene Leistung und ihre Zukunft. Sie glauben nicht mehr an gesellschaftliche Regeln und nehmen einen Verlust dieser wahr (Leistung lohnt sich). Die Mehrheitsklasse fühlt sich bedroht und reagiert darauf mit mit verstärkter Grenzziehung bzw. Ausschließung. Die verschiedenen sozialen Gruppen treten kaum in Kontakt und lernen nicht mehr voneinander. Die Anomie (Verlust des Glaubens an verbindliche gesellschaftliche Regeln) der Mehrheitsklasse summieren sich dadurch zur Anomie der Unterklasse, welche auf die Entfremdung von Angebots- und Anrechtsstrukturen beruht. Angehörigen der Unterklasse versuchen, abseits gesellschaftlicher Ligaturen Auswege aus ihrer Lage zu finden. Verbesserungen in der Anrechts- und in der Angebotsstruktur laufen damit an ihnen vorbei.

Coleman: Asymmetrische Gesellschaft

Was versteht man unter dem Begriff der ‚Organisationsgesellschaft’?

Hierunter versteht man eine Gesellschaft, in der fast alle Lebensbereichen von formalen Organisationen getragen wird. Diese Organisationen sind als legale Herrschaft mit einem bürokratischen Verwaltungsstab vergleichbar (Staatsverwaltung, Unternehmen, (Hoch)Schulen, Gerichte, Spitäler). Organisationen haben eine tragende Rolle. In der modernen Gesellschaft gibt es kaum mehr organisationsfreie Räume (Familie, Kunst, ambulante Versorgung im Gesundheitswesen).

Coleman: Beschreiben Sie den Unterschied zwischen Organisationen/Zusammenschlüssen, die „von unten“ und die „von oben“ gebildet werden. Nennen Sie Beispiele. 

Organisation "von unten" sind Interessenorganisationen. Es handelt sich um Zusammenschlüsse aufgrund gemeinsamer Interessen (Sportvereine oder Kleingartenvereine). Auf Basis gemeinsamer Interessen schließen sich "gleiche" Individuen zusammen.

Organisationen "von oben" = Arbeitsorganisationen:
Ein Individuum oder eine kleine Gruppe von Individuen bildet den Träger, dieser gründet den korporativen Akteur und leitet ihn. Um seine Interessen durch den korporativen Akteur zu realisieren, benötigt der Träger weitere Individuen. Diese müssen zwar mit seinen Interessen nicht übereinstimmen, aber zur Kooperation motiviert werden können. Nur so können die Interessen der Organisation realisiert werden Man kann sie auch Arbeitsorganisationen; z.B. Unternehmen oder Organisationen die Lohnempfänger beschäftigen, nennen. Arbeitsorganisationen sind Zusammenschlüsse, welche "von oben" gebildet werden. Beispiele: Unternehmen und alle Organisationen, welche Mitglieder als Lohnempfänger beschäftigen.

Zentraler Unterschied zwischen den "von unten" und den "von oben" gebildeten Organisationen besteht im gemeinsamen Interesse der Individuen, das in der "von unten" gebildeten Organisation als Basis des Zusammenschlusses gilt und bei der "von oben" gebildeten Organisation nicht bestehen muss. Bei der "von oben" gebildeten Organisation sind die Anreize, welche die Individuen zur Kooperation motivieren sollen, vordergründig.

Worin unterscheiden sich die korporativen Akteure der neuen von den korporativen Akteuren der alten Art?

Coleman geht davon aus, dass ein gegenseitiger Nutzen in Form einer Korporation sinnvoll für beide Seiten sein kann, sei das nun der individuelle Nutzen oder der Nutzen für den Staat oder die Korporation von zwei Individuen, erzwungen oder nicht.

Sobald eine Korporation zustande kommt, bilden die beteiligten Individuen einen korporativen Akteur.

  • Ressourcen (alle individuelle Einflusspotentiale der einzelnen Akteure) werden zusammengelegt
  • Ressourcen werden für alle frei zugänglich
  • Bündelung der Einflusspotentiale der Mitglieder der korporativen Akteure

Alte Art: z.B. Familie als korporativer Akteur besteht aus Personen und nicht aus Positionen, kontinuierliche Mitgliedschaft, Sozialbeziehungen.

Innere Struktur besteht aus Person (nicht aus Position)

  • die Kontinuität der Familie ist abhängig von der kontinuierlichen Mitgliedschaft
    • früher galt Familie als korporativer Akteur, an dem sich die soziale Struktur angliederte
  • es bestanden persönliche Beziehungen (nicht anonym)
  • Repräsentation durch den Mann als Oberhaupt
  • bestand aus persönlicher Herrschaftsbeziehung
  • auf eine Person (an der Spitze) zugeschnittene Ressourcenzusammenlegung

Neue Art: formale Organisationen. Diese korporativen Akteure sind groß, anonym und kultivieren Unpersönlichkeit (z.B. Finanzamt, Arbeitsmarktservice).

  • es handelt sich um formale Organisationen
  • diese sind meist groß
  • es herrscht weitgehend Anonymität
  • sie kultivieren Unpersönlichkeit
  • jedes Mitglied ist austauschbar
  • es herrschen universalistische Regeln (= Merkmal bürokratischer Organisationen)
    • dies gilt aber auch für die Leistungsspitze, sprich persönliche Belange und Interessen der Organisation müssen auseinandergehalten werden, z. B. Politiker/Partei- und Staatsräson).

In welchem Zusammenhang steht die Ausbildung der neuen korporativen Akteure mit der ‚Individualisierung’?

Die Organisationsgesellschaft führt mit ihren neuen korporativen Akteuren zur Freisetzung der Person. Menschen sind frei, sie können ihre Dienste als korporative Akteure auf dem Markt anbieten. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass

  • die Sozialstruktur aus Positionen statt Personen besteht,
  • Personen Inhaber von Positionen sind und
  • die Person zwar frei ist, aber unbedeutend angesichts der zunehmenden Macht formaler Organisationen, sie kann jederzeit ersetzt werden.

In modernen Unternehmen wird z.B. menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt, da korporative Akteure aus marktwirtschaftlichen Überlegungen heraus agieren. Korporative Akteure entstehen nach Coleman gemäß dem Konzept der „Ressourcenzusammenlegung“ aus individuellen Nutzenerwägungen heraus. Er erkennt aber auch, dass die so entstandenen formalen Organisationen sich jetzt gegen die Individuen wenden, die sie erschaffen haben.

In welchen Entwicklungen spiegelt sich der Aufstieg der Organisationsgesellschaft in besonderem Maße wieder?

Im 13. Jhd. wurden erstmals korporative Akteure, nämlich die Kirche, mittels einer "juristischen Person" geschaffen, um nicht natürlichen Personen mit Rechten auszustatten. Wenn ein Geistlicher starb, folgte ein Nachfolger, an der „juristischen Person“ Kirche änderte sich nichts.

In der modernen Wirtschaft gibt es die GmbH, die ein Zusammenschluss von natürlichen Personen bildet, welche jedoch nicht mit ihrem gesamten Vermögen haften. Entscheidungen werden über Mehrheitsentscheidungen getroffen, womit der Wille des einzelnen darin unter geht. In der Folge verselbständigt sich der korporative Akteur gegenüber seinen Trägern. Wachstum an korporativen Akteuren verdrängt natürliche Personen zunehmend aus den unterschiedlichsten Bereichen der Sozialstruktur.

Organisationsbildung erzeugt Organisationsbildung (Konkurrenten kopieren, Gewerkschaften provozieren Arbeitgebervereinigungen usw.).

Der Aufstieg bzw. die gestiegene Bedeutung korporativer Akteure zeigt sich auch darin, dass Organisationen gleich häufig in Gerichtsverfahren involviert sind wie natürliche Personen. In den Medien geht die Berichterstattung über natürliche Personen zugunsten von Organisationen zurück. Die Anzahl von Organisationen nahm im vergangenen Jahrhundert stark zu; das Bevölkerungswachstum ist hingegen nicht im gleichen Maße angestiegen. Dami hat sich die Relation von Individuen zu korporativen Akteuren zugunsten der letzteren verschoben.

Welche Arten sozialer Beziehungen unterscheidet Coleman? Wodurch sind sie gekennzeichnet? 

Coleman unterscheidet drei unterschiedliche Typen von Sozialbeziehungen:

symmetrische Beziehungen zwischen

  • zwei individuellen Akteuren: Beispielsweise zwischen Mutter und Kind.
  • zwei korporativen Akteuren: Unternehmen und Stadtamt.

asymmetrische Beziehungen zwischen

individuellem Akteur und korporativem Akteur: Konsument und Unternehmen.

Die beiden erstgenannten Beziehungen sind symmetrisch, Akteure der gleichen Art treffen aufeinander. Die asymmetrischen Beziehungen zwischen ungleichen Akteuren haben stark zugenommen. Sie prägen die Gesellschaft, die Coleman Organisationsgesellschaft nennt. 

Was versteht man unter einer asymmetrischen Beziehung?

Bei diesem Beziehungstyp sind Akteure unterschiedlicher Art involviert, z.B. korporativer Akteur und individuelle Person (Finanzamt – Steuerzahler/natürliche Person). Diese Beziehungsform hat stark zugenommen und Coleman spricht sogar von einer „asymmetrischen Gesellschaft“.

Nach Coleman kennzeichnet sich eine asymmetrische Beziehung durch ungleiche Einflusspotentiale und ungleiche Abhängigkeiten aus. In der Regel sind korporative Akteure einflussreicher als Individuen und Individuen abhängiger von korporativen Akteuren als umgekehrt. Individuen verlieren Einfluss an Organisationen und werden abhängiger, sie sind austauschbar. Organisationen bündeln Einflusspotentiale einzelner Individuen. Individuen haben begrenzte Alternativen.

Welche vier Typens asymmetrischer Beziehungen lassen sich unterscheiden? Nennen Sie jeweils ein Beispiel.

Es lassen sich zwei Beziehungsdimensionen ausmachen:

1. Freiwillig oder unfreiwillig

2. Binnen- oder Außenverhältnis des korporativen Akteurs

Aus diesen zwei Beziehungsdimensionen ergeben sich 4 Arten asymmetrischer Sozialbeziehungen:

1) Individuum befindet sich in einem unfreiwilligen Binnenverhältnis mit korporativem Akteur: z.B. Arbeitslose sind den Regeln des Arbeitsmarktservices (Stelle des Sozial- und Wirtschaftsministeriums) unterworfen, wenn sie Arbeitslosengeld beziehen.

2) Individuen haben ein freiwilliges Binnenverhältnis mit einem korporativen Akteur: z.B. können ehrenamtliche Mitarbeiter sich in einem Unternehmen ihrer Wahl engagieren (Vereine, Verbände).

3) freiwilliges Außenverhältnis zw. Kunden/Klienten und korporativen Akteur: Konsumenten entscheiden, bei welchem Anbieter sie einkaufen, zu welchem Stromanbieter sie wechseln oder welche Versicherungsagentur sie bevorzugen.

4) unfreiwilliges Außenverhältnis zw. Individuen und korporativen Akteuren besteht z.B., wenn sich Bürger nicht aussuchen können, welche Bezirksverwaltungsbehörde oder welcher Wahlbezirk für sie zuständig ist. Auch können sie sich nur eingeschränkt wehren, wenn durch ein an ihr Haus angrenzender Supermarkt Autolärm verursacht wird.

Welche neuen Risiken gehen mit dem Aufstieg der Organisationsgesellschaft einher?

Organisationsgesellschaft = Risikogesellschaft. Risiken werden nicht durch Individuen oder durch natürliche Ursachen (alte Risiken) ausgelöst, sondern durch die Organisationen (neue Risiken) selbst. Damit geht ein Kontrollverlust einher. Alte unterscheiden sich von neuen Risiken dadurch:

  • Die Konsequenzen des Organisationshandelns sind weitreichender als das Handeln einer Person. Es erstreckt sich weiter in die Zukunft, es betrifft mehr Menschen und mehr Sachverhalte.
  • Eine Organisation hat komplexe Strukturen, womit Handlungsverantwortung oft unklar ist, damit kann die Verantwortung für entstandene Schäden und deren Beseitigung gut abgeschoben werden.
  • Im Schadensfall (gegen eine Person), egal welcher Art, kann nicht an moralische Handlungsgrundsätze appelliert werden. Es gelten nur positive oder negative Sanktionen.
  • Sanktionierungen von Organisationen sind schwierig zu kalkulieren und durchzuführen. Es ist oft, ob es in der internen Entscheidungsstruktur denjenigen trifft, der der Verursacher ist. Oft wird man von Pontius zu Pilatus geschickt.

Demzufolge besteht in unserer Organisationsgesellschaft die Gefahr, dass niemand mehr die Risikoproduktion der Organisationen unter Kontrolle hat, so gut auch teilweise eben diese Organisationen sind. Ein „Kontrollverlust“ ist das „Metarisiko“ in unserer Gesellschaft laut Coleman.

Beispielhaft ist hier das umweltverschmutzende Chemieunternehmen, wo letztlich schleierhaft und unkontrollierbar bleibt, wer die giftigen Chemikalien in den Fluss geleitet hat. Die Geister die man rief, die wird man nicht mehr los. Diese frühere Sichtweise modernisiert Coleman unter dem Aspekt der heutigen Organisationsgesellschaft, die auf Rationalitätsbeschränkungen und –dilemmata beruht, die aus individueller Nutzenorientierung unweigerlich unvorhergesehene und ungewollte Selbstschädigungen entstehen lassen. Oft wird als Gegenwehr ein eigener korporativer Akteur geschaffen. Das kann immer weitere Kreise ziehen.

Welche bürokratischen Prinzipien verbergen sich hinter Ritzers ‚McDonaldisierung’?

Hauptbegriffe bei Ritzer sind Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit, Standardisierung und Kontrolle. Hierarchie ist diesen untergeordnet, trotzdem dieser sicherlich auch wichtig ist. Die bürokratischen Prinzipien (Effizienz, Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit), angelehnt an die Fastfood-Kette McDonalds, wirken nach Ritzer in praktisch allen gesellschaftlichen Bereichen der modernen Gesellschaft, wie z.B. Ausbildung, Arbeitswelt, Freizeit, Politik, Familie.

Die Effizienz liegt darin, dass alle Vorgänge nach tayloristischen Maßstäben bis ins kleinste Detail kalkuliert sind, womit die Effizienz gesteigert werden kann (Schnelligkeit, Kostengünstig, etc.).

Berechenbarkeit bedeutet einerseits, aus der Perspektive der Anbieter, dass durch straffe Hierarchien und strenge Kontrollen nach tayloristischen Maßstäben der Umgang mit dem Produkt bis hin zu seiner Vermarktung extrem und detailliert berechnet (kalkuliert) werden kann. Von Seiten der Verbraucher bedeutet Berechenbarkeit, dass der Verbraucher glaubt bzw. ihm glauben gemacht wird, ein leistungsfähiges Produkt mit konstant guter Qualität zu einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis erwerben zu können.

Durch Standardisierung und Vereinheitlichung des Angebotes erwartet der Verbraucher dasselbe qualitativ gleichbleibende Angebot überall, der Verbraucher weiß (glaubt zu wissen) schon vor dem Erwerb des Angebots was ihn erwartet. Die Vorhersagbarkeit mindert den „Überraschungseffekt“.

Welche sozialen Folgen hat die McDonaldisierung?

Die Kultur von Berechenbarkeit und Effizienz umfasst nach Ritzer alle Lebensbereiche, womit auch Beziehungen unter dem Rationalitätsgesichtspunkt bewertet werden. Webers These vom „Gehäuse der Hörigkeit“ bestätigt dies und weist auf eine nur vermeintliche Rationalität hin (Illusion eines leistungsfähigen Produkts, unbemerkte Mitarbeit von Verbrauchern etc.). Ritzer erkennt den Trend zu einer schnelllebigen Gesellschaft, in der mit wenigsten Mitteln Ziele erreicht werden sollen.

Folgen daraus sind, dass sich Menschen nicht mehr auf lebensweltliche Entscheidungskriterien verlassen. Sie verlassen sich immer mehr auf die Effizienzkriterien von Organisationen und Vorhaben (Reiseplanung etc.) an Anbieter delegieren. Kunden werden als kostenlose Arbeitskräfte eingespannt (Selbst Auto betanken, Tisch selbst abräumen, Lebensmittel selbst in Tüten packen), womit das Unternehmen auf bezahlte Angestellte verzichten kann. Die interne Rationalität führt zur Wegrationalisierung von Arbeitsplätze und macht Menschen arbeitslos. Dies wäre dann eine "irrationale Externalität" (SB 03741, S. 110) wie die im Text benannten Müllberge, Warteschlangen und brüchige Familienbeziehungen.

Auch Familien betrifft diese Entwicklung. Es werden z.B. kaum mehr gemeinsame Mahlzeiten eingenommen und stattdessen Fast Food konsumiert. Ritzer befürchtet einen Werteverfall, weil Familienrituale nicht mehr gelebt werden.