Mediävistik LW I

Mediävistik zum Kurs von R. Schöller und der Vorlesung von Dr. Stolz

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Anais Sommer

Anais Sommer

Set of flashcards Details

Flashcards 225
Language Deutsch
Category Literature
Level University
Created / Updated 24.05.2017 / 13.01.2025
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sagengeschichtliche Tradition

Die Sagenformen des geschichtlichen Stoffes wird man sich folgendermassen vorzustellen haben:

Im ›Alten Atlilied‹ (überliefert in der Lieder-Edda des 13. Jhs.) lädt der Hunnenkönig Atli seine Schwäger Gunnar (Gunther) und Högni (Hagen) in verräterischer Absicht ein, um sie zu töten und ihnen den Nibelungenhort abzunehmen. Diese Erzählung wird mit Berichten von der Ermordung des Königs Attila durch ein germanisches Mädchen kombiniert.

Aus dieser Verbindung dürfte die Burgundensage als Vorstufe des ›Nibelungenlieds‹ entstanden sein. Hinzu treten die Sagen von Siegfried dem Drachentöter und von der unbesiegbaren Brünhild.

In dieser Konstellation geht die verräterische Einladung nicht von Attila, sondern von der Schwester der Burgundenkönige aus: sie rächt sich an den Brüdern für die Ermordung ihres Gatten Siegfried.

Die Eigenart der mündlich tradierten Sage besteht darin, dass sie Wirklichkeit nicht faktengetreu wiedergibt, sondern die historischen Fakten umerzählt und dabei bestimmten Mustern folgt:

der Reduktion (Rückführung historischer Ereigniszusammenhänge auf elementare menschliche Affekte und Konflikte),

Assimilation (Anpassung historischer Fakten an Erzählschemata wie jene der Brautwerbung und verräterischen Einladung),

Koordination (Zusammenschluss einzelner Sagen).

Nibelungenklage

Ein Rezeptionsbeispiel, das noch aus der Zeit der schriftlichen Aufzeichnung des ›Nibelungenlieds‹ stammt (eine Reimpaardichtung, entstanden um 1200). Es handelt sich inhaltlich um eine Totenklage über die gefallenen Burgunden, die eine christliche Deutung des archaischen Stoffs bietet.

Renaissance des 12. Jahrhunderts

Der Dichter Heinrich von Veldeke ist ein typischer Vertreter der so genannten Renaissance des 12. Jahrhunderts.

Diese von französischen Kathedralschulen ausgehende Bewegung zeichnet sich dadurch aus, dass die antike Literatur neben die Bibel und die Schriften der Kirchenväter tritt und zur Gewinnung eines neuen Welt- und Menschenbilds genutzt wird.

So greifen die Gelehrten etwa bei der Erklärung des Schöpfungsvorgangs auf Texte wie Platos ›Timaios‹ zurück. Das Studium der antiken Literatur und Wissenschaft soll ‚zur Pflege des menschlichen Daseins’ – erfolgen (so Thierry von Chartres, ›Heptateuchon‹, um 1140). 

›Höfische Kultur‹

Im Laufe der Zeit verlagert sich das kulturelle und literarische Leben von den Klöstern und Kathedralen immer mehr an die Höfe.

Diese Tendenz wird durch Kleriker (wie Heinrich von Veldeke) unterstützt, die in engem Kontakt mit den Höfen stehen und sich dort auch längerfristig aufhalten. 


Vorbildhaft für den deutschen Sprachraum wirkt die französische Kultur mit ihrem Einfluss auf Architektur (Gotik), Kunst, Mode, Sitten sowie auf Sprache und Literatur.

Das mittelhochdeutsche Wort hövesch ist eine Lehnprägung nach französisch cortois, corteis.

 Höfisches Verhalten beruht auf einer höfischen Erziehung (mhd. zuht), die sich an Affektbeherrschung und Masshalten (mhd. mâze), an kontrolliertem Genuss und gepflegter Geselligkeit orientiert.

Seinen Ort findet ein solches Zusammensein im höfischen Fest (mhd. hôchgezît, hôchzît), zu dem u.a. Turniere, Tanz, repräsentative Auftritte in modischer Kleidung, aber auch der Vortrag von Liedern und Erzählungen gehören.

Festesschilderungen in der Literatur betonen, dass dieser gesellschaftliche Anlass die Beteiligten in eine freudige Stimmungslage versetzte (vreude, vröide, hoher muot).

Heinrich von Veldeke

Heinrich von Veldeke (Wirkungszeit um 1170/90) kann als der früheste höfische Lyriker und Epiker bezeichnet werden.  Der Dichter des ›Eneasromans‹ stammt aus dem Grenzgebiet zwischen dem französischen und deutschen Sprachraum, dem Maasland im Herzogtum Niederlothringen. 

Er ist Angehöriger einer Ministerialenfamilie, die im Dienst der Grafen von Loon (im Limburgischen) stand. Gefördert wurde er von  von Hermann von Thüringen.

Heinrich von Veldeke war Kleriker (Geistlicher) und verfügte damit über gute Lateinkenntnisse, die ihn zum Lesen und Schreiben befähigten und die Lektüre antiker Dichtung (Vergil, Ovid u. a.) ermöglichten.

 

Eneasroman

Der ›Eneasroman‹ ist um 1170–1175 entstanden.
Der Text basiert auf dem antiken Stoff der ›Aeneis‹ (Vergil, 70 bis 19 v. Chr.).

Nach der Zerstörung Trojas flieht der Trojaner Äneas mit einigen Gefährten, landet in Latium und wird zum Ahnen eines Geschlechts, aus dem später Romulus und Remus, die Begründer Roms, hervorgehen.

Heinrich stützte sich jedoch neben Vergils ›Aeneis‹ vor allem auf eine altfranzösische Vorlage – den ›Roman d’Eneas‹ (anonym, um 1155–1160).

Heinrich,  habe das nun endende bûch aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Eine Verzögerung an der Arbeit habe sich dadurch ergeben, dass dem Dichter das bûch geraubt worden sei. Er habe deshalb seine Heimat verlassen und sich nach Thüringen begeben, wo er die Dichtung nach neunjähriger Unterbrechung unter dem Patronat Hermanns vollendete.

Das Beispiel zeigt, welche wichtige Rolle die Mäzene bei der Entstehung mittelhochdeutscher Dichtungen spielten.

Auffällig an der Sprache Heinrichs von Veldeke ist, dass sich der Dichter darum bemüht, sowohl von den Angehörigen seiner niederdeutschen Heimat als auch von einem Publikum im hochdeutschen Raum verstanden zu werden. 

Stauferpartien

In den sogenannten ‚Stauferpartien’ des ›Eneasromans‹ erwähnt Veldeke den Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa. Während in den Versen 8374–8408 davon die Rede ist, dass der Kaiser das Grabmahl von Pallas, einem Verbündeten des Eneas, wieder aufgefunden habe, wird in der Stauferpartie (v. 13221–13252) an das berühmte Hoffest von Mainz erinnert.

 

das Mainzer Hoffest

Das Mainzer Hoffest wird im Text anlässlich der Hochzeit des Eneas mit Lavinia, der Tochter des Königs von Latium, erwähnt. Der Dichter, der die beiden Feste in den Versen 13221–13227 miteinander vergleicht, betont seine Augenzeugenschaft. In hyperbolischem Stil beschreibt er die Schwertleite der Söhne Barbarossas und die unermessliche Prachtentfaltung.
Die mittelalterlichen Hoffeste sind ein wichtiger Bestandteil der Herrschaftspraxis. Die Freigiebigkeit (mhd. milte) stellte eine wichtige Herrschertugend und Herrscherpflicht im Mittelalter dar. 

Kurzcharakteristik des ›Eneasromans‹

Der altfranzösische ›Roman d’Éneas‹ und Veldekes ›Eneasroman‹ folgen erzähltechnisch einem reihenden Verfahren, das der Ereignischronologie entspricht. Vergils ›Aeneis‹ ist dagegen so angelegt, dass die Erzählung stattdessen inmitten der Handlungsabfolge einsetzt.

Auch im Hinblick auf die Deutungsperspektiven lassen sich wesentliche Unterschiede namhaft machen: Während Vergil in seinem römischen Nationalepos eine mythische Vorgeschichte Roms liefert, steht im mittelhochdeutschen ›Eneasroman‹ die Herrschaftslegitimation durch Erinnerung an die Antike im Vordergrund. 

Anders als in der antiken Vorlage dominiert zudem die Minnethematik (deren Ausgestaltung den Liebesdichtungen des römischen Dichters Ovid, besonders dessen ›Ars amatoria‹, folgt).

Inhalt Eneasroman

Eneas flieht aus dem zerstörten Troja und kommt mit seinem Gefolge nach siebenjähriger Irrfahrt nach Karthago in Nordafrika – an den Hof der Königin Dido. Er geht mit Dido ein Liebesverhältnis ein, muss sie jedoch auf Geheiss der Götter verlassen, was Dido in den Selbstmord treibt. Auf der Weiterfahrt gelangt Eneas in die Unterwelt, wo ihm sein verstorbener Vater Anchises die Begründung eines grossen Geschlechts und die Errichtung des römischen Weltreichs verheisst. Vergil hat an diesem Punkt die kompositorische Mitte seines Epos erreicht. In den mittelalterlichen Romanen, so auch bei Heinrich von Veldeke, steht die Handlung hier eigentlich erst an ihrem Beginn: In Italien willigt König Latinus ein, Eneas mit seiner Tochter Lavinia zu vermählen. Da Lavinia bereits dem Herzog Turnus versprochen ist, kommt es zu Kampfhandlungen, die ausführlich geschildert werden. Nach dem Sieg über Turnus (und dessen Tod) folgt die Hochzeit von Eneas und Lavinia, die sich mittlerweile in leidenschaftlicher Liebe zugetan sind. Anders als bei Vergil wird diese Minne ausführlich nachgezeichnet.

Gattungstypologie des höfischen Romans

Jean Bodel unterscheidet in seinem Sachsenlied vom späten 12. Jahrhundert drei Stoffbereiche:

1. Die matière de Rome (Antikenroman, Stoffe der antiken Sage von Troja, Alexanderroman);

2. die matière de France (Begebenheiten der fränkisch-französischen Geschichte um Karl den Grossen, Chanson de geste wie die altfranzösische ›Chanson de Roland‹ und deren deutsche Bearbeitung);

3. die matière de Bretagne (beruhend auf keltischem Erzählgut, Erzählungen um König Artus und seine Tafelrunde).
 

Das ›Rolandslied‹ des Pfaffen Konrad

Im ›Rolandslied‹, das um 1172 oder 1180 von einem Kleriker namens Konrad  verfasst wurde, wird geschildert, wie die fränkische Nachhut beim Überqueren der Pyrenäen in einen Hinterhalt gerät und von heidnischen Sarazenen (Mauren) überfallen wird. 

Das nationale Pathos der dulce France wird getilgt und stattdessen die Kreuzzugsthematik in den Vordergrund gerückt. Die Vorstellung einer dulce France wird durch ein himmlisches erbelant (Jenseits) ersetzt, das im Kampf gegen die heidnischen Muslime errungen werden soll.

Für das ›Rolandslied‹ ist insgesamt ein extremer Antagonismus von Christentum und Heidentum kennzeichnend: Ein Sieg über die Heiden bedingt Taufe oder Tod der Heiden in der Schlacht.

Inhalt Rolandslied

Kaiser Karl der Grosse befindet sich nach einem siegreichen Feldzug gegen die Araber in Spanien bereits auf dem Rückzug, als die von dem Paladin Roland angeführte Nachhut in einen Hinterhalt gerät.

Der Unterhändler Genelun, Rolands Stiefvater, hat die Franken an den heidnischen König Marsilies verraten. In Runzival (Roncesvalles), einem Tal in den Pyrenäen, werden Roland und die Seinen von den Heiden aufgespürt und in heftigem Kampf niedergemetzelt (historisch handelt es sich um einen Überfall der Basken auf das fränkische Heer).

Zu spät holt der sterbende Roland den Kaiser durch einen Hornruf zurück, doch Karl nimmt unerbittliche Rache: Er besiegt Marsilies und die zu Hilfe geeilten Heerscharen des heidnischen Grosskönigs Paligan. Der Verräter Genelun wird verurteilt und hingerichtet. 

Graf Rudolf

Die um 1170/80 am Niederrhein oder in Thüringen entstandene Dichtung ›Graf Rudolf‹ geht vermutlich auf eine verlorene altfranzösische ›Chanson de geste‹ zurück und ist nur fragmentarisch überliefert (1400 Verse).

Der junge Graf Rudolf kämpft im Heiligen Land zunächst auf christlicher Seite, dann auf der Seite der Heiden. Dabei werden die Heiden überraschend positiv gezeichnet. 

König Rother

In dem um 1160/70 entstandenen Brautwerbungsepos wird geschildert, dass König Rother (historisch der Langobardenkönig Rothari, 636–652) um die Tochter des Königs Konstantin von Konstantinopel wirbt.

Dieser hat bislang alle Brautwerber getötet. Rother muss zahlreiche Abenteuer bestehen und gegen die (negativ gezeichneten) Heiden kämpfen, bis er die Königstochter, die ihm in Liebe zugetan ist, heiraten kann.

Der gemeinsame Sohn Rothers und der (namenlosen) Königstochter ist Pippin, der Vater Karls des Grossen. Damit erfolgt die genealogische Anbindung an Karl den Grossen. Zusammen mit der Heidenthematik ist dies ein Hinweis auf die Nähe zur ›Chanson de geste‹. 

Herzog Ernst

In einem um 1170/80 entstandenen, anonym überlieferten Spielmannsepos mit dem Titel ›Herzog Ernst‹ lassen sich Bezüge zur so genannten ‚Empörergeste’ erkennen, die dem Umfeld der französischen ›Chanson de geste‹ angehört.

Inhaltlich geht es in diesem Werk darum, dass sich Herzog Ernst von Bayern gegen seinen Stiefvater Kaiser Otto empört, des Mordes angeklagt wird und später ins Exil gehen muss.

Der auf diesen ersten Teil folgende zweite Abschnitt ist erst später, im Zuge der Verschriftlichung hinzugekommen: Durch eine Teilnahme am Kreuzzug hofft Herzog Ernst die Gunst des Kaisers wiederzugewinnen. Nach einem Seesturm gelangt er in die Wunderwelt des Orients. Es folgen Kämpfe gegen die Heiden im Heiligen Land. Zuletzt versöhnt sich Herzog Ernst mit seinem Stiefvater. 

Matière de Bretagne

Vorgestellt wird im Folgenden die matière de Bretagne, also die dritte der von Jean Bodel erwähnten matières

Sie enthält wie die beiden anderen matières historische Reminiszenzen an die Abwehrkämpfe der keltischen Briten gegen die vom Festland her eindringenden Angeln und Sachsen. 

Eine besondere Rolle spielt dabei ein britischer Heerführer namens Artorius. Die ruhmvollen Taten dieses keltischen Lokalhelden werden in der um 1130/38 entstandenen ›Historia regum Britanniae‹ des Geoffrey von Monmouth geschildert. 

Die Artussage zeichnet sich durch märchenhafte Elemente aus: Freundliche Helfer und bösartige Gegner gehören zu den bestimmenden Konstituenten, die das Wunderbare dieser Gattung insgesamt ausmachen.

Ebenso sind Tugend- und Tapferkeitsproben, Motive der Befreiung und Gabe sowie die Suche (afrz. queste) nach religiöser Wahrheit Komponenten der Sagentradition.

Begründer des volkssprachigen Artusromans ist Chrétien de Troyes (um 1133 – 1188), der zwischen 1165 und 1190 wirkte und diverse Artusromane verfasste.

Grosse Bedeutung für die Verbreitung des Artusstoffes in der europäischen Literatur hat auch der ›Lancelot‹-›Graal‹-Prosazyklus, der vermutlich zwischen 1215 und 1230 entstanden ist

Zur matière de Bretagne, wenn auch nicht zur Artusepik im engeren Sinne gehört auch der Tristanstoff.

Der ›Erec‹ von Chrétien und Hartmann 

Der klassische Artusroman, der in Deutschland von Hartmann von Aue mit dem ›Erec‹ begründet wird, beruht auf der altfranzösischen Vorlage des Chrétien de Troyes. 

Sein Anspruch ist es, eine Geschichte zu erzählen, die auf immer in der Erinnerung bleiben soll, solange die Christenheit besteht.

Chrétien akzentuiert damit selbstbewusst die Rolle des planvoll gestaltenden Autors: Der gelehrte Dichter vermag die Erzählung als zusammengefügten Text (conjointure) zu gestalten. 

âventiure

âventiure bedeutet ’gewagtes Unternehmen’, aber auch ‚ritterlicher Zweikampf’ und kann Elemente des Gefährlichen, Wunderbaren, des Risikos sowie Aspekte des Übernatürlichen und des Schicksalhaften einschliessen.

Gegenüber dem Französischen tritt im Mittelhochdeutschen eine weitere Bedeutung hinzu: âventiure meint nicht nur eine sich gefahrvoll oder wunderbar ereignende Begebenheit, sondern auch den Bericht, die Erzählung über ein solches Ereignis.

Das Strukturmodell des Artusromans

Den beiden Artusromanen von Chrétien und Hartmann liegt die Struktur des so genannten Doppelwegs zugrunde. 

Innerhalb dieser Struktur reihen sich die einzelnen âventiuren aneinander: In einem ersten Handlungszyklus gelangt der Held des Romans durch ritterliche Taten zu gesellschaftlichem Ansehen und erwirbt die Liebe einer vornehmen Dame.
Am Ende dieses ersten Handlungszyklus gerät der Held jedoch in eine Krise, da er gegen die Normvorstellungen der höfischen Gesellschaft verstösst.

Er muss deshalb in einem zweiten Handlungszyklus zahlreiche weitere âventiuren bestehen, um die verlorene Ehre wieder herzustellen.

Hartmanns von Aue ›Erec‹

Während eines Jagdausflugs am Artushof wird Königin Ginover von dem jungen und unbewaffneten Ritter Erec begleitet. 

Die Gesellschaft begegnet einem vorbeireitenden fremden Ritter namens Ider, in dessen Gefolge sich ein hässlicher Zwerg befindet, der Erec und ein Edelfräulein beleidigt. 

Mit dieser so genannten „Zwergenschande“ erreicht die Erzählung einen ersten Tiefpunkt, da die Beleidigung eine Herausforderung an den gesamten Artushof darstellt. 

Erec sieht sich veranlasst, die Schmach – stellvertretend für die Artus-Gesellschaft – durch eine âventiure-Fahrt zu sühnen. 

Er verfolgt den fremden Ritter, besiegt ihn im Kampf um einen Sperber und erwirbt gleichzeitig als Lohn die Hand der schönen Enite. 

Der erste Handlungszyklus erreicht einen ersten Höhepunkt mit der Rückkehr an den Artushof (II), wo die Hochzeit gefeiert wird und sich Erecs Ruhm in einem siegreich bestandenen Turnier bestätigt. 

Anschliessend begibt sich das Paar in Erecs Stammlande, in das Königreich von Karnant. Die jung vermählten Eheleute ziehen sich dort so sehr zurück, dass sie alle Herrscher- und Standespflichten vernachlässigen. 

Durch dieses verligen (Textausschnitt vv. 2965–2973) wird das Hofleben freudlos (vv. 2988–2992). Damit ist ein absoluter Tiefpunkt der Handlung erreicht.

 

Hartmanns von Aue ›Erec‹: Wende 

Im zweiten Handlungszyklus wird die Wende dadurch herbeigeführt, dass Erec und Enite unter der Auflage strenger Gebote gemeinsam eine zweite âventiure-Fahrt unternehmen. 

Dieser zweite Handlungsstrang ist zweifach gestaffelt („doppelter Cursus“), da die einzelnen Abenteuer nach einer neuerlichen Zwischeneinkehr am Artushof (III) auf einer höheren Stufe wiederholt werden. 

Während Erec auf einer ersten Stufe gegen Räuber, einen verräterischen Burggrafen und den Zwergenkönig Guivreiz kämpfen muss, hat er sich auf einer zweiten Stufe gegen Riesen, gegen einen weiteren Verführer Enides auf Schloss Limors sowie neuerlich gegen Guivreiz zu behaupten. Letzterer besiegt den völlig geschwächten Erec, der nur durch Enites Rettung dem Tod entgehen kann. 

Nach einer Erholungspause besteht Erec die âventiure im Zaubergarten von Joie de la curt. Dieser Schlussaventiure kommt innerhalb des Romanganzen eine besondere Bedeutung zu: In Joie de la curt lebt der Ritter Mabonagrin zusammen mit seiner Minnedame in völliger Abgeschlossenheit; der Zustand des Gartens spiegelt die Isolation, in die sich Erec und Enide beim verligen in Karnant begaben. 

Erec kämpft gegen Mabonagrin und besiegt dabei sich selbst. Der märchenhafte Schluss des Romans führt zurück an den Artushof (IV). Von dort aus zieht das Paar weiter nach Karnant und übt nun eine vorbildhafte Regentschaft aus, die in der gelebten Harmonie von Herrscherpflichten und ehelicher Liebe besteht.

Doppelweg-Schema / „doppelter Cursus“ 

Das Doppelweg-Schema blieb in der Forschung nicht unhinterfragt. So kritisierte etwa Elisabeth Schmid, dass die Erscheinungen an der Textoberfläche komplexer seien, als es das Doppelweg-Schema (nach Hugo Kuhn) vorgibt.

Eine Alternative zum Strukturplan des „doppelten Cursus“ im zweiten Teil hat Ludger Lieb vorgelegt. In jüngerer Zeit wird der „doppelte Cursus“ auch im Hinblick auf narrative Verfahren der Kontingenzbewältigung und des „Erzählens im Paradigma“ beurteilt (dieser Zugang wurde in der Vorlesung nicht behandelt).

Dilatatio materiae und literarische Fiktionalität

Hartmann nutzt im ›Erec‹-Roman das Verfahren der Dilatatio materiae (‘Ausweitung des Stoffs’, in der antiken Rhetorik auch Amplificatio genannt, im Gegensatz zur Abbreviatio, ‘Kürzung des Stoffs’).

Die in der Tradition der antiken Ekphrasis (lat.: descriptio) stehende Beschreibung des Pferds, das Enite von den Schwestern des Königs Guivreiz zum Geschenk erhält, weitet Hartmann gegenüber der Vorlage Chrétiens deutlich aus.

Im Dialog mit einem Hörer, auf den sich der Erzähler vor der Beschreibung des Sattels einlässt, zeigt sich das Bewusstsein literarischer Fiktionalität: Das Erzählte ist nicht einfach verfügbar, sondern muss im Rückgriff auf die Vorlage neu gestaltet werden.

Zugleich sind Pferd und Sattel "nicht mehr Bestandteile einer in ihren Fakten zu glaubenden Historia, aber auch kein Lügengespinst" (S. 224).

Hartmanns von Aue Iwein

In Hartmanns von Aue ›Iwein‹ besteht die Verfehlung nicht im verligen, sondern im versitzen (d.h.: ’zu viel im Sattel sitzen’): Iwein vernachlässigt seine ehelichen Pflichten durch ein Übermass an ritterlicher Betätigung in Turnieren. 

Am Artushof erzählt Kalogrenant von einem misslungenen Abenteuer am Zauberbrunnen. Aufgrund dieser Herausforderung des Artushofs bricht Iwein alleine auf und setzt damit die âventiure-Fahrt in Gang.

Er kämpft mit dem Herrn des Brunnens, Ascalon, tötet ihn und heiratet aus Liebe Ascalons Witwe Laudine. Eine wichtige Rolle spielt dabei Laudines listige Vertraute Lunete, die ihrer Herrin rät, einen neuen Mann zu heiraten, damit der Brunnen verteidigt werden könne.

Auch hier steht am Ende des ersten Handlungszyklus die Krise: Nach der Hochzeit bittet Iwein seine Frau, ein Jahr lang auf Turniere ziehen zu dürfen, versäumt aber den vereinbarten Termin der Rückkehr.

Lunete, die als Botin auftritt, bezichtigt Iwein vor der Öffentlichkeit des Artushofs der Untreue. Laudine sagt sich von ihrem Ehemann los.

Der Bruch treibt Iwein in den Wahnsinn und er lebt als Waldmensch, bis ihn die Gräfin von Narison schlafend antrifft und mit einer Zaubersalbe heilt. Von nun an zieht Iwein, zusammen mit einem Löwen, den er gerettet hat und der ihm ergeben folgt, von Abenteuer zu Abenteuer.

Erst nachdem Iwein mehrere Abenteuer glücklich bestanden hat, ist die Rückkehr in Laudines Land sowie die Wiederherstellung des Liebes- und Ehebunds möglich. 

Hartmann von Aue

Über Hartmann von Aue ist biographisch so gut wie nichts bekannt. Der Sprache nach muss er ein Alemanne gewesen sein. Im ›Armen Heinrich‹ bezeichnet er sich selbst als dienstman (Ministeriale), der  in Aue gelebt habe.

Auch die Auftraggeber und Gönner sind unbekannt: Neben den Staufern und Welfen kommen hier besonders die Zähringer in Betracht, die Hartmann aufgrund ihrer familiären Bindungen französische Vorlagen zur Verfügung hätten stellen können.

Seinen gehobenen Bildungsstand dürfte Hartmann an einer Kloster- oder Kathedralschule erworben haben. Neben den beiden Artusromanen verfasste er Minnelieder, das Streitgedicht ›Diu Klage‹ und zwei legendenhafte Erzählungen (›Gregorius‹, ›Armer Heinrich‹).

Hartmanns von Aue ›Gregorius‹ 

Die Erzählung ›Gregorius‹ thematisiert den Inzest zwischen Bruder und Schwester (Gregorius’ Eltern) sowie zwischen der Mutter und ihrem Sohn (Gregorius).

Damit ist ein soziales Tabu aufgegriffen, das in der Literatur häufig zur Darstellung von Sündhaftigkeit Verwendung findet. Die Handlungsstruktur gleicht dem für den Artusroman typischen Doppelweg mit Krise in der Mitte.

Doch ist der zweite Handlungszyklus ins Religiöse umformuliert: Er akzentuiert das Eingeständnis menschlicher Erlösungsbedürftigkeit, da der Mensch schuldlos in Schuld geraten kann. 

Gregorius stammt aus einer fürstlichen Familie. Da seine Eltern Bruder und Schwester waren, wurde er als Kind ausgesetzt. Eine beigelegte Tafel berichtet über das inzestuöse Geschehen.

Der Vater stirbt auf einer Bussfahrt, die Mutter übernimmt die Herrschaft in Aquitanien und büsst dort ihrerseits durch Frömmigkeit und Askese.

Gregorius wächst als Findelkind in einem Kloster auf, studiert die Wissenschaften, erfährt durch die Tafel zufällig von seiner Herkunft und beschliesst, Ritter zu werden.

Im weiteren Verlauf der Erzählung kommt Gregorius nach Aquitanien in das Land seiner Mutter, befreit sie aus einer bedrohlichen Lage und heiratet sie (= Abschluss des ersten Handlungszyklus).

Eines Tages entdeckt die Mutter die Tafel und weiss nun, dass ihr eigener Sohn ihr Ehemann ist (= Krise).

Gregorius leistet Busse: Er lässt sich auf einem wilden Felsen im Meer anschmieden und lebt dort 17 Jahre lang nur von Wasser, das sich in einem Stein sammelt.

Als ein neuer Papst gewählt werden soll, weist Gott die Römer auf den Büsser hin und Gregorius wird zum Papst geweiht. Seine Mutter kommt nach Rom und wird vom Sohn aus der Sünde gelöst (= Abschluss des zweiten Handlungszyklus). 

Wolfram von Eschenbach, ›Parzival‹ 

Anstatt den vom zwîvel heimgesuchten Menschen --> Typus mit schwarz-weiss gescheckten Farben einer Elster (hat gleichermassen am Himmel wie an der Hölle teil).

Die Farbmischung wird mit dem Gegensatz von unstæte und stæte ('Unbeständigkeit’, 'Beständigkeit’) in Zusammenhang gebracht.

Repräsentant dieser Haltung ist Parzival; sein Halbbruder Feirefiz, der die Heidenkönigin Belakane zur Mutter hat, bekundet die Mischung in einer schwarz-weiss gemusterten Hautfarbe. 

Der ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach muss um 1200/10 entstanden sein. Als Quelle diente Wolfram Chrétiens de Troyes ›Perceval ou le Conte du Graal‹ (unvollendet, vor 1190). 

Im ›Parzival‹ erhält die Gattung des Artusromans eine religiöse Dimension. Sowohl Chrétien als auch Wolfram erzählen von Parzival, der einen beschwerlichen Aventiure-Weg vom jugendlichen Toren zum Herrscher über das Gralsreich geht.

Die Handlungsstruktur besteht auch hier aus einem ersten und zweiten Handlungszyklus, wobei sich im zweiten Handlungszyklus der doppelte Kursus zweier Protagonisten vollzieht: als Parallelfigur wird der Ritter Gawan eingeführt, der sich ausschliesslich in weltlichen Prüfungen bewähren muss und anders als Parzival nicht bis zu einer religiösen Bestimmung vordringt.

Zentral sind im ›Parzival‹ die Themen Schuld und Erlösung. Doch wird auch das Erzählen selbst zum Gegenstand des Erzählens gemacht.

Wolframs von Eschenbach ›Parzival‹: Handlung

Erzählt werden die âventiuren von Parzivals Vater Gahmuret, der im Orient mit der Heidenkönigin Belakane Parzivals Halbbruder Feirefiz zeugt. Parzivals Eltern sind Gahmuret und Herzeloyde.

Gahmuret stirbt im Dienste des Baruch von Baldac und Parzival wird erst geboren, als Gahmuret bereits verstorben ist.

Herzeloyde zieht Parzival fernab vom Rittertum in einer Einöde auf, um ihn vor dem Schicksal des Vaters zu bewahren. Dieser Versuch misslingt, hat aber zur Folge, dass Parzival als naiver Tor aufwächst.

Nach Phasen der Versündigung und Gottferne wird Parzival schliesslich zum Herrscher über das Gralsreich berufen.

In Wolframs Dichtung wird der Gral als Edelstein mit lebensspendenden und verjüngenden Kräften beschrieben, der auf Schloss Munsalvæsche aufbewahrt wird. Dort herrscht Parzivals Oheim, König Anfortas.

Der Gral ist einer Gemeinschaft von Rittern und Edelfräulein anvertraut, deren Lebensform an geistliche Ritterorden erinnert.

Bei Parzivals erstem Besuch auf der Gralsburg lastet lähmende Trauer auf der Gralsgemeinschaft. Anfortas leidet an einer vergifteten Wunde, die er in ritterlichen Kämpfen wegen einer ihm verbotenen Liebe davongetragen hat.

Anfortas hofft nun auf die Erfüllung einer Prophezeiung, die einst auf dem Gralsstein sichtbar wurde: Ein Ritter werde das Schloss besuchen und den todkranken König mit einer Mitleidsfrage erlösen.

Parzival unterlässt es bei seinem ersten Besuch auf der Gralsburg, diese Frage zu stellen und muss sich deshalb auf eine ritterliche âventiure-Fahrt begeben. Diese führt ihn von den Stufen der Busse und Läuterung zu göttlicher Gnade.

Als Parzival nach Jahren des Irrens und Suchens wieder auf die Gralsburg kommt, vermag er den König Anfortas mit seiner Mitleidsfrage zu erlösen. 

Schema des Doppelwegs in "Parzival"

Als Parzival in der Waldeinsamkeit von Soltane aufwächst, trifft er eines Tages Artusritter, die ihm vom Artushof erzählen.

Parzival macht sich auf den Weg zum Artushof und lässt seine Mutter sterbend zurück.

Er trifft auf die Herzogin Jeschute, an der sich Parzival in Unkenntnis der höfischen Anstandsregeln vergeht.

Jeschute wird deshalb zu Unrecht von ihrem Gatten Orilus bestraft und vorläufig verlassen.

Mit dem Tod der Mutter und dem Vergehen an Jeschute hat Parzival bereits zweimal Schuld auf sich geladen, doch er begeht sogleich einen weiteren Frevel: Bei seiner Einkehr am Artushof (Artus I) erschlägt Parzival den Ritter Ither und raubt dessen rote Rüstung.

Nach dieser Zwischeneinkehr am Artushof folgt ein Aufenthalt bei dem Fürsten Gurnemanz.

Dieser holt die versäumte ritterliche Erziehung nach; er bringt Parzival das Waffenhandwerk und höfische Anstandsregeln bei.

Fortan bewährt sich Parzival in ritterlichen Taten: in der Stadt Belrapeire befreit er die schöne Königin Condwiramurs, die später seine Frau wird, aus einer hoffnungslosen Belagerung.

Parzivals erster Besuch auf der Gralsburg ist verhängnisvoll, da er die Mitleidsfrage nicht stellt. Parzival vermag im Folgenden zwar das Jeschute zugefügte Unrecht wieder gutzumachen, aber die zweite Einkehr am Artushof (Artus II) bewirkt nicht die vorläufige Restitution, sondern führt mitten in die Krise.

Die hässliche Gralsbotin Cundrîe dringt in die Festesfreude ein und verflucht Parzival öffentlich vor der Artusgesellschaft wegen der unterlassenen Mitleidsfrage. 

 

Schema des Doppelwegs in "Parzival", Teil 2

An diesem Punkt beginnt der zweite Handlungszyklus, in dem eine Doppelung der Protagonistenrolle zu beobachten ist.

Neben Parzival tritt der vorbildliche Artusritter Gawan, dessen âventiuren mit jenen von Parzival abwechseln / diese  übertreffen.

Während Gawan im siebten Buch im Dienst des kleinen Hoffräuleins Obilot kämpft, sucht er im achten Buch den Gerichtskampf mit König Vergulaht und erlebt ein Liebesabenteuer mit dessen Schwester Antikonie.

Auf der Burg Schastel marveile erlöst Gawan die dort von dem Zauberer Clinschor gefangenen Damen und Ritter, verfällt der Liebe zu der stolzen Herzogin Orgeluse und kann sie schliesslich zur Heirat bewegen.

Parzival bleibt bei diesen âventiuren merkwürdig im Hintergrund, wird allenfalls beiläufig erwähnt. Inmitten der Gawan-âventiuren hat Parzival seinen entscheidenden Auftritt anlässlich der Zwischeneinkehr bei Trevrizent, der wie Anfortas Parzivals Oheim ist.

Trevrizent klärt Parzival über die Geheimnisse der Gralsburg auf und hilft ihm, den Weg zurück zu Gott zu finden.

Der Weg zu Gott ist für Parzival auch ein Weg zu sich selbst: Parzival sucht das eigene Ich im Kampf mit dem Freund und Verwandten, so zum Beispiel im Kampf mit Gawan anlässlich der dritten Einkehr am Artushof (Artus III) und im Kampf mit Feirefiz.

Der ›Parzival‹-Roman endet mit der Rückkehr des Protagonisten nach Munsalvæsche: Parzival stellt zuletzt die von ihm erwartete Mitleidsfrage und erlöst damit Anfortas von seinem Leiden.

Die Erzählerfigur in "Parzival"

Der Erzähler, der sich wiederholt in die Erzählung einschaltet, kann mitunter geradezu als Hauptperson der Dichtung angesehen werden. Er erweist sich als unbeständig, unzuverlässig, stilisiert sich in der Rolle des Unwissenden, Ungebildeten oder Ahnungslosen. 

Gelegentlich stockt der Erzählgang, weil der Erzähler plötzlich nicht mehr weiss, was er eigentlich will oder soll. Er schaut seinen Protagonisten über die Schulter, lässt sich dann aber durch Nebenfiguren ablenken. 

Wolfram von Eschenbach 

Wolfram von Eschenbach gilt als der bedeutendste und erfolgreichste Epiker des deutschen Mittelalters.

Er wurde um 1170 in dem fränkischen Ort Eschenbach bei Gunzenhausen geboren.

Über lateinische Schulbildung scheint Wolfram nicht verfügt zu haben, doch konnte er Französisch und besass (wie bereits in der letzten Vorlesung erwähnt) umfangreiches Wissen auf verschiedenen Gebieten.

Neben Minneliedern verfasste Wolfram drei epische Werke: ›Parzival‹ (um 1200/10), ›Titurel‹ (nach 1217), ›Willehalm‹ (um 1210/17). 

Autograph

Als Autographen bezeichnet man Handschriften, die eigenhändig von den Verfassern niedergeschrieben wurden.

Sie sind in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters nur in Ausnahmefällen erhalten.

So stellt beispielsweise das in der Wiener Handschrift V erhaltene ›Evangelienbuch‹ Otfrids von Weissenburg (863/71) eine vom Autor eigenhändig korrigierte Reinschrift dar.

In den meisten Fällen liegen Abschriften vor, die nicht mit dem Original übereinstimmen.

Textkritik

Die Textkritik, wie sie in der Schule von Karl Lachmann (19. Jh.) entwickelt worden ist, setzt sich die Herstellung eines dem Original möglichst nahe kommenden Textes zum Ziel. 

Lachmann ging es um die Rekonstruktion des Archetypus, der den Ausgangspunkt der gesamten Überlieferung bildet, aber nicht mit dem Original identisch sein muss.

Die Textkritik vollzieht sich in verschiedenen Schritten: An erster Stelle steht die Sichtung des Materials (recensio), anschliessend folgt die kritische Prüfung der Überlieferung (examinatio).

Wenn Grund zur Annahme besteht, dass sich die Überlieferung als korrupt erweist, versucht man durch Vermutung (Konjektur) den Wortlaut des Archetypus herzustellen (emendatio).

Liegen mehrere Textzeugen vor, ermöglicht der Vergleich der Texte (Kollation) die Bestimmung von Abhängigkeitsverhältnissen (Filiationen), weil man davon ausgeht, dass sich beim Abschreiben Fehler einstellten.

Zuletzt werden die Abhängigkeitsverhältnisse in einem stammbaumähnlichen Schema (Stemma) dargestellt.

Für die Bestimmung der Abhängigkeitsverhältnisse von Handschriften spielen so genannte Leitfehler eine zentrale Rolle. Die Abweichung eines Zeugen (B) von einem anderen (A) wird durch einen Fehler A gegen B (Trennfehler), die Zusammengehörigkeit zweier Zeugen (B und C) gegenüber einem dritten hingegen durch einen den Zeugen B und C gemeinsamen Fehler (Bindefehler) erwiesen.

 

Wolframs von Eschenbach Willehalm

Wolframs ›Willehalm‹ liegt als Quelle die altfranzösische Chanson de geste ›Aliscans‹ (um 1200) zugrunde.

Der ›Willehalm‹ gehört mithin nicht zur Gattung des Artusromans, ist jedoch von dessen Erzählweise geprägt.

In Buch I und II wird der Krieg von Heiden und Christen in Südfrankreich geschildert. Anlass für den Kampf ist die Taufe und Heirat der heidnischen Prinzessin Arabel mit Markgraf Willehalm von der Provence.

Arabel, die mit christlichem Namen Gyburc heisst, hat ihren Mann Tybalt und ihre Kinder wegen Willehalm verlassen.

Arabels Vater, der heidnische Grosskönig Terramer, bietet ein riesiges Heer auf und schlägt die Christen vernichtend bei Alischanz.

Der um alle Mitstreiter gekommene Willehalm wendet sich an den französischen König Loys um Beistand.

Nur mit einer Stange bewaffnet, führt er in der zweiten Schlacht bei Alischanz die entscheidende Wendung herbei, verschwindet dann aber alsbald.

Willehalm lässt die im Kampf gefallenen Heidenkönige aufbahren, damit sie in ihre Heimat überführt werden können. An dieser Stelle bricht die Erzählung ab.

Gottfried von Strassburg, ›Tristan‹ 

Der Roman gehört nicht im engeren Sinne zur Gattung des Artusromans, da König Artus und seine Tafelrunde nicht als Handelnde auftreten. Dennoch ist er der matière de Bretagne zuzuordnen.

Über die Person Gottfrieds von Strassburg ist so gut wie nichts bekannt. Der ›Tristan‹ und einige Minnelieder lassen Gottfried aber als hochgebildeten Autor erkennen. Entstehung des ›Tristan‹ datiert bald nach 1200.

Dem Tristanroman, der wie Wolframs ›Willehalm‹ unvollendet abgebrochen wurde, liegt eine altfranzösische Quelle zugrunde: der Tristanroman des Thomas de Bretagne (um 1170, nur fragmentarisch erhalten). 

Gottfried von Strassburg, ›Tristan‹ (Inhalt)

Der Tristanroman Gottfrieds von Strassburg hat eine missglückte Brautwerbung zum Thema, da der Werbungshelfer selbst die Braut gewinnt.

Die ehebrecherische Minne stellt sich gegen die Normen der höfischen Gesellschaft, indem sie diese immer wieder überlistet und betrügt.

Die Dichtung beginnt mit der Geschichte der Eltern von Tristan, Riwalin und Blanscheflur: Riwalin, Tristans Vater, entführt die schwangere Blanscheflur in seine Heimat. Unmittelbar nach der Eheschliessung stirbt Riwalin im Kampf. Blanscheflur bringt Tristan zur Welt und stirbt.

Tristan geniesst eine vorbildliche höfische Erziehung durch den treuen Marschall Rual, kommt mit 14 Jahren nach Cornwall und tritt unerkannt in Markes Dienste.

Er bewährt sich in ritterlichen Kämpfen, zieht sich aber eine Verwundung im Zweikampf mit dem riesenhaften Morolt zu, die nur von Morolts Schwester, der Königin Isolde von Irland, geheilt werden kann. Tristan reist zu ihr, gibt sich als Spielmann Tantris aus, wird geheilt und unterrichtet am irischen Hof die ‚junge Isolde’ in Sprachen und Musik.

Anschliessend reist Tristan zurück nach Cornwall und wird später von Marke dazu verpflichtet, um die junge Isolde von Irland zu werben. Nach erfolgreicher Werbung wird davon erzählt, wie Tristan mit Isolde von Irland nach Cornwall reist. Beide trinken versehentlich von einem Minnetrank und werden von gegenseitiger Liebe erfasst, die sie auch körperlich vollziehen.

Unterstützung erfährt das Liebespaar durch die Zofe Brangaene: Diese tritt in der Hochzeitsnacht von Marke und Isolde an die Stelle Isoldes. Durch zahlreiche Listen begegnen Tristan und Isolde dem zunehmenden Argwohn an Markes Hof.

Isolde muss sich auch einem Gottesurteil (Probe mit glühenden Eisen) unterziehen, das sie unversehrt übersteht.

Schliesslich weist Marke Tristan und Isolde vom Hof und das Paar verbringt eine Zeit in der Minnegrotte. Sie wird von Gottfried als Allegorie der Liebe von Tristan und Isolde konzipiert.

Nach der Rückkehr entdeckt Marke Tristan und Isolde in flagranti und Tristan flieht zu seinem Freund Kaedin. Dessen Schwester, Isolde Weisshand, verliebt sich in Tristan, der sich seinerseits immer mehr in Gefühle zu Isolde Weisshand verstrickt. Mit einem Monolog Tristans bricht der Roman ab.

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