Mediävistik LW I
Mediävistik zum Kurs von R. Schöller und der Vorlesung von Dr. Stolz
Mediävistik zum Kurs von R. Schöller und der Vorlesung von Dr. Stolz
Fichier Détails
Cartes-fiches | 225 |
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Langue | Deutsch |
Catégorie | Littérature |
Niveau | Université |
Crée / Actualisé | 24.05.2017 / 13.01.2025 |
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Merkmale des Mittelhochdeutschen im Unterschied zum Neuhochdeutschen
1. Neuhochdeutsche Monophthongierung
(Die drei Diphthone /ie/, /uo/ und /üe/ werden im Nhd. zu langem /i:/, /u:/, und /ü:/ ([nicht im Bairischen und Alemannischen!])
Merke: mhd. liebe guote brüeder > nhd. liebe gute Brüder
2. Neuhochdeutsche Diphthongierung
(Die drei mhd. Langvokale /î/, /iu/ („ü“) und /û/ werden zu Nhd. /ei/, /eu/, /au/ [nicht im Alemannischen!])
Merke: mhd. mîn niuwez hûs > nhd. mein neues Haus
3. Neuhochdeutsche Dehnung und Kürzung
Dehnung: Mhd. kurze Vokale in betonter offener Silbe werden im Nhd. gedehnt
mhd. le-ben > nhd. lē-ben
Kürzung: Mhd. lange Vokale in geschlossener Silbe werden im Nhd. gekürzt
mhd. brâh-te > nhd. brachte mhd. hêr-lîch > nhd. herrlich
4. Rundung, Entrundung, Senkung
Rundung (Labialisierung): Vokale können in bestimmter konsonantischer Umgebung mit stärker gerundeten Lippen gesprochen werden.
mhd. /e/ > nhd. /ö/
mhd. /â/ > nhd. /ô/
mhd. /î/ > nhd. /ü/
mhd. /ie/ > nhd. /ṻ/
mhd. helle > nhd. Hölle
mhd. âne > nhd. ohne
mhd. wirde > nhd. Würde
mhd. liegen > nhd. lügen
Entrundung (Delabialisierung): Spielt in der nhd. Schriftsprache kaum eine Rolle, aber:
mhd. küssen (‚Kissen‘) > nhd. Kissen
mhd. sprützen > nhd. spritzen
Senkung: Mhd. /u/ und /ü/ werden gelegentlich, bes. vor Nasal, gesenkt.
mhd. /u/ > nhd. /o/ mhd. sune > nhd. Sonne,
mhd. sumer > nhd. Sommer mhd. /ü/ > ndh. /ö/
mhd. künec > nhd. König,
mhd. mügen > nhd. mögen
Kombinatorischer Lautwandel
„In Wörtern gleicher Abstammung und in verschiedenen Formen desselben Wortes können jeweils zwei Varianten des Wurzelvokals auftreten, die jedoch auf ein und denselben Vokal zurückzubeziehen sind,
z. B. Hand - Hände, Tod - töten, Fuß - Füße, geben - gibst. Diese Varianz im Grundmorphem ist bedingt durch die Einwirkung nachfolgender Laute.“ (Weddige, S. 35)
Der germanische i-Umlaut
Der germanische i-Umlaut = der älteste kombinatorische Lautwandel:
idg. e > germ. i vor i oder j oder Nasal + Konsonant (Weddige, S. 35f.)
Brechung
Brechung = die Senkung von germ. i und u > vorahd. e und o vor a, e, o der Folgesilbe
Heldendichtung
Ereignisse, die in einer mythischen Vorzeit angesiedelt sind oder Geschehnisse aus der Völkerwanderungszeit (4.–6. Jh.) reflektieren.
Die Taten ausserordentlicher Menschen, die sich durch Mut und Kampfeskraft auszeichnen, stehen im Zentrum.
Ein weiteres typisches Gattungsmerkmal ist die Anonymität der Überlieferung: die Texte sind ohne Autorennamen in Umlauf
Hildebrandslied
Das althochdeutsche ›Hildebrandslied‹ ist das einzige schriftlich erhaltene Zeugnis germanischer Heldendichtung in der deutschen Literatur.
Die Dichtung handelt von einem Vater-Sohn-Konflikt, der sich im gegenseitigen Verkennen bzw. Erkennen der Kontrahenten und angesichts des Kriegsethos der frühen Adelsgesellschaft tragisch zuspitzt, ehe der Text unvollendet abbricht. Recht und Unrecht sind dabei nicht eindeutig verteilt.
Stoffgeschichtlich gehört das ›Hildebrandslied‹ in eine ostgotische Exilsage um den König Dietrich von Bern, eine Sagengestalt, die auf den Gotenkönig Theoderich den Grossen zurückgeht.
Aus Hadubrands Mund hört Hildebrand seine eigene Geschichte (vv. 14–29) und erkennt seinen Sohn. Er deutet an, wer er ist, und bietet Hadubrand wertvolle Armreife (auf der Spitze eines Wurfspeers) zum Geschenk an; doch Hadubrand versteht die Geste als List (vv. 33–40). Durch weitere Reizreden, die traditionell der Vorbereitung des Zweikampfs in der Heldendichtung dienen, spitzt sich der Konflikt zwischen Vater und Sohn weiter zu, bis der Vater den waltant got (v. 49) anruft und in Klagen ausbricht: Er steht vor der tragischen Wahl, erstmals besiegt zu werden oder aber den Sohn von eigener Hand zu töten (vv. 49–54).
Stabreimdichtung und Endreimdichtung
Das ›Hildebrandslied‹ ist in Stabreimen gedichtet, auch wenn die strengen Regeln des germanischen Stabreimverses hier vielfach nicht konsequent beachtet werden.
In Langzeilen, die aus zwei zweihebigen Kurzversen mit schwankender Silbenzahl bestehen, werden An- und Abvers durch den Stabreim verbunden.
Mit Otfrids ›Evangelienbuch‹ (863/871) wird der Endreim in die deutsche Literatur eingeführt.
Endreim heisst Gleichklang vom Vokal der letztbetonten Silbe an.
Die Karolingerzeit (751–911)
Die Aufzeichnung des ›Hildebrandslieds‹ und des ›Evangelienbuchs‹ fällt in die Herrschaftszeit der Karolinger (751 bis 911).
Die überragende Gestalt dieser Zeit ist Karl der Grosse (Kaiserkrönung 800, Herrschaftszeit: 768 bis 814).
Neben seinen Eroberungen ebnet er den Weg für bedeutende kulturelle Leistungen. Die von ihm begonnene christliche Missionierung führt zur Aufzeichnung von Texten in der Volkssprache (Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Taufgelöbnis).
Die Reformbestrebungen Karls des Grossen gipfeln in der ›Admonitio generalis‹ vom 23. März 789. Das Dokument enthält konkrete Vorschläge für die Einrichtung von Leseschulen, in denen die Mönche die Psalmen, die Schriftzeichen, den Gesang, das Berechnen der kirchlichen Festtage und die Grammatik lernen sollten.
Zur Verbesserung der Bildung von Klerikern und teilweise auch Laien werden bedeutende Klöster und Klosterschulen gegründet, die mit ihren Schreibwerkstätten (Skriptorien) als Hauptorte althochdeutscher Überlieferung fungieren.
Stammklassen der schwachen Verben
1. jan-Verben
germ. *sat-jana(n) > ahd. sez(z)en > mhd. setzen
2. ôn-Verben
ahd. lobôn > mhd. loben
3. ên-Verben
ahd. lebên > mhd. leben
1. jan-Verben
Wir unterscheiden zwischen 1.1 kurzwurzeligen jan-Verben und 1.2 langwurzeligen und mehrsilbigen jan-Verben.
(Merke: Eine Wurzelsilbe gilt als lang, wenn der Wurzelvokal entweder ein Langvokal oder ein Diphthong war (Naturlänge) (z.B. mhd. lêr-en, hoer-en), oder wenn in der Wurzelsilbe mind. 2 Konsonanten auf einen Kurzvokal folgten (Positionslänge) (z.B. mhd. senden).)
1.1 Kurzwurzelige jan-Verben
Bsp: mhd. Infinitiv legen, Präteritum legete (got. Inf. lagjan – Prät. lagida)
Das -jan im Infinitiv und das Stammformans -i- im Prät. zwischen Wurzel und Dentalsuffix bewirkten den Umlaut a > e sowohl im Inf. als auch im Prät.
1.2. Langwurzelige und mehrsilbige jan-Verben
Bspe: mhd. Infinitiv hoeren – Prät. hôrte; loesen – lôste; küssen – kuste etc.
Rückumlaut
Beispiele für Rückumlaut im Mittelhochdeutschen:
brennen – brante
setzen – sazte
stellen – stalte
waenen – wânde
hoeren – hôrte
tröumen – troumte
küssen – kuste
grüezen – gruozte
Ablaut
Unter Ablaut versteht man den systematischen Wechsel der Stammsilbenvokale in etymologisch oder grammatisch verwandten Wörtern.
Die Karolingerzeit (751–911), Teil II
Seit der Herrschaft von Karls Sohn Ludwig dem Frommen (814–840) wird das Karolingerreich zunehmend geschwächt. 830–833 empören sich Ludwigs Söhne Pippin, Ludwig und Lothar gegen ihren Vater.
Später kommt es zum Bruderkrieg Ludwigs des Deutschen und Karls des Kahlen gegen Lothar, der 841 in der Schlacht von Fontenoy besiegt wird. Am 14. Februar 842 bekräftigen Ludwig und Karl ihr Bündnis in den ›Strassburger Eiden‹.
Die Herrscher schwören dabei in den Sprachen des Heers ihres Vertragspartners (Ludwig der Deutsche in Romanisch, Karl der Kahle in Fränkisch), während die Angehörigen beider Heere den Eid in ihrer eigenen Sprache leisten.
Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Heldendichtungen wie das ›Hildebrandslied‹ entstammen einer schriftlosen Kultur. Wenn sie schriftlich überliefert sind, treffen zwei Kulturen aufeinander: Die eine ist geprägt von der Mündlichkeit, die andere von der Schriftlichkeit.
In einer oralen Kultur verändert sich das Erinnerte zwar im Zuge seiner mündlichen Überlieferung, wird aber von dem an der Erinnerung beteiligten Kollektiv als ‚wahr’ angesehen. In einer Schriftkultur, wie etwa jener der Karolingerzeit, haben christliche Kleriker hingegen ihre Schriftkompetenz aus der lateinischen Antike übernommen.
Schriftliche Aufzeichnungen von Melodien, die wohl zunächst als Erinnerungshilfen dienten. Sie geben nur den ungefähren Verlauf einer Melodie, jedoch keine exakten Tonhöhen, keinen Rhythmus an. Sie sind ohne Linien (in campo aperto) geschrieben und stehen gelegentlich am Rand neben dem Text statt darüber.
Nibelungenlied
Das ›Nibelungenlied‹ gründet auf mündlich überlieferten Sagen, die zunächst unabhängig voneinander im Umlauf waren und erst später – im Medium der Schriftlichkeit – miteinander in Verbindung gebracht wurden.
Apokoinu
Die Besonderheit dieser Konstruktion besteht darin, dass sich ein Satzglied sowohl auf den vorangehenden als auch auf den folgenden Satzteil bezieht. Die erste Strophe des Nibelungenlieds ist damit Programm für fingiertes mündliches Erzählen, das in der Schriftlichkeit konzipiert ist. Sie thematisiert den Vollzug kollektiver Erinnerung und macht die folgende Erzählung als mündlich tradierten Stoff erkennbar.
Eine der wichtigsten Handschriften, die das ›Nibelungenlied‹ überliefern: die um 1260 niedergeschriebenen St. Galler Epenhandschrift, deren Text mit Strophe 2 beginnt.
Die Strophe wird hier durch eine sogenannte 'bewohnte Initiale’ eingeleitet; diese zeigt eine Figur, die mit Daumen und Mittelfinger eine Geste des Redeanfangs vollzieht, wie sie in der Lehrschrift des antiken Rhetorikers Quintilian beschrieben wird.
Die Initiale repräsentiert damit ihrerseits die Mischung von Mündlichkeit (Redegestus) und Schriftlichkeit (aus der Antike überliefertes Wissen).
Bau der Nibelungenstrophe
Das metrische Schema der Nibelungenstrophe stimmt weitgehend mit einer Strophenform überein, die bereits in der frühen donauländischen Minnelyrik (um 1150/70) des Kürenbergers begegnet.
Die Strophe besteht aus vier Langversen, die regulär paarige Endreime aufweisen (vgl. Strophe 6: kraft, ritterschaft; zît, nît).
Die Langverse sind durch eine Zäsur (einen ‚Einschnitt’) in An- und Abverse unterteilt.
Die Anverse beginnen meist mit einer unbetonten Silbe (Auftakt); an ihrem Ende ist die vorletzte Silbe betont, während die letzte Silbe einen Nebenton trägt (weibliche Kadenz, klingend).
Die Abverse enden regulär mit einer betonten Silbe (männliche Kadenz).
Während in den An- und Abversen der Zeilen 1–3 jeweils drei Silben betont sind, weist Zeile 4 im Anvers ebenfalls drei, im Abvers jedoch vier Hebungen auf.
Dadurch gewinnt der Abschluss der Strophe im mündlichen Vortrag Kontur.
Auslautverhärtung: Beispiel
Merke: Die Schreibung <ch> in der 2. Stammform z.B. in Ablautreihe Ib (Beispielwort: lêch) erklärt sich ebenfalls aus der Stellung im Auslaut (vgl. z. B. auch sehen – sach oder zîhen – zêch).
Dieses Phänomen war schon im Althochdeutschen vorhanden; es zählt nicht zur mittelhochdeutschen Auslautverhärtung.
Präterito-Präsentien
= Verben, deren (starke) Präteritalformen Präsensbedeutung angenommen haben.
Wurzelverben (mi-Verben)
= Verben, deren Endungen unmittelbar (also ohne Bindevokal) an die Wurzel anschliessen.
Beispiele:
sîn, tuon, stân, gân
Kontrahierte Verben
= reguläre Verben, zu denen seit dem 11. Jahrhundert kontrahierte Formen gebildet wurden.
Beispiele:
haben – hân
lâzen – lân
vâhen - vân
Perfektive Verben
= Verben, die ihr Partizip Präteritum ohne das Präfix ge- bilden. Im Mittelhochdeutschen gibt es (noch) fünf perfektive Verben:
Infinitiv:
mhd. vinden
mhd. komen
mhd. treffen
mhd. werden
mhd. bringen
Partizip Präteritum
vunden
komen
troffen
worden
brâht
Beachte: Im Neuhochdeutschen bilden die perfektiven Verben ihr Partizip Präteritum mit ge- aus (gefunden, gekommen, getroffen, geworden, gebracht).
Mischverben
= Verben, die im Präteritum sowohl Ablaut (wie die starken Verben) als auch ein Dentalsuffix (wie die schwachen Verben) aufweisen.
bringen – brâhte – brâhten – brâht
(kaum noch: bringen – branc – brungen – brungen)
beginnen – begunde – begunden – begunnen
(neben: beginnen – began – begunnen – begunnen). Das Part.Prät. kommt im Mhd. nur selten vor.
Isophone / Isoglosse
Isophone sind Grenzlinien, die die geographische Ausbreitung bestimmter Laute anzeigen (z.B. appel/apfel),
während Isoglossen sich auf den Wortgebrauch beziehen (z.B. hê/er).
Benrather Linie
Grenze zwischen Niederdeutschem und Mittel-/Oberdeutschem
Lautverschiebungen
Weddige S. 23
Das ›Nibelungenlied‹ (Inhalt)
Erzählschemata der Brautwerbung / der verräterischen Einladung
Teil 1: Der Held Siegfried aus Xanten am Niederrhein kommt an den Hof zu Worms und wirbt um die burgundische Prinzessin Kriemhild. Siegfried verfügt über sagenhafte Körperkraft sowie über einen von den Nibelungen einstmals erworbenen Schatz. Diese beiden Vorteile verschaffen ihm Ansehen, führen aber auch zu Misstrauen am Burgundenhof. Siegfried hilft Gunther bei der betrügerischen Werbung um die unbesiegbare Brünhild und wird dafür Kriemhild zur Frau erhalten.
Erst Jahre später kommt Siegfrieds Überlegenheit gegenüber Gunther ans Licht, dies anlässlich einer Einladung Siegfrieds und Kriemhilds an den Burgundenhof, bei der die beiden Königinnen öffentlich miteinander in Streit geraten. Gunther und der listige Hagen schmieden daraufhin ein Mordkomplott, das anlässlich einer Jagd im Odenwald ausgeführt wird.
Teil 2: Kriemhilds masslose Trauer schlägt bald in Rachepläne um. Mit Berechnung geht sie auf die Werbung des mächtigen Hunnenkönigs Etzel ein. Schliesslich lädt sie die Burgunden an Etzels Hof und lässt sie grausam töten. Sie kommt dabei selbst zu Tode, gerichtet von Hildebrands Hand.
Historische Grundlagen Nibelungenlied
Der katastrophale Untergang des Volksstamms der Burgunden im 5. Jahrhundert bildet den historischen Hintergrund des ›Nibelungenlieds‹.
Die Burgunden siedelten beidseits des Rheins im Gebiet um Worms. Unter König Gundaharius (Gunther) drangen sie von dort aus gegen das römische Gallien vor, wurden aber um 436 von einem römischen Heer und hunnischen Verbänden vernichtend geschlagen. Die Namen der Burgundenkönige Gundaharius (Gunther), Gothorm (Gernot) und Gislaharius (Giselher) sind im burgundischen Stammesrecht (›Lex Burgundiorum‹) aus dem 5. Jahrhundert bezeugt.