Einführung in die forensische Psychiatrie und Psychologie

Einführung in die forensische Psychiatrie und Psychologie

Einführung in die forensische Psychiatrie und Psychologie


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Langue Deutsch
Catégorie Psychologie
Niveau Université
Crée / Actualisé 30.12.2017 / 26.09.2024
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ABWEICHENDES SEXUALVERHALTEN

Sexualstraftäter:

5 Tätergruppen nach Beier: 4. Intelligenzgeminderte Täter

  • Wegen der Behinderung eingeschränkte psychosoziale Kompetenz.
  • Trauen sich keine Erwachsene als Sexualpartner zu.
  • Greifen auf andere geistig Behinderte oder Kinder zurück.
  • Verlauf der sozialen Entwicklung solcher Täter in der Regel nicht sehr günstig.

ABWEICHENDES SEXUALVERHALTEN

Sexualstraftäter:

5 Tätergruppen nach Beier: 5. Sadistische Täter

  • Sehr kleine Gruppe
  • Gewalttäter mit sadistischen Zügen
  • Nach aussen zeigen sie meist unauffällige Persönlichkeitszüge und fallen deshalb nicht einmal in der Familie auf.
  • Ihre Serientaten sind durch eine zunehmende Gefährlichkeit gekennzeichnet, weil die sexuelle Befriedigung, die sie während der Tat erleben, zunehmend nachlässt und deshalb durch immer grössere Gewalt kompensiert werden muss.
  • Nur bei wenigen dieser Tätern kommt es zu Tötungsdelikten.
  • Als höchste Alarmzeichen sind Besonderheiten zu erkennen wie Beissen, Brennen, Stechen, Schneiden, etc.

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Auftraggeber

  • Staatsanwaltschaft (im Rahmen einer Strafuntersuchung)
  • Gericht / Obergericht
  • Vollzugsbehörde (ASMV)
  • Verteidigung («Parteigutachten»)

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Mindestanforderungen an Gutachten

  • Erfahrung/nötige Sachkunde des Gutachters
  • Nachvollziehbarkeit und Transparenz des Gutachtens (schlüssig, keine Widersprüche, Sprache u.a.)
  • klare und übersichtliche Gliederung
  • methodische Mittel, die dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden (keine Privattheorien)
  • Bezugnahme auf etablierte Diagnose-/Klassifikationssysteme (ICD-10 / DSM)
  • Trennung von Untersuchungsergebnissen/Befunden und Interpretation, Schlussfolgerungen, gutachterlichen Einschätzungen

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Typische Fragestellungen an das Gutachten

Fragen zur psychischen Störung/ Abhängigkeit von Suchtstoffen

  • Hat die psychiatrische Untersuchung ergebenm dass die angeschuldigte Person zur Zeit der Tat an einer psychischen Störung/ Abhängigkeit von Suchtstoffen gelitten hat?
  • Wenn ja, in welchem Ausmass?

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Typische Fragestellungen an das Gutachten

Zur Schuldfähigkeit (Art. 19 Abs. 1 und 2 StGB)

  • War die angeschuldigte Person zur Zeit der Tat(en) wegen dieser psychischen Störung /Abhängigkeit von Suchtstoffen nicht fähig zur Einsicht in das Unrecht der Tat(en) oder zum Handeln gemäss dieser Einsicht (Art. 19 Abs. 1 StGB)?
  • War die beschuldigte Person zur Zeit der Tat(en) wegen dieser psychischen Störung nur teilweise fähig zur Einsicht in das Unrecht der Tat(en) oder zum Handeln gemäss dieser Einsicht (Art. 19 Abs. 2 StGB)?
  • Wenn ja, in welchem Grad (leicht, mittel, schwer) schätzen Sie die Verminderung der Schuldfähigkeit ein?

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Typische Fragestellungen an das Gutachten

Zur Rückfallgefahr

  • Besteht bei der angeschuldigten Person die Gefahr, erneut Straftaten zu begehen?
  • Welche Straftaten sind mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten?
  • (Sofern ein Delikt gemäss Art. 64 StGB in Betracht kommt) Besteht die Gefahr erneuter solcher Straftaten aufgrund einer anhaltenden oder lang andauernden psychischen Störung/Abhängigkeit von Suchtstoffen von erheblicher Schwere, oder besteht die Gefahr aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen der angeschuldigten Person, der Tatumstände oder ihrer gesamten Lebensumstände?

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Typische Fragestellungen an das Gutachten

Zu einer Massnahme (Art. 59-61 und 63 StGB)

  • Besteht die für die Tatzeit festgestellte psychische Störung/ Abhängigkeit von Suchtstoffen weiterhin?
    Stand(en) die vorgeworfene(n) Tat(en) damit in Zusammenhang?
  • Gibt es für die festgestellte psychische Störung/Abhängigkeit von Suchtstoffen eine Behandlung?
    Lässt sich durch diese der Gefahr neuerlicher Straftaten begegnen?
    Wenn ja, wie sollte eine solche Behandlung aussehen?
  • Ist die angeschuldigte Person bereit, sich dieser Behandlung zu unterziehen?
    Könnte allenfalls auch die gegen den Willen der angeschuldigten Person angeordnete Behandlung erfolgversprechend durchgeführt werden?
  • Ist die Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme im Sinne von Art. 59-60 StGB, einer ambulanten Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB oder mehrerer Massnahmen im Sinne von Art. 56a StGB zweckmässig?
    Ist nur eine stationäre Behandlung geeignet, der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen oder genügt auch eine ambulante Behandlung?
    Welche Möglichkeiten der praktischen Durchführbarkeit der Massnahme gibt es?
  • Kann der Art der Behandlung auch bei gleichzeitigem oder vorherigem Strafvollzug Rechnung getragen werden?

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Typische Fragestellungen an das Gutachten

Wenn die beschuldigte Person zum Zeitpunkt der Tat(en) noch nicht 25 Jahre alt war:

  • Ist die beschuldigte Person in ihrer Persönlichkeitsentwicklung erheblich gestört?
  • Besteht ein Zusammenhang zwischen Tat(en) und Störung der Persönlichkeitsentwicklung?
  • Kann die Massnahme für junge Erwachsene im Sinne von Art. 61 StGB die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten vermindern?
  • Ist die beschuldigte Person zu einem Aufenthalt in einer solchen Anstalt bereit?
  • Ist diese Massnahme gegen den Willen der beschuldigten Person erfolgreich durchführbar?
  • Bedarf es zusätzlich einer Massnahme nach Art. 59-60 und 63 StGB?

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Gliederung des Gutachtens Teil 1

1. AKTENAUSZUG
1.1 Aktuelle Tatvorwürfe («Anknüpfungstatsachen»)
Version des Auftraggebers
1.2 Vorstrafen und Leumund
Vorstrafen u.a. für aktuarische Prognoseinstrumente wichtig
1.3 Vorgutachten / Ärztliche Berichte / Berichte zu Klinikeinweisungen
z. B. langjährige Erkrankung wie Schizophrenie, Suchterkrankung?
1.4 Verlauf von Massnahmen und Strafvollzug
Entwicklungs- / Therapiefortschritte ersichtlich?

2. ANGABEN DES/DER EXPLORANDEN/IN
2.1 Familienanamnese und familiäre Beziehungen
z. B.: Drückt die Genetik durch (z. B. bipolar affektive Erkrankung)?
2.2 Persönliche Lebensgeschichte
Biografie wichtig u.a. für Persönlichkeitsdiagnostik.
2.3 Sexualität/Beziehungen
Detaillierte Sexualanamnese vor allem bei Sexualstraftätern
2.4 Psychiatrische Anamnese
z. B.: schon jahrelange / chronifizierte Schizophrenie und/oder Suchterkrankung?
ADHS?
2.5 Körperliche Anamnese
z. B.: Epilepsie? Schilddrüsenprobleme? Tumorerkrankung?
2.6 Konsum psychotroper Substanzen
v.a. wichtig zur Beurteilung der Schuldfähigkeit und für allfällige Suchttherapie
2.7 Aktuelle Tatvorwürfe
v.a. Angaben zur Deliktdynamik (Vorlauf; Nachtatverhalten etc.)
2.8 Abweichendes Sozialverhalten und Vorstrafen
schon lange auffällig? Gab es deshalb auch immer wieder Abklärungen etc.?
2.9 Aktuelle Situation und Zukunftsaussichten
z. B.: Wie ist der soziale Empfangsraum? Hat er mutmasslich realistische Ziele?

3. FREMDAUSKÜNFTE
z.B. vom Hausarzt, Psychiater, Therapeuten, Beistand o.ä.
Auskunftspersonen (z.B. Angehörige zwecks Fremdanamnese) sind Zeugen, haben ein Aussageverweigerungsrecht und müssen vorgängig entsprechend aufgeklärt werden.
Die Fremdanamnese kann entscheidend sein
(z. B. Mutter und/oder behandelnde Psychiaterin, die über einen schwer psychotischen Exploranden berichten, der sich nicht als psychotisch ansieht (fehlende Krankheitseinsicht))-> wichtige Infos u.a. für Therapie und Prognose

 

 

STRAFRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Gliederung des Gutachtens Teil 2

4. UNTERSUCHUNG
4.1 Psychiatrische Untersuchung

Befund orientiert am Manual der AMDP
Angaben zur Persönlichkeit (z. B. via PCL-R (kriminalprognostische Risikomerkmale))
4.2 Psychologische Untersuchung
z. B. IQ-Testung
4.3 Körperlicher Untersuchungsbefund
z.B.: Einstichstellen? Hämatome? Spider naevi? Nasenseptumperforation?
4.4 Zusatzuntersuchungen (CT, MRI, Laborbefunde o.ä.)
Eventuell körperliche Ursache für psychische Auffälligkeiten?

5. ZUSAMMENFASSUNG
Das bisher Wichtigste in 2 bis 3 Seiten

6. BEURTEILUNG
6.1 Psychiatrische Diagnosen
Tatzeitnah und aktuell (z. B. tatzeitnah Alkoholintoxikation; heute (zum Zeitpunkt des Urteils und nach erfolgter Suchttherapie) keine Hinweise mehr für Suchterkrankung)
6.2 Schuldfähigkeit
Verminderte oder gar aufgehobene Einsichts-/Steuerungsfähigkeit im Tatzeitraum?
6.3 Risikoeinschätzung
Gute/Schlechte Legalprognose? Muss transparent und kriterienorientiert dargelegt werden (z. B. anhand der sog. Dittmannliste (Basler Kriterienkatalog)).
6.4 Therapie und Massnahme
Braucht die beschuldigte/verurteilte Person (weiterhin) eine Therapie und falls ja was für eine? (Z. B. brauchen Schizophrene oft ein Kliniksetting und verschlechtern sich im Gefängnis)

Beantwortung der Fragen
Kurz und knapp (da in der Regel die ausführlichen Antworten schon in den vorderen Kapiteln aufgeführt sind).

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Gesetzliche Regelung der Handlungsfähigkeit

Handlungsfähig ist, wer volljährig und urteilsfähig ist (Art. 13 ZGB)

Volljährig ist, wer das 18 Lebensjahr zurückgelegt hat (Art. 14 ZGB)

Urteilsfähig ist jede Person, bei der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. (Art. 16 ZGB)

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Definition der Handlungsfähigkeit

Die Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit einer Person, durch ihre eigenen Handlungen Recht und Pflichten zu begründen und damit die zivilrechtliche Veranwortlichkeit für ihr Tun und Lassen zu übernehmen.

Die Urteilsfähigkeit ist ein wichtiger Aspekt der Handlungsfähigkeit.

Die Handlungsfähigkeit besteht aus zwei Komponenten: Geschäftsfähigeit und Deliktsfähigkeit (Schadenersatzpflicht)

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Beurteilungsverfahren betreffend Urteilsfähigkeit

  1. Prüfen, ob eine der genannten Krankheiten bzw. Störungen vorgelegen hat
    • med. Krankheitsbegriff stellt auf natürliche Krankheitseinheiten ab, die durch Ursache, Symptomatik, Verlauf und Therapierbarkeit definiert sind
    • med. Krankheitsbegriffe sind weiter gefasst als juristische
    • Psychiatrie: Störungen, deren Symptomkonstellationen in operationalisierten Klassifikationssystemen (ICD-10, DSM-5) genau beschrieben werden
       
  2. Prüfen, ob aufgrund der allenfalls festgestellten Störung dem Betroffenen die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln (Ebene der psychopathologischen Symptomatik bzw. der geistigen/ psychischen Funktionsstörungen)
    • gem. jur. Krankheitsbegriff stehen die Ausprägung einer Störung und Ausmass der Funktionseinschränkung im Vordergrund
    • Entscheidend ist ein konkreter Nachweis von psychischen Funktionsbeeinträchtigungen
    • Zustand der Urteilsunfähigkeit braucht nicht dauerhaft oder umfassend zu sein (bestimmt sich immer in Bezug auf das konkrete Handeln jeweils neu)

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Elemente der Urteilsfähigkeit gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung

Kognitive Elemente

  • Erkenntnisfähigkeit (Fähig sein, die Aussenwelt mindestens ansatzweise zu erkennen...)
  • Wertungsfähigkeit (...und diese einordnen zu können)

Voluntative Elemente

  • Fähigkeit zur Willensbildung (Fähigkeit, aufgrund der gewonnenen Einsicht eine eigene Entscheidung zu treffen...)
  • Fähigkeit, gemäss eigenem Willen zu handeln (...und dieser entsprechend zu Handeln)

Auch wenn nur eines der Elemente fehlt, liegt eine Urteilsunfähigkeit vor.

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Beurteilungsgrundsätze in Bezug auf die Urteilsfähigkeit

  • Die Urteilsfähigkeit ist immer auf ein konkretes Rechtsgeschäft bezogen.
  • Der Explorand wird immer dichotom beurteilt: urteilsfähig oder urteilsunfähig («alles oder nichts» - im Gegensatz zur strafrechtlichen Schuldfähigkeit).
  • Die Urteilsfähigkeit ist aber relativ aufzufassen: ein Demenzkranker kann z.B. noch fähig zu Alltagsgeschäften sein, aber urteilsunfähig in Bezug auf komplizierte Rechtsgeschäfte.
  • Im Zweifelsfall wird die Urteilsfähigkeit angenommen.
  • Diese Prinzipien werden auch bei der Beurteilung der Testierfähigkeit angewandt.

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

Arten und Intensität der Beistandschaft

  1. Begleitbeistandschaft
  2. Vertretungsbeistandschaft
  3. Mitwirkungsbeistandschaft
  4. Umfassende Beistandschaft

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

1. Begleitbeistandschaft gem. Art. 393 ZGB

  • Errichtet auf Antrag der hilfsbedürftigen Person
  • Begleitende Unterstützung für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten
  • Handlungsfähigkeit wird nicht eingeschränkt

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

2. Vertretungsbeistandschaft gem. Art. 394-395 ZGB

  • Die hilfsbedürftige Person kann bestimmte Angelegenheiten nicht erledigen und muss deshalb vertreten werden.
  • Die Erwachsenenschutzbehörde (ESB) kann die Handlungsfähigkeit entsprechend einschränken.
  • Auch wenn die Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, muss sich die betroffene Person die Handlungen des Beistands oder der Beiständin gefallen lassen.
  • Spezieller Fall: Vermögensverwaltung; dies ist dezidiert geregelt

 

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

3. Mitwirkungsbeistandschaft gem. Art. 396 ZGB

  • Zum Schutz der hilfsbedürftigen Person bedürfen bestimmte Handlungen der Zustimmung eines Beistands / einer Beiständin.
  • Die Handlungsfähigkeit wird entsprechend eingeschränkt.
  • Urteilsfähigkeit in Bezug auf die umschriebenen Geschäfte muss gegeben sein.

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

4. Umfassende Beistandschaft gem. Art. 398 ZGB

  • Eine umfassende Beistandschaft wird errichtet, wenn eine Person, namentlich wegen dauernder Urteilsunfähigkeit, besonders hilfsbedürftig ist.
  • Sie bezieht sich auf alle Angelegenheiten der Personen- und der Vermögenssorge, sowie auf den Rechtsverkehr.
  • Die Handlungsfähigkeit entfällt von Gesetzes wegen, ist somit aufgehoben.

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

Fürsorgerische Unterbringung gem. Art. 426 ZGB

Auszüge Art. 426 ZGB

  • Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an einer geistigen Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann.
     
  • Die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten sind zu berücksichtigen.
     
  • Die betroffene Person wird entlassen, sobald die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht mehr erfüllt sind.
     
  • Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann jederzeit um Entlassung ersuchen. Über dieses Gesuch ist ohne Verzug zu entscheiden.

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

Vorgehen und Ziele der fürsorgerischen Unterbringung

  • FU ist eine selbständige Massnahme des Erwachsenenschutzrechts.
     
  • Für die Anordnung der Unterbringung bzw. Entlassung ist die Erwachsenenschutzbehörde (ESB) zuständig.
     
  • Die Kantone können Ärzte und Ärztinnen auswählen, die bei Gefahr im Verzug eine kurzfristige Unterbringung (Dauer kantonal festgelegt, aber nicht mehr als sechs Wochen) anordnen dürfen, ein striktes Vorgehen ist in Art. 430 festgelegt.
     
  • FU ist einzig auf die Personensorge ausgerichtet und sieht nicht nur eine Betreuung, sondern wo nötig auch Behandlung vor.
     
  • Bei einem behandlungsmässig urteilsunfähigen Patienten ist eine medizinische Behandlung auch ohne dessen Zustimmung möglich; Voraussetzung: ernsthafte Gefährdungen
     
  • Ziel ist die Wiedererlangung von Selbständigkeit und Selbstverantwortung.

ZIVILRECHTLICHE BEGUTACHTUNG

Behördliche Massnahmen gem. Art. 388 ff. ZGB

Gutachterliche Aufgaben betreffend der fürsorgerischen Unterbringung

Gutachtensaufträge erfolgen jeweils seitens ESB

  • Unterschiedliche Aufträge
    • Kurzgutachten: meist vor Ablauf der ärztlich entschiedenen Fürsorgerischen Unterbringung, Frage einer Fortführung
    • Ausführliches Gutachten: hier geht es weniger um eine unmittelbare FU, sondern um längerfristige Einschätzungen/Vorgehensweisen
       
  • Es geht auch hier um die Beurteilung von zwei Ebenen:
    • Ausprägung des Schwächezustands (Störungsprofil)
    • Individuelle Schutz-oder Hilfsbedürftigkeit (Prognose, Behandlungsbedarf)
       
  • Das Gutachten muss von externen Ärzten erstellt werden, die den Patienten nicht kennen

MASSNAHMEN

Voraussetzungen der Anordnung einer Massnahme

Massnahmen sind anzuordnen wenn:

  1. eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen
  2. ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert

Dabei ist juristischerseits die Verhältnismässigkeit zu wahren:

  • Persönlichkeitsrechte der TäterInnen
    vs.
  • Wahrscheinlichkeit und Schwere zu erwartender Straftaten


Grundsatz:
Besteht der Verdacht auf eine psychische Störung oder Persönlichkeitsproblematik und/oder
Liegt eine schwere Straftat vor (gemäss Art. 64 StGB),
wird ein Sachverständigen-Gutachten bestellt.

MASSNAHMEN

Erwartungen der Auftraggeber an das Gutachten in Bezug auf Massnahmen

In einem GA haben sich Sachverständige zu äussern zur

  • Notwendigkeit und Erfolgsaussichten einer Behandlung
  • Art und Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten
  • Durchführung der Massnahme (Rahmenbedingungen)

MASSNAHMEN

Behandelnde, therapeutische Massnahmen vs sichernde Massnahmen

Überblick

Behandende Massnahmen:

  • Stationäre Behandlung von psychischen Störungen (Art. 59 StGB)
  • Stationäre Suchtbehandlung (Art. 60 StGB)
  • Stationäre Massnahmen für junge Erwachsene (Art. 61 StGB)
  • Ambulante Behandlung von psychischen Störungen oder Sucht (Art. 63 StGB)

Sichernde Massnahmen:

  • Verwahrung (Art. 64 StGB)
  • Lebenslängliche Verwahrung (Art. 64 Abs. 1bis StGB)
  • Nachträgliche Verwahrung (selten, Art. 65 StGB)

MASSNAHMEN

Behandelnde, therapeutische Massnahmen vs sichernde Massnahmen

Durchführung strafrechtlicher Massnahmen

ambulant in Freiheit:

  • Forensische Ambulanz
  • Psychiatrische Poliklinik
  • Private Praxen

ambulant in Haft:

  • Gefängnispsychiatrisch/psychologische Dienste
  • Private Praxen

stationär:

  • Psychiatrische Klinik
  • Massnahmen-Vollzugs-Einrichtungen
  • Strafvollzugseinrichtung

Verwahrung:

  • Haftanstalt
  • (Psychiatrische Klinik)

MASSNAHMEN

Behandelnde, therapeutische Massnahmen vs sichernde Massnahmen

Unterschiede zwischen therapeutischen und sichernden (Verwahrung) Massnahmen

bei den therapeutischen Massnahmen geht es um eine Besserung der Situation des Täters, bei den Verwahrungen steht nicht die therapie im vordergrund, sondern die Isolierung des Täters vor der Öffentlichekeit

MASSNAHMEN

Risikofaktoren für Rückfall

Statische Risikofaktoren sind nicht veränderbar:

  • Biografische Faktoren, die mit dem Risiko für erneute Delinquenz verbunden sind

Dynamische Risikofaktoren sind variabel:

  • Stabil dynamische Risikofaktoren sind durch wirksame Intervention (Therapie) im Laufe der Zeit veränderbar
    • Persönlichkeitseigenschaften, Defizite bestimmer Fähigkeiten, gelernte Verhaltensweisen, stehen mit Delinquenzrisiko in Zusammenhang, sind aber beeinflussbar und somit auch veränderbar
       
  • Akut dynamische Risikofaktoren sind nur bedingt oder nicht kontrollierbar
    • Liegen in der Person oder in der Umwelt , im Wesentlichen kurzfristig auftretende Zustände oder Bedingungen, Stunden bis Tage anhaltend

MASSNAHMEN

Störungs- und deliktorientierte Behandlung

  • Besserung / Heilung der psychischen Störung
     
    • Psychotherapie, Medikation

       
  • Einwirken auf Kriminogene (Persönlichkeits-)Faktoren
     
    • Psychotherapie, Milieutherapie
      (unbehandelte psych. Störung, Substanzabhängigkeiten, Impulsivität, Selbstkontrolle und Selbstmanagement, shclechte Anpassungsstrategien, Mangel an soz. und zwischenmenschl. Fähigkeiten, Unfähigkeit zu planen und konzeptionell zu denken, antisoziale Ansichten, Einstellungen und Gefühle, Externalisierung von Verantwortung, Beiinflussbarkeit durch kriminogenes Umfeld)

       
  • Übernahme von Verantwortung für die Tat (wirkt deliktprotektiv, nicht das Mitgefühl für Opfer,die meisten leiden am meisten am Schaden den sie sich selber durch die Tat zugefügt haben (Haft etc.))
     
    • Deliktrekonstruktion
      (Rekonstruktion von Faktoren, die aus Sicht des Patienten vor, während und nach der Tat eine Rolle gespielt haben wie Verhalten, Gefühle und Körperempfindungen, Gedanken und Phantasien, Interaktion mit Ofer, Einfluss von psychotropen Substanzen...)
       
    • Umgang mit Phantasien
    • Erkennen von Risikofaktoren
    • Kontrolle von Risikosituationen (z.B. Pädophile gehen nicht ins Schwimmbad)

DAS JUGENDSTRAFRECHT

Geltungsbereich des Jugenstrafgesetzes und Arten von Sanktionen

Delinquente zwischen 10 - 18 Jahren, Massnahmen bis zum Alter von 25 Jahren

Sanktionen: Dualistisches System von Massnahmen und Strafen:

  • Strafen: Verweis, persönliche Leistung, Busse, regulärer und qualifizierter Freiheitsentzug (bis 4 Jahre bei bestimmten Delikten)
  • Schutzmassnahmen: Aufsicht, persönliche Betreuung, ambulante Behandlung, Unterbringung (offen, geschlossen)
  • Vollzug: bedingt oder unbedingt

DAS JUGENDSTRAFRECHT

Fragen der Jurisprudenz

1. Fragen zur Schuldfähigkeit (Art 19 StGB)

  • Gesundheitszustand, Einsichts- und Steuerungsfähigkeit (heute/ Tatzeitpunkt)?
  • Entwicklungsstand?

2. Fragen zur Rückfallgefahr

  • Erhöhte Gefahr neuerlicher Straftaten?
  • Welche Art von Straftaten/ mit welcher Wahrscheinlichkeit?

3. Fragen zu Schutzmassnahmen

  • Massnahmebedürftigkeit/ Massnahmefähigkeit/ Massnahmewilligkeit?
  • Massnahmen welcher Art?
  • Verhängung einer Strafe parallel zur Massnahme?

DAS JUGENDSTRAFRECHT

Entwicklung dissozialen Verhaltens

Selten bis nie gibt es motivationslose Taten!

Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell:

Biologische, psychologische und soziale Faktoren wirken auf die psychische Struktur. Situative Auslöser führen unter diesen Prämissen zu dissozialen/ aggresiven Handlungen
 

Modell kumulierter Risiken:

Je mehr Risikofaktoren zusammenkommen, je mehr Schwierigkeiten in sozialer Adaptation. Bei jedem Faktor ist jeweils die Wiederholtheit relevant. Einzelne Faktore finden sich bei fast allen Jugendlichen:

  • familiäre Disharmonie, Erziehungsdefizite
  • Bindungsdefizite
  • Ablehnung durch Gleichaltrige
  • Anschluss an deviante Peergruppen
  • Problematisch heterosexuelle Beziehungen
  • Multiproblemmilieu, untere soziale Schicht
  • schwieriges Temperament, Impulisivität
  • verzerrte Verabreitung sozialer Informationen
  • problematisches Selbstbild, deviante Einstellungen
  • persistent antisozialer Lebensstil
  • genetische Faktorn, neurologische Schädigungen
  • kognitive Defizite, Verzögerungen im moralischen Urteil
  • Probleme in der Schule
  • Defizite in Fertigkeiten und Qualifikationen
  • Probleme in Arbeit und Beruf

DAS JUGENDSTRAFRECHT

Diagnostische Einteilung nach MAS

Diagnostische Einteilung nach MAS (Multi Axiales Klassifikationssystem)
1. Achse Klinisch psychiatrisches Syndrom
2. Achse Umschriebene Entwicklungsstörung
3. Achse Intelligenzniveau
4. Achse Körperliche Symptomatik
5. Achse Assoziierte abnorme psychosoziale Umstände
6. Achse Globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveau

DAS JUGENDSTRAFRECHT

Persönliche Reife

Schuldfähigkeit ist auch eine Frage der persönlichen Reife.

  • Reife oder Entwicklungsbeurteilungen basieren auf :
    • klinischen Eindruck
    • Körperlichen Untersuchung
    • Psychologische Testverfahren und Fragebögen
       
  • Konkret nimmt man Bezug auf:
    • Biologische Reife
    • Emotionale Entwicklung
    • Kognitive Reife
    • Soziale und moralische Kompetenz