Bildungspsychologie - Modul AF B Teil 2

Fernuniversität Hagen SS 19

Fernuniversität Hagen SS 19


Kartei Details

Karten 181
Lernende 10
Sprache Deutsch
Kategorie Psychologie
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 01.08.2019 / 13.02.2022
Weblink
https://card2brain.ch/box/20190801_bildungspsychologie_modul_af_b_teil_2
Einbinden
<iframe src="https://card2brain.ch/box/20190801_bildungspsychologie_modul_af_b_teil_2/embed" width="780" height="150" scrolling="no" frameborder="0"></iframe>

502. Standards für Evaluationen (aus den Richtlinien des Joint Committee on Standards for Educational Evaluation)

Nutzenstandards („utility standards“)

  • fordern, dass mit den Ergebnissen von Evaluationen ein aktueller Wissensbedarf befriedigt werden kann
    • Evaluationsberichte sollen informativ und zeitgenau zur Verfügung gestellt werden

Machbarkeits- oder Durchführbarkeitsstandards („feasibility standards“)

  • legen Regeln fest, nach denen das Design einer Evaluationsstudie an die Erfordernisse der natürlichen Umgebung angepasst werden muss

Standards für Anstand und ethisches Vorgehen („propriety standards“)

  • garantieren den Schutz individueller Rechte

Genauigkeitsstandards („accuracy standards“)

  • beziehen sich vor allem auf den Begründungszusammenhang von Evaluationen und sollen sichern, dass eine Evaluation aufseiten der Abnehmer verwertbare Informationen liefert

503. Definition pädagogisch-psychologischer Diagnostik

  • Der Einsatz von pädagogisch-psychologischer Diagnostik soll bei der Lösung praktischer pädagogischer, schulischer oder bildungsbezogener Probleme und Fragestellungen helfen
  • Pädagogisch-psychologische Diagnostik bezieht sich auf einzelne Merkmalsträger, in der Regel Personen
  • Von den Merkmalsträgern werden Ausprägungen interessierender Merkmale und Konstrukte gemessen
    • Hierzu werden unterschiedliche Verfahrensklassen (Leistungstests, Fragebögen, Interviews, demographische Angaben etc.) eingesetzt
  • Die gewonnene Information wird mit möglichst transparenten, nachvollziehbaren und problemadäquaten Methoden zu einem Urteil verdichtet
  • Starke Orientierung auf Fragen der Veränderbarkeit

504. Diagnostische Ziele - Taxonomie nach Pawlik

  • Status- versus Prozessdiagnostik

 

  • Selektions- versus Modifikationsdiagnostik

 

  • kriteriums- versus normorientierte Diagnostik

505. Statusdiagnostik

  • Ausprägung der interessierenden Eigenschaft zum gegebenen Zeitpunkt

 

  • Die untersuchten Merkmale sind dabei nicht direkt beobachtbar, sondern führen im Sinne einer Verhaltensbereitschaft dazu, dass Personen in ähnlichen Situationen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ähnlich handeln

 

  • Somit wird in der Statusdiagnostik eine wenigstens mittelfristige zeitliche und situative Stabilität der untersuchten Merkmale vorausgesetzt
    • Beispiel: Untersuchung von Studienplatzbewerbern bezüglich der Eignung für ein bestimmtes Hochschulstudium

506. Prozessdiagnostik

Beurteilung spontaner oder gezielt herbeigeführter Veränderungen über einen Zeitraum

  • Beispiel: Untersuchung der Veränderung sprachlicher Denkleistungen eines Schulkindes, das an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leidet, während des Therapieverlaufs

Methodisch spielen hier insbesondere Aspekte der Einzelfallanalyse und der Veränderungsmessung eine deutlich größere Rolle als bei der Statusdiagnostik

507. Selektionsdiagnostik

Auswahl von geeigneten Personen oder Bedingungen mit dem Ziel der Optimierung eines Kriteriums (z.B. berufl. Leistung)

  • Personenselektion: Auswahl geeigneter Kandidaten für die Zulassung zu sehr beliebten Studiengängen
  • Bedingungsselektion: z.B. Berufsberatung

508. Modifikationsdiagnostik

Veränderung des Erlebens/Verhaltens oder der Bedingungen

  • Verhaltensmodifikation: Veränderung der Person (z.B. Auswahl klinischer Interventionen)
  • Bedingungsmodifikation: Ziel = Optimierung der Bedingungen (z.B. Arbeitsplatzgestaltung)

Während einer Verhaltenstherapie eines Grundschulkindes, bei dem eine Rechenschwäche
(Dyskalkulie) diagnostiziert wurde, steht die Modifikation des Verhaltens im Vordergrund

  • Während der Therapie werden häufige Fehlerquellen beim Lösen von Rechen- und Sachaufgaben aufgezeigt.
  • Der Therapeut erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem Kind und seinen Eltern in verschiedenen Übungen adäquate Strategien, die das Ausmaß und die Auswirkungen der Rechenschwäche mildern sollen

509. Kriteriumsorientierte Diagnostik

Man spricht von kriteriumsorientierter Diagnostik, wenn die Leistung der jeweiligen Person im Vergleich zu einem definierten Kriterium bewertet wird

  • z.B. beim Führerschein

Hier geht es also primär um die Frage, welche Personen das festgelegte Kriterium erreichen oder überschreiten

510. Normorientierte Diagnostik

Hier werden die Ausprägungen auf interessierenden Merkmalen mit einer relevanten Bezugsgruppe verglichen

Neben dem Vergleich mit sachlichen und sozialen Bezugsnormen kann auch der Vergleich innerhalb von Personen (sog. intraindividueller Vergleich) vorgenommen werden

511. Entscheidungen, die die Bildungslaufbahnen betreffen - In diesem Teilgebiet sind die folgenden
diagnostischen Fragestellungen relevant:

  • Einschulung
  • Lernbehinderung
  • Teilleistungsstörungen
  • Verhaltensauffälligkeiten
  • Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe
  • Hochbegabung
  • Hochschulzugang
  • Berufsberatung
  • berufliche Weiterbildung

512. Zwei Kernprobleme traditioneller Einschulungsdiagnostik

Eine verzögerte Einschulung verhindert das, was Kinder mit schwächer ausgeprägten Kompetenzen besonders nötig haben: schulische Förderung

die Anzahl der Fehlentscheidungen ist sowieso schon gering, wenn fast alle Personen eine bestimmte Ausprägung aufweisen (d. h. für die Einschulung „geeignet“ sind) und wenn überhaupt keine Diagnostik betrieben wird (d. h. alle Kinder eingeschult werden)

  • Verbesserung durch Diagnostik kaum möglich

513. Probleme bei der Diagnostik von Lernbehinderungen

Lernbehinderung ist ein wissenschaftlich wenig präziser Begriff

Die Diagnose einer Lernbehinderung ist im Wesentlichen an eine normorientierte Klassifikation
von Intelligenzmessungen geknüpft

  • wird erschwert durch regionale Variationen eingesetzter Verfahren und verwendeter Normen und Kriterien

Starke Überlappung der Sonderschulzugehörigkeit mit sozioökonomischem Status und unzureichende Trennung der Intelligenzverteilungen von Haupt- und Sonderschülern

514. Probleme bei der Diagnostik von Teilleistungsstörungen

Teilleistungsstörungen können laut Definition nur bei ansonsten unbeeinträchtigter Intelligenz vorliegen

  • Weniger intelligente Kinder können also schwerlich kognitive Teilleistungsstörungen aufweisen
  • In Abhängigkeit vom Zusammenhang zwischen spezifischer und allgemeiner Leistung, muss ein bestimmter Prozentsatz der Kinder die wesentliche Voraussetzung einer Teilleistungsstörung aufweisen

515. Diagnostizieren von Verhaltensauffälligkeiten

Die in der pädagogischen Praxis am häufigsten auftretenden Verhaltensauffälligkeiten lassen
sich drei Störungsgruppen zuordnen:

  • Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen
  • Störungen des Sozialverhaltens
    • sich wiederholende und andauernde Muster mutwilligen dissozialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens
  • emotionale Störungen des Kindesalters
    • u. a. phobische Störungen, soziale Ängstlichkeit und Trennungsangst

Problem:

  • Die zuverlässige Erfassung der für die jeweilige Diagnose in den internationalen Klassifikationssystemen definierten notwendigen und optionalen Kriterien gestaltet sich in der Praxis häufig schwierig
  • Die Methode der Wahl ist die Verhaltensbeobachtung in problematischen Situationen
    • Oft Fremdbeurteilung durch die Bezugspersonen, die jedoch subjektiv gefärbt ist

516. Diagnostizieren von Hochbegabung

Ähnlich wie bei der Lernbehinderung geht es bei der Diagnostik der Hochbegabung nach Rost darum

  • eine Gruppe besonders begabter Personen zu identifizieren
  • nach ihren Möglichkeiten optimal zu fördern – etwa in speziellen Institutionen bzw.
  • spezifische Probleme dieser Personengruppe besonders zu adressieren

Im Kern steht bei der Hochbegabung eine überdurchschnittlich ausgeprägte Intelligenz

  • Zur Vorhersage hochbegabter Verhaltensweisen sind neben überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten weitere Bedingungsfaktoren von Bedeutung, wie z.B. Kreativität, soziale Kompetenz oder nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale wie Leistungsorientierung und Aufgabenzuwendung

Intellektuelle Hochbegabung im Sinne einer statistischen Norm ist hinreichend definiert über das
Überschreiten einer bestimmten Schwelle (z.B. Intelligenzquotient 130 oder höher)

517. Diagnostik und Hochschulzulassung

Aus erfahrungswissenschaftlicher Sicht sind die Empfehlungen zur Hochschulzulassung an
Eindeutigkeit kaum zu übertreffen

  • Schulabschlüsse und Schulleistungen, die zur Hochschulzugangsberechtigung führen erklären Studienleistungen recht gut
    • Dies gilt auch für sogenannte Studierfähigkeitstests
  • Die empirischen Belege sprechen dafür, dass die beiden Prädiktoren sich in ihren Vorhersageleistungen ergänzen

518. Probleme bei der Diagnostik von Hochschulzulassungen

  • Fairnessprobleme bei der Beurteilung von Schulleistungen
  • Ursachen für den häufig zu beklagenden Studienabbruch
  • Konsequenzen verschiedener Zulassungsprozeduren für die soziale und ethnische Zusammensetzung der Studierenden
  • die Messung des Kriteriums „Studienerfolg“, insbesondere jenseits traditionell herangezogener Prüfungsleistungen in den Anfangssemestern
  • An einigen Hochschulen werden in vielen zulassungsbeschränkten Studiengängen Verfahren eingesetzt, deren Nützlichkeit äußerst fragwürdig ist
    • So werden bspw. in der Praxis neben der Abiturnote gewichtete, für den Studiengang vermeintlich relevante Einzelnoten herangezogen
  • Insgesamt erfolgt die Entscheidungsfindung im Feld der Hochschulzulassung in Deutschland häufig ohne die Einbeziehung der pädagogisch-psychologischen Diagnostik

519. Diagnostischer Prozess

  • Begründete Zuschreibung einer Eigenschaft zu einer bestimmten Beobachtungseinheit
  • Der diagnostische Prozess muss wissenschaftlichen Ansprüchen unter Berücksichtigung von Kosten-Nutzen Aspekten genügen
  • Im diagnostischen Prozess lassen sich vier Phasen unterscheiden:
    • Problemanalyse,
    • hypothesengetriebene Informationsgewinnung
    • diagnostisches Urteilen
    • Evaluation

520. Drei Arten von Reliabilität

  • Retest-Reliabilität bzw. Stabilität

 

  • Paralleltest-Reliabilität bzw. Äquivalenz

 

  • Interne Konsistenz bzw. Inter-Item-Konsistenz

521. Zwei miteinander zusammenhängende Fragen, mit denen sich die Validitätsprüfung befassen kann (nach Messick):

Gibt es Belege, die die beabsichtigte Interpretation bzw. Bedeutung der Testwerte unterstützen?

Gibt es Hinweise darauf, dass diese Testwerte relevant und nützlich in Bezug auf bestimmte praktische Anwendungen sind?

522. Relevante Evidenz für die Validität eines Tests kann nach APA-Standards in mehrere Kategorien eingeteilt werden:

Testinhaltsanalysen sollen die Beurteilung der Passung zwischen dem zugrunde liegenden
Konstrukt und den konstruierten Testaufgaben erlauben

  • durch streng theoriegeleitete Aufgabenkonstruktion
  • durch Expertenbefragungen, bei denen die Repräsentativität und Adäquatheit der Aufgaben beurteilt wird

Zusammenhänge mit anderen Variablen erlauben Schlüsse über konvergente, diskriminante und
prädiktive Validität in einem nomologischen Netzwerk

  • Der Multi-Trait-Multi-Method-(MTMM-)Ansatz erlaubt die simultane Prüfung konvergenter und diskriminanter Validitätsaspekte
  • Zusätzlich sollten die Testleistungen mit relevanten Kriterien (z. B. Schulnoten) korrelieren —> prädiktive Validität

Bei der Analyse der internen Teststruktur steht die Struktur des interessierenden Merkmals im
Vordergrund

  • Dazu werden Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aufgaben bzw. einzelnen Testskalen näher untersucht
  • Hierbei wird empirisch geprüft, ob ein Test ein oder mehrere latente Konstrukte erfasst

Analysen individueller Strategien sollen detailliert Aufschluss geben über Prozesse, die bei der
Bearbeitung der Testaufgaben beteiligt sind

  • Dies kann z. B. über die Methode des lauten Denkens erfolgen

523. Drei Definitionen von Validität

Validität ist das Ausmaß, zu dem ein Test das misst, was er zu messen vorgibt. Validität ist in diesem Verständnis eine Eigenschaft des Tests.

In den APA-Standards (2002) wird Validität als eine Eigenschaft der Testwerte verstanden. Validität gibt den Grad an, zu dem die empirischen Belege und theoretischen Sachverhalte die beabsichtigte Interpretation der Testwerte unterstützen.

Borsboom et al. (2004) definieren Validität konstruktbezogen. Ein Test ist demnach für die
Erfassung eines bestimmten Konstruktes valide, wenn

  • dieses Attribut existiert und
  • die Variation in diesem Konstrukt die Variation in den gemessenen beobachteten Variablen kausal verursacht

524. Weitere relevante Gütekriterien zur Beurteilung psychologischer Messverfahren

Qualität der Normierung

  • Normen sollten nicht älter als zehn Jahre sein
  • die untersuchte Normstichprobe muss ausreichend groß und repräsentativ für die angestrebte Zielgruppe sein

Kosten-Nutzen-Verhältnis

525. Klassifikatorische Diagnostik

Die Einordnung von Merkmalsträgern in wenigstens zwei Kategorien am Ende eines

  • diagnostischen Prozesses
  • erkrankt und nicht erkrankt etc.

526. Koeffizienten zur Beurteilung der Klassifikationen

Basisrate/ Prävalenz

  • gibt den Anteil der gestörten Kinder in der Stichprobe an
  • P = RP + FN
    • Gegenwahrscheinlichkeit: P = RN + FP

Selektionsrate

  • Anteil der Kinder, für die der Test eine positive Diagnose ergibt
  • Q = RP + FP

Sensitivität des Tests

  • Anteil der gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert wurden
  • SE = RP / (RP + FN)

Spezifität

  • gibt den Anteil der korrekterweise als ungestört diagnostizierten Kinder an
  • SP = RN / (RN + FP)

Effizienz

  • gibt den Anteil korrekt klassifizierter Kinder an
  • = RP + RN
    • Eine Effizienz von 0,78 bedeutet z.B., dass 22 % der Kinder mit dem Testverfahren falsch klassifiziert wurden

527. Wann ist ein Test ein legitimer Test?

Für einen legitimen Test muss eine signifikante Korrelation zwischen der diagnostischen Entscheidung und dem tatsächlichen Zustand vorliegen

528. Relatives Risiko und Odds-Ratio

Das relative Risiko ist das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses
(Dyskalkuliediagnose) bei positiver Ausprägung im Vergleich zu einem positiven Ergebnis
(Dyskalkuliediagnose) bei negativer Eigenschaftsausprägung

  • Die Chance, dass im oben genannten Beispiel ein Kind mit Dyskalkulietestergebnis tatsächlich dyskalkulisch ist, berechnet sich aus dem Verhältnis richtig-positiv zu falschpositiv und beträgt 0,3:0,1 oder 3:1
  • Die Chance, dass ein Kind ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis tatsächlich dyskalkulisch wäre, beträgt 0,12 : 0,48 oder 1 : 4

Die Odds Ratio ist ein Maß für die Stärke des Unterschieds zwischen zwei Gruppen

  • Die Odds Ratio setzt die Odds der beiden Gruppen zueinander ins Verhältnis
  • Im Beispiel beträgt die Odds Ratio 3 : 0,25 = 12
    • wegen 3:1 und 1:4
    • Das heißt, die Chancen (bzw. das Risiko) von Kindern mit auffälligem Dyskalkulietestergebnis tatsächlich dyskalkulisch zu sein, sind 12-mal so groß wie die von Kindern ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis, tatsächlich dyskalkulisch zu sein

529. Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten

  • Lebensdaten (biografische Daten)
  • Zensuren
  • Selbstberichtsinstrumente
  • Testdaten: Intelligenz- und Schulleistungsdiagnostik
    • Intelligenztest z.B.: IST 2000 R
    • Schulleistungstest z.B.: DEMAT 4 (Erfassung mathematischer Rechenfertigkeiten in der Grundschule)
    • Zur Diagnose von Dyskalkulie z.B.: ZAREKI
  • Interviews und Beobachtungsinventare

530. Für Schüler in den ersten Schuljahren stellen die beiden nachfolgenden Fähigkeiten eine besonders große Herausforderung dar:

Der Erwerb von mathematischem Faktenwissen

  • Darunter versteht man die im Langzeitgedächtnis abgespeicherten Ergebnisse einfacher Rechenvorgänge
  • führt zur Entlastung des Arbeitsgedächtnisses

Der Erwerb von Kompetenzen zum Lösen von Textaufgaben

Defizite in diesen beiden Fähigkeitsgebieten stellen ein hohes Risiko für die Ausbildung einer Rechenschwäche dar

531. Der Erwerb mathematischen Faktenwissens kann durch eine Intervention auf Grundlage von sieben Prinzipien gefördert werden:

Explizite Instruktionen

  • Kinder mit Lernstörungen im mathematischen Bereich profitieren in besonderem Maß von einer klaren direkten Vorgabe der Lerninhalte —> so wird das Arbeitsgedächtnis entlastet

Ausgeprägtes Instruktionsdesign

  • Die Lerninhalte werden sehr differenziert zergliedert und dem Kind nacheinander dargeboten

Starke konzeptuelle Basis

  • Die Ziele und die Teilschritte des Instruktionsdesigns müssen den Erkenntnissen über den Ablauf des Erwerbs mathematischer Fähigkeiten folgen

Einüben und Trainieren („Drill and Practice“)

  • Die Einheiten mathematischen Faktenwissens sind klein und die einzuübenden Prozeduren von geringer Komplexität

Zusammenfassende Überprüfungen

  • Jede Trainingseinheit schließt mit einer Prüfung der Lerninhalte der gesamten Einheit ab + Feedback

Einsatz von Motivatoren

  • Schülerinnen und Schüler mit Lernstörungen haben häufig schulisches Versagen erlebt, weshalb es wichtig ist, motivationale Anreize in die Instruktion einzubauen
    • Z.B. Sterne sammeln und am Ende eine Belohnung bekommen

Lernfortschrittsmessung

  • Durch kontinuierliche Überwachung des Lernfortschritts können diejenigen Kinder identifiziert werden, die nicht auf die Intervention reagieren

532. Der Ablauf eines starken instruktionalen Designs am Beispiel des Math-Flash Trainings (48 Sitzungen)

Aufwärmphase mit Flash-Cards

 

  • Der Trainer zieht per Zufall einzeln Flash-Card Aufgaben aus dem Standardset und der Schüler gibt eine Antwort
    • Bei korrekter Antwort wird die Karte auf einen Korrekt-Stapel abgelegt
    • Bei falscher Antwort wird der Schüler aufgefordert, das Ergebnis durch Abzählen zu finden und die Karte auf den Inkorrekt-Stapel zu legen
  • Nach zwei Minuten zählt der Schüler die korrekten Antworten und trägt das Ergebnis für die Sitzung in einen Graphen ein

Konzeptuelle und strategische Instruktionen

  • Erklärung neuer Konzepte und Strategien oder Wiederholung bereits gelernter Inhalte
  • Im Mittelpunkt stehen die zwei Strategien: Du weißt es, oder du zählst es!
  • Zuhilfenahme von Gegenständen, Zahlenstrahlen etc.

Sitzungsspezifische Flash-Card Übung

  • Nach einer Minute werden die Karten auf dem Korrekt-Stapel gezählt
  • Ein Eintragen des Ergebnisses in einen Graphen erfolgt nicht
    • Der Trainer merkt sich das Ergebnis und ermutigt den Schüler, bei den folgenden Sitzungen des gleichen Lerninhalts, sein Ergebnis zu verbessern

Computergestützte Übung

  • Zehn Aufgaben mit dem Inhalt der aktuellen Sitzung und fünf Wiederholungsaufgaben aus früheren Fördereinheiten
  • Dem Schüler werden eine Aufgabe und deren Lösung sehr kurz (etwa eine Sekunde) präsentiert, danach leert sich der Bildschirm und der Schüler wird aufgefordert, die Aufgabe und die Lösung nun selbst einzugeben
  • Am Ende erhält der Schüler durch das Programm eine Rückmeldung darüber, wie gut er das Lernziel der Sitzung erreicht hat
  • Der Trainer erhält ebenfalls eine Rückmeldung: Hat der Schüler die zehn Aufgaben zweimal in den 7 1/2 Minuten korrekt beantwortet hat, erscheint Lernziel erreicht auf dem Bildschirm
  • Jeder Aufgabentyp wird mindestens 1 und maximal 4 Sitzungen lang behandelt

Prüfung des Lernerfolgs mit Papier und Stift

  • Zum Schluss der Schüler ein Blatt mit 15 zufällig gewählten Aufgaben aus dem Aufgabenpaket der Sitzung
  • Er hat eine Minute Zeit, so viele Aufgaben wie möglich zu lösen, dann nochmal eine Minute und 15 neue Aufgaben
  • Der Trainer umkreist die korrekten Aufgaben und der Schüler nimmt das Arbeitsblatt mit nach Hause

533. Wie kann man Defizite im mathematischen Faktenwissen diagnostizieren?

  • Mit der Subskala „Rechenoperationen“ des „Heidelberger Rechentests“

 

  • Mit dem „Arithmetik“ Subtest des „Deutschen Mathematiktests für dritte Klassen“

534. Diagnostik und Lernfortschrittsmessung als Teil des Interventionsprozesses

https://imgur.com/a/6AuUIN0

535. Prinzip der curriculumbasierten Messung (CBM)

  • Die Lernstandmessung in jeder Sitzung erfolgt nach diesem Prinzip
  • Im Anschluss an jede Fördereinheit bearbeiten die Schülerinnen und Schüler einen dreiminütigen Test
  • Dabei werden ihnen zufällig Aufgaben auf dem Zielniveau vorgelegt und sie versuchen, so viele Aufgaben wie möglich in der vorgegebenen Zeit zu lösen
  • Dabei wird als Resultat die Anzahl der richtigen Ziffern zu jeder Aufgabe zusammengezählt und in einen Graphen eingetragen
  • Durch die Mittelung der ersten drei Messungen wird das Ausgangsniveau der Schülerin bzw. des Schülers festgelegt
    • Dort beginnend wird eine Gerade zum Zielniveau in der letzten Trainingswoche gezogen —> Vergleichsmaß
    • Wenn ein Kind dreimal in Folge den entsprechenden Wochenwert der Zielgerade unterschreitet, dann ist die Erreichung des Trainingsziels gefährdet

536. Wirksamkeit des Trainingsprogramms „Math Flash“

Das Trainingsprogramm „Math Flash“ wurde in den USA von Fuchs und Kollegen bei 133 Schülerinnen und Schülern mit substanzieller Rechenschwäche evaluiert


Zum Abschluss der Förderung zeigten die Kinder in der Interventionsgruppe deutliche Fortschritte in der Fähigkeit zur Zahlenkombination* (Effektstärke, d = 0.85)

  • *mathematische Operationen mit Zahlen, die durch Abzählen oder durch Abruf aus dem Langzeitgedächtnis gelöst werden können

14 % der Schüler der Interventionsgruppe zeigten jedoch keine oder eine nur geringe Verbesserung

537. Regeln für Kontingenzverträge (Wenn-Dann-Verträge) nach Homme et al.

  • Die Belohnung innerhalb des Vertrags sollte sofort erfolgen.
  • Erste Verträge sollten für kleine Schritte sorgen und sie belohnen.
  • Belohne häufig mit kleinen Beträgen.
  • Der Vertrag sollte eher Leistung als Gehorsam fordern und sie belohnen.
  • Belohne die Leistung nach der Durchführung.
  • Der Vertrag muss fair sein.
  • Die Vertragsbedingungen müssen klar sein (z.B. maximal drei Verhaltensweisen als Ziel)
  • Der Vertrag muss ehrlich sein.
  • Der Vertrag muss positiv formuliert sein.
  • Der Vertragsabschluss muss als Methode systematisch angewendet werden.

538. Notwendige Inhalte eines Verhaltensvertrages

Eindeutige Beschreibung des gewünschten Zielverhaltens und eventueller Teilschritte
(Operationalisierung)

Nennung der Umstände, unter denen das Zielverhalten erbracht werden soll (z. B. die Hausaufgaben werden vor dem Abendessen gemacht)

Festhalten der Folgen des Erfüllens bzw. Nichterfüllens des Zielverhaltens

Beschreibung der Punkte wann, wie und durch wen das vom Schüler erbrachte Zielverhalten registriert wird

Vertragslaufzeit

539. Mögliche Verstärker

Materielle Verstärker: kleine Geldbeträge, Süßigkeiten, kleine Spielsachen.

Tokens: Punkte, bunte Büroklammern, Plastikchips etc., die zu bestimmten Zeitpunkten gegen besonders geschätzte Gegenstände oder Privilegien eingetauscht werden können

Aktivitätenverstärker: das Klassenbuch eine Woche lang führen, Vorlesegeschichte für Klasse bestimmen, seinen Lieblingsnachtisch auswählen können.

540. Bei welchen „Störungen“ sind Verhaltensverträge als Maßnahme angebracht?

  • sozialer Unsicherheit
  • aggressive Verhaltensproblemen
  • Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen
  • Lernstörungen Da es bei der Behandlung von Lernstörungen um den Aufbau nicht vorhandener oder zu
    • selten praktizierter Verhaltensweisen geht, wird hauptsächlich auf positive Verstärker zurückgegriffen
    • Hingegen eignet sich der Einsatz aversiver Konsequenzen (z.B. Verstärkerentzug – Response Cost) eher für die Behandlung von Disziplin- und Unterrichtsstörungen

541. Der Abschluss von Verhaltensverträgen dient drei Zwecken

Steigerung von Aktivitäten zum Erwerb von Wissen (Academic Productivity);

Verbesserung der Sorgfalt bei der Ausführung von Aufgaben (Performance Accuracy);

häufigere Anwendung von Lernstrategien (Study Skills)