Grundrechte

Prüfschema zur Zulässigkeit von Eingriffen in die Freiheitsrechte (gilt nicht für Art. 7 BV, Art. 24 Abs. 2 BV und Art. 25 BV)

Prüfschema zur Zulässigkeit von Eingriffen in die Freiheitsrechte (gilt nicht für Art. 7 BV, Art. 24 Abs. 2 BV und Art. 25 BV)


Kartei Details

Karten 44
Lernende 15
Sprache Deutsch
Kategorie Recht
Stufe Universität
Erstellt / Aktualisiert 22.05.2017 / 20.04.2024
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1. Schutzbereich des Grundrechtes berührt?

Persönlicher SB: nat./jur. Personen, Kinder, Jugendliche, Flüchtlinge

Sachlicher SB: geschützte Sphäre und Ansprüche, Ziel und Zweck der Norm

2. Eingriff in den SB?

Eingriffsvoraussetzungen erfüllt?

- Tun/Unterlassen des Staates oder Trägers staatlicher Aufgaben?

- Verkürzung GR-Anspruch durch dieses Tun/Unterlassen?

- Verkürzung dem Staat zurechenbar?

Intensität des Eingriffs: schwer oder leicht?

3. Gesetzliche Grundlage

Zuständigkeit: Wurde das Gesetz/Verordnung von der zuständigen Behörde erlassen?

Normstufe: 

- Schwer: Grundzüge des Eingriffs (Inhalt, Zweck, Ausmass) müssen in formellen Gesetz geregelt sein

- Leicht: Verordnung genügt, siehe Delegationsvoraussetzungen

- Wenn gesetzliche Grundlage fehlt: Polizeiliche Generalklausel oder Sachherrschaft des Gemeinwesens? 

Normdichte: 

- Gesetzliche Grundlage genügend präzis? (Je schwerer der Eingriff, desto präziser)

- Herabgesetzte Anforderungen an die Normdichte: Sonderstatusverhältnis? Polizeirecht?

Delegationsvoraussetzungen (Verordnung)

 

- Delegation ist nicht durch das Bundesrecht (BV) oder kantonales Recht ausgeschlossen

- Delegation bezieht sich auf eine bestimmte Materie

- Delegationsnorm ist im formellen Gesetz geregelt

- NUR bei schweren Eingriffen: formelles Gesetz selbst umschreibt Grundzüge der delegierten Regelung (Inhalt, Zweck, Ausmass)

Polizeiliche Generalklausel

 

- besonders hochstehende Schutzgüter des Staates oder von Einzelnen sind betroffen

- schwere Gefahr oder die schwere Störung hat sich schon verwirklicht

- zeitliche Dringlichkeit

- keine geeigneten gesetzlichen Massnahmen und diese lassen sich auch nicht zeitnah schaffen

- Behörde handelt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten

- Massnahmen sind verhältnismässig

Sachherrschaft des Gemeinwesens

Einschränkung der Grundrechtsausübung in Form des gesteigerten Gemeingebrauchs an öffentlichen Sachen auch ohne gesetzliche Grundlage (Praxis BGer)

4. Öffentliches Interesse und Schutz Grundrechte Dritter (Art. 36 Abs. 2 BV)

 

Polizeigüterschutz: dient der Eingriff dem Schutz von

- öffentliche Sicherheit (Leib, Leben, Eigentum, Freiheit, Ehre, Einrichtungen des Staates)

- öffentliche Ordnung

- öffentliche Gesundheit

- öffentliche Sittlichkeit

- Treu und Glauben im Geschäftsverkehr

Staatsaufgaben: dient der Eingriff zur Erfüllung einer Staatsaufgabe?

- Aufgaben aus Bundes-, Kantonsverfassung, Gesetz, VR-Verträge zur Erledigung durch das Gemeinwesen

- zu verfolgende öffentliche Interessen (Umweltschutz, Raumplanung, sozialpolitische Interessen)

Schutz Grundrechte Dritter

5. Verhältnimässigkeit

- Eignung: taugliches Mittel, um die öff. Interessen zu erreichen

- Erforderlichkeit: mildestes Mittel in zeitlicher, räumlicher, personeller und sachlicher Hinsicht

- Zumutbarkeit: Interessenabwägung

6. Kerngehalt (Art. 36 Abs. 4 BV)

Wahrt der Eingriff den Kerngehalt?

Typologie der Grundrechte

  • Freiheitsrechte (Abwehr)
  • Gleichheitsrechte
  • Sozialrechte (Leistung vom Staat)
  • Politische Rechte
  • Verfahrensrechte

Subjektiv-rechtliche Grundrechtsdimension

- Abwehransprüche

- Schutzansprüche

- Leistungsansprüche

-> unmittelbar geltende, justiziable Rechte der Grundrechtsträger, unmittelbar wirkende Verpflichtungen des Staats

Voraussetzungen für Schutzpflicht des Staats

  • Staat muss vom Vorfall wissen 
  • Staat muss die Möglichkeit haben um einzugreifen 

  • Staatsmassnahmen müssen grundrechtskonform sein 

Leistungsansprüche aus dem Verfassungstext:

  • Anspruch auf Hilfe, Betreuung und die Mittel, welche für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind
  • Anspruch auf unentgeltlichen Grundschulunterricht
  • Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege

Abwehransprüche

  • Verbot ungerechtfertigter polizeilich verfügter Wegweisung aus einem bestimmten Areal
  • Verbot zwangsweiser Medikamentenbehandlung
  • Verbot ungerechtfertigter Haft oder Festhaltung

Schutzansprüche

Pflicht der Polizei, bekannter und ernsthafter gewalttätiger Bedrohung durch Private einzugreifen

Leistungsansprüche

Bestattung gemäss dem Wunsch des Verstorbenen

Objektiv-rechtliche Grundrechtsdimension (Art. 35 BV)

  • Geltung der Grundrechte in der gesamten Rechtsordnung
  • Geltung für alle Träger staatlicher Aufgaben
  • Wirkung unter Privaten (Behörden sorgen dafür, dass die Grundrechte auch unter Privaten wirksam werden)

Träger von staatlichen Aufgaben: wann wird eine Staatsaufgabe erfüllt (Kriterien)?

 

- Aufgabe wurde durch Verfassung oder Gesetz dem Staat zugewiesen

- Staatszweck in Art. 2 BV

Sobald ein Unternehmen (auch ein privates; Organisationsprivatisierung) öffentliche Aufgaben übernimmt, ist es an die Grundrechte gebunden (

Wirkung der Grundrechte unter Privaten. Wann kann der Staat eingreifen?

Unmittelbare Wirkung: Bei Arbeitsverträgen bei der Lohngleichheit oder weil die missbräuchliche Kündigung wegen Teilnahme an einer Demo die Versammlungsfreiheit verletzt (grundrechtswidrige Miet- oder Arbeitsverträge).

Mittelbare Wirkung: grundrechtskonforme Auslegung im Privatrecht.

Was ist ein Grundrechtsträger?

Er wird vom persönlichen Schutzbereich eines Grundrechts erfasst, er kann sich auf dieses berufen.

Können sich jur. Personen des öffentlchen Rechts und Körperschaften auf die Grundrechte berufen?

Grundsatz: Nein.

Ausnahme:

- wenn sie sich auf dem Boden des Privatrechts bewegen

- durch einen Hoheitsakt wie Private betroffen sind

- wenn eine grundrechtstypische Gefährungslage besteht

Gemeinden haben ein Recht auf rechtliches Gehör (Verfahrensgrundrechte)

Kann man auf seine Grundrechte verzichten?

Nur punktuell möglich, indem man sich gegen einen Grundrechtseingriff nicht prozessual zur Wehr setzt oder wenn man einem grundrechtsfeindlichen Eingriff zustimmt (z. B. Telefonüberwachung).

Grundrechtsverzicht muss eigenverantwortlich und freiwillig erklärt werden.

Was ist der sachliche Schutzbereich?

Summer aller grundrechtlich vermittelten Ansprüche eines Grundrechts.

Bestimmt durch Wortlaut, Rechtsprechung des BGer und Ziel des Grundrechts.

Was ist der Kerngehalt eines Grundrechts?

Jener Teil des sachlichen SB eines Grundrechts, der absoluten Schutz vermittelt und nicht eingeschränkt werden darf.

Grundrechtskonkurrenz

Ein Hoheitsakt greift in mehrere Grundrechte desselben Grundrechtsträgers ein.

Echte Grundrechtskonkurrenz

Hoheitsakt berührt gleichzeitig mehrere Grundrechte einer Person, deren Schutzbereiche sich nicht berühren. Sie werden erst durch den konkreten Einzelfall verbunden (pers. Freiheit und Rechtsgleichheit).

Man prüft alle Grundrechte nebeneinander.

Unechte Grundrechtskonkurrenz

Die Schutzbereiche mehrerer Grundrechte einer Person überschneiden sich in einem Verhältnis der Subsidiarität oder Spezialität (Medienfreiheit als Spezialfall der Meinungsfreiheit).

Man prüft nur das speziellere Grundrecht.

Grundrechtskollision

Ein staatlicher Hoheitsakt greift in die grundrechtlichen Schutzbereiche verschiedener Grundrechtsträger ein, sie können im gleichen oder verschiedenen Grundrechten betroffen sein.

Grundrechtsmündigkeit

Das Recht, die Grundrechte selbstständig wahrnehmen zu können (unter Einschluss prozessualer Handlungsfähigkeit bei Grundrechtsverletzungen).

Rechtsfolgen von Grundrechtsverletzungen

  • Restitution z. B. Entlassung aus dem Gefängnis, wenn zu Unrecht im Gefängnis, Landzurückgabe bei unrechtmässiger Enteignung Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands, ev. Rückweisung an die Vorinstanz 

  • Kompensation: z. B. für unrechtmässige Haft, Schadenersatz und Wiedergutmachung. Wenn die Restitution nichts mehr bringt (der rechtmässige Zustand kann nicht wieder hergestellt werden oder ist schon wieder hergestellt)

  • Prävention: Vermeidung von Grundrechtsverletzungen, die wieder vorkommen könnten 

Art. 36 BV: Einschränkungen von Grundrechten

- Gesetzliche Grundlage

- Schwerwiegende Eingriffe müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein

- Öffentliches Interesse und Schutz der Grundrechte Dritter

- Verhältnismässigkeit

- Kerngehalt

Grundsatz: Einschränkungen sind unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Auf welche Art von Grundrechten ist Art. 36 BV anwendbar?

 

Auf Freiheitsrechte.

Klassischer Grundrechtseingriff

Rechtsförmige, zielgerichtete, unmittelbare und zwingende Minderung der Freiheit eines Menschen.

 

Rechtsförmige und faktische Beeinträchtigung von Grundrechten

Rechtsförmig: Beeinträchtigung aus Rechtsnorm oder formellem Rechtsakt (Verfügung, Urteil)

Faktisch: Das Grundrecht wird durch eine tatsächliche Handlung beeinträchtigt (Realakt)

Zielgerichtete und unbeabsichtigte Beeinträchtigung von Grundrechten

Zielgerichtet: Rechts- oder Realakt soll den Grundrechtsträger betreffen (Absicht)

Unbeabsichtigt: Grundrechtsträger wird versehentlich oder unzielgerichtet aber unmittelbar beeinträchtigt (kein Vorsatz)

 

Unmittelbare und mittelbare Beeinträchtigung von Grundrechten

Unmittelbar: Erlass, Verfügung oder Realakt schränkt den Grundrechtsträger direkt ein

Mittelbar: Der Grundrechtsträger ist in seinem Grundrecht nur indirekt berüht und nicht direkt von der Massnahme betroffen

Zwingende und nicht zwingende Beeinträchtigung von Grundrechten

Zwingende: Beeinträchtigung erfolgt gegen den Willen des Grundrechtträgers

Nicht zwingende: Beeinträchtigung erfolgt mit dem Willen des Grundrechtträgers (Grundrechtsverzicht, kein Eingriff!)

Beeinträchtigung von Grundrechten durch Unterlassen des Staates (bei Schutzpflicht)

Wo ein Handeln des Staates verlangt ist, werden Grundrechte verletzt, wenn staaatliche Behörden untätig bleiben, obwohl: 

- sie die Gefahr für das Grundrecht kennen oder hätten erkennen können

- sie in der Lagen gewesen wären, die erforderlichen zumutbaren Massnahmen zu ergreifen

Fall: Rote Zora

Was ist der Chilling effect?

 

Spezialform des mittelbaren Eingriffs:

Die staatliche Massnahme hat eine abschreckende Wirkung auf die Grundrechtsausübung

Eingriffsintensität

Eingriffsintensität (schwer, leicht) hat Einfluss auf

- Art der gesetzlichen Grundlage

- Öffentliches Interesse/Güterabwägung

Je schwerer der Eingriff, desto höher die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage, öff. Interesse und desto differenzierter muss die Interessenabwägung vorgenommen werden.