Bildungspsychologie - Modul AF B Teil 1

Fernuniversität Hagen SS 19

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Flashcards 501
Students 36
Language Deutsch
Category Psychology
Level University
Created / Updated 21.02.2019 / 13.12.2023
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441. Schulleistungsprobleme - Definitionen

Lernschwierigkeiten

  • allgemeiner, zugleich vorraussetzungsfreier Oberbegriff
  • Schulleistungsversagen wird nicht in Beziehung zur allgemeinen Intelligenz gesetzt
  • Schwierigkeiten in der Auseinander setzung mit Lernanforderungen aller Art, die sich in minderen Schulleistungen beim Lesen, in der Rechtschreibung und/oder beim Rechnen niederschlagen

Lernbehinderung (Borderline Mental Retardiation)

  • Erhebliches Schulleistungsversagen (Meist Leistungsrückstand von mehr als 2 Jahren)
  • erhebliche Defizite in der Lernfähigkeit (IQ < 85)

Lernstörung

  • Keine Defizite in der allgemeinen Intelligenz
  • Lernstörung unabhängig von IQ (>70)
    • Teilleistungsstörungen
      • Lesen
      • Lesen und Rechtschreiben
      • Rechtschreiben
      • Rechnen

442. Diskrepanzproblematik bei Begriffsbestimmung von Lernstörungen

  • Diskrepanzdefinition: schulische Minderleistungen bei sonst intakter Intelligenz

 

  • das Kriterium der bedeutsamen oder nicht bedeutsamen erwartungswidrigen Diskrepanzen zwischen den schulischen Leistungen und dem intellektuellen Potenzial macht die Definition der Lernstörung problematisch

 

  • Wie viele andere Autoren plädiert auch Linda Siegel für den Verzicht auf das Diskrepanzkriterium, da weder den IQ-Werten noch der Größe der Diskrepanz zwischen den Intelligenz- und den Schulleistungswerten eine Bedeutsamkeit für die nachfolgende Planung und Durchführung von Interventionen bei allgemeinen und spezifischen Lernstörungen zukomme.

443. Ursachen von Lernstörungen - Diskussion

  • Das National Joint Committee for Learning Disabilities (NJCLD) macht in seiner Definition ausschließlich endogene Faktoren (zentralnervöse Dysfunktionen) für Lernstörungen und -schwächen verantwortlich
  • Siegel dagegen sagt, dass alle Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen, die für den Lernerfolg verantwortlich sind, natürlich auch dann in Rechnung zu stellen sind, wenn es um die Erklärung und Behandlung des Leistungsversagens geht
    • Das schließt selbstverständlich die Möglichkeit ein, dass es auch didaktogene Lernprobleme geben kann
  • Andere Autoren sehen die Aufweichung des exklusiv-endogenen Definitionskerns als Hauptgrund für begriffliche Unklarheiten
    • Sie weisen darauf hin, dass viele der Schüler, die als lernbehindert bezeichnet werden, in Wirklichkeit sein können:
      • langsam Lernende in Regelklassen,
      • durchschnittlich Lernende in Hochleistungsschulen,
      • Schüler mit Zweisprachigkeitsproblemen
      • Schüler, die durch längere Abwesenheit vom Unterricht den Unterrichtsstoff versäumt haben oder oft die Schule wechseln mussten

444. Wie geht man mit den begrifflichen Unschärfen im Bereich der Schulleistungsprobleme um?

Ein Vorschlag von Gold (2017) läuft darauf hinaus, einfach den Begriff Lernschwierigkeiten zu verwenden und das gestörte, schwache und behinderte Lernen darunter zu subsumieren

Ein anderer Vorschlag liegt darin, die intelligenzdiskrepanten spezifischen Lernstörungen des Lesens, Schreibens oder Rechnens auf der einen Seite von der Lernbehinderung als besonders stark ausgeprägter Form einer allgemeinen Lernschwäche auf der anderen Seite zu unterscheiden

445. Wie lernen Lernbehinderte? (Nach Grünke)

  • Sie lernen wesentlich langsamer
  • Sie lernen insgesamt weniger
  • Sie vergessen einmal Gelerntes schneller
  • Sie zeigen sehr viel weniger Transfer

446. Bild der Lernbesonderheiten von Lernbehinderten (Nach Klauer und Lauth)

Für Lernbehinderte gilt als charakteristisch, dass sie die folgenden Techniken in geringerem Maße
als unauffällige Kinder nutzen:

Strategien zur Informationsentnahme und Verarbeitung

  • z. B. Memorierungsstrategien, Bildung von Bedeutungsverknüpfungen

Maßnahmen zur Organisation

  • z. B. Zeitplanung, Vorausplanung, Ableitung des eigenen Vorgehens, Einplanung schwieriger Handlungsschritte

eine begleitende Handlungskontrolle

  • z. B. Steuerung und Überwachung des eigenen Handelns/Lernprozesses, Regulation der eigenen Emotionalität

eine verbale Handlungsanleitung

  • z. B. Nutzung verbaler Vermittler, an sich selbst gerichtete – metakognitive – Fragen

447. Das INVO-Modell erfolgreichen Lernens

https://imgur.com/a/kQOkOSO

Bei Lernbehinderten scheint es in allen diesen Bereichen Defizite und Dysfunktionen zu geben.

448. Ursachen von Lernbehinderungen - Noch offene Fragen

Mit den kognitiven, den metakognitiven und den volitionalen Strategien sind die defizitären und
dysfunktionalen Bereiche noch nicht hinreichend identifiziert

  • Die Wirkmechanismen und ihr Zusammenwirken sind nämlich noch weitgehend ungeklärt

Noch nicht vollständig geklärt ist auch, welche Rolle Defizite im Bereich des Arbeitsgedächtnisses spielen

  • Es häufen sich allerdings die Befunde, dass die zentral-exekutiven Funktionen und die Funktionen der phonologischen Schleife bei Kindern mit Lernbehinderung beeinträchtigt sind

Bei nahezu allen individuellen Voraussetzungen erfolgreichen Lernens scheinen lernbehinderte
Schüler ungünstige Ausprägungen aufzuweisen

  • Vielleicht kommt aber dieses Befundmuster deshalb zustande, weil es sich bei den Personen mit einer Lernbehinderung um eine sehr heterogene Gruppe von Personen handelt
  • Eventuelle gibt es also doch einen oder zwei allgemeine Bedingungsfaktoren, die ursächlich für die (meisten) Lernbehinderungen sind

449. Exekutive Funktionen - Drei, teilweise überlappende Faktoren (nach Miyake)

  • das Shifting/Switching (den flexiblen Aufmerksamkeits- oder Aufgabenwechsel)

 

  • das Updating (die kontinuierliche Aktualisierung von Arbeitsgedächtnisrepräsentationen)

 

  • die Inhibition (die Unterdrückung von vorschnellen und dominanten Reaktionen)

450. Drei-Gruppenplan

Untersuchung der ursächlichen individuellen Voraussetzungen 10-jähriger lernbehinderter Kinder
mit drei Gruppen:

  • Erste Gruppe: 10-jährige lernbehinderte Kinder, die IQ-Werte unter 85 aufweisen
  • Zweite Gruppe: 7-jährige, in ihren schulischen Leistungen unauffällige Kinder, die ein vergleichbares mentales Alter aufweisen wie die lernbehinderte Gruppe (operationalisiert über die Anzahl richtig gelöster Aufgaben in einem Intelligenztest) —> MA-Kontrollgruppe (MA = mentales Alter)
  • Dritte Gruppe: 10-jährige, in jeder Hinsicht unauffällige Kinder —> CA- Kontrollgruppe (CA = chronologisches Alter)

Wenn die Gruppe der Lernbehinderte im Vergleich mit beiden anderen Gruppen schlechter abschneidet ist das ein Indiz dafür, dass es sich bei der entsprechenden Dysfunktion eher um einen Auslösefaktor als um eine Folge der Lernbehinderung handelt

Wenn die Gruppe der Lernbehinderten nur im Vergleich mit der CA-Gruppe schlechter abschneidet, deutet das eher auf eine Folge hin.

451. Drei-Gruppenplan-Studie bezüglich der Frage, ob spezifische Dysfunktionen im phonologischen Arbeitsgedächtnis als Auslösefaktor der Lernbehinderung in Frage kommen ( Mähler und Hasselhorn, 2003)

  • Es fand sich kein Wortlängeneffekt bei 10-jährigen Lernbehinderten
  • In der MA-Kontrollgruppe dagegen fand sich – wie erwartet – der Wortlängeneffekt
    • Dieser ist im Allgemeinen ab dem 6. Lebensjahr nachzuweisen
  • Dieses Befundmuster erhärtet die Hypothese, dass es zwischen den unauffälligen und den lernbehinderten Kindern einen bedeutsamen Unterschied in Bezug auf den erreichten Entwicklungsstand des phonologischen Arbeitsgedächtnisses zu geben scheint
    • Der üblicherweise im 6. Lebensjahr stattfindende Prozess der Automatisierung des »inneren Nachsprechens« wird bei Lernbehinderten später, möglicherweise erst zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr vollzogen

452. Definition: Lese-Rechtschreibstörung nach ICD-10

Die Lese- und ggf. zusätzlich die Rechtschreibleistungen des Kindes liegen unterhalb eines Niveaus, das aufgrund des Alters, der allgemeinen Intelligenz und der Beschulung zu erwarten wäre

  • Das Leseverständnis, die basale Fähigkeit, geschriebene Worte zu erkennen, die Fähigkeit, flüssig laut vorlesen zu können und die Leistungen bei Aufgaben, die ihrerseits Lesekompetenzen voraussetzen, können sämtlich oder teilweise betroffen sein
  • Die Rechtschreibprobleme persistieren in aller Regel auch dann, wenn beim Lesen Fortschritte gemacht werden

Zur Diagnostik werden standardisierte Rechtschreib- und Lesetests eingesetzt sowie ein standardisierter Intelligenztest

  • Zusätzlich empfiehlt es sich, Explorationen der Hör-, Seh- und Sprachfunktionen sowie ggf. neurologische und internistische Untersuchungen vorzunehmen
  • Für eine Störungsdiagnose werden mindestens 1.2, am häufigsten 1.5 und gelegentlich sogar 2.0 Standardabweichungen Differenz zwischen den Lese- bzw. Rechtschreibleistungen und der Intelligenz verlangt

453. Klassifikation der phonologischen Informationsverarbeitung (nach Wagner und Torgesen)

die phonologische Bewusstheit

  • Sensitivität für die Lautstruktur einer Sprache und den routinierten Zugriff auf die Klänge bzw. Phoneme
  • Fähigkeit zur Lautanalyse und -synthese, Reimen oder silbenhaft Segmentieren-Können

das phonetische Rekodieren im Arbeitsgedächtnis

  • Fähigkeit, Laut- und Klanginformationen unter den restriktiven kapazitativen Rahmenbedingungen der phonologischen Schleife eine Zeitlang bereitzuhalten und zu transformieren

der Abruf phonologischer Codes aus dem Langzeitgedächtnis

  • rascher Zugriff auf die Aussprache und die Betonung von Buchstaben, Zahlen und Wörtern, die in der Wissensbasis einer Person bereits repräsentiert sind

454. Studien zur phonologischen Verarbeitung und LRS

Englischsprachige Studien: Bestätigung der Bedeutsamkeit der drei Komponenten der
phonologischen Verarbeitung für die schriftsprachliche Leistungsentwicklung

  • vor allem gilt dies für die phonologische Bewusstheit und für die Schnelligkeit des Abrufs phonologischer Codes aus dem Langzeitgedächtnis
  • Leseschwache Kinder schneiden dabei schlechter ab

Die Ergebnisse von Längsschnittstudien in Deutschland und Österreich: Auch die Funktionstüchtigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses ist wichtig (da die Rechtschreibkomponente in Deutschland mit einbezogen wurde)

  • Alle drei Komponenten der phonologischen Informationsverarbeitung erwiesen sich als brauchbare Prädiktoren späterer Lese- und Rechtschreibleistungen
  • die phonologische Bewusstheit und das phonologische Arbeitsgedächtnis entwickeln sich im Parallelschwung

455. Das doppelte phonologische Defizit bei leseschwachen Kindern

Zum einen gelingt der Abruf phonologischer Codes aus dem Langzeitgedächtnis weniger gut, was man an einer fehlerhaften oder verzögerten Aussprache von Worten und einem verlangsamten Erkennen von Wortbedeutungen erkennen kann

  • hat Auswirkungen auf die Geschwindigkeit der Worterkennungsprozesse

Zum anderen ist die als phonologische Bewusstheit bezeichnete Sensitivität für die Lautstruktur
(also für den Klang eines Wortes) weniger gut ausgeprägt.

  • beeinträchtigt die Genauigkeit der Worterkennung

456. Neurologische Besonderheiten der Dyslexie (eher heterogenes Bild)

  • unerwartete Symmetrie zwischen linker und rechter Gehirnhälfte im Bereich des Planum temporale
    • In der Regel ist das linkshemisphärische Planum temporale, dem eine besondere Rolle bei der Sprachverarbeitung zukommt, größer ausgeprägt
  • kleinere fokale Anomalien in der linken Hirnhälfte
  • kleinere Auffälligkeiten im Bereich des Thalamus und des prämotorischen Cortex
    • werden üblicherweise mit visuellen und motorischen Funktionen in Zusammenhang gebracht
  • Obwohl die neurobiologischen Auffälligkeiten bis ins Erwachsenenalter persistieren, scheinen sie teilweise durch gezielte Interventionen beeinflussbar zu sein
  • genetische Auffälligkeiten von Dyslektikern auf den Chromosomen 6 und 15, aber auch auf den Chromosomen 1, 2 und 18

457. Subklassifikationsansatz zur LRS - nach Stanovich

Sein Modell geht von einem Kerndefizit im Bereich der phonologischen Verarbeitung aus

Unterscheidung zwischen

  • spezifischen Leseschwierigkeiten mit ausschließlich phonologischen Verarbeitungsdefiziten
  • und unspezifischen, Feld- Wald-und-Wiesen-Leseschwierigkeiten (Garden Variety Dyslexia)
    • Hier können alle möglichen Defizite ursächlich mit beteiligt sein

458. Subklassifikationsansatz zur LRS - nach Castles und Coltheart

Im Rahmen von Fallstudien mit lesegestörten Erwachsenen entwickelt

Unterscheidung zwischen

  • phonologischer Dyslexie
    • gekennzeichnet durch eine Störung beim Extrahieren phonologischer Information aus der geschriebenen Sprache
  • und oberflächlicher Dyslexie
    • gekennzeichnet durch Probleme beim Erlernen und bei der Repräsentation korrekter Graphem-Sequenzen (Rechtschreibung)

Laut einer Studie scheint die phonologische Dyslexie der robustere Subtyp zu sein, bei dem im Übrigen das phonologische Defizit auch mit besonderen Problemen beim Lesen von Pseudowörtern einhergeht

Bei der Oberflächen- Dyslexie scheint es sich dagegen um einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Störungsbildern zu handeln

459. Subklassifikationsansatz zur LRS - nach Morris et al.

Ausgearbeitet und empirisch überprüft

Fünf verschiedene Subtypen der phonologischen Dyslexie:

  • Defizite in allen drei Kernkomponenten der phonologischen Verarbeitung (35 %)
  • Defizite in nur einem der drei Bereiche phonologischer Verarbeitung (vorrangig Beeinträchtigungen beim Abruf phonologischer Codes aus dem Langzeitgedächtnis) (12 %)
    • Bei diesen Personen war auch die Sprechgeschwindigkeit für kurze Wörter – einem Indikator des inneren Nachsprechens – deutlich reduziert.
  • Störungen der phonologischen Bewusstheit traten immer nur gemeinsam mit Defiziten in wenigstens einer der beiden anderen phonologischen Verarbeitungskomponenten auf
  • Bei 85 % der untersuchten Kinder mit phonologischer Dyslexie wurden Minderleistungen im Bereich des phonologischen Arbeitsgedächtnisses registriert
  • Darüber hinaus berichten Morris et al. von einer recht hohen Komorbidität der Lese- Rechtschreibstörung mit Aufmerksamkeits- bzw. Hyperaktivitätsproblemen

460. Definition: Rechenstörung nach ICD-10

Die Rechenstörung gilt als umschriebene Beeinträchtigung der Rechenfertigkeiten, die nicht
allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder durch eine unangemessene Beschulung
erklärbar ist

Das Defizit betrifft vor allem die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition,
Subtraktion, Multiplikation und Division

  • Schwächen der höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra etc. benötigt werden, bezeichnet man im Allgemeinen nicht als Rechenstörung.

Zur Diagnostik der Rechenstörung werden standardisierte Rechentests eingesetzt sowie ein
standardisierter Intelligenztest

  • Als Diskrepanz zwischen den Rechenleistungen und der Intelligenz werden – wie bei der Lese-Rechtschreibstörung – mindestens 1.2, häufiger 1.5 und gelegentlich sogar 2.0 Standardabweichungen zugrunde gelegt

461. Wie häufig treten LRS und Dyskalkulie auf?

Auftretenshäufigkeit: 4 bis 8 %

462. Gibt es dyskalkuliespezifische Rechenfehler?

Rechenschwache Kinder produzieren nicht besondere, sondern nur besonders viele Fehler

Es sind aber mittlerweile Ansätze entwickelt worden (z.B. Krajewski, 2003, 2005; Lorenz, 2005), die über die Erfassung der vorschulischen Mengenbewusstheit von Zahlen und des Zahlensinns eine recht gute Identifikation von Kindern mit einem hohem Risiko für eine spätere Rechenstörung zulassen.

463. Mathematische Basiskompetenzen

Zahlenverständnis

  • Identifizieren arabischer Zahlen und das Erkennen, welche von zwei Zahlen die größere ist

Zählverständnis


Nutzung basaler arithmetischer Strategien

  • Fingerzählen
  • verbale Zählstrategien
  • Strategien des Wissensabrufs (wenn Lösung bekannt)
  • Zerlegungsstrategien (wenn Wissen über verwandte oder ähnliche Aufgaben genutzt werden kann, um zur Lösung zu gelangen)

464. Die fünf impliziten Zählprinzipien des Zählverständnisses

Eins-zu-Eins-Zuordnung

  • eine und nur eine Wortmarke wird jedem Objekt zugeordnet

Stabile Reihenfolge

  • die Reihenfolge der Zahlworte ist von Zählvorgang zu Zählvorgang identisch

Kardinalität

  • das zuletzt genannte Zahlwort gibt die Menge der gezählten Objekte an

Abstraktion

  • unterschiedliche Arten von Objekten können gezählt werden

Reihenfolge-Beliebigkeit

  • Objekte einer gegebenen Menge können in jeder beliebigen Reihenfolge gezählt werden

465. Verbale Zählstrategien - Die min-Strategie

Das Kind identifiziert zunächst den größeren von zwei Summanden, um diesen anschließend
zum Ausgangspunkt des Zählvorgangs zu nehmen

Bei der Aufgabe 3 + 5 wird es also nicht von der 3 aus fünf Schritte weiterzählen, sondern
von der 5 aus nur noch drei Schritte

Die min- Strategie ist schon bei Kindern im 1. Schuljahr weit verbreitet

466. Mathematische Basiskompetenzen bei Kindern mit Dyskalkulie

Das Zahlenverständnis ist weitgehend intakt – zumindest im Zahlenraum bis 20

  • Erweitert man allerdings den Zahlenraum bis 1000, so findet man noch in der 3. und 4. Klasse erhebliche Defizite des Zahlenverständnisses

Die ersten vier der Zählprinzipien funktionieren

  • Erst- und Zweitklässler mit Dyskalkulie haben nur erhebliche Probleme mit dem Prinzip der Reihenfolge-Beliebigkeit
  • Außerdem bemerken sie den Fehler des doppelten Zählens ein und desselben Objektes nur dann, wenn die falsche Doppelzählung am Schluss eines Zählprozesses erfolgt, nicht aber, wenn der Zählfehler bereits zu Beginn des Zählprozesses geschah

Erstklässler mit einer Rechenstörung verharren oftmals länger bei der Strategie des Fingerzählens und machen deutlich weniger Gebrauch von der effizienteren min-Strategie

  • Selbst in der 3. Klasse nutzen sie weiterhin die Strategie des Fingerzählens

Auch die Fähigkeit, einfaches arithmetisches Faktenwissen abzurufen, verbessert sich bei
rechengestörten Kindern im Verlauf der Primarschuljahre kaum


Zudem ist bei Kindern mit Dyskalkulie eine deutlich verzögerte Entwicklung der Strategienutzung
bei einfachen Arithmetikaufgaben festzustellen

  • Das Ausmaß der Verzögerung beträgt bis zur 5. Klasse bei der Bearbeitung altersangemessen komplexen Arithmetik-Aufgaben etwa zwei Jahre

467. Studie: Rechenschwäche und Arbeitsgedächtnis (Schuchardt, Mähler und Hasselhorn)

Untersuchung von 38 rechenschwachen Kindern der 2. bis 4. Klasse mit einer umfangreichen Testbatterie (AGTB 5–12) zu den drei Komponenten des Arbeitsgedächtnisses

  • Gruppe 1: Dyskalkulie
  • Gruppe 2: schwache Rechenleistungen zusammen mit niedrigeren Intelligenztestwerten
  • Gruppe 3: Nach Alter parallelisierte Kontrollkinder (N = 38) ohne Rechenschwäche

Defizite der rechenschwachen Kinder – mit und ohne Intelligenzminderung – zeigten sich allein bei den Aufgaben zum visuell-räumlichen Teilbereich des Arbeitsgedächtnisses

Wenn man die beiden Gruppen der rechenschwachen Kinder untereinander vergleicht, gibt es keine bedeutsamen Unterschiede im Hinblick auf die Leistungen des Arbeitsgedächtnisses

  • Die Arbeitsgedächtnisfunktionen sind also offenbar nicht geeignet, um Kinder mit einer Rechenstörung von den allgemein rechenschwachen Kindern zu unterscheiden
    • Für Kinder mit einer Lesestörung gilt das analog

468. Triple-Code-Model nach Dehaene

https://imgur.com/OyuJB4K

 

Dehaene geht davon aus, dass bei der Bewältigung mathematischer Anforderungen auf drei
unterschiedliche Kodierungen bzw. Repräsentationsformen in der Wissensbasis (»Triple-Code«) zurückgegriffen wird:

  • Analoge Größen-Repräsentation (vorsprachlich) -> Ungenaue Menge
  • Visuell-arabische Repräsentation (sprachverarbeitend) -> Ziffernform
  • Auditiv-verbale Repräsentation (sprachverarbeitend) -> Wortform

469. Triple-Code-Model nach Dehaene - erläutert

Die analoge Größenrepräsentation macht es möglich, Mengen ohne exaktes Zählen oder Rechnen rasch und recht grob als Einheiten wahrzunehmen und in ihrer Mächtigkeit zu vergleichen.

  • Vermutlich handelt es sich bei dieser Repräsentationsform um eine Art angeborene Mengenbewusstheit, die übrigens schon Säuglingen eine näherungsweise Unterscheidung von Anzahlen ermöglicht

Die anderen beiden Arten der Zahlrepräsentation sind an die Sprache gebunden und müssen
verfügbar sein, wenn mit mehrstelligen Zahlen exakte Ergebnisse berechnet werden sollen

  • Schriftliche Additionen mit vierstelligen oder größeren Zahlen werden vermutlich nur noch unter Rückgriff auf die visuell-symbolische Repräsentation durchgeführt
  • Geht es hingegen darum, Rechenergebnisse im Rahmen des kleinen Einmaleins aus dem Langzeitgedächtnis abzurufen, wird vermutlich auf die auditiv-verbale Repräsentation der Zahlen zurückgegriffen

470. Triple-Code-Model und Dyskalkulie

Die Probleme rechengestörter Kinder sind möglicherweise die Folgen eines Defektes in einer
der drei Repräsentationsformen (gelegentlich wird in diesem Zusammenhang auch von neuronalen Modulen gesprochen) oder aber auf eine Störung der Verknüpfung der unterschiedlichen Kodierungen bzw. Module zurückzuführen


Aufgrund neuropsychologischer Untersuchungen an hirngeschädigten Erwachsenen mit Rechenproblemen vermutet man, dass die zahlenbezogenen Repräsentationsdefizite mit neurologischen Störungen im Bereich der Basalganglien und des parietal-occipitalen Temporallappens zusammenhängen

471. Studie von Dehaene und Cohen: Rechenarten und spezifische neurologische Besonderheiten

Identifizierten zwei cerebral lokalisierbare Routen für das Rechnen:

  • Die verbale Route spielt bei Additions- und Multiplikationsrechnungen eine große Rolle
  • die Mengenwissen-Route eher bei Subtraktions- und Divisionsrechnungen

Bei einem Patienten, der unter einer linkshemisphärischen subkortikalen Läsion litt und Defizite im Bereich der verbalen Route aufwies, kam es zur Störung des Abrufs von arithmetischem Faktenwissen während das semantische Zahlengrößen- oder auch Mengenwissen weitgehend
intakt war

Bei einem anderen Patienten mit einer rechtshemisphärischen inferioren parietalen Läsion ergab sich hingegen eine Beeinträchtigung des semantischen Zahlengrößen- bzw. Mengenwissens.

  • Dieser Patient zeigte vor allem auch Schwierigkeiten bei Subtraktionsaufgaben, konnte aber nach wie vor auf sein arithmetisches Faktenwissen zurückgreifen.

472. Sechs Unterformen der Entwicklungsdyskalkulie nach Kosc

Verbale Dyskalkulie:

  • manifestiert sich in einer Störung der Fähigkeit, Ziffern und mathematische Symbole zu benennen

Praktognostische Rechenstörung:

  • bezeichnet eine Störung der mathematischen Manipulation von Objekten und führt zu Problemen bei der Entscheidung, welche von zwei konkreten Anzahlen von Objekten größer ist

Lexikalische Dyskalkulie:

  • mathematische Symbole können zwar benannt, nicht aber gelesen werden

Graphische Dyskalkulie:

  • mathematische Symbole können nicht geschrieben werden

Ideognostische Dyskalkulie:

  • es fehlt am Verständnis mathematischer Ideen und Relationen

Operationale Dyskalkulie:

  • Verwechslungen mathematischer Operationen (z. B. werden bei einer Multiplikationsaufgabe die Zahlen addiert)

473. Zwei Subtypen der Rechenschwäche nach Rourke

nonverbaler Subtyp, der vor allem durch visuell-räumliche Defizite gekennzeichnet ist

  • verbale Fähigkeiten sind normal entwickelt, nicht aber die visuell-räumlichen sowie die taktilkinästhetischen
  • kein Verständnis der grundlegenden mathematischen Algorithmen

verbaler Subtyp, bei dem zusätzliche Probleme beim Lesen und Rechtschreiben bestehen

  • akustisch-verbale Verarbeitungsdefizite, die sich besonders in Fehlern bei der mechanischen Anwendung vorhandenen mathematischen Wissens äußern

474. Drei Subtypen der Rechenstörung nach Geary

Prozeduraler Subtyp (Procedural)

  • die Kinder wenden die alters- und aufgabengemäßen Rechenstrategien nicht an
  • Häufige Fehler beim Ausführen von Rechenoperationen, für die möglicherweise eine Entwicklungsverzögerung in der Aneignung der zugrunde liegenden mathematischen Konzepte verantwortlich ist.
  • Häufig auch linkshemisphärische Funktionsbeeinträchtigungen

Auf Gedächtnisrepräsentationen bezogener Subtyp (Semantic Memory)

  • unverhältnismäßig viele Fehler beim Abruf mathematischen Faktenwissens (z. B. wenn das Ergebnis der Aufgabe 3x5 aus dem Gedächtnis abzurufen ist)
  • Geary vermutet linkshemisphärisch verortete Funktionsdefizite, teilweise in den posterioren, teilweise in den präfrontalen Regionen der linken Hemisphäre
  • häufig das komorbide Auftreten von Lese-Rechtschreibstörungen
  • Die Verhaltensauffälligkeiten dieser Kinder bleiben auch mit zunehmendem Alter bestehen bleiben
  • Eine genetische Prädisposition der Störung gilt als sehr wahrscheinlich.

Visuell-räumlicher Subtyp (Visuospatial)

  • Hat Schwierigkeiten, die sich aus der räumlichen Präsentation von Zahlen ergeben
    • Verschiebungen beim Untereinanderschreiben von Zahlen oder Fehler durch Zahlendreher
  • Geary sieht hier Zusammenhänge mit Beeinträchtigungen der posterioren Regionen der rechten Hemisphäre

475. Subklassifikation der Dyskalkulie nach von Aster

sprachlicher Subtyp

  • Fehler treten vermehrt nur bei den einfachen Kopfrechenaufgaben (Addition, Subtraktion) auf, beim Abzählen von Mengen sowie beim Rückwärtszählen
  • Störung der auditiv-verbalen Repräsentation

tiefgreifender Subtyp

  • Auffallend schlechte Leistungen in fast allen Bereichen der verwendeten Testbatterie
  • Zusätzlich Störung der analogen Größenrepräsentation

arabischer Subtyp

  • Fehler beim Transkodieren (Übertragen von Zahlworten in die arabische Zahlform und umgekehrt)
  • Störung der visuellen Repräsentationsform

476. Evaluation - Definition (in Anlehnung an Scriven)

Jegliche Art der zielgerichteten und zweckorientierten Festsetzung des Wertes einer Sache

477. Systemtheoretische Fassung einer Intervention und ihrer Evaluation (nach Chen)

https://imgur.com/4uuseIi

478. Erläuterung der systemtheoretischen Fassung einer Intervention und ihrer Evaluation

Input:

  • Ressourcen, die für eine Maßnahme bereitgestellt werden, z.B. organisationale Strukturen, Personal, Finanzen und Infrastruktur

Transformation (Prozess):

  • Durchführung der eigentlichen Maßnahme/Intervention, die aufseiten der Zielobjekte (Zielpersonen) zu Veränderungen führen soll

Output:

  • Ergebnisse der Transformation aufseiten der Zielobjekte (Zielpersonen)
  • Zielkriterien pädagogisch-psychologischer Programme beinhalten:
    • kognitive Variablen, Leistungsmaße, Sozialverhalten, Persönlichkeitsvariablen sowie emotionale und motivationale Merkmale
    • Effektivität, Durchführbarkeit, Akzeptanz und theoretische Fundierung

Umwelt:

  • Umweltfaktoren sind z.B. soziale Normen, politische Strukturen, das wirtschaftliche Umfeld, Interessengruppen, Erwartungen des Auftraggebers der Evaluation und Interessen von direkt und indirekt Beteiligten

Feedback:

  • Evaluation
  • sollte idealer Weise prozessbegleitend stattfinden

479. Globale vs. analytische Evaluation

Wird ein Programm bzw. ein Objekt als Ganzes bewertet, so sprechen wir von einer globalen
Evaluation

  • Beispiel: Ländervergleich zur Überprüfung der Schulleistungen in allen 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland
    • Hier steht das gesamte allgemeinbildende Schulsystem eines Landes auf dem Prüfstand

Im Falle einer detaillierten Überprüfung einzelner Komponenten eines Programms liegt eine
analytische Evaluation vor

  • Beispiel: Getrennte Auswertung verschiedener Maßnahmen (z.B. inner- und außerschulisch) hinsichtlich ihrer Effektivität

480. Wissenschaftliche Evaluation, Evaluations- und Grundlagenforschung

Wissenschaftliche Evaluation:

  • Von einer wissenschaftlichen Evaluation wird gesprochen, wenn die Bewertung des Evaluationsgegenstandes wenigstens ansatzweise theoriebasiert ist und sich auf empirische Daten stützt

Evaluationsforschung:

  • die wissenschaftlich fundierte, empirische und hypothesenorientierte Forschung unter systematischer Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden.
  • Die Ergebnisse der Evaluationsforschung bilden die wesentliche, wenn auch nicht die einzige Grundlage einer wissenschaftlichen Evaluation

Grundlagenforschung:

  • Im Gegensatz zur Evaluationsforschung steht bei der Grundlagenforschung nicht ein Produkt, sondern eine Forschungsfrage, die aus einer Theorie abgeleitet wurde, im Vordergrund
    • Typische Beispiele hierfür sind Experimente, in denen abgeleitete Aussagen aus einer Theorie überprüft werden