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Kartei Details

Karten 37
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 15.07.2025 / 18.07.2025
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Soziale Kognitionen 

Kognitionen über soziale Beziehungen und soziale Phänomene

„Theory of Mind“ 

Ansatz, der die Entwicklung einer Art intuitiven Alltagspsychologie beschreibt, den „gesunden Menschenverstand über Bewusstseinsvorgange“

Alltagspsychologie impliziert, dass man sich selbst und anderen mentale Zustände zuschreibt, z.B. Absichten, Wünsche, Emotionen, Überzeugungen, die sich im Verhalten manifestieren

Theorie-Theorie Kernwissenshypothese 

Babys sind mit einem begrenzten Set an angeborenem Wissen in Kernbereichen (Domänen) wie Raum, Zeit, Zahlen, Objekte, lebende vs. nicht lebende Welt ausgestattet 

„Intuitive Theorie“ 

System aufeinander bezogener Konzepte, die Erklärungen und Vorhersagen in einer bestimmten Domäne erzeugen 

Definition Theory of Mind 

Intuitive Theorie, um zu erklären und vorherzusagen, was andere z. B. Intentionalität Wünsche Überzeugungen

  • planen
  • mögen und wollen
  • verstehen, wissen und glauben

Sich mentale Zustände anderer erschließen und über diese nachdenken 

Frühe Formen sozialer Bezugnahme

Wahrnehmung anderer als responsive Agenten

  • Säuglinge (2-3 Monate):
    • Mehr Lächeln und Vokalisieren gegenüber Menschen als gegenüber interaktiven Objekten (Legerstee, 1992)

=> Frühes Konzept von Personen als responsive Agenten

  • Personen können sich von allein in Bewegung setzen
  • Sind durch kommunikative Signale beeinflussbar

Intentionalität: Experiment Woodward 

Menschen sind intentionale Agent*innen

Intentionalität: Interaktionen im ersten LJ

Erste Hälfte des ersten LJ: Interaktion von Säuglingen vor allem dyadisch Personen, sowie mit Objekten mit anderen

Im Alter von neun bis zwölf Monaten: zunehmend mehr triadische Interaktionen

 

Intentionalität Entwicklung der Joint Attention 

Joint Attention: Kind richtet gemeinsam mit Bezugsperson Aufmerksamkeit auf ein Objekt

Zunächst: Blickwechsel zwischen Objekt und Bezugsperson (joint engagement)

Kommunikative Gesten

  • Imperativ: fordern Objekt oder Verhalten (ab 9/10 Monaten)
  • Deklarativ: fordern Aufmerksamkeit von Bezugsperson (ab 12 Monaten)

Verstehen deiktischer Gesten (Zeigegesten) der Bezugsperson auf ein Zielobjekt (um den 13. LM)

Ab 9. LM: Verstehen Blickzuwendung anderer auf Zielobjekte (attention following)

Blick in Richtung, in die Kopf zeigt (auch wenn dessen Augen geschlossen sind)

Um den 12. LM: Beachten, ob Augen der Bezugsperson offen sind

Verhaltensnachahmung mit repräsentiertem Zielbezug (imitative learning)

referentieller Sprachgebrauch, Kind bezeichnet Gegenstände oder Aktivitäten (referential language)

Selbstkonzept 

Die Art und Weise wie eine Person sich selbst definiert

Basale Form: Selbstrekognition

  • Erkennen, dass auch man selbst ein intentionaler Agent ist

3 Monate: Unterscheidung Bilder, auf denen Kind selbst zu sehen ist und Bilder, auf denen andere Kinder zu sehen sind (Bahrick et al., 1996

Selbstrekognition ≠ Bewusstsein für das Selbst

Kernselbst (Stern, 1985)

  • Unreflektiertes Selbstempfinden
  • Erlaubt, sich selbst als leiblich getrennt von anderen wahrzunehmen

=> Unterscheidung externale (durch andere) vs. internale (durch Kind selbst) Kontrolle des Geschehens 

Entwicklung des Selbstkonzept: Gefühlsansteckung

Wahrnehmung einer Emotion bei anderen erzeugt die gleiche Emotion bei Beobachtenden

Neugeborene: Ansteckung durch das Geschrei anderer Babys

Während des 1. LJ: Ansteckung bei Freude, Ärger und Trauer

  • ≠ Verständnis für die Gefühle anderer
  • Ort des Gefühls bleibt unbestimmt: Gefühl aus dem eigenen Selbst oder Übertragung von anderer Person? 

Entwicklung des Selbstkonzept: Implizites vs explizites Selbst 

Implizites Selbst (I-self oder implicit self): Geburt bis 15.-18. LM

  • Kein Bewusstsein vom Selbst
  • Unterscheidung zwischen dem Selbst und anderen
  • Erkenntnis etwas verursachen zu können

Explizites Selbst (me-self oder explicit self)

  • Bewusstsein vom Selbst

Selbstkonzept Messung mit dem Rouge Test 

Messung mit Rouge-Test

  • Kinder werden unbemerkt mit Fleck auf Nase oder Wange versehen
  • Konfrontation mit dem Spiegelbild
  • Fasst Kind an eigene Nase/Wange?
  • Zu beobachten ab einem Alter zwischen 15 und 24 Monaten

Vorher: „Playmate-Verhalten“ und Vermeidung der eigenen Ansicht

Videotest Selbstkonzept 

Eine Abwandlung des Spiegeltests

Wenn es sich um eine Live-Übertragung handelt (hier bei zwei- bis vierjährigen Kindern), so wurde der Fleck von 62% sofort entfernt.

Wurde das Video jedoch einige Minuten zeitversetzt bei Zweijährigen (nicht mehr bei Vierjährigen) eingespielt, so erfolgte dies nicht. 

Videotest: Ergebnis: Mögliche Interpretation 

Zunächst nur kinästhetisches Selbstkonzept

Reagieren erst später auf den zeitverzögerten Videofilm

Jetzt erst entwickelt sich das autobiographische Gedächtnis

Wünsche (+Experiment) 

Differenzierung zwischen eigenen und fremden Wünschen

Brokkoli-Test

  • Untersuchung mit 14 und 18 Monate alten Kindern
  • Annahme: Kinder mögen keinen Brokkoli
  • VL äußert Präferenz für Brokkoli
  • Aufforderung: „Gib mir das, was ich gerne mag.“
    • 14 Monate: geben Cracker
    • 18 Monate: geben Brokkoli
  • können Wunsch emphatisch nachempfinden

Überzeugungen 

Verständnis dafür, dass eigene Überzeugungen von der Realität abweichen können (False Belief)

Verbreitete These: Verständnis von False Belief als Beleg für eine ausgereifte Theory of Mind

Messung

  • Unerwarteter Transfer („Maxi und die Schokolade“, „Sally-Ann-Task“)
  • Deceptive-Box-Test („Smarties-Aufgabe“)

False Belief: Maxi und die Schokolade 

  • Maxi und seine Mutter waren Einkaufen und Maxi legt die eingekaufte Schokolade in die rote Schublade.
  • Maxi geht auf den Spielplatz.
  • Die Mutter nimmt die Schokolade aus der Schublade und legt sie im Anschluss in die grüne Schublade.
  • Maxi kommt nachhause und möchte Schokolade essen.

Wo wird Maxi die Schokolade suchen? 

Mit 4-5 noch viele falsche Antworten

Modifikationen zum Ausschluss von Alternativerklärungen

  • Mangelnde Inhibition: „Stop-and-Think“
  • Geringer Unterschied zwischen Realität und falscher Überzeugung: Schokolade verschwindet ganz

 

Überzeugungen Verständnis von False-Belief

Deceptive-Box: Smarties-Aufgabe

  • VL zeigt Smarties-Rolle: „Was denkst du, ist in der Rolle?“
  • Kind: „Smarties.“
  • VL öffnet Rolle: Darin befinden sich Stifte.
  • VL: „Als du zuerst die Rolle gesehen hast, als sie noch geschlossen war, was dachtest du, ist in der Rolle?“
  • Kind (bis ca. 4-5 Jahre): „Stifte!“
  • VL: „Was wird Jane denken, was in der Rolle ist?“
  • Kind (bis ca. 4-5 Jahre): „Stifte!“ 

=> Kinder jünger als 4-5 Jahren verstehen auch noch nicht, dass sie selbst mal eine falsche Überzeugung hatten

Ergebnisse Langzeitstudie zu False Belief von Flynn

< 3,5 Jahre: keine richtigen Antworten (Realitätsurteil)

3,5 - 4 Jahre: „Verwirrungsstadium“

> 4 Jahre: hauptsächlich richtige Antworten

Verständnis false-belief mit Habituations-paradigma? 

Hinweise auf implizites Verständnis für False Belief bei Kindern im Alter von 15 Monaten in Habituationsexperimenten

Fazit: false Belief 

Alterstrend in False-Belief-Aufgaben als robustes Entwicklungsphänomen

Metaanalyse von mehr al 500 False-Belief-Studien (Welllman, Cross & Watson, 2001)

2,5-Jährige und junge 3-Jährige: mehrheitlich False-Belief Fehler

Ab 3,5 Jahren: Zunahme korrekter Antworten

Unabhängig von verschiedenen Manipulationen und Variationen

Theorien zu false belief: Intuitive Theorie (Theorie-Theorie) 

System aufeinander bezogener Konzepte, die Erklärungen und Vorhersagen in einer bestimmten Domäne erzeugen

Trainierbar, indem man z.B. die Elemente der Theorie direkt anspricht 

Belief-desire-theory: Wellman (1990) 

Desire: Bedürfnisse, Wünsche, Motive, Absichten, Intentionen

Beliefs: Erwartungen, Meinungen, Ansichten, Überzeugungen über Sachverhalte

Wahrnehmungen

Emotionen

Worauf basiert die Belief-desire Theory

Verständnis von dem Unterschied zwischen vorgestellten, geträumten, erinnerten Objekten und wirklichen Objekten (z.B. ein vorgestelltes Bonbon kann man nicht essen)

Glauben, dass Überzeugungen und Wünsche das Handeln beeinflussen (können voraussagen, dass jemand weitersuchen wird, wenn er etwas nicht gefunden hat, wo er es erwartet)

Verständnis, dass andere Personen etwas sehen können, was man selbst nicht sieht („level 1 Perspektivenkoordination“)

Wellman 1992 (Typ von Belief-desire-theory)

2 Jahren: naive Alltagspsychologie bezüglich Verstehen einfacher Wünsche (desires)

ca. 3 Jahren: Alltagspsychologie umfasst erste Wünsche und Überzeugungen (initial belief-desire psychology).

  • Handlungen werden in Abhängigkeit von den Überzeugungen, Wünschen und Intentionen des Handelnden erfahren, aber die handlungsverursachende geistige Instanz (mind) wird noch nicht als differenzierte Instanz verstanden

Überzeugungen setzen Repräsentationen und Interpretationen von Zuständen in der äußeren Welt voraus und sind nicht einfach Einstellungen zur Welt oder Bezüge zur Welt wie bei Wünschen und Intentionen;

Überzeugungen sind repräsentationale Zustände par excellence 

False belief nach Wellmans Erklärung 

Theorien zu false belief: Reifungs- / Modularität Theorie 

TOM ist modular (durch Evolution)

resultiert aus internen Reifungsprozessen

ToM ist anhand anderer Konzepte NICHT trainierbar (im Gegensatz zu Annahmen der Theorie-Theorien), solange Reifungsprozess noch im Vorstadium

Simon Baron-Cohen (1995)

Im Verlauf der menschlichen Evolution wurden domänenspezifische Module entwickelt:

  • ID: intentionality detector
  • EDD: eye-direction detector
  • SAM: shared attention mechanisms (vgl. joint attention)
  • TOMM: theorie of mind module

Evidenz: Untersuchungen mit autistischen Kindern

Theorien zu false belief: Simulations-Sichtweise 

Kinder verstehen geistige Prozesse, indem sie sie simulieren

False-Belief-Verständnis erfordert die gleichzeitige Repräsentation der realen Situation und der (falschen) Überzeugung einer anderen Person über diese Realität.

Das Kind muss also zwei mentale Modelle gleichzeitig aktiv halten:

  • die eigene wahre Sicht auf die Welt
  • die abweichende, falsche Sicht der anderen Person

Gelingt erst ab 4 Jahren

Weitere Entwicklungen der Theory of Mind 

Verstehen von False-Belief/Überzeugungen zweiter (und höherer) Ordnung (z.B. Lockl & Schneider, 2007)

  • Maxi denkt, dass seine Mutter, dass seine Tante denkt,…
  • Was glaubst du würde dein Vater sagen, was dein Bruder wohl darüber denkt, was dessen Frau denkt…

Vorurteile

Meinungen von Gruppen vs. Meinungen von Einzelpersonen • Ironie, Sakasmus, falsche Emotionen etc

Thesen für Theory of Mind bei Tieren

These (Gordon Gallup):

  • Schimpansen und Orang-Utans, die ihr Spiegelbild erkennen, nehmen sich bewusst wahr.
  • Sie können sich darum auch das psychische Befinden anderer Individuen erschließen.

These (Daniel Povinelli):

  • Nein, können sich nicht in mentale Zustände anderer hineinversetzen
  • Haben kein Verständnis des eigenen mentalen Zustands

Povinelli: Theory of Mind bei Tieren?

Schimpansen folgen der Blickzuwendung auf Zielobjekte (attention following)

Verständnis für andere als intentionale Agenten?

Povinelli: Nein

  • Adaptiv in die gleiche Richtung zu schauen wie Artgenossen
  • „geistesblinder Mechanismus“

Theory of Mind bei Tieren? Tomasello: 

Menschaffen können Intentionen von anderen Affen und Menschen erfassen und kommunizieren mit Gesten, um aufzufordern.

Aber nur Menschen kommunizieren zum Zweck des Informierens und des Teilens, weil nur sie Intentionen aufeinander abstimmen.

Kommunikation mit Gesten setzt ein Verstehen der Intentionen des Gegenübers voraus.

Informieren und Teilen erfordert eine geteilte Intentionalität, mit anderen zusammen an kooperativen Aktivitäten mit geteilten Zielen und gemeinsamen Absichten teilzunehmen

Theory of Mind bei Tieren? False-Belief

Premack & Woodruff (1978)

Täuschungshandlungen von Schimpansen: Nahrungskonkurrenten durch falsches Deuten in die Irre leiten

Kritik

  • Erlernen einer Verhaltensroutine, ohne die mentalen Zustände der Konkurrenten zu repräsentieren

Bananentest bei Affen wegen Theory of Mind False Belief

Test: VL legt Bananen nach rechts und nach links 

blickt dann, anders als bei der Vorbereitung, demonstrativ nach rechts.

Weiß der Schimpanse, dass das seine Chance ist? 

Ergebnis:

  • 80% wählten die Seite, wo VL nicht hinsieht.
  • In ca. 10% der Versuche wurde sogar falsche Richtung angetäuscht und dann die andere gewählt.

Test Ebene 1 Perspektivenwechsel bei Affen

  • Futter wird für beide sichtbar in oberer Tasse versteckt (i),
  • Danach nur für Affe 1 sichtbar weiteres in unterer Tasse (ii) ein
  • Affe 2 wählt (nicht sichtbar für Affe 1) (iii)
  • Was macht Affe 1 bei (iv)? Wählt untere Tasse (korrekterweise

 

  • Weniger attraktiver Gegenstand auf Tisch bei Affe 1 und ein attraktiver in die obere Tasse (i)
  • Attraktiver Gegenstand in untere Tasse verschoben, nur für Affe 1 sichtbar (ii)
  • Affe 2 wählt (nicht für Affe 1 sichtbar) (iii).
  • Denkt fälschlicherweise , dass attraktiver Gegenstand noch in der oberen Tasse liegt
  •  wählt wahrscheinlich obere Tasse.
  • Was macht Affe 1 bei (iv)?
  • Bei Verständnis von False Belief: untere Tasse (Annahme, dass Spieler 2 die obere Tasse gewählt hat) : „Versteht“ er nicht

 

=>Sowohl Schimpansen als auch menschliche Kinder meistern Ebene-1-Aufgabe

=>nur menschliche Kinder ab 5-6 Jahren meistern „false-belief“

Gesamtfazit 

Soziale Kognition, soziale Bezugnahme (zumindest implizit) sehr früh vorhanden

Im Verlauf der ersten 5 Lebensjahre enorme Entwicklung

Weitere Entwicklung über die Kindheit hinaus, Varianz auch noch bei Erwachsenen

Nicht-menschliche Primaten zeigen beachtliche Leistungen, erreichen nicht das Niveau von Kindern.