Einführung in die Politikwissenschaft

Einführung in die Politikwissenschaft

Einführung in die Politikwissenschaft

Nicholas Rüegg

Nicholas Rüegg

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Langue Deutsch
Catégorie Politique
Niveau Université
Crée / Actualisé 06.12.2015 / 31.08.2020
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Politics

"Prozesse"
Beschreibung des politischen Prozesses und seines Rahmens, auf Interessen und Divergenz abgestellt, Betonung der Durchsetzung von Interessen.

Polity

"Strukturen"
Formale Organisation von Politik, Verfassungen, Normen, Institutionen, Ordnung steht im Mittelpunkt des Politischen.

Policy

"Inhalte"
Inhalte politischer Entscheidungen, auf die Ziele und programmatischen Orientierungen der Politik gerichtet, Betonung der Gestaltung als Aufgabe von Politik

Politikbegriffe 1

normativ-ontologisch

 

--> Mensch ist soziales Wesen
--> Streben nach guter Ordnung
--> Politik orientiert sich an Werten und ist der Seinsstruktur aller Dinge quasi eingeschrieben
--> Platon Aristoteles

- politologische Wurzel der Politik (Steinberger)

 

Politikbegriffe 2

Realistisch

--> Politik als Technik des Erwerbs und des Erhalts von Macht
--> Mensch ist egoistisch
-->  Orientierung nicht am Sein und Sollen, sondern an der Realität
--> Hobbes, Machiavelli

- dämonologische Wurzel der Politik (Sternberger)

Politikbegriffe 3

Historisch-dialektisch

--> Politik ist Teil einer umfassenden Ideologie
--> historische Entwicklung der Menschheit vorherbestimmt (Determinismus)
--> Gesellschaftsformen mit Klassengegensätzen
--> Hegel, Marx, Lenin

--> eschatologische Wurzel der Politik (Sternberger)

Politikbegriffe 4

Empirisch-analytisch

--> Mensch handelt interessen- und wertorientiert
--> Mensch ist sowohl soziales als auch egoistisches Wesen
--> Differenzierung: Gesellschaft besteht aus Systemen und Subsystemen
--> Almond, Easton

MINK

Macht --> drei Gesichter
Ideologie
Normen
Kommunikation

Legalität

formalen gesetzlichen Ansprüchen genügend --> Rechtsstaat

Legitimität

Annerkennung einer politischen Ordnung als rechtmässig --> materieller Rechtsstaat

Karl R. Popper

Falsifikationismus/Kritischer Rationalismus
--> Wissenschaft als Evolution

Thomas S. Kuhn

Paradigmenwechsel
--> Wissenschaft als Revolution

Klassiker des politischen Systems

Talcott Parsons
David Easton
Gabriel Almond

Der klassische Strukturfunktionalismus 

The Social System - 1951 - Talcott Parsons

--> AGIL-Schema
-A - adaptation - Anpassung an Systemumwelt (Geld)
-G - goal attainment - Festlegung von Zielen (Macht)
-I - integration - Einbindung neuer und innovativer Anreize, Zusammenhalt (Einfluss)
-L - latent pattern maintenance - Absicherung der Grundstruktur des Systems (Wertbindung)

Politisches System braucht / produziert (nach Easton)

1) Unterstützung (von wem? - System; für was? - Behörden)
2) Forderungen (INPUT) - Das System reagiert auf Forderungen, es kann auch überlastet werden.
Forderungen müssen ausgedrückt, reguliert und reduziert werden.
- OUTPUTS = Entscheidungen, Handlungen (policies)
- Rückkoppelungseffekt = Feedback

Systeme als Informationsverarbeitungsgefüge

- Gesellschaft: Familien, Freundeskreise, Verbände, Parteien, Vereine, Familien, Schulen, Bürgerinitiativen, Unternehmen
- INPUT Forderungen Unterstützung
- ZPES - Zentrales Politisches Entscheidungs-System --> Institutionen (Regierung (Exekutive), Parlament (Legislative), Rechtssystem (Judikative) --> Ebenen (Länder, Kommunen, Nationalstaat)
--> Rückkopplung an die Gesellschaft
- OUTPUT Normen, Entscheidungen über Ressourcen

Inputprozesse

können verschiedene Formen annehmen:
- spezifische Forderungen ("demands"), resultierend aus generellen Bedürfnissen ("wants") und Unterstützung ("support")

--> innerhalb des ZPES findet eine Verarbeitung ("conversion") dieser Inputs statt, um sie in Outputs umzusetzen

Outputprozesse

nehmen folgende Formen an:
- verbindliche Festlegungen ("authoritative outputs") und flankierende Anreize ("associated outputs", z.B. "benefits", "favors")
- Diese manifestieren sich jeweils in verbalen und in praktischen Unterformen ("statements" & "performances")

Eigenschaften des Totalitarismus

  1. Beherrschung des Staates durch eine Partei
  2. Diese Partei bedient sich einer spezifischen Ideologie
  3. Ideologische Indoktrination der Gesellschaft durch den Staat
  4. Zwangserfassung der ganzen Gesellschaft in den einzig legalen staatlichen Institutionen - Atomisierung der Gesellschaft
  5. Staatliche Instrumentalisierung vom kulturellen Erbe; Eliminierung unbequemer Traditionen
  6. Überwachung der Gesellschaft durch eine einzigartige Geheimpolizei
  7. Diffuse Entscheidungsstrukturen innerhalb der Staatspartei
  8. Verstaatlichung der gesamten Wirtschaft
  9. Willkürlicher Staatsterror
  10. Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche; "totale" Erfassung jedes Einzelnen

Totalitarismus - Eigenschaften II

  1. Abschaffung von autonom handelnden Akteuren
  2. Atomisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen
  3. Spezifische politische Kultur: homo sowjeticus (Aleksandr Zinovjev): Hörigkeit, Anspruchslosigkeit, sozialer Neid, Denunziantentum...
  4. Gegensatz zum Pluralismus und Zivligesellschaft --> verstanden als Freiheit des Einzelnen, Trennung von Wirtschaft und Politik

Postkommunistische Systemtransformation

2 Phasen:

- "Aussergewöhnliche" Politik: Legitimitätsvorschuss für die noch nicht existierende neue Herrschafts- und Gesellschaftsordnung

- "Normale" Politik: soziale Kosten der Reformen, Popularitätsverlust der reformbereiten Regierungen

Spezifika der postkommunistischen Systemtransformation

  1. Dilemma der Gleichzeitigkeit (Claus Offe) - geht auf den totalitären Charakter des sowjetsozialistischen Staates zurück --> Umwandlung aller gesellschaftlicher Subsysteme: Wirtschaft, Kultur, Politik, Soziales
  2. Revolutionäre Veränderung der Eigentumsverhältnisse - Umwandlung des Staats- in das Privateigentum, um die Entstehung einer "Klasse der Besitzenden" (Mittelstand) zu ermöglichen
  3. Posttotalitärer Voluntarismus: politischer Wille, Demokratie und Marktwirtschaft als Ziele der Systemtransformation zu erklären und durchzusetzen
  4. Der omnipräsent schwache, ineffiziente Staat: der Staatsapparat musste unter die Herrschaft des Gesetzes gestellt werden
  5. Fehlen zivilgesellschaftlicher Strukturen
  6. Militär gehörte nicht zu den Initiatoren des Systemwechsels

--> Rolle der Politik bestand darin, die positiven Folgen der Transformationsprozesse (Rechtsicherheit, politische Partizipation, Wirtschaftswachstum, steigender Wohlstand) möglichst schnell herbeizuführen.

Defekte Demokratien

A. Wahlregime

B. Politische Partizipation - Exklusive Demokratie: systematischer Ausschluss von Bevölkerungsteilen durch Verweigerung der Partizipation (Wahlrecht, Umsetzung), Präferenzen der Bürger finden keinen Eingang ins politische System, Beschneidung von polit. Organisation und Kommunikation 

C. Bürgerliche Freiheiten - Illiberale Demokratie: Suspendierung bestimmter bürgerlicher Freiheits- und Schutzrechte, Beschädigung der Rechtstaats-Dimension, Defekte in fundamentalen Grundprinzipien (unvollständiger Verfassungsstaat, beschädigter Rechtsstaat)

D. Gewaltenkontrolle - Delegative Demokratie: Beeinträchtigung der horizontalen Rechtsstaatsdimension (Gewaltenkontrolle), demokratiefeindliche Exekutivlastigkeit durch Aushöhlung der Justiz und Umgehung des Parlaments, populistisch-vertikale Legitimation

E. Effektive Regierungsausübung - Enklavendemokratie: Auftreten von demokratisch nicht legitimierten Vetospielern (Militär, Guerilla, Miliz, Unternehmer, multinationale Konzerne) --> Diese besetzen bestimmte Politikbereiche oder Territorien, Ursachen in Aufstandsbewegung oder militärischer Gewaltandrohung

Charakteristika des Autoritarismus (nach Juan LInz)

--> Nichtdemokratisch und nichttotalitär

1. Begrenzter (politischer und gesellschaftlicher) Pluralismus, mitunter "Semi- oder Pseudoopposition"

2. Keine leitende Ideologie, dafür "Mentalitäten" --> Mentalität ist formlos, emotional, subjektiv und ohne teleologischen Anspruch - Abgrenzung von Ideologie

3. Keine intensive / extensive Mobilisierung
- Politischer Führer oder Gruppe
- Entpolitisierung und Apathie der Bevölkerungsmassen
- Rekrutierung durch Kooptation 
- Eher konsensorientiert und nicht konfliktträchtig

Eigenschaften von quasi-demokratischen Autoritarismen nach dem Kommunismus

- In ihrer Legitimation verbinden sie formell-demokratische Formeln mit dem Rückgriff auf die Mentalitäten und die politische Kultur (der Untertanen); Apelle an Patriotismus und Nationalismus
- In der Herrschaftspraxis demokratische Verfahren, oft freie Wahlen
- Oligarchien, Partei der Macht, keine Trennung von Wirtschaft und Politik
- Politisierung der staatlichen Sicherheitsdienste

Charakteristika parlamentarischer Regierungssysteme

- Abberufbarkeit der Regierung durch das Parlament + Rücktrittsverpflichtung
--> Regierung ist vom Vertrauen des Parlamentes abhängig

- Auflösungsrecht der Regierung (der Exekutive)
- Kompatibilität (Regierungsmitglieder müssen auch ein Unterhausmandat besitzen)
- bikephale Exekutive
- Fraktionsdisziplin sichert Funktionsfähigkeit

Charakteristika präsidentieller Regierungssysteme

- keine Abberufbarakeit der Regierung durch das Parlament, keine Rücktrittsverpflichtung
--> Regierung unabhängig vom Vertrauen des Parlaments

- kein Auflösungsrecht der Regierung (der Exekutive)
- Inkompatibilität
- monokephale Exekutive (Exekutive hat eigentständige demokratische Legitimation
- keine Fraktionsdisziplin

Charakteristika Semipräsidentialismus

  • Direktwahl des Staatspräsidenten
  • Staatspräsident mit bedeutenden politischen Kompetenzen
  • als exekutives Gegengewicht zum Präsidenten existieren ein Regierungschef und eine Ministerregierung mit Regierungsmacht, die vom politischen Vertrauen des Parlamentes abhängig sind

Semipräsidentialismus: Frankreich --> Elemente des parlamentarischen Regierungssystems

- Systemlogik: Gewaltenverschränkung: Regierung rekrutiert sich aus der parlamentarischen Mehrheitsfraktion, jedoch Ernennung durch Präsidenten
- Abhängigkeit der Regierung: Regierung abhängig vom Vertrauen des Parlaments
- Auflösungsrecht der Regierung: Präsident kann die Nationalversammlung auflösen
- Amt und Mandat: -

Semipräsidentialismus: Frankreich --> Elemente des präsidentiellen Regierungssystems

- Systemlogik: Gewaltenteilung: Direktwahl des Präsidenten auf 5 Jahre.
- Abhängigkeit der Regierung: Präsident unabhängig vom politischen Vertrauen des Parlaments, er ernennt PM und Minister und entlässt sie auf Rücktrittsgesuch
- Auflösungsrecht der Regierung: - 
- Amt und Mandat: Inkompatibilität: Präsident und Regierungsmitglieder dürfen kein Parlamentsmandat innehaben.

Semipräsidentialismus: Schweiz --> Elemente des parlamentarischen Regierungssystems

- Systemlogk: Gewaltenverschränkung: Bundesrat wird von der Bundesversammlung gewählt
- Abhängigkeit der Regierung: Die Bundesversammlung übt die Oberaufsicht über den Bundesrat und Bundesverwaltung aus.
- Auflösungsrecht der Regierung: -
- Amt und Mandat: -

Semipräsidentialismus: Schweiz --> Elemente des präsidentiellen Regierungssystems

- Systemlogk: Gewaltenteilung: Beide Kammern der Buindesversammlung: NR und SR werden durch Direktwahl gewählt (ähnlich USA)
- Abhängigkeit der Regierung: Bundesrat als Kollegium kann aus politischen Gründen nicht abberufen werden.
- Auflösungsrecht der Regierung: Bundesrat kann Bundesversammlung nicht auflösen
- Amt und Mandat: Inkompatibilität Art. 144

Majorz

Kandidat muss Mehrheit der Stimmen erreichen (Stichwahl)

Merkmale:
- Ideal: stabile Regierung
- Entscheidungsregel: Majorz (the winner takes it all)
- Wählerbasis: Wahlprogramm
- Regierungsbildung durch eine Partei
- Tendenz zum Zweiparteiensystem

Auswirkungen / postulierte Vorteile:
- keine Parteienzersplitterung
- Zweiparteiensystem
- stabile Regierungsmehrheit
- Quasi-Direktwahl der Regierung durch Wähler
- erleichterter Regierungswechsel
- hohe Disproportionalität
- Persönlichkeit des Kandidaten von Bedeutung

Proporz

Mandatsvergabe nach Verhältnis Stimmenanteil

Merkmale:
- Ideal: gerechte Repräsentation
- Entscheidungsregel: Proporz
- Wählerbasis: Koalitionsprogramm
- Regierungsbildung durch Koalition
- Tendenz zum Mehrparteiensystem

Auswirkungen / postulierte Vorteile:
- Garantie Wahlgerechtigkeit
- Parlament als Spiegelbild der Wählerschaft
- Regierungsmehrheit = Bevölkerungsmehrheit
- Begünstigung neuer Parteien
- kein extremer Umschwung
- geringe Disproportionalität

Methoden der Verzerrung: Wahlkreisgeometrie

--> Gerrymandering

--> Wahlkreisgeometrie ist die entscheidende Verzerrungsmethode in Mehrheitswahlsystemen

1. Konzentration der gegnerischen Wahlbevölkerung in Hochburgen mit möglichst wenig Wahlkreisen (moderate Variante); --> Verzerrung durch ungleiche Wahlkreispopulationen
2. Zersplitterung der gegnerischen Wahlbevölkerung durch Aufteilung auf viele Wahlkreise, in denen sie jeweils keine Chancen auf Mehrheiten besitzt; --> Verzerrung durch willkürliche Wahlkreisgrenzen

--> Durch Reform der Wahlgesetzgebung udn regelmässige Kontrolle und Anpassung der Wahlkreisgrenzen (USA, GB: boundary commissions) ist diese Form der Verzerrung heute weniger bedeutsam als früher.

Methoden der Verzerrung: Auszählungsverfahren

- D'Hondt Verfahren begünstigt grosse Parteien (Höchstzahlenverfahren)
Extremes Beispiel: Anzal zu vergebender Sitze: 10, Anzahl abgegebener gültiger Stimmen: 1000. Partei A erringt 600 Stimmen, 7 weitere Parteien erringen zusammen 400 Stimmen (darunter keine mehr als 59). Im Ergebnis erhält Partei A mit einem Stimmenanteil von 60% alle 10 Sitze...

- System Hare/Niemeyer (Proportionalverfahren)

Parteien - Funktionskatalog

  • Rekrutierung - Angebot, Ausbildung und Heranführung von politischem Personal an ZPES
  • Interessenvertretung - Selektion, Aggregation und Artikulation gesellschaftlicher Forderungen (inputs) und Einspeisung in das politische System
  • Programm - Bündelung spezieller Interessen und Schaffung einer Entscheidungsgrundlage für den Wähler
  • Partizipation - Bereitstellung von potentiellen Verbindungen zwischen Bürger und politischem System, Verbesserung von Kommunikation und Information zwischen sozialem System und ZPES
  • Legitimation/Integration - Verankerung der Rechtmässigkeit der politischen Ordnung im Bewusstsein der Bürger
     

Kriterien zur Unterscheidung von Parteiensystemen

  • nach Zähleinheiten - Ein-, Zwei-, Mehrparteiensystem
  • Parteienstärke - dominantes, bipolares, multipolares Parteiensystem
  • Wählerschwankungen - symmetrisches oder asymmetrisches Parteiensystem
  • Regierungsbildung - stabile und instabile Parteiensysteme
  • programmatisch-ideologische Distanzen - polarisierte und nicht-polarisierte Parteiensysteme
  • Richtung des Parteienwettbewerbs - zentrifugale und zentripetale Parteiensysteme
  • Praxis der Machtausübung - hegemoniale und alternierende Parteiensysteme

Typologie von Giovanni Sartori

- Fragmentierung
- Polarisierung

2 Parteien - Zweiparteiensystem
3-5 Parteien (gemässigter Pluralismus) - Moderates Mehrparteiensystem
< 5 Parteien (extremer Pluralismus) - Polarisiertes Mehrparteiensystem

Cleavage-Theorie

Lipset/Rokkan:
"politische, territoriale, soziale und religiöse Konfliktlinien in der Gesellschaft während der Industrialisierung und Demokratisierung bedingen Parteiensysteme"

- Cleavages sind sozialstrukturell verankert; kollektive Identität ist den Gruppen bewusst;
- Cleavages finden organisatorischen Ausdruck, z.B. in Parteien;
- Cleavages können sich verändern, abschwächen, neu entstehen